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Die Bagdad-Connection

Von Hans Branscheidt

“Es ist nicht ungefährlich, was die Deutschen da gebaut haben”, erklärte Haschim, “die Hauptwindrichtung geht auf Bagdad, daher die Maulwurfstätigkeit und die Batterien der SA 2-Luftabwehrraketen, die du überall hier siehst. Dazu die Gebäudeattrappen, die angreifende iranische Flugzeuge irreleiten sollen. Ob eure Techniker das alles übersehen haben?”

1988, in der letzten Phase des ersten Golfkrieges, fuhr ich mit Haschims Hilfe in das Sperrgebiet von Samarra. Fotografieren war überall streng verboten. Draußen in der Wüste, 30 Kilometer vom Stadtzentrum entfernt und weitläufig eingezäunt, hatten die Iraker in den SEPP genannten Komplexen Ahmed I und Ahmed II ihre Anlagen zur Herstellung chemischer Kampfstoffe errichtet.

Auch an Sicherungsmaßnahmen gegen Luftangriffe des Kriegsgegners Iran dachten die Ingenieure. “Einen wesentlichen Teil der 45 Quadratkilometer großen Fabrik haben sie unter die Erde verlegt, dazu gehören die automatischen Abfüllanlagen für die Konfektionierung in Granaten und Bombenkanister, aufgeteilt auf mehrere voneinander getrennte Produktionsstraßen.” Haschim hielt diese Maßnahmen nicht für ausreichend: “Sicher ist das trotzdem nicht. Die Iraner haben längst Bomben, deren Sprengkraft bis in 30 Meter Tiefe reicht. Treffen sie gezielt, entweichen die Giftstoffe in großen Mengen und bedrohen die Bevölkerung Bagdads.”

Die westdeutschen Techniker und ihre geschäftsführenden Auftraggeber, die selber gar nicht bestreiten, hier aktiv geworden zu sein, wollen dennoch nicht bemerkt haben, dass sie an einer militärischen Anlage arbeiteten. “Sie waren zu Dutzenden hier”, bemerkte Haschim, “und ich war 1984 einer der Zuständigen für ihre Abschirmung.” Der deutschsprachige Haschim erinnerte sich genau an “Herrn Michael Fraenzel, den Bagdader Büroleiter der Firma Kolb / Pilot Plant”, und er ist mit sichtlichem Vergnügen imstande, den südhessischen Dialekt von Ewald G. aus Großwallstadt nachzuahmen, der für die Firma Hammer aus Kleinostheim bei Aschaffenburg hier beschäftigt war.

Dessen volle Identität teilte ich der zuständigen Staatsanwaltschaft Darmstadt mit. Doch das Interesse der deutschen Justiz an einer Verfolgung der Todeshändler war damals nicht größer als heute. Sie waren anerkannte Geschäftsleute in einer Bundesrepublik, deren oberstes wirtschaftliches Credo lautete, dass jeder Export erlaubt ist. In den achtziger Jahren wurde die noch geteilte Republik zum größten Exporteur der Welt und rangierte auf dieser Skala vor den USA und Japan. Nur die Ausfuhr von Rüstung und sensibler Elektronik, von Nuklear- und kriegswaffentauglicher Chemietechnologie war untersagt oder musste extra genehmigt werden.

Zwar war diese Verbotsliste umfangreich, aber die Praxis galt als äußerst liberal. Die 75.000 pro Jahr beim Bundesamt für Wirtschaft in Eschborn eingehenden Anträge wurden von weniger als 70 Beschäftigten bearbeitet. Und der Kommentar zum Außenwirtschaftsgesetz stellte großzügig fest, dieses sei “im Zweifelsfall zugunsten des Freiheitsprinzips” auszulegen. Um unnötige Aufmerksamkeit zu vermeiden, ließ die Bundesregierung die “Angaben zu Rüstungsexporten auf ein begrenztes Maß an Publizität” beschränken. Der damalige Staatssekretär Ludolf von Wartenberg, im Jahre 2002 im Bundesverband der deutschen Industrie (BDI) erneut für das Irak-Geschäft zuständig, betonte 1988 ausdrücklich: “Die Veröffentlichung von Ausfuhrwerten nach Empfängerländern kommt nicht in Betracht.”

