Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Widerstand gegen einen Irak-Krieg

Von Klaus Vack

Unser Lebenshaus-Mitglied Klaus Vack, seit der Remilitarisierung Westdeutschlands Mitte der 50er Jahre immer in vorderster Front in der Friedensbewegung engagiert, meint der von George W. Bush propagierte Krieg gegen den Irak solle militärisch und politisch eine endgültig neue Ära einer globalisierten Welt unter dem Damoklesschwert der US-Weltmacht etablieren. Vack war Sekretär des Verbandes der Kriegsdienstverweigerer, Koordinator der Ostermärsche der 60er Jahre, aktiv in der Desertionskampagne für GIs, die nicht nach Vietnam wollten und sich mit couragierter Hilfe nach Skandinavien absetzen konnten. In der “neuen” Friedensbewegung der 80er Jahre gegen die Stationierung von Mittelstreckenraketen (Pershing 2) hat Klaus Vack (u.a. als Sekretär des Komitees für Grundrechte und Demokratie) an den großen Demonstrationen in Bonn und 1983 an der Menschenkette von der US-Kommandozentrale Eucom in Stuttgart bis zum Raketenstationierungsgelände in Neu Ulm und vor allem an hunderten Aktionen des zivilen Ungehorsams in Mutlangen mitgewirkt. In den 90er Jahren sind viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter vom pazifistischen Weg abgewichen. Bereits beim US-Golfkrieg 1991, dann im Jugoslawienkrieg, in dem sich erstmals die Bundeswehr militärisch engagiert hat, und zuletzt beim Krieg des “Guten” gegen das “Böse” oder auch der “zivilisierten westlichen Wertegemeinschaft” gegen den “internationalen Terrorismus” in Afghanistan. Mit diesem Beitrag will der Pazifist und Bürgerrechtler Klaus Vack aus seiner Sicht die gefährliche Lage der geplanten US-Aggression darzustellen und die Aufrufe zu Protest und Widerstand zu unterstützen.

Vorab. Ich bin ein Veteran und heute noch Mitglied der “War Resister’s International” (Internationale der Kriegsdienstgegner) und habe mein ganzes Leben über die Selbstverpflichtung ernst genommen: “Krieg ist ein Verbrechen gegen die Menschheit! Wir sind daher entschlossen, keine Art von Krieg zu unterstützen und für die Beseitigung aller seiner Ursachen zu kämpfen.”
Insofern ist es für mich eine Selbstverständlichkeit, dass ich mich auch heute, nun als “Alter”, gegen jedes Kriegsgeschehen bereits im Stadium seiner Vorbereitung engagiere, bis an die Grenze dessen, was meine Kraft zulässt. Krieg ist Krieg, aber es gibt eben graduelle Unterschiede, und zwar erhebliche. Wenn George W. Bush im Tandem mit Tony Blair erneut einen Angriffskrieg gegen den Irak beginnt, geht es meines Erachtens um Schlimmeres als bei vielen vorangegangenen Kriegen, die die USA angezettelt, heimlich oder offen forciert haben.

Aus Erfahrungen lernen

Ich erinnere an 1939. Spätestens seit der Okkupation der Tschechoslowakei durch Hitler und seine Nationalsozialisten musste aller Welt, vor allem in Europa, klar sein, dass es um mehr ging, als um eine Grenzbereinigung. Da wurde mit ein paar Nebelkerzen vertuscht, dass strategisch und kaltblütig ein Angriffskrieg vorbereitet wurde. Ein Völkerschlachten, das den Ersten Weltkrieg in den Schatten stellen würde. Lange vor dem 1. September 1939 gab es Hitlers Angriffsplan Polen (“Fall Weiß”), der genauso, wie er dann abgelaufen ist, vorgesehen war. Hitlers zynische Erklärung am 1. September 1939, “Ab 4 Uhr 45 wird zurück geschossen…” zeigte ein mörderisch inszeniertes Kalkül, das auch erkennbar wird in der jüngeren Kriegspolitik der USA. Schon die Atombombe am 6. August 1945 auf die japanische Großstadt Hiroshima war getimed. Die Bombe explodierte um 8 Uhr 15 Ortszeit über dem Stadtkern, vernichtete von einer Sekunde auf die andere achtzig Prozent der Stadt und tötete sofort etwa 100 000 Menschen, machte Ungezählte zu Opfern der atomaren Verstrahlung. 8 Uhr 15, da pulsiert das Leben in jeder Stadt am stärksten, Arbeiter und Angestellte gehen zur Arbeit, Kinder gehen zur Schule, in den Krankenhäusern wird begonnen zu operieren oder schwere Krankheiten zu behandeln, am Stadtrand beginnen die Land- und Forstarbeiten usw.

