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Von der stillen Kriegsdienstverweigerung zum aktiven Pazifismus

Walter Jens zum 80. Geburtstag

Vortrag von Theodor Ebert bei der Jahrestagung der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer in Berlin am 8.3.2003

Was ist “echte” Kriegsdienstverweigerung?

Im Blick auf ihren Musterungsbescheid sehen sich die jungen Deutschen heute vor der Frage, ob sie lieber zur staatlichen Bundeswehr gehen oder bei einem freien Träger einen Zivildienst leisten wollen. Beide Optionen rangieren im gesellschaftlichen Ansehen ungefähr gleichauf. Rechtlich gesehen ist jedoch der Zivildienst immer noch ein ziviler Ersatzdienst für den Militärdienst und an die vorherige Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen - gemäß Art. 4, Abs. 3 des Grundgesetzes - gebunden. Das Erlangen dieser Anerkennung ist jedoch im Laufe von 40 Jahren immer leichter geworden. Eine wenige Seiten umfassende schriftliche Begründung des persönlichen Neins zur Ausbildung im zwischenstaatlichen Töten genügt in aller Regel. Es kommt allerdings immer noch vor, dass sich junge Männer mit der Entscheidung zwischen Militärdienst oder Kriegsdienstverweigerung ernsthaft befassen, sich umfassend informieren und bei der Entscheidung für letztere eine ausführliche und mit biographischen Details angereicherte Begründung ihres Antrags einreichen. Leider kann auch auch unter Kriegsdienstverweigerern über die Inhalte solcher Anträge, die schließlich dem Datenschutz unterliegen, nur spekuliert werden. Doch es gibt aber sicher auch Kriegsdienstverweigerer, die ihre Anträge zur wissenschaftlichen Auswertung und vielleicht auch zur Veröffentlichung zur Verfügung stellen würden.

Ich hatte Anfang der 70er Jahre zwei Politologen vorgeschlagen, die Motivation von Kriegsdienstverweigerern zu untersuchen. Diese Diplomarbeit wurde auch als Buch veröffentlicht. Volker Möhle und Christian Rabe: “Kriegsdienstverweigerer in der BRD. Eine empirisch-analytische Studie zur Motivation der Kriegsdienstverweigerer in den Jahren 1957-1971”, Opladen: Westdeutscher Verlag, 1972, 177 S. Grundlage der Arbeit waren Gespräche mit Rechtsanwälten und mit Beratern in Kriegsdienstverweigerer-Verbänden und Kirchen und vor allem die inhaltsanalytische Auswertung von Bescheiden und Urteilen aus KDV-Verfahren.

Was Möhle und Rabe nicht zur Verfügung hatten, war eine größere Zahl von schriftlichen Begründungen der Anträge auf Kriegsdienstverweigerung. Nur diese könnten in Verbindung mit Intensivinterviews uns heute Aufschlüsse geben über die Motive der Kriegsdienstverweigerer. Hört man sich unter den Beratern von Kriegsdienstverweigerern um, dann muss man davon ausgehen, dass im Vergleich zur Vorbereitung auf die früher üblichen Prüfungsverfahren, die neben der schriftlichen Begründung auch die mündliche Anhörung vorsahen, die Intensität der Vorbereitung auf die Begründung des Antrags auf Kriegdienstverweigerung nachgelassen hat. Da aber die Zahl der Kriegsdienstverweigerer insgesamt sich vervielfacht hat, gibt es sicherlich nach wie vor in absoluten Zahlen eine erhebliche Anzahl von gut begründeten Anträgen auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Ich möchte also den Interessierten empfehlen, nicht länger zu spekulieren, sondern möglichst viele dieser Anträge auf Kriegsdienstverweigerung zu sammeln und auszuwerten. Man sollte die Auskunftsbereiten bitten, auch mit der Veröffentlichung ihres Namens einverstanden zu sein. Man könnte allerdings Skeptischen auch anbieten, ihre Angaben zu anonymisieren. Die Sozialwissenschaft kennt beide Verfahren. Die Bereitschaft, den Text des eigenen Antrags zu veröffentlichen, würde den Ernst der Entscheidung für die Kriegsdienstverweigerung unterstreichen und auch bekunden, dass man in den Wechselfällen der Politik sich nicht zum Spielmaterial machen lassen wird. So wie es eben unter getauften Christen auch üblich war und ist, zur eigenen Konfession zu stehen. Das galt auch zu den Zeiten, als es noch ein Risiko darstellte, Christ zu sein. Im Osten Deutschlands liegen diese Zeiten noch gar nicht so lange zurück.

Wie jeder Mensch bin auch ich geprägt durch die eigenen Erlebnisse und diejenigen Erfahrungen, die in meinem engsten Freundes- und Bekanntenkreis gesammelt wurden. Ich wurde um dieses Referat gebeten, weil ich seit dem Beginn der 60er Jahre in Verbänden von Kriegsdienstverweigerern und in Bünden christlich motivierter Pazifisten mitgearbeitet und immer wieder Vorschläge zur Gestaltung des Zivildienstes veröffentlicht und auch mit dem Training in gewaltfreier Aktion experimentiert habe. Ich selbst bin kein staatlich anerkannter Kriegsdienstverweigerer, weil ich - 1937 geboren - zu den sogenannten weißen Jahrgängen gehöre. Doch ich war in den 60er und 70er Jahren an der Kriegsdienstverweigerung meiner jüngeren Brüder intensiv beteiligt. In meiner näheren Verwandtschaft hat sich niemand an der Waffe ausbilden lassen. Meine drei Söhne wurden in Berlin geboren. Der Älteste wurde nicht mehr gemustert, der mittlere entsprach nicht den Wunschvorstellungen der Musterungsbehörde und der Jüngste hat seinen Antrag dann über 42 Seiten ausführlich begründet und wurde in einem mündlichen Anhörungsverfahren kurz vor dem Erreichen des 28. Lebensjahres als Kriegsdienstverweigerer anerkannt.

Sie wollen von mir wissen, was ich unter “echter Kriegsdienstverweigerung” verstehe. Da Sie diese Frage an einen Sozialwissenschaftler und Friedensforscher richten, nehme ich an, dass Sie von mir die Entwicklung eines Idealtypus der Kriegsdienstverweigerung erwarten. Ein Idealtypus ist kein Durchschnittstyp, kein arithmetisches Mittel aus einer Großzahl von Anträgen auf Kriegsdienstverweigerung; es ist eine Konstruktion, die helfen soll, sich in der Fülle der empirischen Daten zurechtzufinden. Der Idealtypus ist eine Setzung, die sich an gewissen Vorstellungen und Erfahrungen orientiert. Dazu gehören zum Beispiel der Gewissensbegriff, der nun mal mit dem Grundrecht auf Kriegsdienstverweigerung verbunden ist, und dazu gehört auch die pazifistische Tradition, die von den Verbänden, welche die Kriegsdienstverweigerung befördern, hochgehalten wird. Zu diesen Verbänden gehören auch die Kirchen, die sich für Kriegsdienstverweigerer einsetzen.

Ein Idealtypus ist keine fixe Größe. Er entwickelt sich - und ob er etwas taugt, zeigt sich am Umgang mit ihm in der Praxis. Dass ich jetzt nach der “echten” Kriegsdienstverweigerung gefragt werde, hängt mit der Erfahrung zusammen, dass auf das pazifistische Verhalten der Kriegsdienstverweigerer immer weniger Verlass ist. Sie haben sich zwar nach ihrer Anerkennung bisher bei der Bundeswehr nicht als Freiwillige gemeldet, aber eine erkleckliche Anzahl ist dem Vernehmen nach bereit, als Wähler oder im Umfeld militärischer Rüstung Tätiger, als Parteipolitiker oder Parlamentarier militärischen Aktionen zuzustimmen. Sonst wäre eine Zustimmung der Grünen und auch der Sozialdemokraten zum Krieg gegen Jugoslawien und gegen das Taliban-Regime in Afghanistan gar nicht vorstellbar gewesen. Wenn diejenigen, welche den Einsätzen der Bundeswehr in diesen Konflikten zugestimmt haben, ein solch künftiges Verhalten in ihrem Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer bereits angedeutet hätten, dann hätte ihnen diese Anerkennung versagt werden müssen.

Meines Erachtens hätten sich die Kriegsdienstverweigerer unter den Bundestagsabgeordneten die Erpressung durch die Vertrauensfrage des Bundeskanzlers nicht gefallen lassen dürfen und sie hätten ihm auch im voraus klipp und klar sagen müssen, wie sie sich - aus Gewissensgründen - verhalten würden, falls er zu diesem Mittel greifen sollte. Die Vertrauensabstimmung für Gerhard Schröder war ein Desaster, ein schwarzer Tag, für die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen.

