Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Von Globalisierung , Träumen und teilenden Minderheiten

Von Michael Schmid, aus: Rundbrief des Lebenshaus Juni 2001

Seattle, Prag, Nizza oder Davos - diese Namen stehen für Orte, an denen die internationalen Gipfeltreffen der Regierenden, der Reichen und Einflussreichen von zunehmendem Protest der Globalisierungskritiker begleitet werden. Die Protestierenden empören sich über die rasant voranschreitende Organisation der Gesellschaft nach reiner Marktlogik, welche menschliche Gemeinschaften zerstört und Solidarität zwischen Menschen untergräbt. Die offenen Gewaltausbrüche, die dabei auch sichtbar wurden, können als Vorboten einer globalen Wut gesehen werden, die allerdings nichts Gutes verheisst. Denn wenn nichts Rettendes geschieht, wird diese Wut eines Tages zu einem Aufstand führen, der die Welt erschüttert.

So verständlich diese Wut und die Aggression vieler Globalisierungskritiker angesichts der wachsenden Kluft zwischen Arm und Reich ist, sie alleine ergibt noch keine Lösung der Probleme, sondern drückt eher ihre Konzeptions- und Sprachlosigkeit aus.

Es gibt Alternativen

Obwohl es Bestandteil der neoliberalen Ideologie ist, jeder grundsätzlichen Kritik, jeder anderen Utopie die Berechtigung abzusprechen, stehen wir heute nicht so völlig ohne jede Alternative da. Es gibt bereits lange formulierte Grundwerte, wie beispielsweise die von einer gerechten, partizipatorischen und überlebensfähigen Gesellschaft. Es gibt Grundsätze, nach denen niemand seinen Wohlstand vergrössern darf, solange nicht alle Menschen das Existenzminimum haben. Es gibt aktuelle Konkretisierungen, wie z.B. die Kampagne für eine Devisenumsatzsteuer (“Tobin-Steuer”) oder die Kampagne für einen Schuldenerlass für die Länder des Südens, mit denen es gelingen könnte, die geschlossene Ideologie des internationalen Kapitals aufbrechen zu können. Es gibt die Forderung nach einer De-Globalisierung, also einer Regionalisierung der Weltwirtschaft, die durch eine Erhöhung der Transportpreise ganz einfach und zudem auch noch marktkonform zu erreichen wäre. Es gibt eine Reihe von Kampagnen, auf die wir auch immer wieder hinweisen, die letztlich auf eine Entmilitarisierung zielen. Für solche und weitere Forderungen gilt es sich einzusetzen. Das kann und sollte jede und jeder von uns.

Beflügelnde Träume und biblische Orientierung

Doch die riesigen Herausforderungen globaler Probleme und die notwendigen großen Veränderungen verlangen Neuorientierungen auch unterhalb der Ebene politischer Forderungen. Eine neue Gesellschaft wird nur von unten wachsen, aus ihrem Wurzelwerk. Deshalb könnten wir ja selber anfangen, kleine Brötchen zu backen, statt vom Kauf des großen Kuchens zu träumen. Wir könnten selber beginnen, die Marktlogik zu durchbrechen - zunächst zwangsläufig im Kleinen. Das bedeutet nicht mit dem Träumen von den großen Veränderungen aufzuhören. Aber unsere Träume sollen unsere Hände und Füße beflügeln und nicht lahmlegen.

Wenn beispielsweise Christinnen und Christen ihren “Auftrag” ernst nehmen, “gute Nachricht”, das Evangelium, zu den Armen zu bringen und gerechte Beziehungen zwischen den Menschen untereinander und mit der Erde wiederherzustellen, dann müßten sie sich in unserer heutigen Zeit und mit Blick auf das zunehmende Leiden der Armen und der ganzen Erde in allen Regionen der globalisierten Welt besonders herausgefordert fühlen. Und in der Bibel können zahlreiche Anhaltspunkte dafür gefunden werden, wie sich neue Strukturen aufbauen lassen.

In den Evangelien im Neuen Testament stoßen wir auf Erzählungen, laut denen Jesus Tausende mit Brot und Fisch satt gemacht hat. So versammelten sich eines Tages 5000 Menschen in der Wüste um Jesus. Die Jünger wollten die Anwesenden von dem kargen Ort weg in die umliegenden Dörfer schicken, damit sie sich dort etwas zu essen kaufen. So wie aber der Markt organisiert ist, geht dort ohne Geld nichts. Die Herrschaft des Geldes auf diesem Markt läßt die Menschen ungesättigt ausgehen bzw. schickt sie in die Wüste. Das ist bis heute so. Und nun wollen die Jünger, dass diese Menschen auf diesem Markt für sich etwas zu essen kaufen? Jede und jeder soll für sich selber sorgen? Den Menschen wird zugestanden, dass sie ein großes Problem haben, aber sie sollen es für sich selbst lösen? Hast Du Hunger, dann mußt du Brot kaufen. Bist du arbeitslos, dann mußt du dich bewerben. Bist du arm, dann mußt du mehr für dein berufliches Fortkommen tun. Verfolgt dich deine Regierung, dann musst du dich mehr anpassen…

Jesus antwortet seinen Jüngern auf ihren Vorschlag: “Gebt ihr ihnen zu essen”. Weil die Jünger Realisten sind und wissen, dass man Geld benötigt um Brot zu kaufen, aber ihr Geld nicht dafür reicht, verstehen sie gar nichts. Wenn das Problem wirklich gelöst werden soll, ist ihre scheinbar realistische Haltung, sich auf den Markt zu verlassen, in Wirklichkeit unrealistisch.

