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Krieg vorbei?

George Bush gibt das Ende des Kriegs bekannt - aber wissen das auch die Schiiten und die Badr-Brigade?

von Robert Fisk

The Independent / ZNet 06.05.2003

Wenn irakische Zivilisten in die Gesichter amerikanischer Soldaten blickten, könnten sie darin Stärke, Freundlichkeit und Wohlwollen sehen, so Präsident Bushs berühmte Worte, die er am Donnerstag an die Welt richtete. Falsch, Mr. Bush - was sie dort sehen, ist die Okkupation. Das ist das Ende des Irakkriegs - oder nicht? Wer glaubt, George Bush junior sei glaubwürdig mit dieser Aussage (Donnerstagabend letzte Woche auf dem Flugzeugträger Abraham Lincoln hatte er wörtlich erklärt, die hauptsächlichen Kampfoperationen seien beendet), der soll einfach mal die nette kleine, düstere Ansprache von Verteidigungsminister Donald Rumsfeld vom Vortag - vor US-Truppen in Bagdad - genauer unter die Lupe nehmen. Auf den ersten Blick ist Rumsfelds Rede gespickt mit den üblichen Mythen: Scharen von Irakern seien gekommen, die Amerikaner bei der Befreiung Bagdads zu begrüßen oder: der Marsch auf Bagdad sei der schnellste Marsch auf eine Hauptstadt in der modernen Militärgeschichte (stimmt nicht, die Israelis schafften sowas 1982 in 3 Tagen). Die wichtigste Aussage indes ließ Rumsfeld ganz zum Schluss eher beiläufig einfließen: Die Amerikaner hätten nun noch die Aufgabe, die Netzwerke der im Land operierenden Terroristen auszurotten. Wie bitte? Was für Terror-Netzwerke? Und wer soll hinter diesen ominösen Terror-Netzwerken stecken, die angeblich im Irak operieren, fragt man sich. Ich hätte eine Idee: Es gibt sie gar nicht - noch nicht. Aber Donald Rumsfeld weiß (der US-Geheimdienst wird es ihm gesagt haben), dass die Widerstandsbewegung gegen die US-Okkupation im Irak ständig wächst. Die irakischen Schia-Muslime, verstärkt durch tausende irakischer im Iran ausgebildeter Badr-Brigadisten, glauben nämlich, die Amerikaner seien nur scharf auf das irakische Öl. Und die Schiiten sind zornig über die Behandlung der Bürger Iraks durch die Amerikaner. Letzte Woche wurden innerhalb von nur 3 Tagen mindestens 17 sunnitische Demonstranten getötet - zwei der Toten waren nicht mal 11 Jahre alt. Darüberhinaus ist man wenig beeindruckt von Washingtons Versuchen, eine pro-amerikanische Interims-Regierung zusammenzukleistern. Diese Gefühle sind schon während des Kriegs zum Ausdruck gekommen. Natürlich geht es in Ordnung, sagten uns damals die Schiiten, die Amerikaner sollen Saddam ruhig beseitigen. Dass er ein Schurke ist, bezweifelte hier niemand. Aber sofort wurde nachgeschoben, man würde auch die Amerikaner am liebsten von Hinten sehen. Hinzu kommt: Die meisten zivilen Opfer der amerikanischen und britischen Bombardierungen waren Schiiten - vor allem in bzw. um Nasiriyah und Hillah. Dies ein weiterer Grund, weshalb die Amerikaner bei ihrem Einmarsch in Bagdad nicht mit Blumen und Musik empfangen wurden. Stattdessen riss ein gepanzertes US-Fahrzeug die berühmte Saddam-Statue um. Wenn irakische Zivilisten in die Gesichter der amerikanischen Soldaten blickten, könnten sie darin Stärke, Freundlichkeit und Wohlwollen sehen, so Präsident Bushs berühmte Worte, die er am Donnerstag an die Welt richtete. Falsch, Mr. Bush - was sie dort sehen, ist die Okkupation.

Schon jetzt wird klar, einiges am fortschreitenden Besatzungsprozess kommt einem bekannt vor. Zu einer Reihe brutaler Zwischenfälle ist es gekommen - und stets stehen die Amerikaner engelsrein da. Siehe die israelische Okkupation von Gaza und Westbank: auch dort ist nie der Besatzer schuld, wenn Zivilisten sterben müssen. Der Fahrer und der alte Mann, die von US-Soldaten nahe einem Bagdader Checkpoint erschossen wurden, die junge Frau und das kleine Mädchen, die schwerverletzt wurden - Channel 4 wurde Augenzeuge dieser Tragödie -, für keinen von ihnen hat sich die USA entschuldigt. Im Süd-Irak erschießt man eine ganze Familie in ihrem Auto. Im Palestine-Hotel werden Kameraleute getötet. In Falludschah mäht man 15 Iraker nieder, darunter mindestens 1 Kind. Für die Amerikaner ist es stereotyp immer Notwehr. Merkwürdig allerdings, dass bei allen Vorfällen fast kein Amerikaner (oder gar keiner) ernsthaft zu Schaden kam. Natürlich wird es sicherlich noch ein paar Bewaffnete geben, die die Amerikaner beschießen. Tatsachen weisen darauf hin, es sind nicht allzuviele. Tatsache ist andererseits, dass sich daran in nächster Zukunft mit ziemlicher Sicherheit etwas ändern wird - dann wird es nämlich viele Schützen geben. Man braucht sich nur anzuhören, wie die irakischen Schiiten für die libanesische Hisbollah schwärmen, um zu begreifen, wieviel diese Leute von der Kunst des Partisanenkampfs als Widerstandsform verstehen. Leute, die sich in den Iran gerettet hatten oder durch die harte Schule von Saddams Folterkeller gingen, werden kaum Befehle von Ex-General Jay Garner annehmen. Garners Frei-Tripp nach Israel, bei dem er in den höchsten Tönen die Zurückhaltung der israelischen Armee in den besetzten palästinensischen Gebieten pries, ist vielen Irakern nicht entgangen. Und den Leuten hier ist auch äußerst bewusst, dass die großen US-Konzerne schon jetzt auf dem Sprung sind, Millionen aus dem kaputten Irak herauszuholen. Um die entsprechenden Entscheidungen zu treffen, hat man nicht mal irgendeine Interims-Regierung abgewartet. Stattdessen hat die ‘US Agency for International Development’ (US-Agentur für internationale Entwicklung) die multinationalen US-Konzerne ermutigt, sich ein (irakisches) Angebot zu ersteigern - von Straßeninstandsetzungen bis zur Schulbuchbeschaffung. Der Zuschlag für einen Management-Kontrakt über den Hafen von Um Kasr ging bereits an das US-Unternehmen ‘Stevedoring Services of America’ - ein dicker Fisch von $4,8 Millionen. Und US-Ölmanager - viele davon Kumpels von George Bush und seiner Regierung - werden binnen Wochenfrist im irakischen Ölministerium erwartet (übrigens eines von zwei irakischen Ministerien, das die Amerikaner wundersamerweise vor den Brandschatzern retten konnten).