Worum geht es also bei der sozusagen “echten”, man könnte auch sagen “politisch belastbaren” Kriegsdienstverweigerung? Und ob es daneben auch eine “unechte”, eine “unaufrichtige” Kriegsdienstverweigerung gibt, will ich zunächst offen lassen. Meine Ausgangsthese ist: Es geht dem Kriegsdienstverweigerer um Widerstand gegen den Krieg - und dieser ist nur dann effektiv, wenn er Kriege verhindert. Also ist echte Kriegsdienstverweigerung das Streben nach der Verhinderung von Kriegen mit gewaltfreien Mitteln. Echte Kriegsdienstverweigerung ist identisch mit aktivem Pazfismus. Worum es geht, wird sofort deutlich, wenn man den englischen Begriff verwendet. Der Kriegsdienstverweigerer ist war resister bzw. conscientious objector, er ist im Idealfall gewaltfreier Widerstandskämpfer aus Gewissensgründen.

Der echte Kriegsdienstverweigerer ist also nicht derjenige, der sich im Rahmen irgend eines Verfahrens vom Militärdienst befreien lässt und dafür einen Alternativdienst ableistet. Es geht ihm vielmehr darum, Krieg unmöglich zu machen. Ein war resister hat ein schlechtes Gewissen, wenn er nichts Wirksames gegen den Krieg unternimmt.

Dies stelle ich als These voran - und ich gehe davon aus, dass dies das Selbstverständnis derjenigen Organisationen von Kriegsdienstverweigerern ist, in denen unsereiner sein Leben lang Mitglied ist, ob er nun ein staatliches Anerkennungsverfahren durchlaufen hat oder nicht. Man ist Kriegsdienstverweigerer aufgrund einer autonomen Entscheidung. Insofern können Frauen in gleicher Weise Kriegsdienstverweigerer sein wie Männer. Bei einigen meiner Freunde weiß ich nicht einmal, ob sie ein Anerkennungsverfahren hinter sich gebracht haben, aber ich bin sicher, dass sie für Militärdienste nicht zur Verfügung stehen und dies auch bei Wahlen und Abstimmungen zum Ausdruck zu bringen suchen. Dies kann allerdings im Einzelfall zu unterschiedlichen Verhaltensweisen führen. Vor den letzten Bundestagswahlen habe ich mich unter der Gesprächsleitung von Stefan Philipp darüber mit dem Vorsitzenden des Versöhnungsbundes gestritten. Ullrich Hahn plädierte für Nichtbeteiligung an Bundestagswahlen. (Bei den Kommunalwahlen sah er an seinem Heimatort bessere Möglichkeiten des direkten Kontakts zu den Repräsentanten.) In meiner Familie haben die einen dann den Grünen und die anderen der PDS ihre Stimme gegeben - und aus taktischen Gründen gaben alle ihre Erststimme der SPD, weil in unserem Wahlkreis kein Ströbele direkt kandidierte. Ich will damit sagen, dass uns die Entscheidung für die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen dem Ringen um Einzelentscheidungen nicht enthebt und der interne Disput den Pazifisten keineswegs fremd ist, wenn auch hoffentlich die Zeiten vorbei sind, in denen Carl von Ossietzky beklagen musste, dass die Pazifisten in diesen Streitigkeiten den tintentriefenden Tomahawk gegeneinander schwingen. Von den Quäkern haben wir einiges über Streitkultur und das Streben nach einem Konsens gelernt.

Lässt sich der Irak-Krieg noch verhindern?

Ich schicke dies alles vorweg, weil Sie sich sonst wahrscheinlich sehr wundern werden, dass ich ein Referat über “echte” Kriegsdienstverweigerung bzw. über war resistance mit Überlegungen zur aktuellen Lage im Irak beginne. Ich muss damit beginnen, denn sonst wäre ich kein Kriegsdienstverweigerer.

Gestern hat UN-Chefinspektor Hans Blix dem Sicherheitsrat über seine Erfahrungen im Irak berichtet. Er hat im voraus durchblicken lassen, dass die Kooperationsbereitschaft der irakischen Regierung gewachsen ist und dass er keinen Grund sieht, die Inspektionen jetzt aufzugeben und für gescheitert zu erklären. Andererseits hat die Regierung der Vereinigten Staaten auch bereits im voraus klar gemacht, dass es ihr gar nicht mehr allein um das Orten und Eliminieren von Massenvernichtungsmitteln geht, sondern um das Beseitigen des Regimes von Saddam Hussein und die Installation einer pro-amerikanischen Regierung.

Die USA wollen am Beispiel des Irak demonstrieren, wer in Zukunft auf der Erde das Sagen hat. Das erklärt auch die Zusammensetzung der USA-Kritiker. Da befindet sich Deutschland in einer ad-hoc-Koalition, die sehr heterogener Natur ist. Die Achse Berlin-Paris mag ja noch angehen, aber auch Frankreich ist eine Macht, die in Afrika seine Interessen immer wieder mal militärisch verficht. Die demokratische Weste Russlands ist mit dem Blut der Tschetschenen befleckt, und bei China handelt es sich um eine totalitäre Diktatur, in der einige Reformprozesse, die in Gang gekommen sind, uns zwar hoffen lassen, aber nicht vergessen machen, was es in China an Verfolgung von Bürgerrechtlern gegeben hat und noch gibt.

Uns alle bewegt in diesen Tagen die Frage, ob es noch eine Möglichkeit gibt, die amerikanische und die britische Regierung von einem militärischen Eingreifen im Irak abzuhalten. Die Chancen stehen schlecht. Wir können uns kaum vorstellen, dass diese riesige Militärmacht, die dem Irak himmelhoch überlegen ist, unverrichteter Dinge wieder abzieht. Man stellt sich allenthalben auf den Krieg ein. Das ist für Pazifisten deprimierend. Und dieses Mal kann man nicht sagen, dass der Krieg “ausgebrochen” sei. Er ist über Monate systematisch vorbereitet worden, und wir konnten uns alle darauf einstellen.

Es ist einiges getan worden, um diesen Krieg zu verhindern, und es wäre sicher falsch jetzt zu resignieren. Doch wir müssen uns fragen, warum es nicht gelungen ist, diese Eskalation zum Krieg im Vorfeld zu stoppen. Auch hierzu wurde einiges unternommen. Es war ein wichtiges Signal, dass die deutsche Regierung erklärte, dass sie sich auf keinen Fall an Militäraktionen beteiligen werde, ganz egal wie diese auch legitimiert werden sollten. Das war eine pragmatische Form fallbezogener Kriegsdienstverweigerung auf Regierungsebene. Ich werde darauf noch zurückkommen.

Es ist zu umfangreichen Protesten gegen die Kriegsvorbereitungen gekommen. Am stärksten waren diese in den westeuropäischen Ländern, in denen die Regierung sich (im Widerspruch zur Mehrheit der Bevölkerung) auf die Seite der Bush-Administration geschlagen hatte, in Rom und in London. Relativ schwach waren die Proteste bisher in den USA, in denen die Republikaner einen großen Wahlsieg erringen konnten, als bereits absehbar war, dass die Regierung einen Präventivkrieg gegen den Irak vorbereitet. Bemerkenswert am inneramerikanischen Widerstand gegen den Krieg ist, dass die Kirchen sich in der Ablehnung dieses Krieges ziemlich einig sind und dass gute Kontake zu den europäischen Kirchen bestehen. Man besucht sich wechselseitig und man versteht sich gut. Dieses Moment könnte noch stärker genutzt werden. Wie wäre es mit einer internationalen Wallfahrt zum Lincoln Memorial in Washington - in memoriam Martin Luther King, der wegen seines Widerstands gegen den Vietnam-Krieg wahrscheinlich im Regierungsauftrag ermordert worden ist? Ein Auftritt des Papstes bei den Vereinten Nationen oder gar seine Teilnahme an einer Demonstration in Washington könnte den amerikanischen Friedenswillen stärken und die Opponenten im amerikanischen Senat und Kongress aktivieren.