Für solche Restriktionen gab es gute Gründe. Ende 1980, kurz nach Beginn des ersten Golfkrieges, warf die iranische Regierung dem Irak erstmals den Einsatz von Giftgas vor. Nach Angaben des schwedischen Forschungsinstituts Sipri ist es allein in den Jahren 1980 bis 1984 etwa 140 Mal zu Giftgaseinsätzen Iraks gegen iranische Truppen gekommen, die schließlich 1986 erstmals vom UN-Sicherheitsrat als solche festgestellt und verurteilt wurden.

Im Juli 1988 gestand der damalige irakische Außenminister Tariq Aziz diese Tatsache explizit ein. Abgelegt wurde das Geständnis am geeignetsten Ort, auf einer Pressekonferenz in Bonn, wo diese Mitteilung mit einer beachtlichen Gratifikation honoriert wurde. Aus “einer Hermes-Bürgschaft über 300 Millionen Mark ? (wurde) ihm die letzte Rate erlassen” (1). Die hoch defizitäre irakische Kriegsindustrie sollte zwecks Fortsetzung des blutigen Geschäfts spürbar entlastet werden.

Unmittelbar nach der Rückkehr von Aziz aus Bonn wurde der chemische Krieg gegen iranische Truppen ergänzt durch dieselbe Kriegsführung gegen die im Irak lebenden Kurden. Erst nach der chemischen Vernichtung Halabjas im Jahre 1988, nach massiven iranischen, israelischen und US-amerikanischen Protesten bequemte sich die Bundesregierung, den Bundestag über “den Stand der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen wegen des Verdachts der Ausfuhr von Ausrüstungsteilen zur Produktion chemischer Kampfstoffe im Irak” zu unterrichten.

Nicht mehr zu leugnen war nämlich die 1984 bereits in der New York Times erschienene Meldung, dass zwei deutsche Unternehmen, die Firmen Karl Kolb und deren Tochter Pilot Plant (Frankfurt), Laboranlagen geliefert hätten, die zur Herstellung der verwendeten toxischen Kampfmittel geeignet seien. Gegen den 1987 ausgesprochenen “Genehmigungsvorbehalt” in Sachen Kolb klagte die Firma vor einem hessischen Gericht - und bekam Recht. So konnte auch die finale Lieferung an den Irak noch durchgeführt werden.


Hitler-Reden als Kundenservice

Zeichnet man die inzwischen gut dokumentierten Grundzüge der deutsch-irakischen Giftgasproduktion nach, so beginnt deren Geschichte Anfang der achtziger Jahre mit der Errichtung des SEPP-Chemiekomplexes innerhalb einer riesigen Sperrzone von 160 Quadratkilometern. Nach offiziellen irakischen Angaben diente die gewaltige Anlage mit 40 Kilometern Straßen und Hunderten von Gebäuden der Herstellung von Pestiziden, ausgerechnet für die im Krieg niedergegangene Dattelkultivierung.

Beteiligt am Aufbau des Kombinats waren die deutschen Firmen Preussag, Heriger, Hammer und Rhein-Bayern sowie die notorische Firma Kolb. Hinzu kam ein weiteres unverzichtbares Unternehmen, das unter den Buchstaben W.E.T. ins Handelsregister Hamburg eingetragen war. Es gehörte handelsrechtlich einem irakischen Beamten und einem Mitglied des Bundesnachrichtendienstes.

Dass von Pestiziden nur zur Tarnung die Rede war, ergibt sich unter anderem aus der Lieferung “einer Gaskammer, in der auch die Wirkung von chemischen Kampfstoffen an Hunden und Katzen überprüft werden kann” (2) durch Kolb/Pilot Plant nach Bagdad. Über die Firma Rhein-Bayern, die Speziallabors für Lkw lieferte, berichtete der stern: “Für Kunden aus dem Irak hat der Eigentümer Anton Eyerle eine Überraschung vorbereitet, aus einem originalen Volksempfänger dröhnen die Reden von Adolf Hitler. Für Eyerle (…) findet der Kampf ums Vaterland in der Golfregion statt.” Allein Eyerles Jahresumsatz in diesen Geschäften lag bei 30 Millionen Mark. Dieselbe Ausgabe des stern erwähnt eine weitere brisante Lieferung: “‘Rhein-Bayern’ lieferte via ‘Kolb’ acht mobile toxikologische Labors”, nämlich Chemielabors in sandfarbenen Magirus-Iveco-Lkw. Der Chemiewaffenexperte Adolf-Henning Frucht charakterisierte die Gefährte später so: “Dieses Gerät ist hervorragend geeignet, um taktische Gemische von verschiedenen chemischen Kampfstoffen bestimmen zu können.”

