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Eine unmoralische Kriegskoalition

Der Unterschied zum Irak: Weshalb die Friedensbewegung die Chance hat, eine Aggression gegen den Iran zu verhindern

Von Mohssen Massarrat

Atomwaffen - sollte der Iran tatsächlich Derartiges wollen - würden nicht mehr Sicherheit bringen, sondern das regionale Wettrüsten im Mittleren Osten verschärfen. Ein Krieg aber dürfte mit großer Wahrscheinlichkeit die iranische Führung erst recht dazu veranlassen, den Vertrag über die Nichtweiterverbreitung (Atomwaffensperrvertrag) zu verlassen, um - wie Israel, Indien und Pakistan es vorgemacht haben - in den Besitz von Atombomben zu gelangen. Ungeachtet dessen läuft der Countdown, die EU-Diplomatie hat das Kommando an den UN-Sicherheitsrat - im Klartext an die USA - abgegeben. Jetzt kann und will George Bush handeln: zunächst Sanktionen des Sicherheitsrats, dann Erhöhung der Spannung durch weitere Konflikt-Eskalation, schließlich ein Luftkrieg. Verteidigungsminister Rumsfeld plädiert immer offener, zuletzt auf der Münchener Sicherheitskonferenz, für “eine militärische Option, wenn die diplomatischen Instrumente keine Lösung brächten”. Die US-Regierung ist dabei, die Medien darauf einzustimmen, dass Aktionen “gegen den Iran auch ohne die Zustimmung der UN möglich sind”. Westliche Staaten haben ihre strategischen Ölreserven deutlich erweitert, die Finanzwelt arbeitet laut “vertraulicher Mitteilungen” (Nr. 3840) eines den deutschen Unternehmen nahe stehenden Magazins, seit Oktober 2005 eifrig Pläne aus, um im Kriegsfall einer Ölleitwährungskrise des Dollar vorzubeugen. Westlichen Zentralbanken wurde dringend empfohlen, schon vor März umfangreiche Dollar-Reserven vorzuhalten, da US-Planungen nahe legen, dass ein Krieg gegen den Iran “im kommenden März erforderlich werden könnte”.

Auch die psychologische Kriegsvorbereitung ist in vollem Gange. Dazu gehören - wie vor dem Irak-Krieg - immer neue “Enthüllungen” über geheime Pläne zum Bau von Atombomben oder Vorwürfe, der Iran sei ein “führender staatlicher Sponsor des Terrorismus”. Als notorischer Lügner längst stigmatisiert, sitzt Teheran stets auf der Anklagebank, und seine Gegendarstellungen stoßen auf taube Ohren. Besorgnis erregend ist, dass sich dabei auch Deutsche beteiligen. Mit ihrem unsäglichen Vergleich des islamischen Staates mit dem Naziregime und - indirekt - des Präsidenten Ahmadinedschad mit Hitler hat die Bundeskanzlerin auf der Münchener Sicherheitskonferenz eine neue Etappe in der psychologischen Kriegsvorbereitung eingeläutet. Die Parallele zu ähnlichen Hitler-Vergleichen bei Milosevic und Saddam Hussein Wochen vor dem Jugoslawien- beziehungsweise Irak-Krieg ist verblüffend. Angela Merkel geht dabei mit der Wahrheit genau so fahrlässig um, wie Mahmoud Ahmadinedschad mit der Leugnung des Holocaust und seinen antiisraelischen Verbalattacken. Ahmadinedschad mobilisiert die islamische Welt für den Tag X - Merkel trommelt, wissend oder nicht wissend, für einen Angriffskrieg.

Nimmt man Chiracs Atomkriegsdrohung und diverse Erklärungen Blairs dazu, stellt sich folgende Frage: Haben die drei EU-Staaten den US-Kriegsplänen bereits zugestimmt? Setzen sie sich deshalb an die Spitze der psychologischen Kriegsvorbereitung?

