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Konfrontieren wir unsere Ängste, um das Empire zu konfrontieren

Von Robert Jensen, ZNet 17.03.2003

Der Autor, Robert Jensen, ist Gründungsmitglied des ‘Nowar Collective’ (www.nowarcollective.com). Er ist Professor für Journalistik an der University of Texas in Austin und Autor von: ‘Writing Dissent: Taking Radical Ideas from the Margins to the Mainstream’. Sie können ihn kontaktieren unter: rjensen@uts.cc.utexas.edu

Seit Monaten habe ich versucht, es zu verbergen, aber jetzt bin ich bereit, es offen zuzugeben: Ich habe Angst. Noch nie, seit ich erwachsen bin, habe ich mich derart gefürchtet. Seit Wochen fühle ich diese neue schwer faßbare Angst in mir, diesen Terror, angesichts der Art wie sich die Dinge entwickeln. Die Bush-Administration hat klargemacht: nichts und niemand wird sie von ihrem Kurs abbringen - von ihrem verrücktem Kriegskurs. Bisher behielt ich meine Ängste für mich. Ich organisierte Treffen, hielt Vorträge vor diversen Gruppen, sprach auf Demos - und nahm mich zurück. Schließlich ist es unsere Aufgabe, eine Antikriegs-Bewegung auf die Beine zu stellen. Rede ich zuviel über meine Ängste, so meine Befürchtung, wäre das kontraproduktiv. Ich soll die Leute doch ‘empowern’, ihnen Mut einflößen. Folglich muss ich das Potential unserer Bewegung in den Mittelpunkt stellen - so dachte ich. Im Grunde hat sich an dieser Einstellung auch nicht viel geändert. Natürlich müssen wir fortarbeiten am Aufbau unserer Bewegung. Langfristig wird sich daraus ein gewaltiges Potential entwickeln - ein Potential, zur Neuausrichtung unserer Gesellschaft: weg von Krieg und Profitstreben, hin zu Frieden und Befriedigung der Bedürfnisse der Menschen. Hinzu kommt: Wir haben eine Verpflichtung gegenüber den Menschen dieser Erde, auch diese Verpflichtung dürfen wir nicht vernachlässigen. Wir müssen die Leute organisieren, wir müssen sie informieren - im Sinne dieser Verpflichtung.

Aber ich kann mir nicht länger einreden, wir schaffen den Aufbau unserer Bewegung nur, falls wir unsere Angst unterdrücken bzw. verschweigen. Zu deutlich kann ich die Angst seit Wochen in den Augen meiner Freunde lesen, sie klingt aus den überreizten Kommentaren fremder Menschen - selbst viele Kriegsbefürworter wirken erstaunlich nervös. Letztes Wochenende redete mein Vater auf mich ein - mein Vater ist eher konservativ, ein Republikanerwähler, Veteran des Zweiten Weltkriegs, ein Provinzgeschäftsmann. Mein Vater versuchte mich zu überzeugen, Bush blufft im Grunde nur, versucht es auf die gerissene Tour. Aber ich konnte spüren, auch mein Vater hat Angst - Angst vor den Plänen jenes Mannes, den er selbst gewählt hat.

Ich denke, alle Menschen dieser Welt - falls sie überhaupt noch etwas fühlen und ihr Fühlen nicht korrumpiert ist durch Hass und Machtstreben -, empfinden ähnlich. Dabei meine ich nicht sosehr die Terrorangst oder Angst vor Massenvernichtungswaffen, vielleicht noch nicht mal diesen ganz speziellen Krieg hier - so furchterregend das alles sein mag. Unsere Angst ist, so denke ich, wesentlich diffuser, nicht recht fassbar. Ich denke, es ist die Furcht vor etwas Gewaltigem, das entfesselt sein wird, wenn die USA der gesamten Welt zum Trotz diesen Krieg starten - ein Krieg, der die Menschen - so die Rhetorik - vor Bedrohung schützen soll. In Wirklichkeit geht es, das ist ganz offensichtlich, um die Macht der USA. S i e soll weiter gefördert werden, um eine planetare Dominanz zu schaffen, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat.