Außer dem Komplex nahe Samarra entstand ab 1985 die zweitgrößte irakische Giftstofffabrikation bei Falluja, südwestlich von Bagdad. Auftragsnehmer bei einem Volumen von 20 Millionen Mark war auch in diesem Fall die Hamburger Firma W.E.T., die in enger deutsch-französischer Kooperation das Irak-Geschäft betrieb. Ein weiteres militärisches Primärprojekt des Ba’ath-Regimes wurde unter der Code-Bezeichnung SAAD 16 in der Nähe von Mossul errichtet und fungierte als Schwerpunkt für die Raketentechnologie. Die Treibsätze, die hier entwickelt wurden, sollten den Bau von Raketen mit großer Reichweite und dreifacher Schallgeschwindigkeit ermöglichen.

Gleichzeitig war man hier mit der Frage beschäftigt, wie es möglich sei, die Raketenköpfe mit tödlichen Nervengasen und bakteriologischen Stoffen zu bestücken. Der Bau der Anlage, deren weit reichende Massenvernichtungskraft ausdrücklich für den “zionistischen Feind Israel” bestimmt war, geriet fast ausschließich zum Werk deutscher Firmen. Generalunternehmer für den Gesamtkomplex war die Gildemeister Protecta, eine Tochterfirma des gleichnamigen Bielefelder Werkzeugmaschinenherstellers. Weiter engagiert waren die Firmen MBB, Karl Kolb, Schneck und Integral Sauer.

Auch die eigentliche Endfertigungsstätte für den irakischen Raketenbau, die südlich von Bagdad bei Mahmudiya lag, wurde mit deutscher Beteiligung errichtet. Unter der Leitung des Consen-Subunternehmers Fenneberg wurden ab August 1987 die drei Anlagenkomplexe in Tag- und Nachtarbeit von 7 500 Arbeitsmigranten aus Indien und Pakistan errichtet. Siemens lieferte für das Raketenwerk die Schaltanlagen und Transformatoren. Genau hier entstanden mit substanzieller deutscher Hilfe auch jene Raketen, deren mit Giftgas gefüllte Köpfe später auf das Ziel Tel Aviv ausgerichtet werden sollten.

Für die deutsche Rüstungsindustrie war dies nicht nur ein gigantisches Geschäft, das potenziell den Zugriff auf irakische Devisenreserven in Höhe von 30 Milliarden Dollar versprach. Es war zugleich auch die Lehrzeit für die Kultivierung aller späteren deutschen Camouflagen, an Exportverboten vorbei ungehindert tödliches Gerät in alle Welt liefern zu können. Am Beispiel Irak probten die Deutschen das Verfahren, Rüstungsgüter prinzipiell als zivile Waren zu deklarieren. Mit Hilfe des diskreten Kunden Saddam Hussein gelang eine umfassende militärische Kooperation zwischen Deutschland und Irak, die ganz besonders auch die Elaborierung und Produktion moderner Massenvernichtungsmittel umfasste.

Erst Anfang 1990 nahm eine der im Bundestag vertretenen Parteien die Sache immerhin so ernst, um den nahe liegenden Gedanken an einen parlamentarischen Untersuchungsauschuss zu erwägen. Unmittelbarer Anlass war den Grünen der äußerst lückenhafte “Bericht über die Ausfuhren in den Irak”, den der damalige Bundeswirtschaftsminister Jürgen W. Möllemann dem Parlament übergeben hatte. Möllemanns “Irak-Bericht”, Aktenzeichen AZ V B4-296-92-VS, war als Verschlusssache klassifiziert und daher nur wenigen Parlamentariern bekannt. Auf 64 Seiten hatten Beamte des Wirtschaftsministeriums unter Möllemanns kundiger Aufsicht - er fungierte in der zu untersuchenden Periode des Waffentransfers als Staatsminister im Auswärtigen Amt - vornehmlich bereits bekannte Informationen aufbereitet.

