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Der Irak-Krieg tötet vor allem Kinder

Erschütternde Beobachtungen vor Ort

Bericht von Dr. Angelika Claussen, veröffentlicht in der Medical Tribune 29.3.03

Während die Medien vor allem über die benutzten Waffen und die Militärstrategie des von der US-Regierung geführten Krieges berichten, möchte ich Ihren Blick auf die Menschen richten.

Der Irak befindet sich seit 1980 im Kriegszustand: Zunächst der acht Jahre anhaltende Krieg gegen den Iran, 1990 der Einmarsch des Iraks nach Kuwait und 1991 der zweite Golfkrieg mit den nun seit zwölf Jahren anhaltenden Sanktionen. Schon alleine die Fakten und Zahlen (UNDP, UNICEF, WHO) zur humanitären Lage im Irak von 2002, also vor Kriegsausbruch, sprechen eine erschütternde Sprache:

Durchschnittlich sterben 250 Menschen täglich alleine als direkte Auswirkung der Sanktionen. Der Irak zählt zu den fünf ärmsten Ländern der Welt, während er vor 1980 zu den am besten entwickelten Ländern im Nahen Osten gehörte.

Jedes achte Kind stirbt im Irak, bevor es das fünfte Lebensjahr erreicht, zum größten Teil auf Grund von Diarrhoe oder Atemwegserkrankungen. 32 der Kinder (ca. 960 000) sind chronisch unterernährt. Der Irak hat eine der höchsten Kinderkrebsraten in der ganzen Welt. Irakische Ärzte machen dafür die Geschosse mit angereichertem Uran (300 Tonnen) verantwortlich. In Basra, einer Stadt im Süden des Landes, wo besonders viel Uranmunition abgeworfen wurde, sind 3 der neugeborenen Kinder schwerstmissgebildet. Bisher konnte die WHO keine Studien zur Ursachenaufklärung durchführen, weil sowohl die USA als auch Großbritannien die Erlaubnis dazu verweigerten.

Ca. 2/3 der gesamten irakischen Bevölkerung haben als einzige Einnahmequelle nur die monatlichen Nahrungsmittelrationen (neun Kilo Mehl, drei Kilo Reis, zwei Kilo Zucker, ein Pfund Linsen, ein halbes Pfund Bohnen und eineinviertel Kilo Öl).

Vom 15.1.03 bis 22.01.03 bereiste ich den Irak im Rahmen einer neunköpfigen Delegation. Wir besuchten Krankenhäuser, führten Gespräche mit den Ärzten und Patienten und sprachen mit den Vertretern von drei unabhängigen Nichtregierungsorganisationen, die schon mehrere Jahre vor Ort arbeiten: CARE (Großbritannien), die “Architekten für Menschen in Not”, München, und wir besuchten ein medizinisches Hilfsprojekt des Mutter-Kind-Hospitals in Basra, “Aladins Wunderlampe”, das die Wiener Ärztin Dr. Eva-Maria Hobiger vor zwei Jahren gründete. Am meisten berührt und schockiert zugleich hat mich die Konfrontation mit den vielen Leukämie-erkrankten Kindern im Al-Mansour-Hospital in Bagdad und im Mutter-Kind-Hospital in Basra. Immer wieder erzählte uns der Hämatologe Dr. Murtada Hassan vom Al-Mansour fast gleiche Krankengeschichten über die kleinen Patienten: Atal, 5 Jahre alter Junge, akute myeloische Leukämie, Behandlung nicht möglich, da z. Zt. keine Chemotherapeutika verfügbar; Abbas, 12 Jahre alter Junge, vor zwei Jahren Ersterkrankung mit akuter lymphoplastischer Leukämie, damals Chemotherapie, jetzt vor sechs Wochen Rezidiv, keine Chemotherapie möglich, da keine Asparaginase vorhanden; Ibrahim, 6 Jahre alter Junge mit akuter lymphoplastischer Leukämie, jetzt im Terminalstadium; Hamsa, 1 œ Jahre alter Junge, Hämophilie, kein Faktor 8 vorhanden. “Es ist furchtbar, bestimmen zu müssen, wer lebt weiter und wer stirbt, wenn uns die Medikamente wieder ausgehen”, sagt Dr. Hassan. “Immer wieder ungenügende Lieferungen und Verzögerungen infolge der Sanktionen, selbst das Nitroglyzerin ist für unsere Patienten verboten, es fällt wegen sog. ,dual use’ unter die Sanktionen.”

