Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

Ihre Spende ermöglicht unser Engagement

Spendenkonto:
Bank: GLS Bank eG
IBAN:
DE36 4306 0967 8023 3348 00
BIC: GENODEM1GLS
 

Jeden Tag wird der Krieg wahrscheinlicher - aber zunehmender Protest könnte ihn noch verhindern

Protestversammlung und Mahnwache: “No War on Iraq! NEIN zum Krieg gegen den Irak!” am 27.01.03 in Gammertingen

Rede von Michael Schmid

Wir versammeln uns hier zu einem Zeitpunkt, zu dem die spannende Frage in der Luft liegt: wird der Irak mit einem weiteren blutigen Krieg überzogen oder nicht? So empfinden wir wohl alle diese Situation.

Aber Stopp: diese Aussage stimmt nicht. Denn fast täglich bombardieren angloamerikanische Kampfflugzeuge irakische Einrichtungen. Und amerikanische Spezialtruppen sind längst schon in den Westen und Norden Iraks eingedrungen. Während alle Welt die Frage stellt, wird es Krieg geben oder nicht, ist der Krieg gegen Irak bereits längst im Gange!

Allerdings ist eine entscheidende Frage: kann eine Eskalation des Krieges mit der akut drohenden Gefahr eines Kampfes in und um die 4-5 Millionen Einwohner zählende Stadt Bagdad noch gestoppt werden oder nicht?
Es deutet fast alles darauf hin, dass die US-Regierung offensichtlich gewillt ist, diesen massiven Krieg zu führen. Es hat vieles für Februar 2003 gesprochen, vielleicht wird es nun doch etwas später.

Warum will die amerikanische Regierung Krieg führen? Die Massenvernichtungswaffen des Irak werden als Kriegsgrund genannt. Es gibt aber eine Vielzahl anderer Staaten, die Massenvernichtungswaffen haben und gegen die kein Krieg geführt wird.

Es gibt ganz andere Gründe für einen Krieg. Öl ist einer. Auch wenn es verkehrt wäre, alles allein auf das Öl zu schieben.

Wenn George W. Bush Krieg führt, dann hat das zu tun mit Machtpolitik. Die US-Regierung verspricht sich von einem Krieg ein weiteres Anwachsen seiner weltweiten Machtfülle. Europa, China, Japan, Indien und Russland werden auf Jahre hin als potentielle Konkurrenten geschwächt, die US-Hegemonie dagegen gestärkt.

Der Krieg gegen Irak lenkt auch vom Misserfolg in Afghanistan und der Nichtergreifung Osama bin Ladens ab.

Ein schneller Sieg und Regimewechsel in Bagdad erhöht die Wiederwahlchancen von George W. Bush bei der Präsidentenwahl 2004.

Das können alles Gründe für den Krieg sein. Aber man müsste schon ziemlich blind sein, wenn man annehmen würde, das Öl würde keine zentrale Rolle hierbei spielen.

Ein Machtwechsel in Bagdad bringt US- und britische Ölfirmen ins Geschäft. Sobald ein amerikanisches Regime in Bagdad eingesetzt ist, könnten angloamerikanische Ölgesellschaften fast ein Viertel der Weltvorräte an Öl kontrollieren. Und dann soll es beim bevorstehenden Krieg nicht um Öl gehen?
Die Ölvorkommen in den USA gehen langsam zu Ende. Viele Ölfelder, die in Ländern liegen, die nicht zur OPEC gehören, werden austrocknen. Der größte Teil der zukünftigen Vorräte wird aus der Golfregion kommen. Denn etwa 70% der nachgewiesenen Ölvorräte liegen im Nahen Osten. Und dann soll es beim bevorstehenden Krieg nicht um Öl gehen?

