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Meine Verbrechen gegen den Staat

Von John Dear

Da die Bush-Regierung im Interesse des Imperiums ohnehin eine ausgedehnte Überwachung der Durchschnittsamerikaner erlaubt, dachte ich mir, ich sollte ihr weitere Mühe ersparen und meine Verbrechen bekennen.

Eigentlich bin ich ein ehemaliger Konservativer. Ich wurde mehrere dutzend Mal festgenommen, kenne die Gefängnisse im ganzen Land und erlebte sogar, wie eine Einheit der Nationalgarde auf mein Haus und meine Kirche zumarschierte - und das alles wegen meines öffentlichen Auftretens gegen die Kriege des Staates und die Atomwaffen. Sicherlich stehe ich bereits auf der Liste von irgendjemand.

Vor vierzig Jahren schrieb der große Trappisten-Mönch Thomas Merton “Ein unterschriebenes Geständnis meiner Verbrechen gegen den Staat”. Darin machte er die schockierende Mitteilung, er habe in den Wäldern gesessen, den Sonnenschein genossen und einer Spottdrossel gelauscht. Er bekannte, er sei nutzlos für die Belange des Staates. “Die Erkenntnis erschüttert mich, dass ich den Sonnenschein nicht auf seine wahre Ursache zurückgeführt habe, nämlich den Staat.” Merton schrieb: “Offensichtlich bin ich nicht wert, auch nur eine Minute weiterzuleben.” Ach, meine Verbrechen sind leider ebenso abweichlerisch.

Vor allen Dingen lebe ich wie Merton in einer Wüste, vom Netz abgekoppelt, weit weg von der Mainstream-Kultur. Das macht mich unnütz, erfolglos, unamerikanisch und zu einem unproduktiven Rädchen im gesamtamerikanischen Getriebe. Schlimmer noch, ich lebe nicht weit von Los Alamos entfernt, wo der Staat seine Atombomben baut und Milliarden für die globale Vernichtung ausgibt, während er das Land und die Bevölkerung vergiftet. Ja, ich gestehe es, ich hoffe und bete, dass diese Arbeit, die ich dämonisch nenne, sofort aufhören möge. Ja, ich gebe es zu, im vergangenen August, dem sechzigsten Jahrestag von Hiroshima, schloss ich mich mehreren hundert Freunden an, um wie das Volk von Ninive in Sack und Asche Buße zu tun für die Sünde - das Verbrechen! - des Krieges und der Atomwaffen.

Ja, es ist wahr, manchmal durchwandere ich die Wüste wie Johannes der Täufer, um die Verbrechen des Staates anzuprangern, und ich rufe wie Maria, die Mutter Jesu im berühmten Magnificat, dass seine Führer von ihren Thronen stürzen mögen. Ja, ich bekenne auch, ich habe vor Zuhörern überall in der Welt meine verbrecherische Hoffnung auf die Abrüstung von Los Alamos und, aus dem selben Grund, der Livermore Laboratorien, der SAC-Basis (Strategic Air Command), der Trident-Unterseeboot-Stützpunkte, der Oak Ridge Laboratorien und aller anderen imperialen Einrichtungen des nuklearen Völkermords ausgesprochen.

Ja, der Staat muss wissen, ich bin nicht resozialisiert. Ich bin stolz darauf, 1993 einen nuklearfähigen F 15 Jagdbomber in Goldsboro, North Carolina, mit dem Hammer bearbeitet zu haben, um das Gebot des Propheten Jesaja zu erfüllen, Schwerter in Pflugscharen umzuschmieden. Wir traten damit für das Völkerrecht, die Nürnberger Prinzipien und Gottes Gebot der Gewaltfreiheit ein. Ich glaube, jeder, der mit der Produktion, der Wartung und dem Einsatz von Atomwaffen zu tun hat, verhält sich wie ein Verbrecher.

