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Das Böse ausrotten?

Religiöse Motive amerikanischer Machtpolitik

Von Hans-Eckehard Bahr


“Unsere Glaubensüberzeugungen müssen verbunden sein mit einem Kreuzzugseifer, um die Schlacht für den Frieden zu gewinnen”, rief Richard Nixon am Ende des Vietnam-Krieges. “Unsere Erfahrung ist, dass wir nicht nur uns, sondern auch die Welt retten können”, meinte ein anderer amerikanischer Politiker, Walter Russel Mead, Berater von George W. Bush, am 7. Februar 2002. Zwei Sätze, die das alte Sendungsbewusstsein Amerikas erkennen lassen, ein Bewusstsein, das allemal religiös geprägt ist - allerdings von zwei diametral verschiedenen Religionskonzepten, die kenntlich zu machen höchste Zeit wird.

Auf der einen Seite steht ein national orientierter Religionstyp, etwa im Sinne eines “Gott mit uns”. Er ist dualistisch geprägt und von dem messianischen Motiv der Erwählung geprägt; konfessionstypologisch eine Sekten-Mentalität, die Gutes und Böses für klar unterscheidbar hält, das (eigene) Gute in die Welt bringen und damit das (fremde) Böse ausrotten will. Im Kern ist dies ein fundamentalistisches Welt- und Deutungskonzept. Es soll hier Religion I heißen. Auf der anderen Seite steht eine universalistische, vor allem menschenrechtlich orientierte Religiosität, die auf den Ausgleich von Interessen setzt, auf die Vermittlung zwischen gegnerischen Positionen. Dieses Konzept soll hier Religion II heißen.

Im Weltbild der Religion I begegnet uns ein tief sitzender Geschichtspessimismus, der den Wunsch nach einem menschenfreundlichen Leben ohne Gewalt für aussichtslos hält. Er sieht den Menschen stattdessen hoffnungslos unter dem mythischen Bann seiner Angst, seiner Aggressivität, seiner Geldgier, eben seiner unausweichlichen “Sünde”. Demgegenüber wird im Religionstypus II eine ganz andere Erfahrung festgehalten: Dass eine unerhörte schöpferische Kraft in jedem Menschen wartet, die Kraft zum Mitfühlen, Mitfreuen, Mitleiden, die Fähigkeit, das Böse politisch (wie privat) überwinden zu können.

Diese noch sehr grobe Unterscheidung zwischen zwei verschiedenen Religionstypen sollte im Auge behalten, wer die gegenwärtige Politik der Vereinigten Staaten beobachtet. Bei den zurzeit stattfindenden Kriegsvorbereitungen mögen sicherlich geostrategische Überlegungen zur eigenen Ressourcensicherung eine Rolle spielen, gewiss geht es auch ums Öl. Doch selbst dabei lassen sich noch die beiden religiösen Muster erkennen Die amerikanische Machtpolitik ist nicht ohne ihre transrationalen, nationalreligiösen Antriebsmomente zu verstehen. Wer sie unterschätzt, wird die Politik der USA nur als kühle Machtpolitik deuten können und sie damit europäisch missverstehen.

“Wir sind eine Stadt, gebaut auf einem Berge, die Augen der Welt sind auf uns gerichtet, weil wir uns im Bund mit Gott wissen”, propagiert Pfarrer Bulkely schon um 1640. So und ähnlich gab es Hunderte von Stimmen in der kolonialen Frühzeit. Sie künden von der Eroberung und Erlösung der Welt durch Amerikas Demokratie. Wieder und wieder formulieren die Präsidenten der USA ihr patriotisches Credo, dass Gott Amerika eine besondere heilsgeschichtliche Rolle zugedacht hat. “God bless America” - auch für George Bush sen. galt die Erwählungsmetapher ungebrochen. Sein Glaube an die heilsgeschichtliche Sendung der USA ruhte ganz in der ultrakonservativ religiösen Tradition des Landes.