Die Indizien für einen bevorstehenden Luftkrieg verdichten sich jedenfalls allmählich zur Gewissheit. Im Unterschied zum Irak ist es der US-Strategie gelungen, nicht nur die EU, sondern auch Russland, China und relevante blockfreie Staaten wie Indien für ein Eskalationskonzept auf ihre Seite zu ziehen. Russland und China wechselten rechtzeitig die Fronten, um wegen möglicher Handelssanktionen gegen den Iran Washington nicht ins Gehege zu kommen. Wird weiter eskaliert, dann könnten die USA - vermutlich im Verbund mit Israel - gegebenenfalls auch ohne die Zustimmung des UN-Sicherheitsrates Iran mit Bomben überziehen.

Dazu wären sie militärtechnisch, entgegen einer weit verbreiteten Auffassung, sehr wohl in der Lage. Truppenbewegungen wären in diesem Falle gar nicht nötig. Bodentruppen würden - im Unterschied zum Irak - nicht gebraucht. Alle erforderlichen Militärkapazitäten sind längst um Iran herum platziert. Die USA können von ihren Stützpunkten in Saudi-Arabien und Qatar oder den vor Bahrain ankernden Kriegsschiffen aus oder mit den auf der Insel Diego Garcia im Indischen Ozean stationierten Langstreckenbombern des Typs B-52 oder von ihren Basen im Irak und in Afghanistan aus sämtliche Kriegsziele aus der Luft angreifen.

Die offizielle Kriegsbegründung, Iran müsse auf jeden Fall daran gehindert werden, Atombomben zu bauen, ist unglaubwürdig. Pakistanische Atomwaffen, die längst existieren und leicht in die Hände von Extremisten gelangen könnten, stellen eine ungemein größere Gefahr dar, ohne dass der Westen sie auch nur im Ansatz thematisiert. Einen neuen Krieg, der alle bisherigen seit dem Vietnamkrieg in den Schatten stellen würde, mit der Begründung zu führen, Iran könnte in zehn Jahren Atombomben produzieren, ist noch absurder als die Lüge mit den Massenvernichtungsmitteln, mit denen der Irak-Krieg gerechtfertigt wurde. Mit dem Iran steht für Washington ohnehin wesentlich mehr auf der hegemonialen Tagesordnung als mit dem Irak:

Erstens soll durch die gezielte Zerstörung sämtlicher Atomanlagen an zehn bis fünfzehn Standorten Irans Nuklearprogramm unterbrochen werden, um Israels atomare Vormachtstellung in der Region und die Hegemonialposition der USA dauerhaft unantastbar zu machen.

Zweitens soll der Iran als regionale Mittelmacht und damit als Machtfaktor zerbombt werden. Es muss daher einkalkuliert werden, dass außer den Atomanlagen auch konventionelle Militäreinrichtungen wie Panzerverbände, Flugzeuge, Waffenfabriken - auch in dicht besiedelten Wohngebieten -, Kriegsschiffe, Raketenstützpunkte, strategisch wichtige Brücken und Kasernen, Ziel von Luftangriffen sein werden. In Amerikas großem Plan für den “Großraum Mittlerer Osten” ist ein mächtiger iranischer Staat gänzlich fehl am Platze.

Drittens soll durch einen Krieg ein Chaos ausgelöst werden, das in eine Revolte unzufriedener Iraner und ethnischer Minderheiten führt, um einen Regimewechsel in Teheran herbeizuführen und eine den USA hörige Regierung zu installieren. Zu diesem Zweck wird auch die Zerstörung von Ölraffinerien nicht ausgeschlossen, um Irans Ökonomie und Infrastruktur zu paralysieren. Auszuschließen ist auch keineswegs die Spaltung des Vielvölkerstaates Iran. Sollte ihre Rechnung aufgehen, würden die USA die Öl- und Gasreserven des Mittleren Ostens vollständig kontrollieren. Es würde zudem der iranische Plan zunichte gemacht, durch eine für März geplante Ölbörse den Dollar als Ölleitwährung abzulösen. Immerhin war auch Saddams Politik, irakisches Öl in Euro zu verkaufen, ein entscheidender Grund, um ihn durch eine Invasion zu stürzen.