Dabei musste allein schon das Volumen der genehmigten Exporte stutzig machen, sowie dass sie während der gesamten Dauer des irakisch-iranischen Kriegs erfolgt sind und damit in die Amtsperiode von drei FDP-Wirtschaftsministern fallen: Otto Graf Lambsdorff, Martin Bangemann und Helmut Haussmann. Die genehmigten Exporte umfassten unter anderem 111 militärisch einsetzbare Lkw, Computerelektronik, Radar und Chiffriergeräte, Waffen und Munition. Der neutralisierte Report widerlegte nicht zuletzt die ständige Beteuerung Möllemanns, die Regierung habe zwischen 1981 und 1990 keinem Export von Kriegswaffen in den Irak zugestimmt.


Im Zweifel zugunsten der Exportbilanz

Auf Seite 19 des Berichts steht: “Entsprechend den rüstungsexportpolitischen Grundsätzen hat die Bundesregierung bei der Genehmigungserteilung für Zulieferung ins Partnerland (gemeint ist: das Transferland Frankreich) dem Kooperationsinteresse Vorrang eingeräumt.” Im Klartext: Dem Münchner Rüstungsunternehmen wurde die Lieferung von Lenkwaffenteilen nach Frankreich gestattet, die von der hier ansässigen Firma Euromissile, die zu 50 Prozent MBB gehörte, dann als komplettierte Waffensysteme in den Irak verschifft wurden. Derart wurden aus Deutschland via Frankreich in den Irak geliefert: 133 Flugabwehrraketen-Systeme Roland mit 4 250 Raketen, 262 Startanlagen der Panzerabwehrwaffen HOT mit 10 953 Raketen und 372 Startanlagen der Panzerabwehrwaffen Milan mit 12 386 Raketen.

Ein Arsenal zur Führung kompletter Schlachten. Und ein frühes Zeichen des deutsch-französischen “Schulterschlusses” in Sachen Irak, von dem Bundeskanzler Gerhard Schröder zur Zeit so sehr schwärmt. Jacques Chirac war damals selber unmittelbar im Irak-Geschäft tätig, er lieferte dem Ba’ath-Regime hochwertige Nukleartechnologie.

Sensationell las sich schließlich die Seite 22, wo die Beteiligung der nicht wegzudenkenden Firma Kolb/Pilot Plant am Aufbau des irakischen C-Waffenprogramms referiert wird. Explizit bestätigt der Bericht, dass die Regierung Deutschlands schon 1982 erste Hinweise auf die Beteiligung bundesrepublikanischer Unternehmen an diesem Komplex besaß. Statt unverzüglich eine genaue Außenwirtschaftsprüfung vorzunehmen, schlug sie nun “informelle Gespräche” mit den Vertretern der Firma vor.

Im Möllemann-Bericht heißt es bitter: “USA und Israel bleiben weiterhin von einer Beteiligung deutscher Firmen an der irakischen Giftgasproduktion überzeugt und berichteten mehrfach über ihnen vorliegende Erkenntnisse.” Erst ein Jahr nach der vollen Aufnahme der Chemiewaffenproduktion in Samarra leitete die Staatsanwaltschaft Darmstadt im November 1987 ein Ermittlungsverfahren gegen Kolb ein. Trotzdem erklärte Wirtschaftsminister Bangemann noch im Dezember 1987, die Anlagen von Kolb seien “nicht zur Herstellung chemischer Waffen geeignet”. Wie mangelhaft die Bonner Maßnahmen waren, belegt sogar der Bericht Möllemanns auf Seite 29 mit der beiläufigen Information, dass die Firma Kolb 1988/89 damit begonnen hatte, an der neuen Chemiewaffenproduktion in Falluja mitzuarbeiten - dem Dossier zufolge eine weitere Fertigungsanlage, die “moderner noch und funktionsfähiger als in Samarra konzipiert” sei.

