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Rassismus und seine institutionalisierten Praktiken

FU Berlin, OSI (Anti-Rassismus-Tagung 1999)

Von der Antirassistischen Initiative

Dieser Text soll als Input für die Arbeitsgruppe dienen, ist jedoch keine Diskussionsvoraussetzung. Unser Anliegen ist es zu zeigen, dass Rassismus nicht ein universal-menschliches Problem darstellt, sondern eng mit den Begriffen Kapitalismus, Staat und Nation zusammenhängt. Entgegen landläufiger Meinungen vertreten wir nicht die Auffassung, dass der Artikel 3, Abs. 3 des Grundgesetzes die Existenz institutionalisierter Praktiken des Rassismus ausschließt. Rassismus muss dabei nicht notwendig auf “Rassen” bezogen sein, sondern gibt sich im Gegenteil über andere Begriffe ein verändertes Gewand. Der Text unternimmt zunächst den Versuch einer begrifflichen Bestimmung von Rassismus und geht dann auf seine institutionalisierten Formen ein.

“Rasse” als neuzeitliches Phänomen

Die Definition von Menschengruppen als “Rassen” stellt eine soziale Konstruktion dar. “Rassen” sind sozial imaginierte, keine biologischen Realitäten. Damit ist nicht behauptet, dass sich Menschen nicht aufgrund mannigfacher Merkmale voneinander unterscheiden, z.B. durch Größe, Gewicht, Länge der Arme und Beine, Haarfarbe oder Hautfarbe, sondern nur, dass aus allen möglichen Unterscheidungsmerkmalen einem bestimmten, nämlich der Hautfarbe, eine besondere Bedeutung beigemessen wird.

“Rasse” wurde an einem bestimmten historischen Zeitpunkt zu einem Kriterium, Menschen zu katalogisieren. Dies verweist bereits darauf, dass Rassismus nicht allgemeinhistorisch aufzulösen ist. Zwar wurde schon immer versucht gesellschaftliche Hierarchien als “natürlich” resp. “gottgewollt” zu rechtfertigen. Diese auch für den Rassismus wesentliche Naturalisierung des Sozialen ist jedoch nicht schon der fertige Rassismus. Der Zeitpunkt an dem der Begriff “Rasse” auftrat, fällt zusammen mit der Aufklärung und dem Übergang zur bürgerlichen Gesellschaft. Das bürgerliche Subjekt bestimmte sich selbst als eigentlichen “wahren” Menschen und konstituierte sich in Abgrenzung zum Irrationalen (Emotionalen), Naturhaften und Wilden. Diese Attribute wurden zum einen zum Synonym für das Weibliche (weshalb der Mann die Frau zu führen hatte und ihr ihre Rolle im privaten Bereich der Reproduktion zuwies). Zum anderen wurden sie den in den eroberten Kolonien lebenden Menschen zugeschrieben. Die Legitimation der europäischen Herrschaft in den Kolonien ergab sich daraus, dass dem “Neger” die Fähigkeit zu bürgerlicher Zivilisation abgesprochen wurde. Eine Katalogisierung der Menschen aufgrund “rassischer Wertigkeiten” konnte jedoch erst mit dem Auftreten der Naturwissenschaften als welterklärende und der sich im Zuge dessen durchsetzenden Autorität naturwissenschaftlicher Denkformen betrieben werden und erst der bürgerliche Zentralstaat konnte dieser Sortierung mit Gewalt Geltung verschaffen. In sofern wohnte dem Rassebegriff von Anfang an eine Herrschaftsfunktion inne.

Mit dem Verweis auf unterschiedliche Rassen ging daher auch immer eine Ausschließungspraxis einher, die eine in dieser Form konstruierte Gruppe von Menschen bei der Verteilung von gesellschaftlichen Ressourcen benachteiligte oder sogar vollständig davon ausschloss. Rassismus bezeichnet in diesem Sinne nach einer Definition von Christoph Butterwegge “eine Ideologie, bzw. pseudowissenschaftliche Theorie, die Menschen einer durch Herkunft, Hautfarbe, Haarbeschaffenheit oder vergleichbare phänotypische Merkmale gekennzeichneten Gruppe bestimmte Charaktereigenschaften zuschreibt, um sie herabzusetzen, benachteiligen und entrechten, dadurch eigene gesellschaftliche Privilegien, Machtpositionen und Besitzstände rechtfertigen bzw. erringen zu können.”

Nationale Identität und der Ausschluss des Fremden

Diese Praxis darf jedoch nicht als eine universal-menschliche Haltung missverstanden werden. Im Gegenteil kann die Konstruktion des Fremden und die ihr folgende Auschließungspraxis nur im Rahmen der historisch-spezifischen Vergesellschaftungsform analysiert werden, in der sie entstand.