Die Widerstandstrategie muss dabei eine wichtige Frage berücksichtigen: Wie kann die amerikanische Regierung ihr Gesicht wahren? Dies wäre am ehesten der Fall, wenn der irakische Diktator aus dem Lande gedrängt werden könnte. Den Pazifisten wird von ihren Kritikern - in Erinnerung an die Appeasement-Politik von München im Jahre 1938 - vorgeworfen, dass ihre Anti-Kriegs-Proteste, falls sie Erfolg haben sollten, Saddam Hussein an der Macht halten würden. Zweifellos handelt es bei ihm um einen üblen Diktator. Doch ich denke, dass sein Rückhalt beim irakischen Volk weitaus geringer ist als derjenige Hitlers im Jahre 1938, zwei Jahre nach der Olympiade in Berlin, wo die Völker der Welt in Berlin zu Gast waren und von Hitler-Kritik wenig zu spüren war. Ich nehme an, dass Saddam Husseins Regime viel wackeliger ist als dasjenige Hitlers im Jahre 1938. Wir Pazifisten sollten fragen: Wie lässt sich die irakische Diktatur ohne militärische Intervention überwinden? Der Arabischen Liga wäre es am liebsten, wenn der irakische Diktator mit seinem Clan ins Exil abreisen würde. Libyen scheint als Anlaufstelle in Frage zu kommen.

Was könnten eigentlich die Iraker von sich aus tun, um den Diktator ins Exil zu treiben? Es gibt eine Unmasse amerikanischer Propaganda in dieser Richtung. Da gibt es einen von Flugzeugen aus operierenden Sender und es gibt den Abwurf von Flugblättern. Meines Erachtens verfehlt diese Propaganda ihr Ziel, weil den Irakern klar ist, dass die USA dahinterstecken. Die irakische Opposition müsste andere (nichtimperialistische) Verbündete und Berater haben. Was wäre denn aus pazifistischer Sicht eine erfolgversprechender Widerstand im Irak?

Welche Formen des gewaltfreien Widerstands kommen in Frage?

Gewaltfreier Widerstand wird durch den Umstand erschwert, dass der Diktator dafür bekannt ist, seine Gegner rücksichtslos - und außerhalb jeden Rechtswegs - zu liquidieren. Wer ihm offen opponiert, riskiert wahrscheinlich nicht nur sein Leben, er verliert es ziemlich sicher. Das lähmt den internen Widerstand. Wer Widerstand leisten will, befindet sich in der Situation der Geschwister Scholl. Doch es geht meines Erachtens gar nicht mehr darum, in der Form von Flugblättern auf die Verbrechen des Regimes und den Luxus des Saddam-Clans inmitten von Armut hinzuweisen. Das hat der CIA bereits besorgt. Es geht darum zu signalisieren, dass die Irakis nicht bereit sind, für die Verteidigung dieses Diktators zu sterben. Sie müssen der Welt klar machen: Wir wollen diesen Kerl los sein! Ab mit ihm ins Exil!

Die Frage ist: Wie macht man dies? Man kann zu keiner Demonstration aufrufen. Und im engsten Familienkreise ein bisschen zu maulen, reicht nicht. Konstantin Wecker hat einen Weg gewiesen, als er im deutschen Fernsehen von seiner Konzertreise nach Bagdad erzählte. Es sollte viel mehr solcher Reiseberichte geben. Wecker wollte zum Ausdruck bringen, dass er kein Freund des Regimes, sondern des irakischen Volkes ist. Darum hat er ein Saddam-Poster im Konzertsaal persönlich entfernt. Solche Ansatzpunkte, solche Angriffspunkte für das Ziel, Saddam Hussein ins Exil zu schicken, gibt es überall im Irak. Iraker können diese Standbilder und Poster des Diktators nicht einfach entfernen, und wie es ausländischen Friedensdemonstranten erginge, wenn sie es versuchten, kann ich schwer einschätzen. Doch weil diese Bilder überall im Irak zu finden sind, ist es auch kaum zu verhindern, dass sie immer wieder mit einem Symbol versehen werden, das den Wunsch signalisiert: Ab mit dir ins Exil! Man könnte zum Beispiel ein L für Libyen auf den Saddam-Kopf sprayen oder malen - und wenn die Bedeutung des L klar ist, kann man dieses L oder ein entsprechendes arabisches Zeichen an allen möglichen und unmöglichen Stellen anbringen. Ich denke, dass man dies nicht effektiv mit Regierungsterror bekämpfen kann. Jedenfalls wäre das Risiko, solche Symbole anzubringen, geringer als tatenlos abzuwarten und den amerikanischen und britischen Bomben- und Raketenhagel über sich hereinbrechen zu lassen. Die Iraker müssen sich selbst auch rühren, damit klar ist, dass sie nicht befreit sein wollen, indem man ihr Land schwer schädigt und ihre Soldaten, die zum Militär gezwungen wurden, aus sicherer Höhe vernichtet.

Die irreführende Rede von der “Drohkulisse”

Die amerikanischen Militärs sprechen davon, dass sie sich mit ihren Präzisionswaffen auf militärische Ziele konzentrieren werden. Das glaube ich ihnen sogar. Die Vernichtung Bagdads durch einen Feuersturm nach Hamburger oder Dresdener Vorbild ist nicht beabsichtigt. Doch im Zentrum und Umkreis der zahlreichen militärischen Ziele befinden sich viele Menschen, die wahrscheinlich weniger an Saddam Hussein glauben als die meisten Deutschen im Zweiten Weltkrieg an Hitler und seine Wunderwaffen. Und diese Iraker nun präventiv anzugreifen und umzubringen, ist ein Kriegsverbrechen. Und wer die erkennbare Vorbereitung auf dieses Verbrechen als “Drohkulisse” verharmlost, ist Komplize bei diesem Verbrechen. Und ich habe dieses Wort “Drohkulisse” wiederholt aus dem Munde von Angela Merkel und Wolfgang Schäuble gehört und ich meine, auch der SPD-Politiker Klose hat es gebraucht. Von wegen nur “Drohkulisse”! Das ist nicht Theater, das ist nicht Kulissenschieberei! Das ist systematische Eskalation bis zum blutigen Ernstfall.

Wir hatten in der Zeit des Kalten Krieges davor Angst, zu Gefangenen von Geist und Logik der Abschreckung zu werden. Das Abschreckungssystem war stabiler als die jetzige amerikanische Politik des Aufbaus von Drohkulissen, weil bei der atomaren Abschreckung einigermaßen sicher war: Wer zuerst schießt, stirbt als zweiter - und Sieger wird es keine geben. Jetzt besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass wir in die Gefangenschaft von Geist und Logik des Drohens geraten, und letztlich auch unmenschliche Drohungen wahr gemacht werden, um im Blick auf die nächsten Konfliktfälle die Glaubwürdigkeit nicht einzubüßen. Das ist eine verhängnisvolle Entwicklung, der es mit aller Kraft, mit letzter Kraft zu steuern gilt.

Ich fürchte, dass dieses Konzept des Aufbauens von Drohkulissen nicht auf die Außenpolitik beschränkt bleibt, sondern auch auf andere Bereiche des zivilen Lebens übergreifen wird. Es ist bezeichnend, welche deutschen Politiker und Justizbeamten Verständnis hatten für die Androhung von Folter gegenüber Untersuchungshäftlingen, darunter der Kanzlerkandidat in spe Roland Koch.

Was mich sehr beunruhigt ist die hohe Wahrscheinlichkeit, mit der in wenigen Jahren die gegenwärtige rot-grüne Regierung durch eine konservative Regierung abgelöst werden wird. Und diese neokonservative Regierung wird dann außen- und sicherheitspolitisch vieles von dem realisieren, was sie jetzt in Talk-Runden im Fernsehen zu unserem Entsetzen zum Besten gibt. Dann werden uns möglicherweise die Zeiten von Schröder, Fischer, Struck und Schily, die nun allesamt nicht gerade meine politischen Freunde sind, noch idyllisch und liberal vorkommen.

Was ist aktiver Pazifismus?

Darum ist es wichtig, dass wir uns jetzt darüber Gedanken machen, was in Zukunft Kriegsdienstverweigerung im Sinne von aktiver Kriegsverhinderung bedeuten kann. Der Traum von uns Kriegsdienstverweigerern war doch immer, dass massenhafte Inanspruchnahme des Artikels 4, Absatz 3 des Grundgesetzes das Führen von Kriegen unmöglich machen würde und dass positiv gewendet, diese Gewissensverpflichtung zu einem permanenten konstruktiven Engagement dieser Peaceniks in vielen Lebensbereichen führen würde.