Die amerikanische Energieinformationsbehörde geht davon aus, dass spätestens in acht Jahren zwei Drittel des Erdöls aus der Golfregion geliefert werden. Experten sind der Ansicht, dass dann die wichtigsten Ölstaaten dieser Region wie in den Siebzigerjahren den Weltmarktpreis diktieren können. Was, wenn in diesen Ländern islamistische Fundamentalisten an die Macht kämen? Das Rohöl würde zur politischen Waffe. Der Ölpreis würde ins Unermessliche steigen. Und dann soll es beim bevorstehenden Krieg nicht ums Öl gehen?
Lawrence Lindsey, bis vor kurzem noch Chefwirtschaftsberater von Präsident George W. Bush, ließ im November 2002 keine Zweifel über die Ziele der US-Politik gegenüber Irak: “Wenn es einen Regimewechsel im Irak gibt, kommen täglich drei bis fünf Millionen Barrel Erdöl zusätzlich auf den Markt. Eine erfolgreiche Durchführung des Krieges würde der Ökonomie gut tun” (Der Spiegel, 13.1.03).

Es geht bei diesem Krieg also zentral um Öl. Wir wollen aber keinen Krieg um Öl! “Kein Blut für Öl!” Und natürlich auch kein Blut aus anderen Gründen!
Ein Krieg aber ist blutig. Ein Krieg bringt wiederum furchtbares Leid über die ohnehin schon furchtbar geschundene irakische Bevölkerung; er würde tausende, zehntausende oder hunderttausende Menschen verstümmeln, zerfetzen, ermorden!

Nicht ausgeschlossen werden kann der Einsatz von Atomwaffen durch die USA. Ein Szenario des Pentagons sieht den Präventiveinsatz von Atomwaffen vor. Indem die USA vorbeugend Atomwaffen einsetzen, soll im Kriegsfall verhindert werden, dass Bagdad seine Massenvernichtungswaffen einsetzt!

Welche Auswirkungen der Einsatz von Atomwaffen hätte, wissen wir nicht wirklich. Aber seit Tschernobyl wissen wir, über welche riesigen Flächen und große Entfernungen radioaktive Strahlung sich verbreitet und wirkt. Und das über viele Jahrzehnte.

Das irakische Volk leidet ohnehin schon seit Jahrzehnten. Es ist Opfer einer grausamen Diktatur. Es ist aber auch Opfer äußerer Einflüsse. Im zweiten Golfkrieg von 1991 wurden nicht nur hunderttausende von Menschen getötet. Vielmehr wurde auch systematisch die zivile Infrastruktur zerstört. Durch das seit 1991 verhängte Wirtschaftsembargo gegen den Irak sind mindestens 500.000 Kinder gestorben. Wir, der Westen, wir haben hier Millionen von Menschen ermordet!

Ich habe einen Freund aus dem Irak - Nizar Rahak. Er war gemeinsam mit seiner Frau Hanan zehn Jahre im Widerstand gegen das Regime Saddam Husseins. Dabei haben sie Schreckliches erlitten. Viele Freunde verloren sie durch Ermordung. Die Folgen seiner Opposition gegen Saddam Hussein waren bei Nizar: ein Splitter in der Wange, eine Kugel im Arm und Giftgas, durch das er zeitweise erblindete und das bleibende Lungenschäden zurückließ. Giftgas, das übrigens zu großen Teilen ausgerechnet aus Deutschland an den Diktator Saddam Hussein geliefert wurde! Deutsche Firmen sind Rüstungsgewinnler durch die Zusammenarbeit mit dem Diktator in Bagdad!

Für Nizar und Hanan blieb schließlich nur noch die Flucht - vor 12 Jahren kamen sie nach Deutschland - dabei hatten sie noch das Glück, dass sie in Deutschland Asyl gefunden haben. Denn aktuell werden die Asylanträge, welche irakische Flüchtlinge hier bei uns stellen, wieder zunehmend abgelehnt. Im Jahr 2001 betrug die Anerkennungsquote des zuständigen Bundesamtes für irakische Flüchtlinge noch über 65 , im ersten Halbjahr 2002 fiel die Anerkennungsquote auf 30 . Im September 2002 betrug sie nur noch 16,5 %. Dabei haben sich die Fluchtgründe nicht geändert, sondern nur deren Interpretation durch deutsche Behörden und Gerichte!

