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Frühkirchlicher Pazifismus und “gerechter Krieg” - Teil 1: Dreihundert Jahre Gewaltfreiheit

Von Peter Bürger

Gewiss müsste der unvoreingenommene Historiker von einem fremden Stern beim Studium der Zivilisation ab dem 4. Jahrhundert nach Christus zu der Überzeugung kommen, der sogenannte christliche Kulturkreis habe auf dem Planeten Erde - wenn auch im Kontrast zu seiner verehrten Offenbarungsurkunde - das Kriegshandwerk und die Technologie für Massenmorde zur höchsten Perfektion gesteigert. Von den Ursprüngen her ist es dem Christentum jedoch nicht in die Wiege gelegt worden, dass es einmal zur ideologischen Begleitmusik für eine kriegerische Zivilisation verkommen würde. Die Aussagen des Neuen Testaments über das Programm Roms lassen auf eine klare Analyse des räuberischen Imperiums und der sogenannten Pax Romana schließen.Vgl. zur biblischen Kritik des Imperiums: Klaus Wengst: Pax Romana. München 1986. In großer Einmütigkeit bezeugen dann kirchliche Schriftsteller der ersten drei Jahrhunderte eine Unvereinbarkeit zwischen dem christlichen Glauben und dem Kriegshandwerk.Vgl. dazu die hervorragende Quellensammlung, der auch fast alle nachfolgenden Kirchenväterzitate entnommen sind: Thomas Gerhards (Hg.): Pazifismus und Kriegsdienstverweigerung in der frühen Kirche. - Eine Quellensammlung. (Mit einer Einleitung von Konrad Lübbert). 6. Auflage. München: Internationaler Versöhnungsbund - deutscher Zweig 1991. Einen Überblick zur frühen Kirche und der nachfolgenden neuen Kriegspraxis des Christentums bietet auch der Kirchenkritiker: : Abermals krähte der Hahn. Düsseldorf-Wien 1980, 493-523. (Gegenteilige Belege aus Theologie und Kirchenordnung lassen sich nicht anführen!)

In zahlreichen Kirchengeschichten werden die Befunde, so sie überhaupt Erwähnung finden, bis heute mit fadenscheinigen Argumenten abgekanzelt. Vornehmlich sei es bei der frühchristlichen Kriegsdienstverweigerung um heidnische Riten, religiösen Kaiserkult, unzulässige Eidesformeln etc. oder andererseits z.B. um ein falsch verstandenes Blut-Tabu bezogen auf das allgemeine Priestertum der Christen gegangen. Tatsächlich aber haben die frühen Kirchenväter eine fundierte Kritik des Krieges aus christlicher Sicht vorgelegt. Sie halten es für eine Ideologie, die Unantastbarkeit des menschlichen Lebens im Zivilleben zu behaupten und sie im Krieg willkürlich für gegenstandslos zu erklären.In dieser kritischen Tradition wird Blaise Pascal sagen: "Gibt es etwas Lächerlicheres, als dass ein Mensch das Recht hat, mich zu töten, weil er jenseits des Wassers wohnt und weil sein Fürst mit dem meinen Streit hat, obgleich ich gar keinen mit ihm habe?" Sie entlarven den Zauber des Militarismus. Klarsichtig wird von ihnen auch die ökonomische Triebfeder des Kriegsapparates benannt. Unter zielsicherer Berufung auf die Prophetenbücher der hebräischen Bibel entwerfen die Theologen der Alten Kirche - als Alternative zur kriegerischen Weltordnung - einen kompromisslosen Internationalismus.Im "Hirten des Hermas" wird noch vor 150 die Kraft des Christentums gerühmt, "die in Anlage und Sitten so verschiedenen Völker zur Einheit einer Gesinnung und Lebensweise zusammenzuschließen." Deutlich läßt Minucius Felix im dritten Jahrhundert den christlichen Kosmopolitismus in seinem Dialogwerk von Octavius formulieren: "Wir unterscheiden Stämme und Nationen; aber für Gott ist diese ganze Welt ein Haus." Wenn sie die Christen als die erste Generation eines gewaltfreien Menschengeschlechts verstehen, geht es ihnen um eine Perspektive bzw. Strategie für die gesamte Zivilisation.