Nun ist ein Teil dieses Traumes wahr geworden. Die Entwicklung der Zahl der Anträge auf Kriegsdienstverweigerung gleicht einer exponentiellen Wachstumskurve. Im vergangenen Jahr waren es fast 190.000, die einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer gestellt haben. Ich freue mich über jeden, der nicht zur Bundeswehr geht und das Töten mit der Waffe nicht lernt. Es ist entsetzlich, wenn - wie in Wittstock geschehen - ein Kriegsdienstverweigerer einen Aussiedler mit einem Steinbrocken erschlägt oder dabei steht und dies zulässt. Doch was geschieht erst, wenn Leute mit einer solchen Mentalität Waffen in die Hände bekommen? Dann schwimmen die Leichen in der Drina, wie man dies in Bosnien erleben musste. Die meisten Jugoslawen haben das Morden mit der Waffe beim Militär gelernt, bei der sogenannten Landesverteidigung. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie auch in der Friedensbewegung einige mit der “Defensiven Landesverteidigung” nach jugoslawischem Vorbild sympathisiert haben. In Jugoslawien wurden die meisten Kriegsverbrechen mit Handfeuerwaffen verübt und in Ruanda wurde noch zu weitaus primitiveren Mitteln gegriffen. Zum Völkermord bedarf es keiner Massenvernichtungsmittel. Auf die Mentalität und die Übung der potentiellen Mörder kommt es an.

Aus welchen Motiven auch immer sie erfolgt: Die Weigerung, sich an der Waffe zum Töten ausbilden zu lassen, ja sie überhaupt in die Hand zu nehmen, ist ein zivilisatorischer Fortschritt. Darum widerstrebt es mir auch zwischen einer echten und unechten Kriegsdienstverweigerung zu unterscheiden. Solange der Kriegsdienstverweigerer dabei bleibt, keine Waffe in die Hand zu nehmen und sie auch anderen nicht in die Hand zu geben, gehört er zu den mehr oder weniger aktiven Pazifisten. Der zivilisatorische Fortschritt im Gefolge der Kriegsdienstverweigerung wäre noch viel größer, wenn die Kriegsdienstverweigerer auch die Chance erhielten, in einem Zivilen Friedensdienst die gewaltfreie Konfliktbearbeitung zu erlernen. Dass ein Kriegsdienstverweigerer auch zum Totschläger wird, lässt sich nie ganz ausschließen. Der Fall des profilierten Pazifisten Pastor Geyer hat uns alle erschüttert. Der Totschlag von Wittstock wirft aber auch die strukturelle Frage auf: Was taugen die Bildungsangebote im gegenwärtigen Zivildienst, ohne von seinem Fremdenhass kuriert zu werden?

Ich habe Respekt vor Menschen, die in bestimmten Situationen trotz friedfertiger Grundhaltung zur Waffe greifen oder Waffenträger um Schutz bitten, weil ihnen nichts Besseres einfällt oder weil sie die Konsequenzen des schutzlosen Ausgeliefertseins nicht ertragen können. Dann ist es unsere Aufgabe zu zeigen, dass es auch anders geht. Doch man sollte nicht darum herumreden, dass Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen bedeutet: Man lehnt das Töten mit der Waffe in kriegerischen Konflikten grundsätzlich ab, und ich behaupte, diese Grundsatzentscheidung hat auch eine die Widerstandsphantasie befreiende Wirkung. Wenn ich ständig auf das Militär als ultima ratio fixiert bin, dann fällt mir garantiert keine gewaltfreie Alternative ein. Wenn es aber von vornherein klar ist, dass militärische (Pseudo)Lösungen nicht in Frage kommen, dann steigen die Chancen, dass in der gemeinsamen Suche nach einer gewaltfreien Lösung auch die entsprechenden Ideen auftauchen und die zugehörige Widerstandshaltung sich aufbaut. Dieses Risiko muss man eingehen. Unter Christenmenschen könnte man sagen: Das ist eine praktische Form des Betens. Und das soll doch gelegentlich helfen.

Die Kriegsdienstverweigerung ist eine Entscheidung, die man für sein Leben trifft und zu der man dann auch stehen muss. Oder man sollte öffentlich sagen: Ich rücke davon ab. Ich habe mich über die Welt oder über mich selbst getäuscht. Das kann passieren. Doch dass im Deutschen Bundestag so klammheimlich schätzungsweise 60 oder mehr Kriegsdienstverweigerer sitzen sollen und diese dann dem Verteidigungsetat zustimmen, das finde ich ehrlich gesagt beschissen.

Das Problem ist, dass ein aktiver Kriegsdienstverweigerer sich auch entsprechend organisieren müsste und dann einen entsprechenden Freundeskreis hat, der ihn einerseits stützt, ihm aber in Krisensituationen auch ins Gewissen redet und - so sich dies abzeichnet - im voraus darauf hinweist, in welch schwierige Situationen er sich begibt, wenn er einen Beruf mit Rüstungskomponenten ergreift oder sich um das Bundestagsmandat für eine Partei wahrnimmt, die für die militärische Landesverteidigung eintritt. Oder - und diese Version würde ich vorziehen - man macht seinen Wählern und Parteifreunden klar: Wenn ihr mich wählt, müsst ihr damit rechnen, dass ich in der Friedensfrage meinem Gewissen folgen und militärische Mittel kategorisch ablehnen werde. Ich erinnere mich an einen Bericht des Bremer SPD-Abgeordneten Waldemate, der sich zu Herbert Wehners gestrengen Zeiten in der Bundestagsfraktion genau so verhalten hat. Darüber haben wir mit ihm auf einer Jahrestagung des Versöhnungsbundes gesprochen. Eine solche Haltung kann man von einem Kriegsdienstverweigerer im Bundestag schon erwarten.

Es gibt uns nahestehende Bundestagsabgeordnete, welche diese Position nicht oder nicht mehr einnehmen und mit denen wir dennoch in Verbindung bleiben, weil ihre pazifistische Prägung bei ihnen tiefe Spuren hinterlassen hat und sie sich bemühen, ihren ursprünglichen Überzeugungen, so weit es ihnen noch möglich scheint, zu folgen. Es wäre falsch, ihnen die Freundschaft zu kündigen. Doch wir sollten auch nicht darum herumreden: Wer den Kriegsdienst nach 4/3 GG verweigert, muss das Militär kategorisch ablehnen und darf es nicht für sich in Anspruch nehmen.

Das fällt uns einfachen Bürgern leichter als einem Parlamentarier. Unsereiner stimmt einem Wehretat nicht direkt zu, nicht persönlich, aber wir zahlen Steuern, die unter anderem auch für die Rüstung ausgegeben werden. Damit will ich nicht sagen, dass die Zustimmung zum Verteidigungshaushalt genau so unvermeidlich ist wie das Zahlen von Steuern, doch ich will darauf hinweisen, dass ich es für verständlich halte, dass manche um der politischen Wirksamkeit willen sich auf fragwürdige Beteiligungen und Mitgliedschaften einlassen. Man kann sich nicht als Einzelner in Gefahr begeben. Man braucht einen gewissen Rückhalt; man braucht Freunde, die einen unterstützen. Ich habe für die Kirchenleitung auch erst kandidiert, als ich mir dieses Rückhalts einigermaßen sicher war und nicht befürchten musste, als Pazifist in eine totale Isolation zu geraten.

Ganz wichtig scheint mir, dass man sich selbst eine Grenze zieht, bei deren Überschreiten man zum Mitmachen nicht mehr bereit ist, und es ist dann ein Gebot der Klugheit, sich für den Fall des Rücktritts eine Auffangposition zu schaffen oder zu erhalten.

Ich schneide diese praktischen Fragen an, weil ich nichts davon halte, gewissermaßen Verräter am Gedanken der Kriegsdienstverweigerung zu outen. Man kann sich schon ärgern über den einen oder anderen Paulus, der zum Saulus wird, aber so krass kommt es in der Regel nicht. Meine Beobachtung ist eher, dass das pazifistische Gedankengut, das einer im Zuge der Kriegsdienstverweigerung mehr oder weniger stark in sich aufgenommen hat, nachwirkt und er dann gewissermaßen auf den Pfad der pazifistischen Tugend zurückfindet. Die Apostel unserer Kirche waren auch nicht allesamt Märtyrer und Helden. Früher erinnerten Hähne auf den Kirchtürmen uns an das Versagen des Apostels Petrus. Ich erlaube mir die gerade in ihrer Affirmation uns skeptisch stimmenden Verse des Berliner Dichters Jürgen Rennert, eines Bausoldaten der ersten Generation zu zitieren.