Hauptbegründung für die Verweigerung von Asyl ist die zynische Haltung, irakische Flüchtlinge hätten eine so genannte “inländische Fluchtalternative” im Nordirak. Eine unverantwortliche Haltung gegenüber Menschen, die durch die politische Situation im Irak zur Flucht gezwungen werden!

Aber zurück zu Nizar Rahak. Er sprach vorgestern in Schwäbisch Gmünd auf einer Demonstration gegen einen Irak-Krieg. Dabei stellte er unter anderem fest bzw. forderte:
a. “Im Grunde genommen sind Saddam Hussein und die USA alte Partner. Unter den Augen der Amerikaner durfte Saddam Hussein seine militärischen Hubschrauber, Kanonen und Raketen gegen unsere rebellierende Bevölkerung und gegen die Freiheitskämpfer einsetzen und Tausende von Opfern verursachen. Darum möchte unser Volk auch jetzt seine Befreiung nicht den Amerikanern anvertrauen, sondern nur der internationalen Solidarität.”
b. “Wir lehnen diese Politik ab. Wir wollen weder den schlimmen Diktator, noch den fürchterlichen Befreiungskrieg. Wir verlangen politische Lösungen. Wir fordern mehr Zeit für die Waffeninspektoren, mehr Zeit für alternative Befriedungskonzepte.”

Es ist also zu fragen, was den Gang zur weiteren Eskalation dieses Krieges aufhalten kann. Weltweit ist in den letzten Wochen und Monaten etwas in Gang gekommen, was es in der Geschichte der Völker bisher wohl noch kaum gegeben hat: eine weltweite Friedensbewegung gegen einen drohenden Krieg, bevor dieser also begonnen wird. Am Samstag vor einer Woche trotzten mehrere 100.000 Menschen bei der größten US-amerikanischen Antikriegs-Demonstration in Washington, D.C., der eisigen Kälte, 200.000 DemonstrantInnen waren in den Straßen von San Francisco unterwegs, zigtausende in lokalen Demonstrationen der USA, Hunderttausende protestierten in über 30 anderen Ländern gegen den Irak-Krieg. In Tübingen waren wir am Samstag vorletzter Woche immerhin über 3.000 Menschen - ermutigend!

Der Vietnamkrieg ging für die USA letztlich an ihrer “Heimatfront” verloren, weil die öffentliche Meinung dank der Friedensbewegung auf ein Ende dieses verbrecherischen Wahnsinns drängte. Heute ist die US-amerikanische Friedensbewegung stark wie seit den Tagen des Vietnamkriegs nicht mehr.
Im Dezember hatte sich mit der Stadt Baltimore (USA) die erste Stadt in den USA gegen einen Angriffskrieg auf Irak ausgesprochen. Inzwischen gibt es eine Liste der “Cities of Peace”. Diese Liste ist bis zum 15. Januar auf 41 Städte angewachsen, die sich gegen einen Krieg wenden, u.a. Chicago, Detroit, Philadelphia und - wen wundert’s - Woodstock. Bisher über 57.000 Menschen - darunter eine ganze Reihe aus Deutschland und anderen europäischen Ländern - haben online einen “Friedensschwur” (Iraq Peace Pledge) unterzeichnet, eine Erklärung einer Vielzahl amerikanischer Friedensorganisationen, mit welcher zum Ausdruck gebracht wird, dass die Menschen Frieden für Irak wollen.

Dass der Bush-Regierung im eigenen Land zunehmend die große Zustimmung zum Krieg verloren geht, das macht Hoffnung! Aber es kommt nicht ganz alleine auf die USA an. Denn im Land der Weltmacht Nummer 1 geht die große Furcht um, bei einem Krieg isoliert dazustehen. Deshalb kommt es auch entscheidend darauf an, dass sich die europäischen Staaten und die Staaten anderer Kontinente einem Krieg strikt verweigern. Und dafür können und müssen wir etwas tun!