Das bürgerliche Subjekt ist der vereinzelte, idealtypisch von allen traditionellen Bindungen (religiösen, sozialen, familiären …) befreite Warenbesitzer, der auf dem Markt mit allen übrigen Warenbesitzern konkurriert. Seine Existenz hängt vom Erfolg seiner eigenen Verwertung ab, was das Marktsubjekt notwendig asozial sein lässt. Das Marktindividuum steht vereinzelt einem undurchschaubaren und unbeeinflussbaren Mechanismus, dem Kapitalverhältnis, gegenüber. “Unsicherheit und Angst, die Ungewissheit über sich selbst als gesellschaftliches Individuum - im Jargon des Zeitgeistes gesprochen: das Problem der “Identität” - gehören deshalb zu den Grundmerkmalen kapitalistischer Vergesellschaftung.” (Joachim Hirsch). Die moderne Nation und der Nationalismus bilden demgegenüber das Feld, in dem der verlorene soziale Zusammenhang neu begründet wird.

Die Nation schafft gleichzeitig den Bezugsrahmen, von dem aus das Fremde definiert wird (eine Theorie, die Rassismus über die natürliche Regung des Menschen, zu “fremdeln” erklären will, ist deshalb Quatsch, weil ein himmelweiter Unterschied besteht zwischen der skeptischen Haltung eines Kindes gegenüber einem konkreten Menschen und der Behandlung von “Fremden” aufgrund einer sozialen Konstruktion wie der der Nation). Die Herstellung von Nationalität durch einen zentralisierten Machtapparat, den Staat, kann im Kern als eine Strategie der Ethnisierung beschrieben werden. Die Erzeugung von Gemeinsamkeiten und Tradition, die über lokale und partikulare Beziehungen (die konkret erlebt werden könnten) hinausgehen, also einer kollektiven Identität, geschieht immer auch in Abgrenzung zum Fremden, Äußerlichen, Exterritorialen. Die Konstruktion des Deutschen schließt notwendig die des Nicht-Deutsche mit ein.

In diesem gesellschaftlichen Zusammenhang ist die Konstruktion von Rassen, bzw. die Karriere, die dieses Konzept im Bewusstsein der Menschen machte, zu sehen. Auf die Veränderungen, die sich innerhalb dieses Rahmens im Laufe der Zeit vollzogen haben (vom liberalen Ordnungsstaat des Frühkapitalismus zum organisierten Sozialstaat heutiger Prägung) und welche Auswirkungen das wiederum für das Selbst-Bewusstsein der Menschen hatte soll hier nicht weiter eingegangen werden.

Rassismus ohne Rassen

Wesentlicher erscheint die Frage, ob mit dem Verschwinden von offen propagierten rassetheoretischen Hierarchien auch der Rassismus verschwindet. Etienne Balibar hat in diesem Zusammenhang den Begriff des “Neorassismus” geprägt. Dieser geht von einer Unvereinbarkeit von sog. ethnischen Gruppen aus (Stichwort: kulturelle Differenzen, Verlust der eigenen kulturellen Identität bei zu starker Zuwanderung). Von einer Hierarchie dieser ethnischen Gruppen wird dabei nicht gesprochen, dafür umso entschiedener darauf hingewiesen, dass Konflikte zwischen diesen Gruppen quasi vorprogrammiert seien, weshalb besser gleich jede Gruppe auf ihrer heimischen Scholle leben sollte. Die Verteidigung der eigenen kulturellen Identität gegenüber dem vermeintlich Fremden, erscheint dabei als natürliche Regung “des” Menschen. Da hier ebenfalls ein soziales Konstrukt, das der Ethnie (wobei Konstrukt nicht bedeutet, dass sich Menschengruppen nicht tatsächlich über eine solche Konstruktion definieren können), zu einem primären Bezugsrahmen gemacht wird, aufgrund dessen In- und Ausschluss betrieben wird, erscheint es sinnvoll den Rassismusbegriff auch hier zu verwenden. Der oben beschriebene Mechanismus, die Schaffung einer kollektiven Identität über die Nation, funktioniert gerade über die Betonung unüberbrückbarer kultureller Differenzen besonders gut.