Justin (+ um 165) sagt von den Christen: "Wir alle haben auf der weiten Erde unsere Kriegswaffen umgetauscht […], die Lanzen in Ackergeräte." Mit diesen neuen Gerätschaften würde nunmehr Hoffnung angebaut. Genauso konstatiert Irenäus von Lyon (+ um 202), die Ankündigung des Jesaja über eine umfassende Abrüstung (Schwerter werden zu Pflugscharen) sei mit den Christen konkrete Wirklichkeit geworden. Er distanziert sich strikt von "militärischen Würden" und der "unersättlichen Gier, in ferne Länder zu segeln". Tertullian (+ nach 220), der lateinische Vater der Dreifaltigkeitsformel, vertritt ein ausnahmslos geltendes Tötungsverbot für Christen und erblickt in Jesu Weisung an Petrus (Matthäus 26,52) eine Absage an jeglichen Waffengebrauch: "Wie könnte der Christ Krieg führen, wie könnte er selbst in Friedenszeiten Soldat werden, ohne das Schwert zu tragen, das der Herr verboten hat?" Er hält einen menschlichen Fahneneid auf den weltlichen Herrscher für strikt unvereinbar mit dem Siegel der Getauften und glaubt im übrigen an einen unblutigen Umsturz des römischen Reiches durch das Christentum. Auch Tertullian wendet die zivilisatorische Perspektive der Propheten Israels auf das christliche Zeitalter an: "Kein Volk wird mehr gegen das andere zum Schwert greifen, und sie werden das Kriegführen nicht mehr lernen." (Jesaja 2,3f.) Klemens von Alexandrien (140/50 - 215) schreibt, Christus habe mit seinem Wort ein Heer versammelt, das kein Blut vergießt.

Gegen Ende des 2. Jahrhunderts schreibt ein Christ an einen gewissen Diognetos über jene, die bei Gott eingebürgert sind (und nicht in den Räuberstaaten der Erde): "Sie wohnen im eigenen Vaterland, jedoch nur wie Beisassen, sie haben an allem Anteil wie Bürger, und erdulden doch alles wie Fremdlinge. Jegliche Fremde ist ihnen Heimat, und jegliche Heimat Fremde …" Erst viel später wird man es fertigbringen, die Vaterlandsliebe als "christliche" Tugend zu verherrlichen und im Anschluss an Thomas von Aquin eine gleichsam natürliche Pflicht zu behaupten, dem eigenen nationalen "Volksgenossen" eher beizustehen als einem Fremden. (Durch derlei Umkehrungen fühlte sich dann 1935 ein Bischof Conrad Gröber in seinem germanischen Wahn bestätigt.Vgl. dazu den unsäglichen Artikel "Vaterlandsliebe" in: Conrad Gröber (Hg.): Handbuch der religiösen Gegenwartsfragen. ["Mit Empfehlung des deutschen Gesamtepiskopates." "Neudruck mit unwesentlichen Änderungen 1937"]. Freiburg im Breisgau1937, 617-621.

Die erst vor hundert Jahren entdeckte, noch heute wegen ihrer normativen Wirkung bei anderen Fragen sehr angesehene Römische Kirchenordnung des Hippolyt (+ 235) schreibt kategorisch vor: "Wenn ein Taufbewerber oder Gläubiger Soldat werden will, dann weise man ihn zurück, denn er hat Gott verachtet." Kanon 16 verlangt von Soldaten, die sich im Militärstand bekehren, dass sie sich fortan verpflichten, jeglichen Tötungsbefehl zu verweigern. (Der späte Tertullian hatte kompromisslos ihren Austritt aus der Armee gefordert.) Militärische Funktionen oder zivile Ämter, die eine Beteiligung an Todesstrafen mit sich bringen, sind Christen nach dem frühen Kirchenrecht schlechthin untersagt. (Noch zu Beginn des 4. Jahrhunderts verhängt die spanische Synode von Elvira über jeden Christen, der ein Verbrechen anzeigt, das mit Todesstrafe geahndet wird, rigoros die Exkommunikation!)