Wir müssen der Bundesregierung den Rücken dafür stärken, dass sie bei ihrem NEIN ZUM Krieg bleibt!

Und wir müssen dafür sorgen, dass die Bundesregierung ihr “NEIN” zu einem Krieg auch so umsetzt, dass es übereinstimmt mit dem, was wir alle unter einem NEIN ZUM KRIEG verstehen. Das bedeutet, dass sich Deutschland nicht nur nicht an militärischen Angriffen gegen den Irak beteiligt, sondern sie kriegsbefürwortende Mächte auch nicht unterstützt.

Die Bundesregierung macht im Moment das Gegenteil. Mit ihren Zusagen zur Erfüllung einer Reihe von Wünschen jener Mächte, die einen Krieg gegen den Irak befürworten, beteiligt sie sich indirekt an einem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg, der selbstverständlich auch verfassungswidrig ist. Deshalb ist von der rot-grünen Regierung zu fordern: Verweigerung jeder Beteiligung an einem Krieg gegen den Irak! Keine deutschen Soldaten in AWACS-Flugzeugen, die im Kriegsfall als Feuerleitzentralen zur irakischen Zielerfassung dienen! Rückzug der bereits in der Golfregion stationierten Bundeswehrsoldaten! Keine Überflugrechte für kriegführende Mächte, keine Erlaubnis zur Nutzung der US-Basen und Kommandozentralen in der Bundesrepublik, kein Schutz von militärischen Einrichtungen der USA auf deutschem Boden durch Bundeswehrsoldaten!

In Gammertingen, unserem kleinen Städtchen auf der Schwäbischen Alb, haben Jugendliche die Initiative für eine Unterschriftensammlung ergriffen. Aus diesem Grund sind letzte Woche in verschiedenen Amtsblättern der Region zwei Anzeigen mit dem Satz erschienen “Krieg ist keine Lösung, sondern ein Verbrechen - NEIN zum Krieg gegen Irak”. Diese Anzeigen sind insgesamt - in einer Anzeige hier in unseren Amtsblättern und einer anderen, die in Engstingen veröffentlicht worden ist - von insgesamt 240 Menschen unterzeichnet worden. Das ist toll für unsere Region! Und dass die angeblich so unpolitischen Jugendlichen derart aktiv werden, das macht Mut.

Ein anderer Jugendlicher aus Hausen a.d.L. hat mir mitgeteilt, hat mir mitgeteilt, dass er über 400 Unterschriften gegen den Krieg gesammelt und an die US-Botschaft geschickt hätte.

Ich danke Euch für diese Aktivitäten!

Mit unserer heutigen Versammlung setzen wir die Aktivitäten gegen den Krieg fort. Lasst uns dafür sorgen, dass auch in unserer konservativ geprägten Region, in welcher das Militär traditionell einen hohen Stellenwert besitzt, das NEIN zum Krieg deutlich sichtbar wird!

Und lasst es uns nicht vergessen: wir alle, die wir hier aktiv werden und gegen den drohenden Irak-Krieg protestieren, sind verbunden mit einer weltweiten Protestbewegung. Vielleicht gelingt es doch noch, diesen programmierten Wahnsinn abzuwenden. Jede und jeder von uns kann dazu beitragen!
Ich möchte abschließend nochmals Nizar Rahak aus dem Irak zitieren: “Stimmen Sie überall gegen diesen Krieg! Lassen Sie ihn nicht zu! Sind Sie solidarisch mit unseren Frauen und Kindern! Unser Volk hat keine Luftschutzkeller, in die es sich verkriechen könnte. Unser Volk hat schon genug gehungert! Dieser Krieg bringt keinen Frieden. Er hat nur etwas mit dem Tod zu tun. “

Eine kleine Auswahl unter einer unüberschaubaren Zahl von Möglichkeiten findet sich auf unserer Homepage bei Hinweise und Aktionsmöglichkeiten gegen drohenden Irak-Krieg .

Veröffentlicht am

27. Januar 2003

Artikel ausdrucken

Weitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von