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Weltsozialforum in Pakistan

Von Tariq Ali - ZNet 01.04.2006

Am vergangenen Wochenende haben wir das Weltsozialforum in Karatschi eröffnet - mit virtuoser Sufi-Musik und Redebeiträgen - während zur selben Zeit die Herrschenden im Land das hundertjährige Bestehen der Moslem-Liga begingen. (Die Moslem-Liga ist jene Partei, die Pakistan einst geschaffen hat; seither wechselt eine Bande von Schurken die andere ab, heute befindet sich die Partei in den Händen von Politzuhältern, die sie wie ein Bordell führen.) Die Herrschenden begingen die Hundertjahrfeier, indem sie die Organisation dem uniformierten Herrscher des Landes, General Pervez Musharaf, zum Geschenk machten.

Was die Führer der säkularen Opposition, Nawaz Sharif und Benazir Bhutto, angeht, so haben sie während ihrer jeweiligen Amtszeit darum konkurriert, wer das meiste Geld anhäuft. Heute sind beide im Exil. Bei einer Rückkehr müssten sie befürchten, unter Korruptionsverdacht verhaftet zu werden. Aber weder Sharif noch Bhutto verspüren große Lust, zu Märtyrern zu werden oder die Kontrolle über ihre Organisationen abzugeben. Währenddessen setzen die religiösen Parteien - in der von ihnen kontrollierten nordwestlichen Grenzprovinz -, fröhlich die neoliberale Politik um. Unfähig sich um die eigentlichen Belange der Armen zu kümmern, richten sie ihr Feuer lieber gegen Frauen und jene gottlosen Liberalen, die die Frauen verteidigen.

Und weil das Militär sich seiner Herrschaftsrolle so sicher ist und die offiziellen Politiker so nutzlos, boomt die ‘Zivilgesellschaft’. Private TV-Sender - und NGOs - schießen wie Pilze aus dem Boden, die meisten Aussagen sind erlaubt (ich, zum Beispiel, wurde von einem Sender eine Stunde lang über "die Zukunft der kommunistischen Weltbewegung" interviewt). Eine Ausnahme sind Frontalangriffe gegen die Religion oder das Militär bzw. gegen jene Militär-Netzwerke, die Pakistan heute regieren. Sollte die pakistanische Zivilgesellschaft allerdings zu einer wirklichen Gefahr für die Eliten werden, würde sich der Applaus sehr rasch in eine Drohgebärde verwandeln.

Auf diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass (auch) das WSF von der lokalen Administration in Karatschi erlaubt und unterstützt wurde. Das Weltsozialforum ist inzwischen Teil der globalisierten Landschaft und hilft rückwärts gewandten Herrschern dabei, sich modern zu fühlen. Die Veranstaltung in Karatschi hat sich nicht von anderen WSFs unterschieden. Gekommen waren mehrere tausend Menschen, hauptsächlich aus Pakistan, aber auch einzelne Delegierten-Einsprengsel aus Indien, Bangladesh, Sri Lanka, Südkorea und einigen anderen Ländern waren zu erkennen.

Nicht vertreten war Chinas aufsprießende Bauern- und Arbeiter-Bewegung bzw. die kritische chinesische Intelligenz. Auch aus dem Iran und Malaysia war niemand vertreten. Die israelischen Zwingherren, die die jordanische Regierung regieren, schikanierten eine palästinensische Delegation. Nur eine handvoll delegierter Palästinenser konnte deshalb durch die Checkpoints nach Karatschi gelangen. Das große pakistanische Erdbeben 2005 hat viele WSF-Pläne zunichte gemacht. So war es den Organisatoren beispielsweise nicht möglich, herumzureisen und Menschen aus anderen Regionen des Kontinents davon zu überzeugen, an der Veranstaltung teilzunehmen. Sonst wären auf dem WSF - so beharren die Organisatoren -, auch Stimmen aus Abu Ghraib, Guantanamo und Falludscha zu hören gewesen.