Origenes (+ 254), der Nestor der griechischen Theologie, sieht in den Christen die Vorhut einer neuen Menschheit: "Wir Christen ziehen das Schwert gegen keine Nation, wir lernen keine Kriegskunst mehr, denn wir sind Söhne des Friedens geworden durch Christus." "Es ist den Christen nicht erlaubt zu töten." Die gerne angeführten Kaisergebete des Origenes dienen auch dazu, die "Dämonen, welche die kriegerischen Unternehmungen anstiften", zu vernichten und damit die Kriegsursachen zu bekämpfen. Origenes kennt keine Christen, die Soldaten sind, und er hält diesen Berufsstand auch in jedem Fall für unvereinbar mit dem Christsein.

Unerbittlich gegen eine Anpassung an das Imperium stritt Cyprian, Bischof von Karthago (+ 258). An Donatus schrieb dieser Märtyrer bereits früh nach seiner Bekehrung: "Sieh nur, […] wie Kriege mit dem blutigen Greuel des Lagerlebens über alle Länder verbreitet sind! Es trieft die ganze Erde von gegenseitigem Blutvergießen; und begeht der Einzelne einen Mord, so ist es ein Verbrechen; Tapferkeit aber nennt man es, wenn das Morden im Namen des Staates geschieht. Nicht Unschuld ist der Grund, der dem Frevel Straflosigkeit sichert, sondern die Größe der Grausamkeit."Ähnlich hatte bereits Seneca zur Moral des Staatslebens angemerkt: "Einzelne Mordfälle bringen wir zwar unter Kontrolle, wie aber steht es mit dem dauernden Kriegführen und dem glorreichen Verbrechen des Völkermords?" Die Hand, die einmal das Abendmahl empfangen hat, darf nicht durch Schwert und Blut besudelt werden. Lapidar heißt es zum wichtigsten Kriegsmetall beim hl. Cyprian: "Eisen ist nach Gottes Willen zur Bebauung der Erde da, ohne dass deshalb Mordtaten damit verübt werden dürften."

Noch vor der konstantinischen Wende meint der nordafrikanische Christ Arnobius, dass eine Umsetzung der auf Jesus zurückgehenden christlichen Strategie Kriege und damit die Tötung von Mitgliedern der menschlichen Familie unmöglich machen würde. Zudem glaubt er, die Pax Romana seiner Zeit profitiere von der Praxis der Christen, Böses nicht mit Bösem zu vergelten. Lactanz (ca. 250 - 320) entlarvt in seinen "göttlichen Unterweisungen" wiederum die Ideologien des militärischen Tötens: "Wenn jemand einen Menschen erstochen hat, dann wird dies für eine schuldbeladene Freveltat gehalten, und sie glauben nicht, dass es richtig ist, dass er Zutritt zur irdischen Wohnstatt der Götter [= Tempel] hat. Jener aber, der unendlich viele tausend Menschen hingeschlachtet hat, so dass die Flüsse gefärbt sind, für den sei der Zutritt nicht nur in den Tempel, sondern auch in den Himmel gestattet. […] Wenn dies die Tugend ist, die unsterblich macht, so will ich lieber sterben, als das Verderben für möglichst viele sein." Christen, so meint er, können den vom bürgerlichen Gesetz vorgesehenen Militärdienst nicht in üblicher Weise leisten, denn: "Es ist allezeit verboten, einen Menschen zu töten, weil Gott gewollt hat, dass der Mensch ein unverletzliches Lebewesen sei." Lactanz ist scharfsinniger Aufdecker der Doktrin zur nationalen Interessenssicherung: "Was sind die >Vorteile des Vaterlandes< anderes als die Nachteile eines zweiten Staates oder Volkes, das heißt das Gebiet auszudehnen, indem man es anderen gewaltsam entreißt, das Reich zu mehren, die Staatseinkünfte zu vergrößern? Alles dieses sind ja nicht Tugenden, sondern es ist die Vernichtung von Tugenden. Vor allem nämlich wird die Verbundenheit der menschlichen Gesellschaft beseitigt, es wird beseitigt die Redlichkeit, die Achtung vor fremdem Gut, schließlich die Gerechtigkeit selbst […] Denn wie könnte gerecht sein, wer schadet, wer haßt, wer raubt, wer tötet? Das alles aber tun die, welche ihrem Vaterlande zu nützen streben." "Überall, wo die Waffen sich Geltung verschafft haben, ist die Gerechtigkeit ausgelöscht und verbannt." (Historisch kann die Konsequenz dieser in drei Jahrhunderten beibehaltenen Absage an den Krieg nicht nachdrücklich genug gewürdigt werden. Neuere Bewegungen wie etwa die bundesdeutschen "Grünen" lassen sich bereits nach weniger als zwei Jahrzehnten in kriegstragende Organisationen verwandeln, wenn dadurch den Funktionären eine private wirtschaftliche Absicherung ermöglicht wird.)