Viertens soll ein Präzedenzfall für eine Neuinterpretation des Atomwaffensperrvertrages geschaffen werden, um unter anderem die Anreicherung von Uran ausschließlich als Privileg der fünf legalen Atommächte festzuschreiben. Dadurch wären allen anderen Staaten, vor allem den Schwellenländern, die Hände gebunden, einen eigenständigen nuklearen Brennstoffkreislauf aufzubauen. Sie wären stattdessen gezwungen, sich in die Abhängigkeit der Atommächte - besonders der USA - zu begeben, die gerade dabei sind, neue Generationen von kleinen Atommeilern für die Nach-Öl-Ära zu entwickeln und weltweit als strategische Alternative zu den erneuerbaren Energien durchzusetzen. Dezentral einsetzbare erneuerbare Energien würden hingegen sämtliche für die Hegemonie nötigen Abhängigkeiten überflüssig machen.

Die hier aufgelisteten, für eine globale Hegemonie der USA substanziellen Interessen erklären vieles. Der Iran ist nach Afghanistan und Irak das letzte Hindernis auf dem Weg zu einem US-Großraum Mittlerer Osten. Ginge es allein nach dem Willen der US-Neokonservativen, würde man auch vor einem Flächenbrand nicht zurückschrecken. Radikale Schiiten im Irak würden aller Wahrscheinlichkeit nach für Iran Partei ergreifen und arabische Staaten, die wie Saudi Arabien sunnitisch sind, sich auf die Seite irakischer Sunniten schlagen. Ein erneuter Bürgerkrieg im Libanon wäre nicht mehr ausgeschlossen. Auch Syrien, das im Nahen Osten nach Israel die zweitstärkste Armee besitzt und mit Iran einen Militärpakt geschlossen hat, würde in die Kampfhandlungen hineingezogen. Damit hätte ein Krieg gegen den Iran fatale Konsequenzen, nicht nur für die Völker im Mittleren und Nahen Osten sowie für die Existenz Israels, sondern auch für Europa, für die weitere Ausbreitung des Terrorismus und für den Weltfrieden. Gerade deshalb braucht Bush diesmal - im Unterschied zum Irak-Krieg - einen breiten Konsens und die moralische Legitimation der EU. Auf diesen Konsens hat Washington seit anderthalb Jahren systematisch und meisterhaft hingearbeitet.

Das EU-Trio war selbst dumm genug, sich mit der Akzeptanz der amerikanischen Drohkulisse - entweder ihr befolgt unsere Forderungen oder euch droht ein Krieg - in den Würgegriff der amerikanischen Iran-Pläne zu begeben. Mit ihrem so genannten Kompromissangebot vom 5. August 2005 an Teheran musste die EU scheitern, weil es für die andere Seite nichts Substanzielles enthielt. Stattdessen wurden dem Iran - durchaus vergleichbar mit dem Rambouillet-Diktat von 1999 gegen Jugoslawien - gravierende Zugeständnisse wie der dauerhafte Verzicht auf die Anreicherung von Uran oder auf einen Austritt aus dem Atomwaffensperrvertrag abverlangt. Europa handelte als nützlicher Idiot, wie es sich die Falken in der US-Regierung ausgedacht hatten. Bereits im Januar 2005 enthüllte Seymour Hersh die Taktik der USA: Sie würden zur Tat schreiten, “sobald die EU mit ihrer Diplomatie scheitert” - und die ist in der Tat schon längst gescheitert. Bei ihrer gemeinsamen Pressekonferenz jüngst in Washington war sich Angela Merkel hundertprozentig mit Präsident Bush einig, Irans Atomprogramm zu verhindern, wobei der US-Präsident - ohne dass sich Merkel davon distanzierte - die Kriegsoption nicht ausschloss.

Die inzwischen zusammen gebastelte “moralische” Kriegsallianz ist eine Stärke, aber auch eine Schwäche von Bushs Kriegsstrategie. Gelänge es der deutschen Friedensbewegung, Merkel schon jetzt auf ein unmissverständliches “auf keinen Fall Krieg” festzulegen, würde die “moralische” Front abbröckeln und Bushs Kriegsplan wie ein Kartenhaus zusammenfallen. Genau hier liegt die Chance der Friedensbewegung, im Unterschied zum Irak einen Iran-Krieg tatsächlich noch zu verhindern.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 07 vom 17.02.2006.

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Veröffentlicht am

17. Februar 2006

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