Nein, der Irak ähnelt derzeit keiner Möchtegern-Demokratie. Er erinnert vielmehr an die Tragödie, die die Briten in Griechenland erwartete, als 1944 die deutsche Besatzung dort zu Ende ging. Ebenso wie Saddam, hatte Hitler damals dafür gesorgt, dass beim Abzug genug Waffen frei herumlagen, mit denen ein Partisanenkrieg gegen die neuen Herrscher geführt bzw. angeheizt werden konnte. Churchill hatte sich entschlossen, die nationalistische Regierung George Papandreous (sozusagen der Ahmed Chalabi Griechenlands) zu unterstützen, aber auch die Partisanen der kommunistischen ELAS drängten an die Macht. Schließlich hatten sie seit Beginn der deutschen Invasion 1941 gegen die Nazis gekämpft. Jetzt befürchteten sie - siehe die muslimischen Schiiten heutzutage im Irak - vom neuen alliierten-freundlichen Regime von der Macht ausgeschlossen zu werden. Die Befreiung Athens war daher schnell in eine offene Feldschlacht zwischen britischen Truppen (im Falle Irak sind es die Amerikaner) und Kommunisten umgeschlagen. Letztere waren seit Jahren durch die Sowjetunion unterstützt worden. Setzen Sie anstelle des damaligen Russland nun eben Iran. Churchill behauptete damals, es sei ihm um die Freiheit zu tun. Die Demokratie sei keine Hure, die sich von jedem Mann mit Thompson-Gewehr auf der Straße aufgabeln lasse. Die Briten verhängten das Kriegsrecht (etwas, was den Amerikanern noch bevorstehen könnte). Und Churchill klang viel weniger benevolent, als er dem britischen Kommandeur in einer Geheimbotschaft mitteilte, er solle nicht zögern, sich so zu verhalten, als wäre er in einer eroberten Stadt. In den verschiedenen Kämpfen kam es immer wieder zu Verhandlungsversuchen, zum Versuch einen Mediator zu finden - nicht unähnlich den verzweifelten Verhandlungstreffen zwischen Irakis und Amerikanern letzte Woche in Falludschah. Letztendlich war es Churchill nur möglich, die Ordnung wiederherzustellen, als es ihm gelang, Stalins geheime Zustimmung zu erhalten, Griechenland könne im westlichen Europa verbleiben. Die Zeche zahlten Bulgarien, Ungarn, Polen und andere osteuropäische Länder. Natürlich stimmen die Parallelen nicht Eins zu Eins. Ein wesentlicher Unterschied besteht beispielsweise darin, dass der Staat, der die Amerikaner jetzt heraushauen könnte (so wie damals die Sowjets England), ausgerechnet Iran ist. Aber der Iran wird die Rolle des ungeliebten Verbündeten kaum spielen können, schließlich zählt auch er zu Bushs ‘Achse des Bösen’ - und muss befürchten, auf Amerikas ‘Hit-Liste’ der Nächste zu sein. Ich wage eine kleine Vorhersage:

Mr. Bush sagt, der Krieg ist vorbei - also zumindest etwas in der Art. Der schiitische Widerstand erwacht und greift die Amerikaner im Irak an. Natürlich hat uns Mr. Rumsfeld schon davor gewarnt. Man wird sagen, genau das ist es - jenes berühmte Terror-Netzwerk, das noch zu bekämpfen ist im Irak. Und Iran und sicher auch Syrien wird man beschuldigen, die Terroristen zu unterstützen. Auch Frankreich hat damals ähnlich gehandelt - in seinem Krieg (1954 - 1962) gegen die FLN in Algerien. Damals war Tunesien der Sündenbock - und Ägypten. Also bleiben Sie dran: Teil II des Irakkriegs wird nicht lange auf sich warten lassen - genannt: ‘Die nächste Stufe im Krieg gegen den Terror’.

Quelle: ZNet Deutschland vom 08.05.2003. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “War Over?”

Veröffentlicht am

09. Mai 2003

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