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Jederzeit ein Regime ausschalten können

Jürgen Rose, in: Freitag. Der Ost-West-Wochenzeitung , 22 vom 23.05.2003

Jederzeit ein Regime ausschalten können

RIAD, CASABLANCA UND DIE LORBEEREN DES SIEGES. Durch die “revolutionäre Kriegführung” der USA im Irak fühlt sich der internationale Terrorismus in seiner “asymmetrischen Kriegführung” weltweit bestätigt

Der Irak-Krieg hat erwartungsgemäß dazu geführt, die Kluft zwischen den Kulturen, wie sie seit dem 11. September 2001 besteht, weiter zu vertiefen. Die Kulturnationen des Westens, angeführt von den USA, stehen im Kreuzzug gegen die totalitären, fanatischen Muslime des Nahen und Mittleren Ostens, die ihrerseits mit dem Heiligen Krieg (Dschihad) gegen die ungläubigen Kreuzfahrer und ihre Handlanger in der Region reagieren. Die Anschläge von Riad und Casablanca scheinen dieses Raster der Wahrnehmung zu bestätigen, sie gehören zur asymmetrischen Antwort des Terrors auf die militärische Omnipotenz des Eroberers, der die gesamten Region seinem Kulturdiktat zu unterwerfen gedenkt.

Höchst zufrieden ist Präsident Bush mit den Ergebnissen der jüngsten Kriege, die sein Militär so siegreich geführt hat. Afghanistan und Irak, gab er zu Protokoll, seien exemplarisch für die “revolutionäre Art amerikanischer Kriegführung”. Mit ihren Präzisionswaffen hätten die USA “Terroristen und Tyrannen gezeigt, dass sie sich nicht länger hinter Unschuldigen verstecken können”. In dieser neuen Ära könnten die USA jederzeit gezielt ein Regime angreifen und ausschalten. Ein Urteil, das die neokonservativen Falken in der Administration stärkt, während die eher moderate Fraktion um Außenminister Powell weiter an Einfluss verliert. Dessen Drängen hatte Bush nachgegeben, als er im Herbst vor die UNO trat, um Zustimmung für den geplanten Präventivkrieg gegen Bagdad einzuholen. Ein Unternehmen, das mit dem wohl größten diplomatischen Desaster der Amerikaner seit Bestehen der Weltorganisation endete, drifteten sie doch in eine so nie erwartete Isolation.

Um so mehr feiern nun die Neokonservativen den mutmaßlich grandiosen Sieg der amerikanisch-britischen Streitkräfte. Es steht zu befürchten, dass die kleine, nur etwa 25 bis 30 Mitglieder zählende Gruppe dieser Ideologen für absehbare Zeit die Außenpolitik der USA dominiert. Die Protagonisten heißen Richard Perle, Donald Rumsfeld, Paul Wolfowitz, Richard Cheney, William Kristol, Charles Krauthammer, Douglas Feith und Eliot Abrams, sie eint vor allem eine kollektive Vision: durch Neuordnung des Nahen und Mittleren Ostens die gesamte Region als überragenden Gefahrenherd für die USA und Heimstatt des islamistischen Terrorismus zu neutralisieren. Sollten die Glaubenkrieger irgendwann auch Massenvernichtungswaffen besitzen, so Rumsfeld & Co., wäre das Risiko vollends unkalkulierbar. Der vorhandene Despotismus, die Korruption und Armut in der arabischen Welt bewirkten eine Frustration der verelendeten Massen, die besonders in den Moscheen kanalisiert werde. Dort gelte ein Islam, der Anti-Modernismus mit Anti-Amerikanismus und einer Apotheose der Gewalt verbinde. Weil schließlich die Völker ihre diktatorischen Herrscher nicht abschütteln könnten, richteten sie ihren Zorn gegen deren Schutzmacht, die sich am Golf aufgebaut habe, um einen stabilen Zugang zum Öl zu sichern - soweit die Lageanalyse der Neokonservativen.

Daraus folgt: Da spätestens der 11. September 2001 das Scheitern der traditionellen amerikanischen Nahost-Politik offenbart habe, müsse die marode und überlebte Architektur der Region zum Einsturz gebracht werden. Ziel sei es, die arabisch-islamische Welt einem flächendeckenden Transfer von Demokratie, Marktwirtschaft und Menschenrechten auszusetzen. Dafür brauche man nicht noch einmal den langwierigen und teuren Weg eines friedlichen Systemwandels wie gegenüber der Sowjetunion einzuschlagen. Schneller und effizienter sei der Vollzug dieser politischen Agenda mit militärischen Mitteln. Noch nie in ihrer Geschichte hätten die USA über ein solch großes und adäquates Machtpotenzial verfügt, um genau so verfahren zu können. Der in Afghanistan zur Ausschaltung von al Qaida und zum Sturz der Taleban geführte Krieg habe bereits gezeigt, wie konzentriert und erfolgreich die US-Streitkräfte für einen Regimewechsel zu sorgen vermögen - der Feldzug gegen den Irak habe das bestätigt.