Bei seinem Sohn ist das etwas anders. George W. schickt sich seit einiger Zeit an, den alten, isolationistischen Prädestinationsglauben des Mittleren Westens weiter zu entwickeln, und zwar zu einer weltherrscherlich offensiven Sendungsgewissheit. Dies bedeutet eine dramatische Radikalisierung - eine Sektenmentalität im Weltmaßstab? In den Freund-Feind-Denkmustern der heutigen amerikanischen Außenpolitik kehren jedenfalls die Konfigurationen der alten Religionskriege wieder. Die US-Militärstrategie des “Search and Destroy”, des Aufspürens und Vernichtens, aber auch die Rede vom “Bereinigen” und “Ausbrennen”ganzer Landstriche: All das erinnert allein von seiner sprachlichen Gestalt her an die Praxis der Ketzerverbrennung.

Die Vorstellung, man könne Andersdenkende dazu bringen, ihre Meinung aufzugeben, indem man ihnen Schmerzen zufügt, man denke in diesem Zusammenhang auch an die rigorose Strafjustiz auf Guantanamo Bay - diese Art der schwarzen Pädagogik hat viel zu tun mit der Kreuzzugs-Tradition des westlichen Christentums. Neuartig an ihr aber ist, dass sich in ihr der eher national oder isolationistisch orientierte Religionstyp mit seinem Widerpart vermischt. Religion I tritt hier zwar in Erscheinung, doch macht sie, was ihre nun global ausgedehnte Sendung angeht, der Form nach einige universalistische Anleihen bei Religion II. Wir haben es also mit einer brisanten - und nicht ganz lauteren - Mischung zu tun. Das hat weit reichende Folgen.

Die These, es müsse eine Verschwörung des weltweiten Terrorismus gegen Amerika geben, deutete der Harvard-Historiker Arthur Schlesinger schon in den 60er Jahren als eine wahnhafte, aus der puritanischen Religiosität herrührende Neigung: “Immer haben wir uns allzu leicht der Vorstellung hingegeben, komplexe geschichtliche Entwicklungen seien nur das Resultat von Machenschaften kleiner Gruppen von Störenfrieden.” Der Historiker Richard Hofstadter charakterisierte dies als den “paranoiden Stil der amerikanischen Politik”. Ein Stil, der uns heute in der Vorstellung begegnet, Amerika stünde in der ganzen Welt dem ausgeklügelten und dicht vernetzten System einer terroristischen Gegenmacht gegenüber.

Ronald Reagan hatte seinen Antikommunismus endzeitlich chiliastisch begründet. Die Sowjetunion galt ihm bekanntermaßen als “Reich des Bösen” (evil empire). Diese Metapher ist biblisch, sie stammt aus der Apokalypse des Johannes. Hier, im letzten Buch der Bibel, am äußersten Rand der kanonischen Schriften, ist auch die Rede von der Entscheidungsschlacht zwischen Gott und dem Reich des Satans, die in der Endzeit stattfindet, in der Zeit von Armageddon. “Wie Sie wissen, gehe ich immer wieder auf die Anzeichen zurück, die Armageddon ankündigen”, erläuterte Reagan sein Weltbild. “Ich ertappe mich dabei, dass ich frage, ob wir die Generation sind, die erlebt, wie das auf uns zukommt.”

Auch George W. Bush spricht vom weltgeschichtlichen “Kampf gegen das Böse”, und zwar im gleichen apokalyptischen Duktus. In seiner Berliner Rede vom 22. Mai 2002 vor dem Parlament deutet er die “neue Bedrohung” als eine “totale”. Die Terroristen des 11. September 2001 erschienen in dieser Rede als bloße Abbilder oder Gesandten des absolut Bösen, als Monster ohne politischen und historischen Kontext, ohne jede Botschaft (Bekennerschreiben) und ohne ein anderes Ziel als die bloße Zerstörung. Die Menschenrechte wurden ihnen deswegen konsequent verweigert. Denn die Gegner Amerikas waren auch die Feinde Gottes. Vollzog sich an den Gegnern Amerikas genau jene archaische Gewaltobsession, die schon der neutestamentliche Jesus leidenschaftlich kritisierte, die Franz von Assisi verabscheute?

