Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Gerechtigkeit und Frieden - für eine Globalisierung von unten

Am 27. April 2003 verstarb die Theologin und Friedenskämpferin Dorothee Sölle im Alter von 73 Jahren an den Folgen eines Herzinfarktes. Vor genau einem Jahr - am 27. April 2002 - war sie Gastrednerin beim “Ökumenischen Pfälzer Forum” in Bellheim. Nachfolgend dokumentieren wir einzelne Beiträge ihres Vortrages, die dankenswerter Weise von Eberhard Dittus, Arbeitsstelle Friedensdienst der Evangelischen Kirche der Pfalz zusammengestellt wurden.

Gerechtigkeit und Frieden - für eine Globalisierung von unten

Von Dorothee Sölle

Text 1

Gerechtigkeit ist die Grundlage des Friedens. Ohne sie wird es weiterhin ethnische Konflikte geben, weitere Privatisierung der Gewalt und wachsende Verelendung der Mehrheit der Menschen, der sogenannten “loser”.

Aber gerade dieses einfache Überleben der Mehrheit ist heute durch die Globalisierung von oben in Frage gestellt. Ich habe von zwei Bauern in einem südindischen Dorf gehört, die bis zum letzten Jahr ihre gepachteten Felder noch bestellt haben. Jetzt haben sie keine Kraft und kein Geld mehr dazu. Keine Kraft mehr, weil sie wie 23 andere hoch verschuldete Bauern aus ihrem Dorf, ihre Nieren verkauft haben. Mit dem Geld wollten sie die Schulden für Saatgut, Pestizide und Dünger bezahlen. Doch die 2000 Mark für eine Menschenniere haben nicht gereicht. Einer der Bauern sagte dazu: “Jeder Bauer hat nur eine Niere, die er verkaufen kann.”

Wie definieren wir eigentlich Gewalt? das Einschlagen von Schaufenstern oder das Anzünden von Autos ist natürlich Gewalt, und ein klarer Rechtsbruch. Aber wenn eine Behörde eine Exportlizenz für Waffen, die Kinder gut bedienen können, erteilt, da bekanntlich aller Handel frei und unbehindert sein muss, ist das auch Gewalt? Oder wenn das Spekulieren an der Getreidebörse in Chicago Tausende von Menschen in den Hungertod treibt, weil die Notprogramme bei steigenden Preisen nicht mehr finanziert werden können, ist das auch Gewalt? Es ist in unserer Welt völlig legal. “Free trade” ist einer der wichtigsten Götzen, die über uns herrschen. In Babylon.

Wir alle leben in Babylon. Anfang der 80er Jahre begrüßte mich ein amerikanischer Freund in New York mit den Worten: “Welcome in Babylon on Hudson”. Damals stand das Wahrzeichen der wirtschaftlichen Macht, die Türme des World Trade Centers, noch. Nach der Bibel hatten die Menschen früher eine gemeinsame Sprache. Aber als sie einen Turm in den Himmel zu bauen versuchten, wurde ihre gemeinsame Sprache zerstört, sie verstanden einander nicht mehr in Babylon on Hudson, das auch in Hamburg und Köln liegt, versteht man immer nur noch cash und fun und cash, und die einzige Frage, die noch erlaubt ist, heißt: “Rechnet es sich?” In Babylon.

Meditation

Dein wille
Wir wissen worauf du hinaus wolltest
als du uns dir ähnlich geschaffen hast
kinder der erde die sterben müssen
deine töchter und söhne fähig die liebe zu lernen
schon jetzt mitten im krieg
Wir kennen deinen willen gott
leben in seiner fülle hast du allen versprochen
nicht nur den weißen nicht nur den reichen
nicht nur denen die kaffee trinken
auch denen die ihn pflanzen und ernten
Wir danken dir für deine vielen du sollst
mit ihnen fragst du uns nach unseren geschwistern
den bäumen und den tieren
dem wasser und der luft
nach unserer zeit fragst du
und nach dem was uns wichtig ist
Eines tages gott werden wir alle deine du sollst
verwandeln in ein großes ja ich will
ja wir werden die fremden nicht mehr hassen
und die mauern der trennung einreißen
und die gewalt wird nicht mehr wohnen bei uns
wir werden sie nicht füttern und hätscheln
nicht bezahlen und nicht für allmächtig halten
dein wille wird geschehen
auch in unserm land

aus: Dorothee Sölle (“loben ohne lügen”, gedichte. 2000. Verlag Fietkau, Berlin)