Schlimmer noch, ich gestehe, ich bin in Feindesland gewesen. Ich gebe es zu, ich habe meine Feinde nicht getötet, ich habe meine Feinde nicht gehasst, ich wünschte meinen Feinden nicht den Tod, wie es die meisten patriotischen Amerikaner auf Geheiß des Staates tun. Ich mag sie nicht nur, ich liebe sie, wie Jesus es gebot, und ich bin im Laufe der Jahre Zehntausenden von ihnen begegnet - in El Salvador, Nicaragua, Guatemala, Haiti, Palästina, Indien, den Philippinen, ja sogar im Irak. Morgen werde ich es wieder tun. Ich gehe nach Kolumbien, um mit den Menschen Freundschaft zu schließen, die vom US-Militär und der wirtschaftlichen Tyrannei zur Zielscheibe gewählt wurden. Ich weiß, ich darf das nicht, doch fühle ich mich durch eine höhere Macht aufgerufen, sie zu lieben. Ich kann nicht anders. Es tut mir ja so leid.

Ja, ich gestehe: Ich bin auch gegen die Todesstrafe, nicht nur, weil sie ungerecht und rassistisch ist. Sie ist auch unmoralisch, grausam und unmenschlich. Ich möchte nicht nur ein Moratorium für sie erreichen, ich möchte, dass sie für ungesetzlich erklärt wird. Ich hoffe, dass jeder elektrische Stuhl in Kürze demontiert wird und dass wir aufhören, Menschen tödliche Gifte einzuspritzen - als ob das Töten von Menschen, die andere Menschen töten, der Weg sei, zu zeigen, dass das Töten von Menschen falsch ist. Ich bin auch gegen die staatliche Bevorzugung der Reichen, der Konzerne und der Milliardäre. Ich bin für freie Gesundheitsfürsorge für jedermann und eine saubere, gesunde Umwelt für alle. All das wäre möglich, wenn wir abrüsten würden. Aber wir können nicht beides zugleich haben: eine Kultur der Gerechtigkeit und des Friedens und eine Kultur der Ungerechtigkeit und des Krieges. Es gibt nur das eine oder das andere. Mein verbrecherischer Verstand denkt, all das Geld, das für Krieg und Waffen ausgegeben wird, sollte stattdessen für die menschlichen Bedürfnisse ausgegeben werden.

Ja, ich gebe es zu: Ich war und bin immer gegen den amerikanischen Krieg im Irak gewesen. Der Staat log und fährt fort zu lügen. Er kümmert sich um nichts und niemand, weder um die Demokratie zuhause, noch anderswo, weder um den Aufbau von Falludscha oder New Orleans, noch um Abrüstung im Irak oder in New Mexiko, wo ich wohne. Er will Kontrolle über die Ölvorräte der Welt, insbesondere im Mittleren Osten, um seine wirtschaftliche Vorherrschaft zu behaupten, und er will sie um jeden Preis, einschließlich des Todes von zehntausenden wunderbarer Kinder. Mich kümmert es nicht, ob es patriotisch oder unpatriotisch klingt, ich unterstütze das Töten von Kindern nicht, selbst wenn alle anderen gottesfürchtigen Amerikaner darauf bestehen, dass wir die Nummer eins bleiben müssen, selbst um den Preis des “Kollateralschadens” von Kinderleichen. Für mich ist der Tod eines Kindes ein Verbrechen, das um jeden Preis, einschließlich des Verlustes von Öl, vermieden werden muss. Ich weiß, das richtet sich gegen die amerikanische Außenpolitik, doch es ist die Grundlinie.

Nun aber kommen wir zu meinem schlimmsten Verbrechen, meiner verbrecherischen Vision. Ich gestehe, ich stelle mir eine Welt vor, in der die USA niemanden bedroht oder plant, die Erde zu zerstören. Ich möchte in einer Welt leben ohne Krieg, Armut und Atomwaffen. Ja, ich weiß, solch eine Welt ist nur möglich, wenn der Staat abdankt. Nie mehr Imperium, nie mehr Pentagon, nie mehr Atomwaffen, nie mehr unbegrenztes Geld für Exxon und die Freunde von Cheney, nie mehr Militärstützpunkte in der ganzen Welt, nie mehr Folter, nie mehr F 15 und F 16 Jäger, nie mehr Trident-Unterseeboote, nie mehr Bomben und Gewehre und Kugeln. Ja, in meiner Vision wird der Vizepräsident nicht einmal mehr in der Lage sein, bei der Jagd auf seine Freunde, statt auf das Wild zu schießen.