Doch allein schon die Tatsache, dass eine solche Veranstaltung überhaupt in Pakistan stattfand, ist positiv zu bewerten. Die Menschen hier sind es nicht gewohnt, andere Meinungen und andere Stimmen zu hören. Das WSF hat es vielen Menschen aus unterdrückten sozialen Schichten sowie religiösen Minderheiten möglich gemacht, sich zu versammeln und ihrer Stimme Gehör zu verschaffen - beispielsweise verfolgten Christen aus dem Punjab oder Hindus aus Sind. Von überallher kamen Frauen und erzählten herzerschütternde Geschichten von Unterdrückung und Diskriminierung.

Ebenfalls vertreten auf dem WSF ein nicht unbeträchtliches klassenkämpferisches Element: Bauern, die gegen die Privatisierung der Militär-Farmen von Okara ankämpfen, Fischer aus Sind, deren Existenzgrundlage bedroht ist und die beklagen, dass der große Indus-Fluss umgeleitet wird, um den einfachen Menschen das Wasser zu nehmen, das sie seit Jahrtausenden genießen - seit Beginn der menschlichen Zivilisation sozusagen. Arbeiter aus Balutschistan kamen und klagten über die Brutalität des Militärs in ihrer Region.

Lehrer kamen und erklärten, dass ein pakistanisches Bildungssystem praktisch nicht mehr existiere. Die einfachen Leute, die zu Wort kamen, waren eloquent, analytisch und zornig. Diese Menschen bildeten einen scharfen Gegensatz zur steifen Rhetorik der politischen Klasse Pakistans. Die meisten Redebeiträge wurden von den wichtigsten privaten Sendern (Geo, Hum u. Indus) in Radio und Fernsehen übertragen. Die Privatsender wetteiferten um die umfassendste Berichterstattung.

So kam der große Wanderzirkus der schönen Gefühle, WSF, nach Pakistan - und zog wieder weiter. Was wird bleiben? Wenig - abgesehen von Goodwill und dem Gefühl, dass es überhaupt in Pakistan stattfand. Schließlich bleibt die Tatsache bestehen, dass die Politik des Landes von den Eliten beherrscht wird. Darüber hinaus gibt es nicht viel. Die kleinen radikalen Gruppen tun zwar ihr Möglichstes, aber es existiert keine nationale Organisation oder Bewegung, die für die Enteigneten sprechen könnte. Die soziale Lage im Land ist düster - daran ändern auch die manipulierten Statistiken nichts, die der pakistanische Ministerpräsident Shaukat Aziz, ein Weltbank-Mann, in Umlauf bringt.

Die Nichtregierungsorganisationen sind kein Ersatz für echte soziale und politische Bewegungen. In Pakistan selbst mögen diese Organisationen zwar als NGOs gelten, global gesehen sind sie WGOs (Western Governmental Organizations [Regierungsorganisationen des Westens]). Gelder fließen nur unter der Bedingung, dass ihre Ziele beschnitten werden. Das soll nicht heißen, dass einige dieser NGOs nicht gute Arbeit leisten, aber alles in allem läuft es doch darauf hinaus, dass durch sie das kleine Potential an Linken und liberalen Intellektuellen atomisiert wird. Die meisten dieser Frauen und Männer (wer nicht für eine NGO arbeitet, ist in ein privates Medien-Network eingebettet) kämpfen darum, dass ihrer jeweiligen, ihrer individuellen NGO nicht der Geldhahn zugedreht wird. Kleinere Konkurrenzkämpfe haben sich ins Maßlose gesteigert; Politik im Sinne der Graswurzel-Organisationen ist hier praktisch nicht erkennbar. Und das lateinamerikanische Modell - wie es sich durch die Siege von Chavez und Morales zu entwickeln beginnt -, ist weit weg von Mumbai, weit weg von Karatschi.

 

Zwei aktuelle Bücher von Tariq Ali: ‘Street Fighting Years’ (neue Edition) und ‘Speaking of Empires & Resistance’ (Ko-Autor: David Barsamian) tariq.ali3@btinternet.com

 

Quelle: ZNet Deutschland vom 02.04.2006. Übersetzt von: Andrea Noll. Originalartikel: WSF in Pakistan .

Veröffentlicht am

03. April 2006

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