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Planspiele für die Dekade danach

Ernsthafte Szenarien, wilde Spekulationen: Die amerikanische Diskussion um einen Regimewechsel in Irak und ihre Vorgeschichte

Von Rolf Paasch

Natürlich hatte es zwischen Saddam Husseins Einmarsch in Kuwait am 2. August 1990 und dem Amtsantritt von George W. Bush im Januar 2001 verschiedene Versuche gegeben, den Diktator in Bagdad zu stürzen. Vom Golf-Krieg über einen CIA-Coup bis zu UN-Resolutionen wurde in dieser Zeit von den USA und der internationalen Staatengemeinschaft vieles versucht, um einen Machtwechsel zwischen Euphrat und Tigris einzuleiten. Doch entweder schien den Akteuren der politische Preis zu hoch, oder es fehlte an Durchsetzungskraft. Mit der Bush-Regierung und ihren Falken um Pentagon-Stellvertreter Wolfowitz oder -Berater Richard Perle aber ist die Theorie eines Regimewechsels in Irak zur demokratischen Neuordnung des Nahen Ostens in Washington salonfähig geworden. Der Schock des 11. September hat eine militärische Invasion in Irak dann zum politischen Ziel werden lassen, so sehr die Begründungen für einen Krieg gegen Saddam Hussein im Einzelnen auch variieren mögen.

Seitdem kursieren in Washington Szenarien für den Krieg und den Tag “die Dekade danach”. Doch schon im Oktober 2002 deutete sich in einer “war game”-Simulation an der Washingtoner Brookings-Institution an, wie sehr sich militärische und politische Ziele im Krieg und danach widersprechen können. Ob bei der Entscheidung über die Größe der Interventionsstreitmacht und das Tempo ihres Vormarsches auf Bagdad, ob bei der Einbindung der nordirakischen Kurden oder der Rücksichtnahme auf saudische Interessen, immer wieder standen die militärischen und politischen Akteure bei ihren Simulationsspielen vor kaum lösbaren Zielkonflikten. Was militärisch wünschenswert war, drohte der Stabilität des Nachkriegs-Irak zu schaden, und umgekehrt, so fassen die beiden ehemaligen Clinton-Berater und Nahost-Experten Kenneth Pollock und Martin S. Indyk die Erfahrungen beim Durchspielen der hypothetischen Invasion zusammen.

Dennoch hält die “Kriegs-Partei” in Washington an ihrer optimistischen Domino-Theorie der Demokratisierung fest. Mit den falschen Analogien von Appeasement oder dem “japanischen Modell” wird eine demokratische Revolution beschworen, ohne den historischen Kontext der arabischen Welt und das autokratische Erbe des Islam einzubeziehen. Dabei hat James Fallows im Atlantic Monthly darauf hingewiesen, dass ein Vergleich mit der Zeit vor dem 1. Weltkrieg weitaus angemessener wäre: Auch 1914 habe es den Kriegsbefürwortern an Vorstellungskraft für die Konsequenzen gefehlt. Und im Londoner Guardian führt der Historiker John W. Dower aus, dass in Irak gerade jene demokratischen Traditionen und bürokratischen Institutionen fehlen, deren Existenz die Besatzung Japans durch General MacArthur zwischen 1945 und 1947 zu einem Erfolg werden ließ.

Doch die Neu-Erfinder des Nahen Ostens stören solche Einwände nicht. So verspricht sich der Publizist Robert D. Kaplan in seinem “Post-Saddam-Szenario” von einem Eingriff in Irak die Etablierung einer neuen strategischen Basis für die USA; mit positiven Auswirkungen auf den reformerischen Stillstand in Iran. Er betrachtet den Nahen Osten als “Laboratorium reiner Machtpolitik”. Allein ein “entscheidender militärischer Schock”, schreibt Kaplan im Atlantic Monthly, könne die Macht-Kalkulationen der radikalen Kräfte in der iranischen Führung verändern. Und allein aus einer Verbesserung seiner strategischen Position heraus könne Israel zu einem Rückzug aus den besetzten Gebieten bewegt werden. Doch auch bei Kaplan deuten sich bereits bauliche Kompromisse an, die allen selbst ernannten Architekten in der arabischen Welt drohen. “Unser Ziel in Irak muss eine säkulare Übergangs-Diktatur sein”, welche “die Händlerklasse über alle ethnischen Grenzen hin vereint und nach dem Wiederaufbau von Institutionen und Volkswirtschaft zu einer demokratischen Alternative führen könnte”. Im Konflikt zwischen globaler Strategie und demokratischer Mission dürften am Ende wieder vordergründige Interessen siegen. Denn je weitreichender die strategische Vision, umso zahlreicher die zu ihrer Durchsetzung erforderlichen Kompromisse. George Bush scheint dies zu ahnen, wenn er in seinen Reden lieber “freedom” statt “democracy” verspricht. Freiheit ist eine in der Realpolitik dehnbare Kategorie, während der Begriff Demokratie im Nahen Osten auch den konkreten Wahlsieg von Islamisten einschließen könnte. Dass hier die Regierung Bush auf Probleme stößt, die liberalen Präsidenten von Wilson bis Clinton nur allzu vertraut waren, ist eine Ironie der Geschichte. Ausgerechnet die Regierung, die mit ihrer Kritik über die Naivität des “nation building” an die Macht kam, wird seit dem 11. September von “Neo-Wilsonianischen Moralisten” dominiert, so Nicholas Lemann im New Yorker. Was die Konservativen früher als “ineffektiven Idealismus der Linken”, so Nicholas Kristof in der New York Times, kritisierten, feiert unter Bush mit dem Krieg in Irak als konservatives Prinzip Hoffnung seine außenpolitische Renaissance.