In meiner verbrecherischen Vision wird jeder gewaltlos werden. Wir werden eine Nation aus Martin Luther Kings, Coretta Scott Kings, Dorothy Days und Thomas Mertons sein. Wir werden jeden lieben, jeden willkommen heißen, für jeden sorgen und jedem dienen. Wir werden unsere Reichtümer ausgeben, um den Hunger auszutilgen, Krankheiten zu heilen und den Frieden und die Gerechtigkeit auf dem ganzen Planeten zu fördern. Ja, ich bewundere jene unamerikanischen, unpatriotischen Gegner der Sklaverei, die für die Abschaffung der Sklaverei eintraten. Ich betrachte mich selbst als einen “Abolitionisten” (Abschaffer), der für die Beendigung von Krieg, Armut und Atomwaffen arbeitet.

(Ich denke sogar, jeder Geistliche, Prediger, Priester, Bischof und Kardinal, der den Krieg unterstützt und ketzerische Predigten wie “Gott ist für den Krieg” hält, sollte in aller Stille abdanken, in ein Trappistenkloster eintreten oder in die Wüste gehen. Dort sollte er den Rest seines Lebens zubringen, um die heilige Weisheit des Evangeliums der Gewaltfreiheit wieder zu entdecken.)

So, nun ist es heraus. Ich bekenne es: Ich möchte mit jedermann in Frieden leben. Ich weigere mich, ein Teil eurer weltweiten Gewalttätigkeit zu sein. Ich möchte für den Rest meines Lebens ein gewaltfreier Mensch sein.

Für euch, für den Staat ist das die größte aller Sünden. Ich werde mich der Absicht des Staates nicht anbequemen, irgendjemand zu töten, selbst wenn ich nur noch zu den wenigen Menschen im Land gehören sollte, die sich weigern zu töten. Der Staat kann mich einsperren, belauschen, mein Telefon abhören, mich schikanieren, beschatten, festnehmen und ins Gefängnis werfen, so wie ihr es schon so viele Male getan habt. Der Staat kann mich sogar töten, wie er Martin Luther King Jr. getötet hat. Ich werde mich seiner Gewalt nicht anschließen, seine Kriege und seine Waffen nicht unterstützen, keine Steuern zahlen für seine Tötungsorgien. Ich werde seinem Imperialismus keine Treue geloben, seinen Medien-Speichelleckern nicht zuhören, seine Götzenfahne nicht schwenken oder ruhig sitzen bleiben, während er meine geliebten Schwestern und Brüder in aller Welt massakriert.

Ich möchte mit der Menschenfamilie in der ganzen Welt gemeinsame Sache machen. Wir sind, und darauf bestehe ich, alle gleich, alle Kinder Gottes und verdienen alle ein Leben in Frieden. Ich gelobe Treue zu Gottes Herrschaft des vollkommenen Friedens, der gewaltfreien Liebe und des gleichen Rechts für jedermann, einschließlich des Irak.

Ach, armer Staat, deine Tage sind gezählt. Du solltest es lieber eingestehen, dein Überwachungsprogramm einstellen und mit der Abrüstungsarbeit fortfahren. Ein neuer Tag des Friedens bricht an.

John Dear ist Jesuitenpriester, Friedensaktivist und Autor oder Herausgeber von 20 Büchern über Frieden und Gewaltlosigkeit. Seine jüngsten Veröffentlichungen sind: “Die Sache Jesu” und “Lebendiger Friede”, beide bei Doubleday, sowie “Ihr werdet meine Zeugen sein” (demnächst bei Orbis Books). Er lebt in New Mexiko. Weitere Informationen bei www.johndear.org .

Quelle: CommonDreams.org vom 13.02.2006. Übersetzung: Wolfgang Sternstein. Originalartikel: Confessions of Crimes Against the State .

Veröffentlicht am

24. Februar 2006

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