Ohne sauberes Wasser keine Überlebenschance Zu den möglichen Kriegsfolgen: Eins ist klar: Der Irak ist ein verarmtes Land infolge der nun schon seit zwölf Jahren anhaltenden Sanktionen, seine Bevölkerung liegt am Boden. Der jetzige Krieg wird verheerende kurz-, mittel- und langfristige Konsequenzen für die Menschen im Irak, ihre Nachbarn und weit über die Region hinaus haben. Nach einer IPPNW-Studie ist mit ca. 250 000 Toten durch die geplanten Bombardements zu Kriegsbeginn zu rechnen. Dazu kommen 500 000 Verletzte, die eigentlich sofort medizinische Hilfe bräuchten. Falls die Infrastruktur angegriffen wird, also Zerstörung der Wasser- und Elektrizitätskraftwerke, müssen die Menschen verseuchtes Wasser trinken. Gerade die Kinder werden dann wieder, wie nach dem letzten Golfkrieg, an banalen Infektionskrankheiten sterben.

Inwieweit es Verschmutzung der Umwelt durch chemische, biologische und radiologische Waffen gibt, ist noch nicht abzusehen. Auch die Folgen für die gesamte Region kann kein Experte wirklich voraussehen. Die geschätzten Kosten des Krieges gegen den Irak sind immens: 50 bis 200 Milliarden Dollar für den Krieg sowie jährlich 5 bis 20 Milliarden Dollar für die Okkupation. Zum Vergleich: 100 Milliarden Dollar können die Gesundheitsbedürfnisse der Ärmsten der Welt über vier Jahre finanzieren.

Der Beginn dieses Krieges erfüllt mich mit Trauer und Zorn. Trauer über den Tod vieler irakischer Menschen, vor allem der Kinder, aber auch Trauer darüber, in welchen Wahnsinn die Soldaten beider Kriegsparteien geschickt werden. Zornig bin ich über Bush und Blair und ihre Gefolgschaft: Wer unermessliches menschliches Leid mit einem Angriffskrieg provoziert, der hat jeglichen moralischen Führungsanspruch verwirkt.

Es ist notwendig, dass Ärztinnen und Ärzte sich einmischen in die große Politik. Für eine wirklich humane Zukunft braucht es nicht Unterwerfung, sondern Kooperation im Geiste der Gleichberechtigung aller Menschen. Die Medizin ist eine soziale Wissenschaft, und Politik ist weiter nichts als Medizin im Großen (Rudolf Virchow).

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Die Autorin ist niedergelassene Ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie in Bielefeld

Die IPPNW bittet um Spenden für die IPPNW-Kinderhilfe Irak: IPPNW e.V., Stadtsparkasse Gaggenau, Kontonummer 502 64 639, Bankleitzahl 665 512 90, Stichwort: Kinderhilfe Irak.

Viele Ärztinnen und Ärzte, die gegen Krieg und für eine friedliche Konfliktbeilegung eintreten, sind Mitglied in der IPPNW (Internationale Ärzte zur Verhütung des Atomkriegs/Ärzte in sozialer Verantwortung), eine internationale friedenspolitische Ärzteorganisation, die für ihr Eintreten gegen den Atomkrieg 1985 den Friedensnobelpreis erhielt. In Deutschland vertritt die IPPNW nach eigenen Angaben 8000 Ärzte und Medizinstudenten.

Veröffentlicht am

31. März 2003

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