Institutioneller Rassismus

Im modernen Staat findet gerade dieser Rassismus seinen Ausdruck in institutionalisierten Praktiken, die die historisch im Bezugsrahmen der Nation gewachsenen Vorstellungen des Fremden immer wieder reproduzieren. Die in der Gesellschaft unhinterfragten Konventionen und Prioritäten “ermöglichen und verlangen staatliche Praktiken, die durch ihre Standards, Verfahrensweisen und Rigiditäten den gewordenen Zustand rechtsförmig machen. Nicht mehr der einzelne Politiker, Beamte, Unternehmer oder Gewerkschafter diskriminiert, sondern das Netz von Institutionen, deren Maßnahmen in der Erziehung, der Wirtschaft und Rechtsprechung kumulativ wirken, erzeugt […] im Effekt den Zustand rassischer und ethnischer Diskriminierung, Ausbeutung und Unterdrückung, der subjektiv verleugnet würde.” (Frank-Olaf Radtke).

Daher durchdringt nicht der Rassismus die Institutionen, sondern die gewünschte Durchsetzung der nationalen Identität, und damit auch immer der Ausschluss des “Fremden”, kann sich wirksam nur institutionell vollziehen. Gleichwohl sind nicht alle staatlichen Ausschließungspraxen mit dem Begriff institutioneller Rassismus zu belegen. Dies ist, nach einer Bestimmung von Robert Miles, gerechtfertigt, erstens in solchen Fällen, in denen Ausschließungspraxen aus einem rassistischen Diskurs entstanden sind, ihn daher voraussetzen, aber nicht mehr ausdrücklich mit ihm gerechtfertigt werden (wenn z.B. offen rassistisch argumentiert wird, es gäbe zu viele Asylanten und ein Gesetz später die “freiwillige” Ausreise abgelehnter Asylbewerber damit “fördern” will, dass diesen alle staatlichen Zuwendungen entzogen werden). Zweitens in Fällen, in denen ein explizit rassistischer Diskurs modifiziert wird, so dass der offen rassistische Inhalt eliminiert ist, andere Worte aber die ursprüngliche Bedeutung transportieren (wenn z.B. Menschen, die in Deutschland ihren Lebensmittelpunkt haben, darauf hingewiesen werden, dass sie hier Gäste seien). Beide Fälle überschneiden sich in der Praxis und bedingen sich mitunter gegenseitig. Will man das Vorhandensein von institutionellem Rassismus erfassen, muss man also auf die Geschichte des Diskurses rekurrieren, der eine staatliche Ausschließungspraxis in Gang setzte.

Das Vorhandensein von institutionellem Rassismus darf jedoch nicht als falsche Praxis einer an sich guten Institution des Staates missverstanden werden. Im Gegenteil ist die Katalogisierung von Menschen, die dem Prinzip der Homogenisierung nach innen und dem Ausschluss eines als fremd definierten “Anderen” folgt, logische Konsequenz des Nationalstaats. Da es der ausdrückliche Wunsch der Nation ist, ihre Identität über die staatliche Gewaltinstanz zu sichern, stehen die institutionalisierten Praktiken zur Durchsetzung der, über rassistische Diskurse sich begründenden, nationalen Identität in keinem Widerspruch zum Staat. Eine Kritik dieser Praktiken ist daher nur auf der Grundlage einer Kritik an Staat und Nation sinnvoll. Eine politische Praxis, die sich in dem Feiern von Multi-Kulti-Festen erschöpft, reproduziert gerade in der Werbung für ein Verständnis des “Anderen” die Konstruktion des Anderen. Passt das “Andere” zum “Eigenen” mal weniger gut als bei lustigen Umzügen durch die Stadt, schlägt das Verständnis auch schon mal schnell in handfeste Missachtung um. In jedem Fall bleiben die Konstruktionen nationaler Vergesellschaftung als Bezugsgrößen bestehen. Auch eine Vorurteilsbekämpfung (z.B. in Schulen), die Staat und Nation affirmiert wirbt für Toleranz gegenüber dem “Anderen”, wo die Kritik an der permanenten Reproduktion des “Anderen” nötig wäre.

In der Arbeitsgruppe “Rassismus und seine institutionalisierten Praktiken” soll es u.a. um die Umsetzung rassistischer Diskurse über institutionalisierten Auschließungsformen gehen. Wenn DER SPIEGEL über “betrügerische ausländische Männer” berichtet, die sich über eine sog. Scheinehe einen Aufenthaltstitel “bei uns” erschleichen und der Bundestag am 1. Juli 1998 ein Gesetz mit der Intention der Eindämmung von solchen “Scheinehen” erlässt, in deren Folge sich Paare, in denen ein Teil einE AusländerIn aus einem Drittland ist, entwürdigende Fragen vor und Bespitzelungen nach der Eheschließung gefallen lassen müssen, dann ist dies ein gutes Beispiel wie sich Rassismus institutionalisiert.

Veröffentlicht am

18. Oktober 2001

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