Jesus setzt bei dem Vorhandenen an. Wo Menschen zusammen sind, gibt es immer bestimmte Sachen und Gaben, die zumindest einen Beginn der Lösung des Problems ermöglichen. Die Jüngerinnen und Jünger hatten fünf Brote und zwei Fische. Diese nahm Jesus und segnete sie. Danach teilten die Jüngerinnen und Jünger an alle Menschen aus, sie aßen alle und wurden satt. Jesus vertraut demnach, dass Gott das Werk seiner Hände segnet. Die Jüngerinnen und Jünger vertrauen darauf, sich auf den von Jesus gezeigten Weg einzulassen. Menschen haben Vertrauen, dass sie nicht betrogen werden, wenn sie mit dem zu teilen anfangen, was sie haben. Wenn dieser Prozess des Vertrauens in Gang kommt, geschieht das, was in der “Geschichte der Speisung der 5000” aufscheint: eine neue Gemeinschaft und eine neue Ökonomie. Glauben, Vertrauen heißt auf lateinisch Kredit. Diese Geschichte ist die Geschichte einer Kreditgemeinschaft, die von der Erfahrung des Teilens lebt.

Minderheiten als “Licht der Welt”

Jesus und seine Jünger und Jüngerinnen sind allerdings nicht in die Wüste gezogen, um dort eine grüne Insel zu schaffen und ihre Ruhe zu finden. Ihr Ziel war das Umpflügen der ganzen Gesellschaft. Und diese Gesellschaft benötigt keine Inseln, auf die Menschen sich zurückziehen, sondern Oasen, in denen man auftanken und andere, neue Erfahrungen machen kann. Wenn alles Vorhandene zum Dienste der Gemeinschaft zusammengetragen wird, wenn Bedürfnisse wichtiger sind als Kaufkraft, wenn in einer gemeinsamen Aktion die Macht des Geldes gebrochen wird, wenn Gott das Ganze segnet, ist das neues Leben.

Und: Es war eine kleine Minderheit, die Jesus mit seinen Jüngerinnen und Jüngern angesprochen hat und an die er an seinem letzten Abend sein Vermächtnis gerichtet hat: “Bei euch muss es anders sein…”. Das “Gottesvolk” setzt sich zusammen aus einer Minderheit von Gleichgesinnten, die sich zu Gemeinschaften zusammenschließen und evangeliumsgemäß zu leben versuchen: sie verhalten sich solidarisch zueinander, blicken selbstkritisch auf ihren eigenen Umgang mit Geld und Konsum, verzichten auf Macht und Gewalt, treten an der Seite der Armen und an den Rand Gedrängten wirtschaftlicher und politischer Macht entgegen, stärken leidende Menschen und tragen zur Heilung der verwundeten Erde in dieser globalisierten Welt bei. So können solche Minderheiten “Licht der Welt” und “Salz der Erde” sein.

Teilen beim Lebenshaus

Das Lebenshaus versteht sich als eine unter vielen solcher kleinen Gemeinschaften, die etwas zu einer neuen Gesellschaft beitragen will. Wir haben uns mit einigem Gottvertrauen auf den Weg gemacht, haben mit dem Teilen angefangen und Vertrauen in andere Menschen gesetzt. Der in Gang gekommene wechselseitige Vertrauensprozeß führt dazu, dass Menschen beim Lebenshaus auf unterschiedliche Weise mitmachen: indem sie sich direkt engagieren, Zeit und Kraft einbringen, oder indem sie dem Projekt Geld schenken bzw. weitestgehend zinslos leihen. Es ist inzwischen eine Gemeinschaft des Teilens entstanden, die es unter anderem möglich macht, Zeit mit Menschen zu teilen und diese auch manchmal materiell zu unterstützen, die zu den Gedemütigten und Beleidigten am Rande unserer Gesellschaft gehören.

Seit etwa einem Jahr liegt unser Schwerpunkt vor allem bei Flüchtlingen und Asylsuchenden, welche die Not der Zeit ganz in unsere Nähe geschwemmt hat. Das Lebenshaus ist zu einer sehr wichtigen Anlaufstelle für viele dieser Menschen geworden, die tagtäglich mit ihren Nöten kommen, die Unterstützung bei vielen alltäglichen oder auch rechtlichen Fragen brauchen, die manchmal einfach völlig ohne Geld dastehen, weil die Sozialhilfe nicht pünktlich ausgezahlt worden ist. Mit regelmäßigen Angeboten wie Mal- und Bastelstunden für Flüchtlingskinder, Ermöglichung von Sprachkursen oder das gerade durchgeführte Projekt “Miteinander geht es ja! Gemeinsame Ferienaktion für Flüchtlinge und Einheimische” versuchen wir, diese Menschen aus ihrer unwürdigen und krankmachenden Isolation herauszuholen. Wichtig ist uns auch die Begegnung von Mensch zu Mensch - also auf gleicher Augenhöhe. In diesen Begegnungen lernen wir viel von diesen zunächst fremden Menschen: über Politik, Gesellschaft, Kultur, Religion, Sitte und Gebräuche der Herkunftsländer von Flüchtlingen, über ihre Schicksale, über die “Behandlung? von Flüchtlingen in Deutschland, über ihre Sorgen, Nöte und ihre Hoffnungen und Freuden. Und die Begegnung mit diesen Menschen, die in unserer Gesellschaft am Schwächsten gestellt sind, gibt uns die Chance, uns einzuüben in praktischer Solidarität.

Wesentliche Anregungen durch das Buch: Gerard Minnaard: “Vom Abendmahl zum Anti-Mammon-Programm. Biblische Geschichten und praktische Schritte?, Wittingen 1997.

Veröffentlicht am

02. Oktober 2001

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