“Die Menschen sollten verstehen, dass wir uns im Vierten Weltkrieg befinden, nach zwei heißen Kriegen und einem kalten Krieg. Es ist ein Krieg, der anständige Regierungen im Nahen Osten bringen soll. Von ganz Nordafrika bis in den Iran. Dort und in 22 arabischen Staaten gibt es nämlich keine einzige demokratische Regierung.”
James Woolsey, ehemaliger CIA Director

In der Tat mutet der Blitzkrieg, mit dem die amerikanisch-britischen Streitkräfte den irakischen Staat innerhalb von nur 20 Tagen zum völligen Kollaps brachten, phänomenal an - besonders angesichts der zuvor von vielen Analysten beschworenen Schreckensszenarien. Ausschlaggebend für den totalen Sieg der Koalition war ein ganzes Bündel von Faktoren. Neben der bekannten rüstungstechnologischen Überlegenheit kamen eine enorme Planungsfähigkeit und der Einsatz beispielloser Kapazitäten bei der Nachrichtengewinnung wie der strategischen Aufklärung hinzu. In der Konsequenz konnten Heer, Luftwaffe, Marine und Marines äußerst flexibel sowie in einem bisher unerreichten Operationstempo disloziert werden. Die Schlacht der Invasionstruppen wurde ohne Unterbrechung rund um die Uhr - in der Nacht und bei jedem Wetter - geführt, dies galt für die Dauer des gesamten Feldzuges. Das wiederum war entscheidend einer um den Globus reichenden, flexiblen Logistik mit riesigen See- und Lufttransportkapazitäten (einschließlich der Luftbetankung) zu danken. Außerdem fiel der hohe Ausbildungsstandard sowohl der amerikanischen als auch der britischen Streitkräfte ins Gewicht, womit der Krieg im Irak einmal mehr die Vorzüge professioneller Freiwilligen- gegenüber überdimensionierten Wehrpflichtarmeen erkennen ließ.

Diese so furios anmutende Bilanz weist allerdings bei genauerem Hinsehen durchaus etliche Makel auf. So stellte sich zu Beginn des Angriffs heraus, dass die amerikanisch-britischen Militärplaner den Kampfeswillen der irakischen Armee ebenso unterschätzt hatten wie deren Kreativität bei einer asymmetrischen Kriegführung. Daraus sowie aus Defiziten bei der Freund-Feind-Erkennung resultierten vermeidbare Verluste in den eigenen Reihen, obwohl die im Vergleich zu anderen seit 1990 geführten Kriegen ähnlicher Dimension geringer ausfielen: Auf jeden getöteten alliierten Soldaten kamen zehn tote Zivilisten und etwa 100 gefallene irakische Soldaten - der Krieg artete damit zu einem Massaker aus, das mindesten 22.000 Irakern das Leben kostete. Wahrlich keine Quantité négligeable. In diesen Relationen zeigt sich zugleich, wie sehr mit der Siegeseuphorie eine militärische Illusion verdeckt wird. De facto handelte es sich um einen gigantischen Overkill jenseits aller Verhältnismäßigkeit. Briten und Amerikaner schlugen ein weitgehend entwaffnetes, ausgeblutetes Land mit einer “Barfuß-Armee” in einer physisch wie psychisch zermürbten Region. Während sich die nachhaltigen Folgen dieser Aggression und ihrer Umstände erst noch erweisen müssen, fallen doch nicht zuletzt mit den Attentaten von Riad und Casablanca in den vergangenen zehn Tagen zwei gravierende, vor dem Einmarsch in Bagdad bereits prophezeite Risiken ins Auge - der im Grunde genommen zweifelhafte Sieg über den Irak steigert das Ressentiment in der arabisch-islamischen Welt gegenüber den USA in ungeahnte Höhen, und der strategische Impuls für die so genannte “asymmetrische Kriegführung” des Terrorismus ist unübersehbar. Es besteht tatsächlich die reale Gefahr, dass die neokonservativen Kreuzzügler um George W. Bush in ihrer siegestrunkenen Verblendung die Welt in jenen Vierten Weltkrieg treiben, den Ex-CIA-Direktor James Woolsey schon ausgerufen hat.

Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt mir diesem Text nur seine persönlichen Auffassungen.

Die Veröffentlichung dieses Artikels erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.

Veröffentlicht am

24. Mai 2003

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