Text 2

Mit der Zerstörung von Rechtsregeln, wie Mindestlohn, Kündigungsschutz, Gesundheitsschutz in Betrieben, entstehen vor unseren Augen neue Formen der Verelendung - denken Sie an die Näherinnen, die unsere T-Shirts so wunderbar billig machen. “Deregulierung”, wie die Weltbesitzer diese Rechtlosigkeit nennen, führt zu neuen Formen der Verelendung und der Sklaverei. Meine in Bolivien lebende Arzttochter erzählte mir gerade, dass eine der häufigsten Todesursachen von Erwachsenen im andinen Hochland jetzt Selbstmord ist. Eine 64jährige Frau, die ich flüchtig kannte, hat das billigste Mittel, Rattengift genommen. Die Verelendung ist so groß, dass die jüngeren Leute aus den Dörfern in die städtischen Slums fliehen, also in Betteln, Stehlen, Prostitution oder Drogenhandel, und die älteren Zurückbleibenden keinen Sinn mehr im Weitervegetieren sehen.

Der größte und wichtigste Terrorist in unserer Welt ist nicht Osama Bin Laden oder die Taliban sondern die neoliberale Weltwirtschaftsordnung, die die lokale Tauschordnung zerstört im Interesse der Selbstbereicherung der Reichen, in Burkina Faso gehen 58% des Bruttosozialprodukts in den Schuldendienst. Was wir wissen können, was wir sehen können sind diese neuen Formen der Schuldsklaverei. Alle sozialen Menschenrechte dass ein Mensch von heilbaren Krankheiten geheilt wird, ein Kind zur Schule gehen und etwas lernen darf, und dass alle täglich satt werden, werden heute mit Füßen getreten.

Und was tun wir?

Text 3

Es gibt sehr viele Dinge, auf denen das Schild steht “Zu verkaufen”, Häuser, Grundstücke, alte Kleider, Kuchenstücke und vieles mehr. Aber nicht auf allem steht drauf “for sale”, jedenfalls bisher nicht, das Wasser, das alle brauchen, die Luft, die wir atmen, ist nicht “for sale”. Die Welt steht nicht zum Verkauf an, auch wenn die Weltbesitzer sich das einbilden und alle Anstrengungen unternehmen, unser gesamtes Leben, einschließlich Erziehung, Gesundheitsversorgung, Altenfürsorge verkäuflich zu machen.

Wer sind denn eigentlich die Weltbesitzer, die das ebenso klammheimlich wie rechtsstaatlich perfekt versuchen? Es sind nicht dämonische schreckliche Kräfte, die wir nicht überblicken, ich möchte da an einen großen deutschen Dichter erinnern, der den großen Satz geprägt hat. “Das Böse hat eine Adresse. Es hat auch eine Telefonnummer.” Ich möchte die drei wichtigsten Adressen benennen, viele von Euch werden sie kennen, sie heißen: Weltbank, Internationaler Währungsfond (IMF) und Welthandelsorganisation (WTO).

Auf einer Party fragte mich ein höherer Manager “Finden Sie nicht auch, dass die anderen Religionen viel toleranter sind als das Christentum?” Ich wunderte mich in welcher Hinsicht er das meine. Nach kurzem Nachdenken kam; die Antwort: “Nun ja in Wirtschaftsfragen zum Beispiel.” Ihm war zu viel von Gerechtigkeit die Rede, zu viel von den Arbeitslosen hier bei uns oder den Straßenkindern, die sich prostituieren müssen, um zu überleben. In dem kurzen Geplauder wurde sein Unbehagen an - vielleicht jeder Religion, aber besonders an der biblischen - immer deutlicher. Er missbilligte die überflüssige Einmischung in reale Notwendigkeiten von Ökonomie und Standardpolitik - Dinge, die seiner Meinung nach gar nichts mit Religion zu tun haben.

Gerechtigkeit ist einer der Namen Gottes, den viele loswerden wollen. Die Ökonomie ist in den letzten 12 Jahren immer totalitärer geworden, sie bestimmt und beherrscht alles, wenn auch sehr anders als die beiden totalitären Systeme, die ich kennen gelernt habe. Sie brüllt nicht Kommandos herum, sondern wirbt viel intelligenter, mit sanfter Stimme, sich ihr doch anzupassen und das Geld gewinnbringend zu vermarkten. Es dient nicht dazu die Bedürfnisse der Menschen zu stillen. Warum sollte man es in die Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse sozialer, pädagogischer, ökologischer Art stecken, wenn die Gewinner es doch zu mehr Geld machen können?

Margret Thatcher, eine glühende Vertreterin des Neoliberalismus hat das auf eine prägnante Formel gebracht, der für alle, die zu den Gewinnern gehören, wunderbar ist. “There is no alternative”. Wenn Sie die vierer ersten Buchstaben dieses einfachen Satzes zusammenstellen, dann nennt man dieses Denken “das TINA-Syndrom”. An dieser Krankheit leiden wir alle, dieses alternativlose Denken beschädigt uns mehr als unsere vielen Hautallergien.