KONJUGATION DURCH ALLE ZEITEN

Ich hatte dich nicht verraten.
Ich habe dich nicht verraten.
Ich verriet dich nicht.
Ich verrate dich nicht.
Ich werde dich nicht verraten.
Ich werde dich nicht verraten haben.
Kikeriki…

Doch ich wiederhole es: Wer den Kriegsdienst nach Artikel 4, Absatz 3 des Grundgesetzes aus Gewissensgründen verweigert, verpflichtet sich - auch ungeprüft - vor sich selbst und vor seinen Freunden zu einer kategorischen Ablehnung militärischer Mittel. Meines Wissens wird dies in einer seriösen Beratung von Kriegsdienstverweigerern auch klar gestellt. Das Problem ist allerdings, dass ich auch niemand raten könnte, zur Bundeswehr zu gehen, nur weil er sich fragt, ob nicht doch Situationen vorstellbar sind, in denen er Waffengewalt befürworten könnte. Das Hinterhältige an diesen Ausnahmen ist: Wer sie zulässt, kann kaum umhin den militärischen Apparat im Ganzen zu billigen. In verantwortungsethisch orientierten Beratungsgesprächen wird darum in der Regel dann darauf hingewiesen, dass gewaltfreie Methoden eine umfassende Alternative zur militärischen Konfliktaustragung darstellen. Daraus erwächst dann allerdings auch die Verpflichtung, diese gewaltfreien Alternativen zu entwickeln und einsatzfähig zu machen - und die Versäumnisse auf diesem Gebiet müssten eigentlich die Gewissen von Hundertausenden von Kriegsdienstverweigerern belasten.

Ein angehender Kriegsdienstverweigerer kann nicht alle vorstellbaren Konfliktsituationen auf gewaltfreie Strategien hin durchdenken. Ich habe dies ein Leben lang versucht und ich stehe immer wieder vor scheinbar unlösbaren Fragen. Für die jeweils anstehende Kriegsdienstverweigerung genügt es meines Erachtens, dass der Kriegsdienstverweigerer klar macht, dass er in den Konfliktsituationen, die in seinem potentiellen Einsatzbereich relevant sind, zur militärischen Gewaltanwendung nicht bereit ist und dass er über gewaltfreie Alternativen nachdenkt.

Der Pazifismus ist in Deutschland in eine Krise geraten, als nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges in Jugoslawien - und da passt das Wort “Ausbruch” - Konfliktsituationen auftraten, mit denen sich die Kriegsdienstverweigerer zu Zeiten des Kalten Krieges nicht befasst hatten. Gestandene Pazifisten meinten angesichts der sogenannten “ethnischen Säuberungen” - und das war eine euphemistische Umschreibung des Abschlachtens von Zivilisten und der Vergewaltigung von Frauen - die Intervention einer überlegenen Militärmacht befürworten zu müssen. Ich habe dies zwar bedauert, weil ich vorhersah, dass dies dazu führen würde, dass das Militär insgesamt neu legitimiert würde, aber ich muss zugeben, dass ich von den Grausamkeiten auch überrascht wurde und erkennen musste, dass wir keine plausible gewaltfreie Strategie in petto hatten.

Das ist allerdings kein ausreichender Grund, um vom Pazifismus bzw. der Kriegsdienstverweigerung abzurücken. Man kann sich auch eingestehen, dass man rat- und hilflos ist. Die Fortschritte in der Theorie und Praxis der gewaltfreien Konfliktbearbeitung sind eben immer dann erzielt worden, wenn mal wieder ein Fall, von dem behauptet worden war, dass er sich nur noch mit Gewalt bearbeiten ließe, tatsächlich doch mit gewaltfreien Mitteln erfolgreich bearbeitet wurde. Darum darf sich ein Kriegsdienstverweigerer auch nicht mit der Behauptung abfinden, dass man gegen Diktatoren vom Schlage Saddam Husseins oder Adolf Hitlers mit gewaltfreien Mitteln nichts unternehmen könne. Manchmal entdeckt man inmitten totalitärer Herrschaft gewaltfreien Widerstand in Spurenelementen oder in Form eines erstaunlichen Einzelfalls und kann dann anfangen zu überlegen, was es bedeuten würde, wenn diese Keimlinge der gewaltfreien Aktion gezielt gefördert würden. Einer dieser erstaunlichen Fälle war der Protest in der Rosenstraße im Februar 1943, der zunächst nicht beachtet wurde und nachdem er nun unübersehbar ist, in seiner Bedeutung heruntergespielt wird.

Kriegsdienstverweigerer sind für das Militär und die sich des Militärs bedienenden Politiker unbequeme Zeitgenossen, weil sie dauernd auf der Suche nach gewaltfreien Lösungen sind und die Rede von der militärischen Gewalt als letztem Mittel nicht gelten lassen.

Nicht mitzumachen genügt nicht. Zur Kriegführung bedarf es heute nicht mehr der Massenheere, welche die allgemeine Wehrpflicht bereitstellte. Die USA und Großbritannien schicken Berufssoldaten in den Irak-Krieg. Den Planern solcher Feldzüge ist mit der Kriegsdienstverweigerung nicht beizukommen - es sei denn, dass diese auf die Berufssoldaten übergreift. Wenn eine deutsche Regierung einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg an der Seite der USA führen wollte, wie dies einige Oppositionspolitiker für möglich halten, wäre es völlig unnötig, die deutschen Soldaten zur Fahnenflucht aufzurufen, sie könnten den Kriegsdienst verweigern oder diese Befehle unter Verweis auf deren illegalen Charakter punktuell verweigern.

Die schiere große Zahl der deutschen Kriegsdienstverweigerer bietet noch keine Aussicht auf Kriegsverhinderung. Es gilt die Kriegsdienstverweigerer so zu qualifizieren, dass sie zu Friedensmachern im Sinne des sogenannten “Aktiven Pazifismus” werden. 1928 hat Franz Kobler ein “Handbuch des aktiven Pazifismus” unter dem Obertitel “Gewalt und Gewaltlosigkeit” herausgegeben. Und 1934 hat Bart de Ligt seinen “Plan für eine Kampagne gegen alle Kriege und Kriegsvorbereitungen” einer Konferenz der Internationale der Kriegdienstverweigerer in Welwyn, Herts, England vorgelegt. Letzterer ist zu finden im Anhang zu de Ligts Klassiker “The Conquest of Violence”, erschienen 1937 mit einem Vorwort von A. Huxley. Kennzeichnend für diese Publikationen ist, dass sie von einem sozialrevolutionären Ansatz aus für den Einsatz des gewaltfreien Widerstands zur Verhinderung von Kriegen eintreten. Sie betonen unter Berufung auf Gandhis Experimente den Zusammenhang zwischen Mitteln und Zielen und scheiden darum bewaffnete, unwahrhaftige Methoden kategorisch aus.

Beim Nachlesen dieser Artikel fand ich ziemlich aufregend, dass diese Denker, welche die Erfahrung einer massenhaften Kriegsdienstverweigerung, wie wir sie nun aus der Bundesrepublik kennen, noch nicht gemacht haben, doch die Probleme einer gewaltfreien Politik stringenter durchdacht haben als die meisten deutschen Kriegsdienstverweigerer, die nach Schema F ihren Antrag stellen, ihren Zivildienst in einer sozialen Einrichtung leisten und danach im pazifistischen Sinne unprofiliert im bürgerlichen Leben untertauchen. Der Belgier Bart de Ligt, der gemeinhin als religiös gefärbter Anarchist gilt, fasst im Widerspruch zu diesem Image ins Auge, dass die führenden Kräfte von Bewegungen und Parteien das Vertrauen in die Wirksamkeit gewaltfreier Methoden stärken sollen. In seinem Kriegsverhinderungsplan weist er vielen Berufen ihre konstruktiven friedensfördernden Aufgaben zu, den Lehrern, den Journalisten, den Historikern, den Ärzten usw. Was er sich noch nicht traut, ist es, eine Regierung zu konzipieren, die gestützt auf eine gewaltfreie Bewegung sich innen- und außenpolitisch zu behaupten und durchzusetzen sucht.

Wir meinten dies 1998 von einer rot-grünen Regierung erwarten zu können und waren enttäuscht, als diese Regierung sich am Kosovo-Krieg beteiligte und im Falle des Afghanistan-Krieges die parteiinterne Kritik mit Hilfe des Vertrauensvotums für den Kanzler disziplinierte. Eine positive Überraschung war es dann, dass sich Bundeskanzler Schröder im Bundestagswahlkampf auf eine Nichtbeiligung an einem militärischen Vorgehen gegen den Irak festlegte.

Regieren mit gewaltfreien Mitteln?