Auf der Seite 29 des Reports war schließlich auch zu erfahren, auf welche Art die immer mehr unter Druck geratende Bundesregierung ihre angebliche Ahnungslosigkeit zu erklären suchte, wenn ausgeführt wird, dass das Bundesamt für Wehrtechnik und Beschaffung 1989 der Darmstädter Staatsanwaltschaft “leider” keine Amtshilfe leisten konnte, weil es “über keine Wissenschaftler oder Fachleute zur Beurteilung derartiger Chemieanlagen oder Fertigungsanlagen verfügte”. Man log wie Saddam: Entwickeln konnte man, liefern auch, und im Irak mit deutschen Technikern auch alles installieren. Nur “beurteilen” konnte man nicht, was man tat.

Gezwungenermaßen beschäftige sich der Bericht Möllemanns auch mit dem Wirken der dubiosen Firma W.E.T. in Hamburg, die von Eingeweihten als Tarnunternehmen des Bundesnachrichtendienstes begriffen wurde. Ihre Gründung fiel in die Zeit, als der heutige heftige Gegner einer US-Intervention, Klaus Kinkel (FDP), Herr des Dienstes war. W.E.T. soll “nach hier vorliegenden Erkenntnissen” Mitte der achtziger Jahre an “biotechnischen Exporten in den Irak” beteiligt gewesen sein.

Seit März 1990 lagen dem Hause Möllemann nach eigenem Eingeständnis noch weit mehr Hinweise auf die entscheidende Mitwirkung Deutscher an der Elaboration von biologischen Kampfstoffen vor. Von den Toxinen Botulinus A und B ist offen die Rede. Welcher Art die “Erkenntnisse” sind, verschweigt der Bericht. Er geht auch nicht auf die Behauptungen ein, dass ein BND-Mitarbeiter aktiv an den Machenschaften der W.E.T. teilgenommen habe. Dagegen aber macht der Report deutlich, dass der Irak mit deutsch-französischer Beteiligung in die Lage versetzt worden ist, den Entwicklungszeitraum zur Herstellung von Atomwaffen von zehn auf fünf Jahre zu verkürzen.

Für nicht zur weiteren Behandlung geeignet erachtete man die offene Frage, weshalb die Bielefelder Firma Gildemeister bis 1989 an der Fertigstellung des Militärprojekts SAAD 16 in Mossul mitarbeiten durfte, obwohl dem Bonner Wirtschaftsministerium seit 1981 vage, seit 1982 konkrete Erkenntnisse über die Errichtung des militärischen Raketenkomplexes mit deutscher Beihilfe vorlagen. Die Firma Havert hatte für ihre diesbezüglichen Exporte sogar aus Steuergeldern eine Hermes-Bürgschaft in Höhe von 2,4 Millionen Mark erhalten. Erst später gab man zu, dass das Geschäft besonders konstruierte Bestandteile von Raketen betraf.

Während Möllemanns Dossier mehr oder minder geschickt jede Regierungsverantwortung für Giftgasexporte leugnete, äußerten sich Vertreter der beteiligten Firmen gelegentlich mit zynischer Offenheit. Die Darmstädter Verfahren, in denen am Ende nur geringe Ordnungswidrigkeitsstrafen verhängt wurden, kommentierte der Kolb-Geschäftsführer Dieter Backfisch: “Für die Leute in Deutschland ist Giftgas eine ganz furchtbare Sache, Kunden im Ausland stört das nicht” (3). Heute gilt dieser Satz wohl eher umgekehrt.

“Die deutschen Todeskrämer lieferten den technischen Sachverstand und Material für die Produktion von Giftgas an den Irak, an Syrien und Libyen”, schrieb William Safire 1989 in der New York Times. “Dabei sollte man erwarten, dass die gegenwärtige Generation von Deutschen, die sich der Schuld ihrer Väter am Vergasen von Millionen Menschen vor gar nicht so langer Zeit bewusst sein sollten, besonders empfindlich auf die Möglichkeit reagieren würde, Deutsche könnten einem terroristischen Diktator beim Gasmord in irgendeiner Weise helfen.” Der Fall des Irak beweist aber, dass die Deutschen sich erneut entschlossen, den Massenmord zum Produktionsziel zu erklären, nachdem sie zuvor im Ersten Weltkrieg im belgischen Ypern und später in Auschwitz als Vergasende tätig geworden waren.