Jede Kritik der Nachkriegspläne für Irak steht vor der Schwierigkeit, dass sich ernsthafte Szenarien und wilde Spekulationen kaum unterscheiden. Selbst wenn viele der Veröffentlichungen in Washington der Irreführung der eigenen Öffentlichkeit oder des Feindes in Bagdad dienen mögen, lassen sich an den Verlautbarungen der Regierung Bush eklatante Mängel ablesen: Eine Unsicherheit über die Ziele des Krieges und eine konzeptionelle Kurzsichtigkeit bei der Berücksichtigung seines historischen und kulturellen Kontextes. Natürlich erfordert jede Demokratisierung, ob in Bosnien oder in Bagdad, im konkreten Fall Kompromisse. Und natürlich lässt sich mit einer zerstrittenen Exil-Opposition und der Abhaltung von Wahlen in einem Land ohne jede zivilgesellschaftliche Erfahrung keine tragfähige Demokratie errichten. Doch scheint es das Charakteristikum neo-konservativer Außenpolitik zu sein, dass sie mit ihrer missionarischen Rhetorik bei den Betroffenen demokratische Ansprüche weckt, die sie anschließend durch ihre Weltmachtreflexe wieder zerstört.

Der Umgang Washingtons mit der irakischen Exil-Opposition ist hierfür ein Beispiel. Nachdem sich die Regierung dem Regimewechsel verschrieben hatte, hofierte sie die zuvor diskreditierte irakische Opposition. Finanzmittel flossen, Konferenzen wurden organisiert, das Außenministerium gründete Arbeitsgruppen, in denen die Exilanten für die Zeit nach Saddam Pläne schmieden durften. Doch als die Fraktionen von Kurden, Sunniten und Schiiten nach mühsamen Verhandlungen eine Übergangsregierung aufstellen wollten, wurde in der zweiten Februarwoche eine Kursänderung verkündet. Danach wird eine amerikanische Militärverwaltung bis zu zwei Jahre in Bagdad herrschen. An die Stelle einer “De-Nazifizierung” der Baath-Partei soll der Austausch ihrer Spitzen-Funktionäre treten. Kein Wort mehr von einer “De-Saddamisierung” der Institutionen. Und im kurdischen Norden Iraks werden während der Invasion türkische Truppen für Ruhe und Ordnung sorgen.

Hinter diesem Strategiewechsel sind unschwer die Einsprüche der Türkei und Saudi-Arabiens zu erkennen. Ankara will einen Machtzuwachs der irakischen Kurden mit Blick auf die eigene kurdische Minderheit begrenzen. Und das sunnitische Regime in Riad stellt sich gegen eine irakische Nachkriegsregierung, in der Kurden und Schiiten die mit dem Baath-Regime assoziierten Sunniten an den Rand drängen könnten. Die USA sehen sich aus strategischen und taktischen Gründen zu einer Realpolitik gezwungen, welche die demokratischen Hoffnungen der heute bereits operierenden kurdischen Autonomie-Regierung und der bisher unterdrückten schiitischen Mehrheit in Irak erneut zu zerschlagen droht. Eine Nachkriegspolitik aber, die schon in ihrer Vorbereitungsphase so stark zwischen Ansprüchen und kurzfristigen Erfordernissen oszilliert, verstärkt nicht nur den Verdacht, dass die Weltmacht im Nahen Osten weiter mit “double standards” operiert. Sie droht auch in der “arabischen” wie in der “europäischen Straße” jene Unterstützung zu verlieren, die sie zur Verwirklichung ihres so anspruchsvollen Projekts der Demokratisierung benötigt.


Quelle: Frankfurter Rundschau vom 27.02.2003. Wir veröffentlichen diesen Text mit freundlicher Genehmigung der FR.

Veröffentlicht am

01. März 2003

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