Diesen Vorgang möchte ich hier noch einmal kurz beleuchten, weil er mir Probleme aufzuzeigen scheint, mit denen sich Kriegsdienstverweigerer selten befassen. Wer von diesen jungen Kriegsdienstverweigerern versetzt sich schon mal in die Rolle eines Bundeskanzlers oder Außenministers und überlegt: Was würde ich an deren Stelle machen?

Während des letzten Bundestagswahlkampfes hat ein deutscher Regierungschef etwas Neuartiges getan: Er hat im Blick auf einen auswärtigen Konflikt, der zum Krieg tendierte, kategorisch erklärt, dass er auf keinen Fall mit von der Partie sein werde und dass dies auch für den Fall gelte, dass die Vereinten Nationen ein kriegerisches Eingreifen legitimieren sollten. Wir Deutschen hätten meinen können, wir hätten es mit einer Regierung von Kriegsdienstverweigerern zu tun, zumindest im Blick auf die Situation im Irak.

Es lohnt sich gewiss über die Motive für diesen außergewöhnlichen Schritt nachzudenken. Die CDU/CSU verweist jetzt immer darauf, dass Schröder sich in Goslar erstmals in dieser Weise gegenüber seinen potentiellen Wählern, also gegenüber dem Volk, festgelegt habe. Die Oppositionsparteien finden dies verwerflich. Angela Merkel ist darüber dauerentrüstet. Ich sehe dies ganz anders. Die verlässliche Selbstbindung an gewaltfreie Mittel ist ein Grundelement der Vertrauensbildung für eine gewaltfreie Politik. Man muss sie allerdings durchhalten und die Konsequenzen im Auge haben. Schröder und Fischer haben sich auf einen schweren Gang eingelassen. Die Selbstbindung an nichtmilitärische Mittel ist eine Verhaltensweise, die wir von Politikern in Fragen von Krieg und Frieden immer gewünscht haben: Wir, das Volk, wollen im voraus wissen, wie unsere Vertreter sich in der Friedensfrage verhalten werden. Die Friedensbewegung hat den Politikern immer wieder vorgeworfen, dass sie sich in der Regierungspraxis anders verhalten haben als sie es im Wahlprogramm versprochen haben bzw. wir haben moniert, dass sie existentielle Fragen der Sicherheitspolitik aus dem Wahlkampf ausgeklammert haben.

Dies hat der CDU-Innenminister Gustav Heinemann seinem Parteifreund Bundeskanzler Konrad Adenauer vorgeworfen. Er hat damals sein Amt aufgegeben und die CDU verlassen. Das hat mir außerordentlich imponiert und ich habe als Schüler mit der von Gustav Heinemann gegründeten Gesamtdeutschen Volkspartei sympathisiert. Zum Wählen war ich noch zu jung. Und wie Gustav Heinemann der CDU haben wir nach 1998 den Grünen vorgehalten, dass wir nach ihrem Wahlprogramm mit einem anderen Verhalten rechnen konnten und dass mit der programmatischen Gewaltfreiheit ihre Zustimmung zum Kosovo-Krieg und zum Afghanistan-Einsatz nicht vereinbar waren.

Nach der Erklärung von Goslar konnte man den Eindruck haben, dass die Regierenden aus diesen Vorhaltungen etwas gelernt haben. Für diesen Lernprozess war meines Erachtens wichtig, dass die PDS bei den Berliner Landtagswahlen in den Westbezirken erstmals erhebliche Stimmengewinne erzielen konnte. Diese waren vor allem damit zu erklären, dass die PDS in außenpolitischen Fragen zuverlässiger pazifistisch votiert hatte als SPD und Grüne. Eine Wiederholung dieser Erfahrung bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus konnten sich SPD und Grüne auf der Ebene der Bundestagswahlen nicht leisten. Darum war die Selbstbindung an nichtmilitärische Mittel in der Irak-Frage auch ein wahltaktischer Schachzug. Die Rechnung ist aufgegangen. Doch Selbstverpflichtung ist Selbstverpflichtung, und die Regierung Schröder-Fischer muss nun auch auf dieser Linie bleiben. Das tut sie mit erstaunlicher Konsequenz und mit bemerkenswerter Zustimmung beim Volk und respektvoller Resonanz bei anderen Mächten. Die deutsche Vorausfestlegung hat bei anderen Staaten Eindruck gemacht und eine Katalysatorwirkung ausgeübt.

Wie überrascht man in den USA war, zeigte der unverhohlene Ärger der amerikanischen Regierung. Mit einer Kriegsdienstverweigerung der deutschen Regierung hatte man dort nicht gerechnet. Ich will unsere Regierung nicht in den pazifistischen Himmel loben. Meine Kritik an der Kosovo- und der Afghanistan-Politik ist bekannt und ich registriere aufmerksam, wie sehr das Mitmachen im Kosovo und in Afghanistan von den Realos in den Reihen der SPD und der Grünen herangezogen wird, um das Nein im Falle des Irak zu legitimieren. Man kann also nicht sicher sein, dass unsere Regierung im nächsten Falle wieder Nein sagen würde zu militärischen Mitteln. Schröder und Fischer sind keine grundsätzlichen Pazifisten, sondern zur Zeit situative Pazifisten. Doch warum sollen wir sie für Lobenswertes nicht loben? Nothing succeeds like success. Und es ist auch ganz offensichtlich, dass den deutschen Soldaten der Sinn nicht nach weiteren Auslandseinsätzen steht. Die Belastung für die Familien der Berufssoldaten ist sehr groß.

Meines Erachtens müsste die rot-grüne Regierung sich für Friedenseinsätze eines neues Instrumentarium zulegen. Das gibt es in Ansätzen in Form des Zivilen Friedensdienstes und in Form speziell Ausgebildeter für OSZE-Missionen. Doch die Zahl der Abrufbaren ist noch viel zu klein. Hier sollte investiert werden!

Es ist spannend zu beobachten, wie es sich auswirkt, wenn sich eine Regierung auf nichtmilitärische Mittel festlegt. Uns Pazifisten wäre es ja recht, wenn die Regierung konsequent auf dieser Linie bliebe. Es ist in unserem Interesse, ihr zum Erfolg zu verhelfen. Leider nützt der SPD die pazifistische Außenpolitik bei den Landtagswahlen gar nichts. In diesen wird sie abgestraft, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung ihrer Außenpolitik zustimmt. Es ist zu befürchten, dass bei der nächsten Bundestagswahl die Opposition aus innenpolitischen Gründen zum Zuge kommen und dann auch die Sicherheitspolitik in einer uns höchst widerwärtigen Form ändern wird. Angela Merkel kann sich als Oppositionssprecherin behaupten, obwohl sie in der Irak-Politik nicht die Meinung der Mehrheit der Deutschen vertritt. Auf dem Kölner Karnevalsumzug wurde von Riesenpuppen gezeigt, wie die USA-Reisende Angela Merkel sich in Washington dem amerikanischen Präsidenten “andient”, wie das Walter Jens gestern Abend in einem Interview zu seinem heutigen 80. Geburtstag gentlemanlike formulierte. Dass eine der eher konservativen Karnevalsgesellschaften ihre Einschätzung des Merkelschen Verhaltens so augenfällig und anrüchig durch deutsche Straßen zieht, hat mich gewundert. Doch vielleicht gehört dies eben auch mit zur zivilen Gesellschaft und vielleicht gibt es mittlerweile auch unter den Jecken einige mehr oder weniger echte Kriegsdienstverweigerer.

Mein Manuskript ist noch länger. Es folgen ein Rückblick auf die Anfänge der Kriegsdienstverweigerung in der Bundesrepublik und einige Beobachtungen zur Medienpräsenz von Pazifisten. Doch ich breche hier ab. Das Wesentliche ist gesagt.

***

Leider gelingt es noch nicht, den Zusammenhang zwischen einer pazifistischen Außenpolitik und einer entsprechenden Innenpolitik zu zeigen. Wer sagt “Kein Blut für Öl!”, stimmt damit indirekt der Vorstellung zu, dass Krieg den wirtschaftlichen Interessen der USA nützt und dass es darum für Deutschland vielleicht doch von Vorteil wäre, mit von der Partie zu sein. Das ist meines Erachtens eine Fehleinschätzung. Krieg nicht nur unmoralisch, sondern auch unvorteilhaft. Er kostet zu viel Geld und dieses brauchen wir dringend für andere Aufgaben. Wir müssten mehr daran arbeiten, den Krieg auch aus wirtschaftspolitischer Sicht und die amerikanische Energiepolitik aus ökologischer Sicht zu kritisieren.