Nicht zu leugnen war auch die rege und äußerst lukrative Beteiligung der Deutschen Demokratischen Republik an der Aufrüstung des Irak. Ihre Ifa-Lastwagen stellten das Rückgrat der Kriegslogistik des Landes dar. Und ihre realsozialistischen Nachgeborenen erdreisten sich heute in der jungen Welt, den Giftgaseinsatz Saddams im Einklang mit der NPD schlankweg als “Bushs Genozid” zu leugnen.

Die Deutschen liefern auch schon wieder: Die Staatsanwaltschaft Mannheim ermittelte und verurteilte inzwischen in Zusammenarbeit mit dem Kölner Zollkriminalamt sechs Mitarbeiter deutscher Unternehmen, denen die Lieferung von illegaler Technologie an den Irak nachgewiesen werden konnte. Einer dieser Fälle betraf Spezialbohrgeräte für das weit reichende 210-Millimeter-Geschütz al-Fao.


Romantische Anhänglichkeit

Dass der Druck, den Export potenziell militärisch nutzbaren Materials strenger zu kontrollieren, nach dem Ende des zweiten Golfkriegs gewachsen war, mochte die deutsche Industrie nicht hinnehmen. Doch um das lukrative Exportgeschäft voll wieder aufnehmen zu können, bedurfte es nun einer politischen Intervention gegen die Irak-Politik der USA. Mit ihren Vorstößen in diese Richtung waren die Wirtschaftsvertreter bei der rot-grünen Koalition erfolgreich, lange bevor Schröder im Spätsommer 2001 den Frieden als Wahlkampfthema entdeckte. Die strategische Option, gemeinsam mit Frankreich die US-Politik zu torpedieren, wurde bereits vor mehr als zweieinhalb Jahren auf einem Treffen von Industrie- und Regierungsvertern diskutiert.

Am 29. Juni 2000 traf sich auf Einladung des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI) ein diskret firmierender “Gesprächskreis Irak”, im Berliner Hotel Radisson SAS, dessen bloße personelle Zusammensetzung schon darlegt, dass die alten Geschäfte mit dem Irak auch von den alten Beteiligten weitergeführt werden sollen. Versammelt waren, unter neutralem Namen bei der Hotel-Reception avisiert, die Teilnehmer einer BDI-Delegationsreise im Mai 2000 nach Bagdad, die nun in Berlin deren Ergebnisse auswerten wollten, um die angestrebten neuen Verträge auch unter Dach und Fach bringen zu können.

Als wäre nie etwas gewesen, erfolgte die artige Begrüßung durch den BDI-Hauptgeschäftsführer Dr. von Wartenberg, der jahrelang kraft seiner Position im Auswärtigen Amt zur Hochzeit des Giftgas-Technologietransfers jede prekäre Lieferung an den Irak bestritten hatte und nunmehr idealerweise zuständig für die Vermittlung der aktuellen privatwirtschaftlichen Interessen der deutschen Irak-Lobby war. Von Wartenberg lobte in lyrischen Wendungen eingangs die irakische “fast romantische Anhänglichkeit gegenüber Deutschland” und erinnerte die ergriffen Lauschenden daran, dass die irakischen Eliten in den dreißiger Jahren einmal die deutsche und die italienische Sprache gelernt hätten - wohl auch damals in romantischer Verzückung.

Dann trug er das Schreiben des BDI an den “BM Fischer” vor, dessen Verlesung der anwesende deutsche Geschäftsträger in Bagdad, Dr. Claude Robert Ellner, mit zustimmendem Kopfnicken folgte. Von Wartenberg betonte, es sei “höchste Zeit” für “die Durchsetzung nationaler deutscher Interessen sowohl in Irak als auch bei den UN einzutreten”, denn “insbesondere gegenüber dem UN-Sicherheitsratsmitglied USA, aber auch gegenüber anderen müsse verdeutlicht werden, dass mit der bislang verfolgten Politik in New York deutsche Wirtschaftsinteressen stark beeinträchtigt würden”.

