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“Sind wir denn Tiere, daß man uns hier einfach abknallen darf ?”

Menschen im Irak zwischen Apathie und Angst vor einem weiteren Krieg.

Von Elias Bierdel - Pressemitteilung von Cap Anamur

Köln, 30.1.03: “Down USA” - dem Slogan kann in Bagdad niemand ausweichen. Sogar auf dem PVC-Belag der Gangway, über den Besucher am “Saddam Airport” zum ersten Mal irakischen Boden betreten, hat die staatliche Propaganda des Diktators sehnlichsten Wunsch aufgemalt: Den nach dem baldigen Niedergang der feindlichen Weltmacht Amerika.

Doch die Verwünschungen können nicht darüber hinwegtäuschen, daß es in
Wahrheit nicht um die USA geht, sondern um das eigene Land, welches
darniederliegt. In der Hauptstadt gelingt es gerade noch, wenigstens den Anschein urbanen Lebens aufrechtzuerhalten: Die Fahrt geht durch breite,
beleuchtete Boulevards - es gibt Leuchtreklamen, Restaurants und immer wieder prächtige Fassaden zu sehen.

Schon wenige Kilometer außerhalb des Stadtzentrums aber wird das ganze Elend der irakischen Bevölkerung offensichtlich. Endlos ziehen sich die Betonbauten der Armensiedlungen dahin. Kaum eine Fensterscheibe, die noch heil wäre, kein fließendes Wasser, keine Kanalisation und Strom nur hin und wieder. Hier läßt es sich nicht mehr leugnen: Der Irak war bis Ende der 70er Jahre ein Musterfall im arabischen Raum mit einem vorbildlichen Gesundheitssystem, mit einer UNICEF-prämierten höchsten Alphabetisierungsrate der Region. Dieses in mancher Hinsicht einst so fortschrittliche Land ist tief in die dritte Welt zurückgefallen.

Welchen Unterschied macht es da noch, ob die Menschen im Terror-Regime der alles beherrschenden Baath-Partei, in den verlorenen Kriegen oder im UN-Embargo den Grund für ihre Misere sehen? Diese immer wiederkehrende Frage löst kaum mehr als ein Achselzucken aus. Sind die Spitzel des Staatsapparates in der Nähe, so werden lustlos die vorgestanzten Phrasen wiederholt: “Wir haben keine Angst. Wir werden kämpfen bis zum letzten Blutstropfen, wenn der Teufel Amerika uns angreift …”. Aber ein Blick in die erloschenen Augen genügt meist, um festzustellen, daß kaum noch jemand wirklich an diese Durchhalteparolen glaubt. Wie auch?!

Besonders im Süden des Landes hatten die Menschen zweimal die Hauptlast der Kriege zu tragen. Basra, die einstmals wunderschöne, weltoffene Hafenstadt am Schatt el-Arab ist nur noch ein Schatten ihrer selbst. Zwischen den Ruinen im Zentrum spielen Kinder nach, was ihnen die Erwachsenen vormachen: Krieg - was sonst. Mehrmals täglich gehen hier die Sirenen, donnern die Bomber der Alliierten über die Stadt. So geht das seit mehr als zehn Jahren. Die Ziele sind “militärische Einrichtungen” in der südlichen Flugverbotszone. Opfer sind aber immer wieder Männer, Frauen und Kinder, die in ihren Wohnungen verschüttet oder auf der Straße von Splittern durchsiebt werden. Sogenannte
“Kollateralschäden”, die gelegentlich sogar zu offiziellen Entschuldigungen der verantwortlichen amerikanischen Offiziere führten, aber meistens hat es nicht einmal dazu gereicht.

In der Kinderklinik von Basra führt man uns die hoffnungslosen Fälle vor: Leukämie, Hodgkin-Syndrom. Die Krebsraten bei Minderjährigen steigen steil an. Die Ursachen sind unklar, aber wahrscheinlich spielen auch hier die vergangenen Kriege eine entscheidende Rolle. Hier sind sowohl die irakischen Giftgasangriffe zu nennen wie die Verwendung amerikanischer Uran-Munition.

Ein Mädchen, die zwölfjährige Nur, hat am ganzen Körper riesige Geschwüre - eines zieht sich von der linken Gesichtshälfte herunter bis auf den schmächtigen Brustkorb. Sie versucht zu lächeln. Die Ärzte können dem Mädchen nicht helfen, weil es weder Strahlenkanonen gibt noch Medikamente für die Chemo-Therapie. Man berichtet uns, daß sie UNO die Einfuhr nicht erlaubt. Und tatsächlich - die lebensrettende Hilfe steht allzuleicht im Verdacht einer möglichen militärischen Nutzung (double use) und fällt somit unter die Embargo-Bestimmungen - der
Plasma-Kühlschrank in der Blutbank ebenso wie simple Augentropfen, Herzmedikamente oder eben die Infusionen der Chemo-Therapie. “Smart sanctions” heißt das dann im Jargon der Diplomatie. Die Eltern in der Krebsstation zeigen Photos vor, die gemacht wurden, bevor die unheimliche Krankheit ihre Kinder anfiel. Als wäre das Leben nicht schon schwer genug.

Die Inflation hat die Löhne aufgefressen: Ein Arzt verdient umgerechnet zwischen 5 und 10 Euro im Monat, ein einfacher Arbeiter kommt auf 1,50
Euro, wenn er eine Stelle findet. Schätzungsweise 80 Prozent der Bevölkerung leben unter der absoluten Armutsgrenze. In Basra versucht der katholische Bischof des Südirak, Gabriel Kassap, die größte Not zu lindern. Die Diözese betreibt eine Armenküche, Kindergärten und ein Altenheim, verteilt Kleidung und Medizin an Bedürftige. Auf dem Kirchengelände werden obdachlose Familien beherbergt. “Wir versuchen allen zu helfen, die in Not sind”, sagt der
Bischof, “ganz gleich, wie sie den Gott nennen, zu dem sie beten.” 90 Prozent der Kindergarten-Kinder stammen aus Moslem-Familien.

In westlichen Zeitungen war immer wieder von den “wachsenden Spannungen” zwischen den Religionsgruppen in Basra zu lesen. Hier in der kleinen christlichen Gemeinde mitten zwischen den Minaretten ist davon nichts zu spüren. “Wir sind Nachbarn und durchleiden alle dasselbe Schicksal”, sagt ein Besucher nach der Abendmesse. Er will von uns Westlern wissen, ob es wohl noch eine Chance gebe, den Krieg abzuwenden. Wir beantworten die Frage mit “Ja”, weil wir der Auffassung sind, daß es sie einfach geben muß - aber wir wissen, sie wird kleiner.

Dieses Mal bekommen wir keine der staatlich verordneten Kampfparolen zu hören. Statt dessen kommt die Frage eines irakischen Familienvaters, nicht anklagend, eher beiläufig: “Sind wir denn Tiere, daß man uns hier einfach so abknallen darf ?”

Siehe auch die Dokumentation “Kinder müssen sterben, weil sie die Kinder des Feindes sind” von Eva-Maria Hobiger.

Veröffentlicht am

30. Januar 2003

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