Die CDU-Parteivorsitzende Angela Merkel und Wolfgang Schäuble als außenpolitischer Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, machen sich immer für die Notwendigkeit der Drohkulisse gegenüber dem Irak stark. Ich würde die beiden gerne mal fragen, wieviele Milliarden Euro aus der deutschen Staatskasse sie denn gerne in diese Drohkulisse investieren möchten - angesichts der bereits enormen Staatsverschuldung. Ich bin ziemlich sicher, dass es in den USA noch ein böses Erwachen geben wird. Die Rolle des schwerbewaffneten Weltpolizisten wird den amerikanischen Bürgern auf die Dauer sicher zu teuer. Am Golfkrieg von 1991 hat sich Deutschland mit einer stattlichen Summe von mehr als zehn Milliarden DM beteiligt. Die Legitimation des 2. Golfkrieges war nach der irakischen Annektion Kuwaits, eines souveränen Staates und Mitglieds der Vereinten Nationen, um einiges plausibler als der nun von den USA und Großbritannien vorbereitete Präventivschlag gegen einen Irak, der zumindest im Moment und wahrscheinlich auf Jahre keinen Nachbarn mehr angreifen kann. Im Falle des Irak ist eine Politik des Containment ausreichend und erfolgversprechend. Saddam Hussein ist ein übler Diktator. Aus völkerrechtlicher Sicht ist dies kein ausreichender Grund für eine militärische Intervention. Das ist ein Grundsatz, der gegenüber anderen Diktaturen respektiert wird.

Es gibt jedoch ein globales Interesse an der Verwirklichung der Menschenrechte. Und hier ist dann die Frage, wie das irakische Volk in seinem Streben nach Freiheit unterstützt werden kann. Das Vorhandensein dieses Strebens nach Freiheit darf immer dann unterstellt werden, wenn die bürgerlichen Freiheiten nicht gewährleistet sind und dies ist im Irak zweifellos der Fall. Die Frage ist: Wie kann es der (latenten) innerirakischen Opposition und den vertriebenen und geflohenen Irakern allmählich gelingen, diese Diktatur aufzuweichen und zu beseitigen? Über das Wie ist in den vergangenen Jahren viel zu wenig diskutiert worden. Ich meine, dass diese Aufgabe beim CIA nicht in den richtigen Händen ist. Die USA haben sehr viel Geld ausgegeben für die Unterminierung des Regimes von Saddam Hussein. Ohne großen Erfolg. Das liegt meines Erachtens am Image der USA und an den Boykottmaßnahmen gegen den Irak, die vor allem die kleinen Leute treffen.

Die Friedensbewegung hat es in den letzten Jahrzehnten versäumt, sich intensiv mit dem Problem der Unterstützung von Bürgerrechtsbewegungen und gewaltfreien Aufständen zu befassen. Es gibt die Peace Brigades International und es gibt einige andere Ansätze, aber schon ein Blick auf die Literatur zeigt, dass Untersuchungen zum gewaltfreien Widerstand gegen Diktaturen dünn gesät sind. Gene Sharp und die Albert Einstein Institution haben sich darum bemüht, aber insgesamt ist die Liste der einschlägigen Veröffentlichungen kurz. Wir sind weit davon entfernt, eine Art strategisches Handbuch des gewaltfreien Widerstands gegen Diktaturen zu besitzen.

Es gibt in Deutschland umfangreiche historische Forschungen zum Widerstand gegen die nationalsozialistische Diktatur und zur Bürgerrechtsbewegung in der DDR und in anderen osteuropäischen Staaten. Doch diese fallbezogenen Forschungen haben sich bis jetzt noch zu keinen verallgemeinerbaren strategischen Überlegungen geführt. Dieses Versäumnis der Pazifisten spielt denjenigen in die Hände, die immer wieder in der bewaffneten Gewalt das letzte Mittel sehen.

Das bringt mich zu der Frage: Was ist eigentlich zu tun, damit aus denjenigen, die einen Antrag auf Anerkennung auf Kriegsdienstverweigerung stellen auch effektive Kriegsverhinderer und konstruktive Bürgerrechtsaktivisten werden?

Die persönliche Kriegsdienstverweigerung ist überzuleiten in ein umfassendes gewaltfreies Engagement. “Frieden ist unser Beruf”. Dies ist ein cleverer double-think-Slogan der Bundeswehr. Wir sollten ihn für die Kriegsdienstverweigerer und die Friedensbewegung zurückgewinnen. Doch nicht jeder kann Friedensforscher bzw. Friedensarbeiter werden. Die meisten werden bürgerliche Berufe ausüben. Dann kommt es auf das “Und” an. Venessa Redgrave war ein Leben lang Schauspielerin und Pazifistin, Joan Baez Sängerin und gewaltfreie Aktivistin und Initiatorin der Schule für Gewaltlosigkeit.

Kennzeichnend für den aktiven Pazifismus ist dann die Mitgliedschaft in entsprechenden Organisationen - zum Beispiel im Versöhnungsbund, in der Internationale der Kriegsdienstgegner, bei Pax Christi oder in innen- und außenpolitisch tätigen Solidaritätsorganisationen - verbunden mit einer entsprechenden Spendenpraxis. Man kann auch Organisationen, die tendenziell pazifistisch sind oder ursprünglich pazifistisch waren wie die christlichen Kirchen durch sein Engagement auf eine eindeutig pazifistische Linie bringen. Das habe ich 24 Jahre lang in Gremien der evangelischen Kirche versucht - und rückblickend meine ich: Das war für mein Naturell der richtige Ansatzpunkt - neben diversen Bürgerinitiativen. Da muss eben jeder seinen Platz finden.

Doch wie kommt es beim Individuum zu der persönlichen Entscheidung für den Pazifismus? Bei meiner Altersgruppe war die eigene Kriegserfahrung von erheblicher Bedeutung. Wichtig ist auch der Einfluss des Elternhauses. Dieser Einfluss macht sich geltend durch die Erziehung. Zu dieser gehören Vorbild, Informationen, Lektüre, freundschaftliche Kontakte, Teilnahme an Aktionen der Friedensbewegung.

Wer mit Kriegsdienstverweigerern zu tun hat, merkt meist schnell, welch unsichere Kantonisten diese jungen Leute häufig noch sind. Warum ist auf das Engagement der Kriegsdienstverweigerer als Pazifisten kein Verlass? Kennzeichnend für den Prozess der Kriegsdienstverweigerung in Deutschland ist, dass die Anerkennung zunehmend einfacher wurde. Die Bundeswehr ist nicht mehr darauf angewiesen, alle Wehrpflichtigen einzuberufen. Die Veränderung der Rahmenbedingungen hat zu einer Eskalation der Zahl der Kriegsdienstverweigerer beigetragen. Dabei ist nicht klar, ob die absolute Zahl der engagierten Pazifisten in der großen Masse der Kriegsdienstverweigerer wesentlich gewachsen ist. Ich vermute dies.

Als ich 1962 Mitglied im Verband der Kriegsdienstverweigerer wurde, lag die Zahl der Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer jährlich zwischen zwei- und dreitausend. Die Zahl der Anträge auf Kriegsdienstverweigerung stieg erst im Zusammenhang mit den Protesten der Außerparlamentarischen Opposition zum Ende der 60er Jahre auf über zehntausend. Doch schon damals waren nicht mehr alle diejenigen, die protestbewegt einen Antrag auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer aus Gewissensgründen stellten auch in der Wolle gefärbte radikale Pazifisten. Der revolutionäre Befreiungskrieg wurde von vielen nicht abgelehnt. Doch auch bereits zu Beginn der 60er Jahre waren nicht alle Kriegsdienstverweiger radikale Pazifisten - im Sinne einer grundsätzlichen Ablehnung von Waffengewalt. Doch die Zahl der argumentationsfähigen, bewussten Pazifisten war am Anfang ziemlich hoch.