Als die US-Army am 19. Januar 1991 die ersten Raketen auf den Irak abfeuerte, war das Ortszeit 3 Uhr in Bagdad; in Washington war es jedoch noch 18. Januar, 19 Uhr, das ist in den USA die sogenannte “prime time”(mit den höchsten Einschaltquoten). Ob 1991 am Golf oder später bei den Bombenangriffen auf Jugoslawien und dann in Afghanistan, immer war alles bis ins Detail geplant, wurde dann medial weltweit vermittelt (auch wenn man anfangs nur schwarze Fernsehschirme mit grünen Irrlichtern zu sehen bekam). Und obwohl die Angriffe eigentlich “in der Luft” lagen, waren sie doch auf Überraschung geplant, nicht wegen des “Feindes”, sondern um die Kriegsgegner im eigenen Land hinzuhalten und zu blockieren.

Wir wissen, dass das erste Opfer des Krieges die Wahrheit ist. Wie die politische und militärische Klasse schon immer ihr Desinformationsprogramm abspielte, so läuft es auch diesmal ab. Für den Kosovo-Krieg gegen Jugoslawien streuten die Herren Scharping und Fischer sogenannte Informationen, die sich bald schlicht als Lügen entpuppten. In Sachen Afghanistan beschworen hierzulande vor allem die Herren Schröder und Fischer die “uneingeschränkte Solidarität” gegen den “Weltterrorismus”. Jetzt, da Bush und Co. den großen Endschlag, den “Endsieg” gegen den Irak des Saddam Hussein vorbereiten, geben sich die Damen und Herren Sozialdemokraten und Grüne “friedfertig”; Meinungsumfragen signalisieren, dass es eine Mehrheit in der Bevölkerung gibt, die mit deutschen Soldaten in aller Welt nichts am Hut hat und schon gar nicht mit der Gefahr eines dritten Weltkriegs. Das könnte Wahlstimmen kosten. Ich gehe davon aus, dass ab dem Wahltag, dem 22. September 2002, 18 Uhr, diese “Friedensschalmeien” dann wieder in einer Requisitenkammer verschwinden werden. Nach dem sattsam bekannten Spruch der Politprofis: Was kümmert mich mein Geschwätz von gestern (Anmerkung: dieser Artikel wurde kurz vor der Bundestagswahl geschrieben).

Das besonders Bedrohliche eines Irak-Krieges

Die Blutspur US-amerikanischer Kriegspolitik reicht vom Rinnsal bis zum Aderlass. Grausame Höhepunkte dieser Blutspur waren Korea, Vietnam und Irak (1991) und wird es ein neuer Krieg gegen den Irak noch mehr sein. Es geht bei diesen Kriegen fast immer um Weltmacht- und Weltmarktpositionen. Und immer geht es auch um Öl. Bei dem, was sich jetzt als Krieg gegen den Irak zusammenbraut, geht es aber auch darum, ein für allemal klarzumachen, dass man von Seiten der Weltmacht USA jeden Staat dieser Erde in die Knie zwingen, ja vernichten kann.

Das ist ein nicht unwesentlicher Unterschied zum Beispiel zu Afghanistan oder Jugoslawien. In Jugoslawien ging es darum, ein System zu zerstören. Das System selbst hatte sich in einen “Bruderkrieg” manövriert. Für den Westen war es wichtig, die jugoslawischen Teilrepubliken ruhig zu stellen, um die Voraussetzungen zu schaffen, letztendlich das ganze ehemalige Jugoslawien in “unsere” “Wertegemeinschaft” zu integrieren. In Afghanistan ging es den USA darum, beim eigenen Volk und der westlichen Welt den Schock des verbrecherischen und mörderischen Anschlags vom 11. September zu kompensieren. Selbstverständlich ging es auch um die Sicherung einer Öl- und Erdgaspipeline durch Afghanistan. Osama bin Laden und El Kaida, die nach dem 11. September 2001 als die strategischen schwarzen Figuren auf dem Weltschachbrett von der geballten weißen Streitmacht ins Visier genommen wurden, sind heute gerade mal kleine Bauern, die man eigentlich gar nicht zu schlagen braucht, selbst wenn man es könnte.

Bei dem Vorkriegsgetümmel jetzt für einen vernichtenden Angriff auf den Irak geht es um viel mehr. Nicht nur um die Sentimentalität, dass George W. Bush jr. das nicht zu Ende gebrachte Werk seines Vaters George Bush sen. vollenden will, Saddam Hussein zu stürzen, ihn physisch zu vernichten. Dass Saddam Hussein ein grausamer Despot vor allem gegen das eigene Volk ist, erwähne ich hier, damit wenigstens bei vernünftigen Menschen die Unterstellung, die Friedensleute seien klammheimliche Verbündete dieses Diktators, nicht auf fruchtbaren Boden fällt. Im Denken eines George W. Bush und all seiner Wasserträger und Vasallen ist und bleibt ein Osama bin Laden eine methaphysische Figur. Er existiert real, ist aber überall und nirgends greifbar.