Ich dein baum
Nicht du sollst meine probleme lösen
sondern ich deine gott der asylanten
nicht du sollst die hungrigen satt machen
sondern ich soll deine kinder behüten
vor dem terror der banken und militärs
nicht du sollst den flüchtlingen raum geben
sondern ich soll dich aufnehmen
schlecht versteckter gott der elenden

Du hast mich geträumt gott
wie ich den aufrechten gang übe
und niederknien lerne
schöner als ich jetzt bin
glücklicher als ich mich traue
freier als bei uns erlaubt
Hör nicht auf mich zu träumen gott
ich will nicht aufhören mich zu erinnern
dass ich dein baum bin
gepflanzt an den wasserbächen
des lebens

aus: Dorothee Sölle (“loben ohne lügen”, gedichte. 2000. Verlag Fietkau, Berlin)

Eines der wichtigsten Ziele der neuen Wirtschaftsordnung ist es, uns so zu individualisieren, dass Fragen nach dem Nächsten, dem Anderen oder gar der Erde vollkommen unwichtig werden. “That’s not your business.” Ist ein Satz den, ich schon in den 80er Jahren immer wieder zu hören bekam. Heute klingt das von einem führenden US-Management-Guru so: “Wir sind die Chefs der Ich Agentur und unser Topjob ist, Marketing-Chef für die Marke “Ich” zu sein. Es kommt im Leben auf den richtigen Dress im richtigen Auto beim richtigen Event an”. (Nürnberger 99f.) Jeder verkauft sich, so gut er kann. Keine weiteren Ziele, keine sonstigen Inhalte. Das Leben bekommt “wieder einen Sinn, und das Ego muss sich nicht mehr schämen, weil Egoismus früher einmal als schlechte Angewohnheit gegolten hat.” Martin Luther hat in seiner Theologie des Römerbriefs den Sünder beschrieben als den auf sich selbst verkrümmten Menschen, den homo incurvatus in se. Er kann nichts mehr denken oder fühlen außer sich selbst. Er kreist, möglichst ununterbrochen um sich selber. Er kann den aufrechten Gang nicht lernen, er muss sich um sich selber drehen, Tag und Nacht. Er oder sie wird nie frei von sich selber - was doch wohl eines der schönsten Geschenke der Liebe ist. Ich war ganz hin als ich dich sah. Zu ihm, dem unaufhörlich mit sieh selber Beschäftigten sollen wir gemacht werden, das ist die Innenseite der totalitären Ökonomie und ihrer Gewalt.

Ich glaube mit der jüdischen Tradition, was Martin Buber so formuliert hat: Im Anfang war die Beziehung. Wort und Antwort, der Dialog zu den anderen und vielleicht auch zu dem Anderen, der in den Religionen so viele verschiedene Namen hat.

Ich habe oft das Gefühl, als sei jede Form von Transzendenz undenkbar und unwünschbar geworden und dies vor allem, weil der Schmerz, der in ihr steckt, das Ungenügen an dem, was der Fall ist, gar nicht mehr wehtut. Er ist uns entfallen der allgemeine Schmerz der Ungerechtigkeit. Die Religion ist ein Störfaktor im Wirtschaftsleben, sie behauptet, dass es außer den Gesetzen des Marktes noch andere geben muss, die das Leben zu seinem Schutz braucht. Lange vor den transnationalen Unternehmen, die uns beherrschen, gab es diesen transnationalen Menschheitstraum für alle: vom Recht zu Essen, Obdach zu haben und Arbeit, in die Schule zu gehen und geheilt zu werden. Es gibt aber heute Alternativen zum Neoliberalismus. Der Widerstand gegen diesen neuen Totalitarismus der Ökonomie wächst weltweit. Gegner der falschen Globalisierung die sich seit Seattle, Prag, Davos, Quebec, Genua, Porto Allegre immer klarer, immer öffentlicher gezeigt haben, haben einen wunderbaren einfachen Satz geprägt, den ich in Übereinstimmung mit der jüdisch-christlichen Tradition finde. “The world is not for sale.” Die Welt, die Luft, das Wasser, die Sexsklavinnen sind nicht Waren, auf denen steht: “Zu verkaufen”. Es gibt Sachen, die man weder kaufen noch verkaufen kann. “The world is not for sale”

Das Leben auf dieser von Gott geliebten Erde steht nicht zum Verkauf an!

Quelle: Arbeitsstelle Friedensdienst der Evangelischen Kirche der Pfalz - Referat Konziliarer Prozess - Große Himmelsgasse 3, 67346 Speyer, Tel. 06232-671517, dittus@friedensdienst-pfalz.de

Mehr zu Dorothee Sölle siehe auf der Lebenshaus-Website (Linksammlung unten) sowie unter folgendem Link:

www.dorothee-soelle.de

Veröffentlicht am

13. Mai 2003

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