Gerade darum war ich entsetzt, beim Eintritt in den Stuttgarter Verband der Kriegsdienstverweigerer bei Gesprächen feststellen zu müssen, dass dort zu Beginn der 60er Jahre die Mehrheit im örtlichen Vorstand von Personen gestellt wurde, die den Waffengebrauch im revolutionären Kampf nicht kategorisch ausschlossen. Die verdeckt arbeitende, weil verbotene KPD hatte dort die Mehrheit. Bei allem Respekt vor dem durch nichts zu beirrenden Engagement dieser Menschen, war ich über diesen Zustand nicht glücklich. Wir haben diese Alt-Kommunisten dann bei den nächsten Vorstandswahlen mit Hilfe einer internen Mobilisierung abgewählt, nur um Ende der 60er Jahre die Erfahrung machen zu müssen, dass eine neue Formation von Studenten, die mit den revolutionären Befreiungskriegern sympathisierte, auf einem Bundeskongress des VK die Mehrheit erhielt und bekennerhaft sogleich die Gewaltlosigkeit aus der Satzung strich. Das war ein kapitaler Fehler, weil dies einer Änderung des Vereinszwecks gleichkam. Dies erlaubt das deutsche Vereinsrecht nicht. Der neue Vorstand machte dann auch gar nicht erst den Versuch, den Fehler zu korrigieren, sondern verschwand sang- und klanglos, nachdem er in kurzer Zeit die Vereinsfinanzen ruiniert hatte. Der solchermaßen angeschlagene VK hat dann mit der IdK fusioniert, womit wir nicht alle Sorgen los waren. Doch im Rückblick hat sich dieser Zusammenschluss bewährt, nicht zuletzt weil es ein paar altgediente Pazifisten wie das Ehepaar Thiel in Karlsruhe gab, die ihre Pappenheimer kannten.

Wenn ich auf die 60er Jahre zurückblicke, dann vermute ich, dass unter den paar tausend jungen Männern, die jährlich einen Antrag auf Kriegsdienstverweigerung stellten, etwa die Hälfte sich über die Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen intensiv Gedanken gemacht und auch eine persönliche Entscheidung für die Kriegsdienstverweigerung getroffen hatte. Die Prüfungsverhandlungen waren gefürchtet und sie bedurften einer gewissen Vorbereitung. Dies war mit Lektüre und Gesprächen und in einem beachtlichen Umfang auch mit der Mitgliedschaft in pazifistischen Verbänden verbunden. Das hat sich im Laufe der vergangenen 40 Jahre sehr gewandelt.

Ich wüsste gerne, wie viele der fast 190.000 Antragsteller des Jahres 2002 in ähnlicher Weise als dezidierte Pazifisten bezeichnet werden können wie die wenigen tausend Kriegsdienstverweigerer in den 60er Jahren. 50 Prozent sind es sicherlich nicht mehr. Aber sind es zehn Prozent oder nur 5 Prozent und wie soll man die restlichen 90 Prozent einschätzen oder unterteilen?

Seit im Regelfall die schriftliche Begründung des Antrags ausreicht, hat das Bestreben der angehenden Kriegsdienstverweigerer, sich über die Grundfragen des Pazifismus zu informieren, bei der Masse der Antragsteller erkennbar nachgelassen. Aber wenn auch nur zehn Prozent der Gesamtzahl der Antragsteller sich ähnlich intensiv informiert wie die Gesamtheit der Kriegsdienstverweigerer in den 60er Jahren, ist ihre absolute Zahl noch immer sehr viel größer als die Zahl der Intensivpazifisten der 60er Jahre. Das ist vorerst eine Spekulation. Wie soll man dies ohne sozialwissenschaftliche Recherchen aufklären?

Ein Indikator könnten die Mitgliederzahlen der pazifistischen Verbände sein. Diese sind nicht wesentlich gewachsen. Die Auflagenhöhe der pazifistischen Zeitschriften ist gering geblieben. Doch es gibt andere Informationsquellen. Auf dem Buchmarkt ist die Zahl der pazifistischen Veröffentlichungen wesentlich angewachsen. Es hat mitunter Veröffentlichungen gegeben, die hohe Auflagen erzielten. Das bekannteste Beispiel war “Frieden ist möglich” von Franz Alt. Auflage etwa ein halbe Million Exemplare. Insgesamt ist es wohl so, dass man sich heute in der Deutschland ohne große Schwierigkeit über pazifistische Themen schnell und umfassend informieren kann. Hier ist die Lage weit besser als vor 40 Jahren. Leider gibt es aber keine Klassiker des Pazifismus, die man als allgemeines Bildungsgut voraussetzen kann. Es gibt eine Fülle von sich ergänzenden Publikationen, und Film und Fernsehen spielen wahrscheinlich noch eine wichtigere Rolle als die Printmedien. Wichtig war der große Erfolg des Gandhi-Film von Attenborough. Ich vergleiche die Rolle dieses Films für die Popularisierung der gewaltfreien Aktion gerne mit der Rolle der Filme “Im Westen nichts Neues” und “Die Brücke” für den Antimilitarismus nach dem Ersten und Zweiten Weltkrieg.

Ein Handicap der pazifistischen Bewusstseinbildung sehe ich darin, dass die gegenwärtige Diskussionskultur in den Medien ein wirkliches Durchdenken von pazifistischen Fragestellungen nicht fördert. Es kommt schon vor, dass Pazifisten auch mal in einer Talkshow auftauchen, aber sie haben dort kaum die Möglichkeit, ihre Argumente zu entwickeln. Man schleudert eine Bemerkung oder eine Frage oder ein Infopartikel in die Runde, aber man hat - insbesondere wenn auch noch sich beharkende Politiker mit in der Runde sitzen - gar keine Zeit, Informationen und Argumente zu einem Gedankengebäude zusammenzufügen. Die fürchterlichste Sendung ist in dieser Hinsicht “Vorsicht Friedmann”, aber meines Wissens hat diese Knallcharge auch noch nie einen Pazifisten eingeladen. Doch auch bei Sabine Christiansen mit dabei zu sein ist frustierend. Die Politiker gebrauchen zum wiederholten Male dieselben abgedroschenen Begriffe mit einer unermüdlichen, aggressiven Verve. Der arme Pazifist, der aus seinen Kreisen einen ganz anderen Diskussionsstil gewohnt ist und hier nun etwas Alternatives vorbringen will, kommt gegen die eingespielten Signal- und Schlagworte der Politiker nicht an. Diese traurige Erfahrung machte auch der Cottbuser Generalsuperintendet Rolf Wischnath, als er mal in die Talkrunde von Sabine Christiansen eingeladen wurde und zu begründen suchte, warum er sich von einer militärischen Bekämpfung des Terrorismus keinen Erfolg verspricht. Auch Venessa Redgrave hat sich kürzlich sehr schwer getan, mit ihrer unbeirrbar ruhigen Art zu sprechen diese ständig auf Intervention bedachten anderen Teilnehmer in der Runde für das Zuhören zu gewinnen. Die anderen hielten es einfach nicht aus, auf eine sich ruhig und bedächtig entwickelnde Argumentation zu hören. Ich fand es im übrigen fabelhaft, dass sie den Versuch gemacht hat und es ist ihr sogar gelungen, sich einigermaßen zu behaupten.

Eine erfreuliche Ausnahme von den Schnellschuss-Talkrunden, bei denen sich die Routiniers dieser Wortschlachten gegenseitig ins Wort fallen, bilden diejenigen Sendungen, in denen ein gut vorbereiteter Journalist an eine einzelne Person Fragen stellt und der Eingeladene dann auch Gelegenheit hat, seine Gedanken zu entwickeln. Ich denke an Günter Gaus. Eine besonders softe Version solcher Befragung bietet Biolek.

Was ich vermisse, ist die intellektuell hochkarätige Kontroverse über die Fragen von Krieg und Frieden. Das klassische Beispiel dafür ist der Briefwechsel zwischen Henriette Roland-Holst und und Clara Mejer-Wichmann zur Frage, ob evolutionäre oder revolutionäre Errungenschaften auf dem Felde der sozialen Gleichheit und der demokratischen Beteiligung mit bewaffneter Gewalt gesichert werden dürfen. Gernot Jochheim hat diesen Briefwechsel, der 1928 zum ersten Mal im von Franz Kobler herausgegebenen “Handbuch des aktiven Pazifismus” erschienen ist, 1989 erneut herausgegeben. Wir erinnern uns in diesen Tagen an den 50. Todestag Stalins. Es ist außerordentlich spannend, wie klarsichtig Clara Wichmann 1921 die Folgen des Einsatzes von Gewalt bei der Auseinandersetzung mit der Konterrevolution erkannt hat. Es ist auch bemerkenswert, dass ihre Kontrahentin nach einer Reise in die Sowjetunion ihr zustimmte und zu einer wichtigen Vertreterin konsequenter gewaltfreier Aktion geworden ist. Es gibt viele gute Gründe, sich mit der Geschichte des Pazifismus zu befassen. Da gibt es viel wiederzuentdecken.

Wir danken Theodor Ebert für die freundliche Überlassung seines Vortragsmanuskripts zur Veröffentlichung.

Veröffentlicht am

25. März 2003

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