Irak ist anders als El Kaida ein Staat. Der Staat besteht aus Land, mit einer Grenze darum, mit konkreten Lebensräumen, mit Menschen (dem Staatsvolk), mit Militär, mit Polizei und Geheimpolizei, mit einer Währung und einer Staatsbank, mit einer Kultur, mit einer oder mehreren Sprachen, mit einem Wirtschaftssystem, mit einer oder mehreren Religionen, mit einer Bürokratie, mit einer Regierung und last not least mit einem Staatschef, Führer, Kanzler, Präsident oder König. Alles ist konkret. Alles hat seinen Ort. Wenn man einen Staat mit allem was dazu gehört zerstört, gibt es ihn nicht mehr. Das unterscheidet den Staat formal von einem “Terror-Netzwerk”.

Ich meine, dass die oktroyierte Staatsräson, hier das Ultimatum des Weltpolizisten-Staats USA an den “Schurkenstaat” Irak, neben Öl, Bodenschätzen und Hegemonialinteressen die Herausforderung für den größten Kapitalfunktionär unserer Zeit, dem US-amerikanischen Präsidenten, hier und heute George W. Bush ist. Ich fürchte, in diesem geplanten Krieg geht es den USA nicht nur um kurz- oder mittelfristige, nicht allein um wirtschaftliche Interessen, sondern mehr noch um das Bemühen, im Zuge der Globalisierung (unter US-Oberhoheit), den Staat als Gesellschaftsform für immer und ewig als einziges gesellschaftliches Modell durchzusetzen. Und jeder Staat, der ausschert, der sich den USA nicht unterwirft, wird bestraft. Basta. Es geht in den Wahnvorstellungen eines George W. Bush um alles oder nichts.

Was können wir, was kann die Friedensbewegung tun?

Wir müssen diese gewaltbereite Machtanmaßung erkennen und für andere kenntlich machen. Es geht um die Sichtweise von George W. Bush, des Chefs der Nation, die über die größte Macht, über die größten Disziplinierungsmöglichkeiten gegenüber anderen, über das höchste Vernichtungspotential verfügt. Es geht um die Sicht von Leuten, denen ich zutraue, dass sie erstmals seit 1945 Atombomben einsetzen könnten (zunächst “nur” taktische). Es macht für einen manisch aggressiven Kriegsherrn, der über Massenvernichtungsmittel verfügt, mit denen die Menschheit ausgerottet werden kann, anscheinend keinen Sinn mehr, nach über fünfzig Jahren Krieg und Frieden in seiner unangefochtenen Machtfülle nun noch länger das ABC-Waffentabu unangetastet zu lassen. “Passende” Argumente dafür gäbe es: die “stillschweigend” vorausgesetzte Bedrohung Israels durch den Irak, die wie Scharon schon andeutete, im Kriegsfalle abgewendet werden könnte, indem Israel präventiv gegebenenfalls mit Atomwaffen in den Krieg eingreift.

Aber dürfen wir deshalb aufgeben? Vielleicht schon vorher verzagen? Nein! Nein! Und nochmals Nein! Über “siegreiche” Kriegsmacher wird nicht allein auf dem Schlachtfeld entschieden. So wie jede Rakete oder Bombe eine zuviel ist, so ist jeder Protest, jede Widerstandsaktion, jede gewaltfreie Sabotage, jedes Desertieren oder Nicht-Mitmachen ein kleines Gewicht mehr auf der Waagschale des Lebens.

Was kann ich selbst tun?

Ich schreibe diesen Artikel und weitere für unsere diversen Friedensblätter. Ich wünsche mir, dass dies viele lesen. Ich verschicke viele Briefe und telefoniere. An und mit Freunden. Meist mit Älteren. Ich versuche sie zu ermuntern, nicht klein beizugeben, sondern wieder dabei zu sein: gegen den Krieg. Zur Unterstützung der neuen, jüngeren Protestbewegung. Ich habe die Zeitungsanzeige “Wir kündigen Widerstand im Falle eines Irak-Krieges an” nicht nur unterschrieben, sondern schon einige hundert Male fotokopiert und weiter verteilt (BundestagskandidatInnen und Parteien schenke ich mir. Warum soll man einem Ochsen ins Horn petzen). Bei der gewaltfreien Blockade zur Behinderung des Militärverkehrs am US-Airfield Frankfurt-Main werde ich dabei sein und mich auf einem Schemelchen dem Kriegsverkehr in den Weg setzen. Und wir werden diesmal viele sein, die das Gleiche tun. Friedensgruppen können vor Ort über die Kriegsgefahr aufklären. Kriegsgegner können Friedensinitiativen ins Leben rufen. Leserbriefe schreiben. Mit ArbeitskollegInnen sprechen. Weitermachen für den Frieden.
Fange nie an aufzuhören. Höre nie auf anzufangen.

Veröffentlicht am

05. Dezember 2002

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