Bush und seine Berater verkünden stolz, sie würden sämtliche Verpflichtungen im Hinblick auf unsere kollektive Sicherheit, auf internationales Recht und (wirkliche) Diplomatie ad acta legen. Werden die Vereinten Nationen das überleben? Was wird von jenem internationalen System übrigbleiben, wenn Bush und seine Gang mit ihrer Arbeit fertig sind? Wird es dann überhaupt noch möglich sein, Konflikte friedlich zu lösen? Wir alle wissen, die internationalen Institutionen funktionieren nicht fehlerfrei, keines ihrer Konzepte konnte bisher zur Gänze umgesetzt werden. Aber würden wir uns in einer Welt sicherer fühlen, in der das Recht einzig mittels der Schärfe des amerikanischen Schwerts durchgesetzt wird - ein Schwert, das nie in die Scheide zurückkehrt?

Wenn ich jetzt Angst fühle, dann nicht allein, weil eine Macht Amok läuft, sondern vor allem, weil wir es hier mit einem Imperium zu tun haben, das über die destruktivsten militärischen Möglichkeiten verfügt, die es je gegeben hat - über Thermobomben, Cruise Missiles, Clusterbomben und nukleare “Bunkerbrecher”. Unsere (amerikanische) Regierung bemüht sich natürlich, die Resultate dieser Waffen vor uns geheimzuhalten - und die Nachrichten-Medien machen sich zum Komplizen -, aber wir alle wissen genau, wieviele Menschen diesen Horrorwaffen zum Opfer fallen werden. Die Bilder können sie zensieren - unsere Vorstellungskraft hingegen nicht.

Aber meine Angst dreht sich auch nicht nur um die ungebremste Macht der USA. Mich plagen Ängste, weil Bush und seine Berater glauben, sie durchschauten ihre eigene Macht, hätten sie fest im Griff. Es gibt eine Art Arroganz, die aus der Liaison zwischen (praktisch) ungebremster Macht und lebenslanger Privilegierung entsteht. Das hier ist eine Hybris - und Hybris ist die gefährlichste aller Sünden in einer Welt gespickt mit Atomwaffen. Das ist meine Angst, und ich denke, sehr viele von uns werden sie teilen. Was der Regierung Bush am liebsten hätte: Wir fürchten uns und behalten unsere Ängste für uns. Aber Stärke erwächst nicht aus Angstverdrängung, sondern aus der Konfrontation mit der Angst - und ihrer schließlichen Überwindung. Sprechen wir also über unsere Ängste - nicht, um andere kopfscheu zu machen, sondern um noch näher zusammenzurücken. Die einzige Hoffnung sind ja wir selber, wir alle gemeinsam können die Angst bekämpfen - indem wir uns organisieren, uns wehren. Wenn wir es mit unseren Ängsten aufnehmen, werden wir es schließlich auch mit dem Empire aufnehmen.

Gehören Sie zu den Leuten, die von Angst betroffen sind? Glauben Sie, Sie packen es nicht - oder nicht länger - sich in der Friedensbewegung zu engagieren? Dann stelle ich Ihnen diese Frage: “An wen wollen Sie sich sonst wenden?” Wenn wir uns jetzt ins Private zurückziehen und glauben, wir könnten uns verkriechen - ich wette, die Angst findet uns, egal, wohin wir gehen. Den (einzigen) Ausweg finden wir nur gemeinsam - draußen, in der Öffentlichkeit. Stellen wir uns also der Angst - auch jener, die andere auf uns projizieren. (Und bitten wir diese Leute, bei uns mitzumachen.) Ein schmerzhafter Prozess, sicher, der auch Risiken birgt. Aber nur so werden wir unsere Menschenwürde bewahren. Ich bekenne: Ich habe Angst und brauche Hilfe - wir alle. Versprechen wir einander, uns nicht im Stich zu lassen - um unser selbst willen und zur Rettung der Welt.

Übersetzt von: Andrea Noll - Dieser Artikel erschien am 21.3.2003 in: ZNet Deutschland. Orginalartikel: “Confronting Our Fears So We Can Confront The Empire”

Wir danken Andrea Noll für die freundliche Überlassung der deutschen Übersetzung dieses Artikels zur Veröffentlichung in dieser Website.

Veröffentlicht am

24. März 2003

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