Bemerkenswert in diesem Zusammenhang ist allerdings, dass an keiner Stelle der Johannes-Apokalypse und an keiner Stelle des Neuen Testaments Menschen aufgefordert werden, das Gericht Gottes selber zu vollstrecken. Über aller Gewalt steht der gebieterische Satz: “Die Rache ist mein, spricht der Herr.” Davon will in der Bush-Administration allerdings keiner etwas wissen, obwohl man sich dort ganz offenkundig einer den angeführten Bibelstellen entlehnten Sprache bedient. Interessant ist also die Art und Weise, in der man sich einer religiösen Tradition bedient und sie dabei auf ihren machtpolitischen Gehalt verkürzt. Wir haben es daher nicht so sehr mit dem Problem einer überhaupt religiös fundierten Politik zu tun. Das Problem liegt vielmehr in der Zuspitzung einiger religiöser Motive.

Insofern sollte man sich erinnern, dass es in den Vereinigten Staaten auch noch andere religiöse Traditionsbestände gibt. So war es der schwarze Pfarrer Martin Luther King, der 1963 in Washington das Bild einer politischen Völkergemeinschaft entwarf, das seither als Gegensymbol zur Machtarroganz erscheint. Er war beflügelt von dieser politischen Realutopie einer Weltgemeinschaft gleichberechtigter Menschen. Eine Vision, die sich auch in der amerikanischen Verfassung wiederfindet. Sie ist die öffentliche, von jedermann einsehbare Erinnerung an ein uneingelöstes Versprechen. Und sie stellt etwas dar, das man als ein gelungenes Beispiel für die “rettende Säkularisierung” beschreiben kann - so wie Jürgen Habermas sie in seiner Paulskirchen-Rede am 14. Oktober 2001 für die Gegenwart gefordert hat.

Und man sollte sich noch an ein zweites Datum in der amerikanischen Geschichte erinnern: In den späten sechziger Jahren trat eine Opposition gegen die Kriegsführung der eigenen Regierung machtvoll in Erscheinung. Die Friedensinitiativen in der amerikanischen Gesellschaft, allen voran die der Kirchengemeinden, gewann auch die schweigenden Mehrheiten der Bevölkerung - bis zu 68 Prozent - für ihre Ziele. Die Regierung Nixon konnte einer solch massiven Vertrauensaufkündigung gegenüber schließlich nicht länger die Pose der unbeeindruckbaren Zentralgewalt einnehmen. Der Vietnamkrieg musste beendet werden.

Der politische Kreuzzug gegen das Böse jener Jahre brach zusammen, am Widerstand des anderen Amerika - wenn man so will der verfassungspatriotischen Bürger des Landes. Es gibt ein anderes Amerika, auch wenn zurzeit nicht absehbar ist, ob es sich noch einmal gegen die national-religiöse Hybris versammeln wird. Wir wissen nicht, ob es in den Vereinigten Staaten noch einmal eine Chance für dieses andere, menschenrechtliche Amerika geben wird.

An keiner Stelle hat Europa nach dem zweiten Weltkrieg tief greifender von Amerika gelernt als in der Kunst, Frieden zu schließen. Hat nicht gerade die Bundesrepublik in jahrelangen Verhandlungen mit dem Osten erreicht, die totale Systemkonfrontation aufzulösen und in partielle Kooperationen zu überführen? “Wandel durch Annäherung”, nicht durch Präventivschläge - das ist und bleibt eine einzigartige Leistung der Nachkriegsgesellschaften unseres Kontinents. Eine überwältigende positive Erfahrung, die wir heute den dialogunfähigen Administrationen im Westen und Osten zurückzuspiegeln hätten.

Unsere Welt ist nicht vom pazifistischen Ethos durchdrungen. Doch hat es immer Möglichkeiten gegeben, das Kontinuum der Gewalt zu unterbrechen - das ist die andere, nicht zuletzt auch die ganz realpolitische Erfahrung Deutschlands, 60 Jahre nach Hitler. Wer sich auf sie beruft, vertritt keinen weinerlich-masochistischen oder bürgerlich-harmlosen Salonpazifismus, sondern eine dezidiert religiös begründete Widerstandskultur gegen die Gewalt. Eben das haben wir in aller Dankbarkeit von den Amerikanern gelernt.

Hans-Eckehard Bahr ist Professor für Theologie und Friedensforscher an der Ruhr-Universität Bochum.

Quelle: Frankfurter Rundschau vom 18.02.2003. Wir veröffentlichen diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Veröffentlicht am

07. März 2003

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