“Dr. Ellner ergänzt aus seiner Sicht zunächst mit dem Dank an die Teilnehmer der Reise im Mai 2000, die durch ihre beeindruckende Anzahl und ihr engagiertes Auftreten dem Vertreter der Bundesregierung vor Ort die Arbeit erleichtert habe - nicht zuletzt, weil Präsident Saddam Hussein persönlich den Besuch der BDI-Delegation goutiert hätte. In einer Vielzahl von Gesten der Sympathiebekundung und dem Rahmen des Besuchs, der normalerweise nur hochrangigen offiziellen Besuchen vorbehalten bliebe, hätte sich dies widergespiegelt. Nach der Kabinettssitzung hätte Präsident Saddam im Fernsehen erklärt, (?) eine Arbeitsgruppe werde unter Tariq Aziz eingesetzt, um die Zusammenarbeit BDI/IFI unterstützend zu begleiten.”

Dann waren die Teilnehmer dran. Es eröffnete ein Redner, dessen Firma dem früheren Giftgastechnologie-Transfer geradezu einen historischen Namen gegeben hatte: Dr. Michael Fraenzel aus dem Hause Kolb beklagte sich darüber, dass neue Geschäfte nur schleppend in Gang kämen, obwohl man doch die eigenen Angebote extra über die “österreichische Zweigniederlassung eingebracht hätte”. Kolb nämlich weiß, wofür der Name Kolb steht, und bringt sich deshalb mithilfe anderer Unternehmen wieder ins Geschäft. Die deutschen Anwesenden störte das nicht.


Der diskrete Charme des BDI

Vor allem aber klagten die beiden folgenden Redner der Firmen Terramar und VA Tech von der Bundesregierung die Lösung des Problems der “Gesamtbesteuerung” ein, weil sie gern im Irak, weniger gern in Deutschland versteuern möchten. “Herr Schmid, Dresdner Bank, äußert Misstrauen und sagt sogar große Probleme voraus, wenn nennenswerte Altforderungen (in beiden Richtungen!) nach Aufhebung des Embargos zur Verhandlung anstünden. Den Reparaturbedarf der irakischen Ölindustrie könne man zwar auf 30 Milliarden US-Dollar beziffern, der allerdings in zehn Monaten und nicht in zehn Jahren zu decken sei. Dies ließe sich aber auch nicht annähernd im Rahmen von Oil-for-Food Geldern und ohne Hermes-Abdeckungen (aus Steuermitteln) oder die Hilfe der Banken bewerkstelligen.”

Die Bundesregierung soll aus eigenen Mitteln die alten sehr guten Irak-Konditionen für die deutsche Wirtschaft wieder gewähren. “Jenseits des Embargos”, sagte einer der Teilnehmer in der Pause, “aber ruhig im Rahmen eines Containments.” Für jenen großartigen Vorschlag wollte man eben auch den “BM Fischer” gewinnen, damit die deutsche Industrie, gewappnet mit vielen Krediten und steuerlichen Erleichterungen, ihren eigenen Kampf zur “Eindämmung” Saddam Husseins weiterführen kann.

An irakischen Vorbehalten würde die Exportoffensive gewiss nicht scheitern: “Herr Schröers, Firma Atecs Mannesmann, betonte, dass das Geschäft nun anlaufe, dass der Irak deutsche Produkte wolle. Es müsse möglich sein, die Vergangenheitsbewältigung (Altschulden) mit der Zukunft (Neugeschäft) zu verbinden.” Es ist wohl dieses beabsichtigte “Neugeschäft” und diese Art der “Vergangenheitsbewältigung”, die sich positiv auf die alten Fundamente der irakischen Diktatur bezieht und von einem regime change nichts wissen will, die deutsche Unternehmer und ihre Regierung derart furios gegen eine US-Regierung aufgebracht hat, die auf der Beendigung aller wirtschaftlichen Beziehungen zum Ba’ath-Regime bestand und besteht.

Die Abneigung der Eliten der deutschen Industrie gegenüber einem Regimewechsel im Irak hat schlicht zum Grund, dass einem im Falle einer Demokratisierung des Zweistromlands die privilegierte Geschäftsbeziehung flöten geht. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Christoph Moosbauer, früher Mitglied in Möllemanns Deutsch-Arabischer-Gesellschaft und erstmals Gast in dieser Runde, regte laut Protokoll an, die “französische EU-Präsidentschaft solle sich um eine eigenständige europäische Irak-Politik bemühen, dies wolle er im Auswärtigen Ausschuss anregen”.

