Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

Ihre Spende ermöglicht unser Engagement

Spendenkonto:
Bank: GLS Bank eG
IBAN:
DE36 4306 0967 8023 3348 00
BIC: GENODEM1GLS
 

Wo Folter geschildert wird, sehen deutsche Beamte eine “Beeinträchtigung”

Wie das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge mit tschetschenischen Flüchtlingen umspringt

PRO ASYL: Beamtete Kombattanten der russischen Tschetschenienpolitik


Tschetschenische Flüchtlinge, die im Asylverfahren schildern, durch russische Kräfte gefoltert worden zu sein, können bei der deutschen Asylentscheidungsbehörde auf eine faire Entscheidung kaum hoffen. Auf unerträgliche Weise wird von Bediensteten des Bundesamtes das Leiden gefolterter Menschen bagatellisiert und zur bloßen Beeinträchtigung umgedeutet. Zwei Fälle zeigen, wie das funktioniert:

Ein minderjähriger Tschetschene gibt in der Anhörung an, er sei Mitte des Jahres 2003 zunächst von Tschetschenen in Zivil heimgesucht, dann von Russen mitgenommen worden. In einem ihm unbekannten Gebäude sei er auf der Erde liegend geschlagen und getreten, danach mit Strom gefoltert worden. Das so Geschilderte wird im Bundesamtsbescheid vom 12. Oktober 2005 zunächst referiert. Dann heißt es allerdings: "Auch wenn das aufgezeigte Verhalten der russischen Behörden während der Inhaftierung des Antragstellers eine zweifellos entwürdigende und eindeutig zu missbilligende Behandlung durch föderale Kräfte darstellt, zeigt sich insgesamt nicht, dass eine über die Heimatregion des Antragstellers hinausgehende Gefahrensituation besteht." Bei der geschilderten Folter könne "eine direkte Verfolgungsabsicht der russischen Behörden gegen die Person des Antragstellers daraus nicht abgeleitet werden. Vielmehr wäre zu unterstellen, dass die russischen Behörden lediglich eine Zeugenaussage gegen (…) benötigt haben."

Von deutschen Beamten wird auf diese Weise Folter so abgehandelt, als sei sie lediglich eine besondere Ermittlungstechnik. Folgerichtig bemüht sich das Bundesamt dann, einen schöneren Begriff für die zuvor attestierte Folter zu finden: "Vor diesem Hintergrund müssen die Beeinträchtigungen, die der Antragsteller in Tschetschenien hinzunehmen hatte, als Auswirkungen der kriegerischen Situation in Tschetschenien gewertet werden." Folter wird so zu einer "Beeinträchtigung". Ein Beamter stellt sie damit in etwa auf eine Stufe mit einem Reisemangel, den ein Pauschaltourist geltend macht, weil der verschmutzte Pool seines Ferienhotels ihm die Urlaubsfreude genommen hat.

Der zweite Fall: Der Antragsteller schildert, bei einer Inhaftierung kopfüber an den Füßen aufgehängt worden zu sein: "Die nennen das Schwalbe." Bei einer weiteren dreitägigen Inhaftierung in einer Polizeistation sei er 15 Stunden lang im Freien an einem Rohr festgebunden und heftig geschlagen worden.

Im Bescheid des Bundesamtes vom 21. Oktober 2005 findet sich kein einziges Wort über Misshandlung und Folter, stattdessen die bundesamtsübliche Bagatellisierung: "Auch wenn die von dem Antragsteller aufgezeigten persönlich erlittenen Beeinträchtigungen eine zweifellos entwürdigende und eindeutig zu missbilligende Behandlung durch föderale Kräfte darstellt, so zeigt sich nicht, dass derartige Übergriffe über die Heimatregion hinaus anzunehmen sind."

PRO ASYL-Referent Bernd Mesovic: "Solche Formulierungen erwecken den Eindruck, dass hier beamtete Kombattanten der russischen Tschetschenienpolitik am Werk sind." Die Entscheidungspraxis des Bundesamtes verbreitet unter tschetschenischen Flüchtlingen Angst und Schrecken. Fast alle werden durch die Entscheidungen des Bundesamtes auf eine angeblich generell bestehende "inländische Fluchtalternative" irgendwo in der Russischen Föderation verwiesen. Das Motto: Russland ist groß - sucht euch einen Ort. Diese inländische Fluchtalternative wird selbst für Alte, Schwerkranke, durch Folter Traumatisierte, Familien mit Kindern und andere Problemgruppen unterstellt.

Unter den Tschetschenen in Deutschland verstärkt sich parallel zu dieser Praxis des Bundesamtes immer mehr der Eindruck, dass die deutschen Behörden im Tschetschenienkonflikt Erfüllungsgehilfen Russlands sind. Dazu trägt die Tatsache bei, dass Unterlagen aus Asylverfahren Mitarbeitern der russischen Botschaft bei Vorstellungsterminen am 22. Juni 2004 in der zentralen Ausländerbehörde Köln vorlagen. Unter den Tschetscheninnen und Tschetschenen verbreiten sich auch Gerüchte, dass der deutsche Geheimdienst Anteil am Auffinden des gemäßigten Ex-Präsidenten Maschadov und damit seiner Tötung durch den russischen Inlandsgeheimdienst FSB gehabt habe. Dies alles führt dazu, dass die Betroffenen kein Vertrauen in die Fairness der Anhörung und Entscheidungen beim Bundesamt haben.

Diese Befürchtungen sind nicht aus der Luft gegriffen, hat doch die politische Nähe von Putin und Schröder in der letzten Legislaturperiode zu einer engen Zusammenarbeit Deutschlands und Russlands auch in kritischen Bereichen geführt. Es war der frühere Bundesinnenminister Otto Schily, der im Untersuchungsausschuss zur Visa-Affäre die bis dahin kaum beachtete Tatsache präsentiert hat, dass BKA und russisches Innenministerium bereits seit 2003 in Sachen Flüchtlinge eng kooperieren. Im Rahmen der sogenannten Sonderauswertung TEREK tauschen sich beide Seiten über Schleusungswege von Tschetschenen aus. Dass dabei die eine oder andere zusätzliche Information über den Tisch geht, liegt nahe.

Russlands Präsident Putin versucht seit längerem, allen Formen des tschetschenischen Widerstandes das Etikett des "internationalen Terrorismus" anzuheften, um durch westliche Unterstützung für seine Tschetschenienpolitik zu erhalten. Für die russischen Medien gilt folgerichtig die von Regierungsseite verordnete Sprachregelung, in Bezug auf Tschetschenien grundsätzlich vom "internationalen Terrorismus" zu sprechen.

Die Bundeskanzlerin hatte angekündigt, in Sachen Menschenrechtsverletzungen in Tschetschenien deutliche Worte finden zu wollen. Sie ist jetzt am Zug, den Bundesinnenminister davon zu überzeugen, dass Klartext auch bei dem ihm unterstellten Bundesamt für Migration und Flüchtlinge gesprochen werden muss.

Quelle: PRO ASYL Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V. - Presseerklärung vom 06.04.2006

Veröffentlicht am

06. April 2006

Artikel ausdrucken

Weitere Artikel auf der Lebenshaus-WebSite zum Thema bzw. von