Im vierten Jahrhundert wird die pazifistische Tradition von bedeutenden Christen noch fortgesetzt. Der Kappadokier Bischof Gregor von Nazianz (+ 389/90) bemerkt über die Ökonomie des Krieges: "Die Not ist die Mutter der Habsucht und die Habsucht die Mutter der Kriege. Der Krieg aber ist der Vater der Steuern, der schwersten Last in diesem verfluchten Leben." Der hl. Basilius (330-379), Bischof von Caesarea, glaubt irrtümlich, die alten Väter hätten die Tötung im Krieg aus Nachsicht nicht als Mord bewertet.Athanasius von Alexandrien (+ 373) benutzt die für ihn fraglos erlaubte Tötung im Krieg gar, um in einem Brief an den Mönch Amun die fragliche Legitimität des Geschlechtsverkehrs innerhalb der Ehe verständlich zu machen! Er selbst schreibt jedoch: "Der Mut des Soldaten und die Siegestore, die ein Feldherr oder eine Stadt errichtet, sie künden nur von dem gewaltigen Ausmaß des Mordens."Man fühlt sich an einen Ausspruch von Laotse (5. Jh. v. Chr.) erinnert: "Sich des Sieges freuen, heißt soviel, als gerne Menschen töten. Wer aber gerne Menschen tötet, wird sein Ziel im Reich nicht erreichen." Für Paulinus von Nola (353 - 431) sind Schwertträger "Handlanger des Todes". Der ihm bekannte hl. Martin von Tours (317 - 397) verbleibt nach seiner Christwerdung zwei Jahre "nur dem Namen nach" im Militär und verweigert schließlich ganz den KriegsdienstEbenso hatte es - trotz Folterungen - der hl. Victrix (+ 407) gehalten, der Martin kannte und auch selbst nach seiner Kriegsdienstverweigerung Bischof wurde.: "Ich bin Soldat Christi, es ist mir nicht erlaubt zu kämpfen." Entsetzt muss er später als Bischof feststellen, dass Amtsbrüder in Gallien eine tödliche Verfolgung der Anhänger des asketischen Priszillian gutheißen. Er versagt entsprechenden Dekreten seine Unterschrift. Seine Bemühungen um das Leben der "Häretiker" bleiben jedoch erfolglos. Der Biograph Sulpicius Severus schreibt, welche Konsequenz Sankt Martin daraus zieht: "Sechzehn Jahre lebte er noch nachher; er nahm an keiner Synode mehr teil und hielt sich von jeder Zusammenkunft der Bischöfe fern."

Der Beitrag folgt dem Buch: Peter Bürger: Hiroshima, der Krieg und die Christen. Düsseldorf: fiftyfifty 2005. (203 Seiten; 15,- Euro). Im Internet informiert dazu: www.friedensbilder.de/christenkrieg . Siehe ebenfalls die Buchbesprechung von Michael Schmid: Ein eindrückliches und lesenswertes Zeugnis für das Überleben der Zivilisation

Fußnoten

Veröffentlicht am

27. März 2006

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