Moosbauer, der genau weiß, dass weit vor allen US-Lieferungen in der Vergangenheit Chirac einmal der Schrittmacher bei der Aufrüstung des Regimes gewesen ist, möchte Frankreich dafür gewinnen, als Türöffner zu deren Fortsetzung zu dienen. “BM Fischer sei der französischen Haltung gegenüber aufgeschlossen, (?) es müsse eine neue Definition für dual-use-Güter gefunden werden”, bemerkte Moosbauer damals. “Dr. von Wartenberg bedankt sich herzlich für die Darlegungen. Bedeutsam wäre, wenn die deutsche Industrie ihre Vorstellungen in die politischen Leitlinien des Bundestages einfließen lassen könnte.” Das dürfte mittlerweile geschehen sein, das Bemühen um deutsch-französische Koordination ist jedenfalls nicht ohne Erfolg geblieben.

Die politische Brisanz ihrer wirtschaftspolitischen Offensive und die potenziellen Stolpersteine waren den Beteiligten bewusst: “Herr Müller, IMAG, forderte staatliche Beihilfen für die Beteiligung an der geplanten Messe in Bagdad. Herr Mayr sprach die bekannte Problematik des Israel-Boykottschreibens an. Herr Dr. Ellner (AA) sagte zu, dies mit dem Handelsministerium erneut aufzunehmen.” Ratsam schien ihnen daher, sich um Diskretion zu bemühen: “Dr. von Wartenberg fasst zusammen: Die Irak-Reise war ein big event. Im irakischen Fernsehen lassen wir uns gerne feiern, in unseren Medien ist uns etwas mehr Zurückhaltung lieber.”

Dr. Ellner, der deutsche Geschäftsträger in Bagdad, nahm am Ende der Begegnung - man gab sich inzwischen humanitär - die “spontane Zusage” der deutschen Wirtschaft zur Einrichtung eines Kinderkrankenhauses im Irak dankend entgegen. Dieser Absicht ist ganz besonders auch die gleichfalls mit einem Vertreter anwesende Deutsch-Irakische-Gesellschaft e.V. (DIG) verpflichtet. Die DIG organisierte seit 1991 mindestens zehn “humanitäre Reisen” in den Irak, darunter auch den berüchtigten Solidaritätsflug nach Bagdad im Juni 2001, an dem Jamal Karsli und der Ehrenvorsitzende der deutschen Ärzte gegen den Atomkrieg (IPPNW), Professor Ulrich Gottstein, teilnahmen.

Beim BDI-Treffen war der Vorsitzende dieser Gesellschaft zu Gast, der Marburger Professor Walter Sommerfeld, der als “Friedensfreund” und “Embargogegner” weithin als Referent und Experte für unmenschliche Sanktionen gegen den Irak auf Veranstaltungen hoch im Kurs steht. Sommerfeld saß zwischen dem Vertreter der Firma Kolb und dem Delegierten der in allen armen Ländern dieser Erde berüchtigten Geisenheimer Waffenschmiede Fritz Werner.

Sie alle wissen ganz genau, weshalb sie das störende Embargo beseitigt wissen wollen. Doch bedeutet die deutsche Treue zu dem jetzt ernsthaft bedrohten Saddam mehr als nur “romantische Anhänglichkeit”. Hinter ihr steht eine elementare, durchaus realistische Furcht. Anlässlich eines Kampfes um Bagdad könnten die noch vorhandenen Reste der deutschen Chemie- und Biowaffenproduktion zum Einsatz kommen, gegen Iraker wie Amerikaner. Die moralisch-politischen Auswirkungen wären wie die Schadenersatzforderungen ungeheuerlich. Zumal da nach dem Sturz Saddam Husseins alle Archive geöffnet werden könnten.


Anmerkungen
(1) Frankfurter Rundschau vom 6. Januar 1989. Mit Hermes-Bürgschaften werden riskante Handelsgeschäfte und Investitionen abgesichert.
(2) stern vom 10. Dezember 1987
(3) Frankfurter Rundschau vom 6. Januar 1989
(4) Alle Zitate stammen aus dem mir vorliegenden Protokoll.

Hans Branscheidt ist Mitarbeiter der Koalition für einen demokratischen Irak (KDI) und seit 1988 Mitarbeiter von Medico International.

Jungle World 9 - 19. Februar 2003

Veröffentlicht am

23. Februar 2003

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