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Radikal, aber nicht in den Dogmen

Für eine Linke, die sich selber mag

Von Konstantin Wecker - Kommentar

Die Perspektive einer neuen Kraft außerhalb der neoliberalen Meinungsdiktatur habe ich lange herbeigesehnt. Warum muss ich hier nicht noch einmal ausführen, wir wissen es alle, auch wenn die meisten Medien es nicht schreiben … “Kapitalgesellschaften genießen Rechte, die weit über Rechte natürlicher Personen hinausgehen: sie sind unsterblich, extrem mächtig und rein rechtlich verpflichtet, sich pathologisch zu verhalten. Es handelt sich schlicht um die moderne Form des Totalitarismus”, wie jüngst Noam Chomsky in einem Freitag-Interview meinte. Eine Auswirkung dieses “Totalitarismus” zeigt sich auch in der medienübergreifenden Kampagne, das linke Wahlbündnis entweder als Sammelbecken ewig gestriger Spinner, Sozialromantiker und Fantasten abzuqualifizieren, Lafontaine als “Hassprediger” zu diffamieren oder - noch schlimmer - alle in die rechte Nazi-Schmuddelecke zu stellen.

In Anbetracht all dessen bin ich erst recht überzeugt, dass eine hörbare Stimme des Widerstands bitter nötig ist, und dafür, dass das neue Linksbündnis möglichst stark in die Parlamente einzieht. Ich will aber auch festhalten, dass es für mich um sehr viel mehr geht als um eine rein parlamentarische Perspektive. Duckmäusertum und Opportunismus wurden jahrzehntelang gezielt und ohne allzu effektiven Widerstand hochgezüchtet - wer sich engagierte, sah sich als “Gutmensch” verächtlich gemacht, kritisches Denken und rebellischer Geist wurden mit Zuckerbrot und Peitsche ausgetrieben. Wir haben es mit einer Gesellschaft zu tun, die auf der Ebene des Einzelnen wie gelähmt erscheint, und deshalb im Ganzen zu einer Ansammlung von Egoismen zu verkommen droht. Unter denen allerdings nur einige wenige Macht genug haben, sich auf Kosten der anderen durchzusetzen.

Gerade deshalb halte ich das Linksbündnis für einen wirklich wichtigen Schritt, um auf parlamentarischer Ebene wieder Opposition zu artikulieren. Gleichzeitig jedoch halte ich diese parlamentarische Ebene nicht für das einzige - noch nicht einmal für das entscheidende - Feld der Auseinandersetzung.

Ein warnendes Beispiel sind mir hier die Grünen, deren Gründung ich ebenfalls mit großen Hoffnungen und direktem, persönlichem Engagement begleitet habe, und deren Zug Richtung Fleischtöpfe ich dann spätestens beim Kosovo Krieg mit wachsendem Entsetzen mit ansehen musste. Das Parlament ist eben kein neutraler Raum, den man mal so und mal so besetzen könnte, sondern eine soziale Maschine, ein atmosphärischer Mechanismus, der selbst die Besten und Aufrichtigsten scheinbar unaufhaltsam einsaugt und integriert in ein Geflecht von Macht und Geld und Medien und Seilschaften und oft auch skrupellosen Opportunismus.

Ich will all jene, die nun einen entschlossenen Schritt heraus aus der Lähmung wagen, mit diesen Worten keineswegs entmutigen oder mir anmaßen, ihnen ein ähnliches Schicksal vorauszusagen. Nein, es kann in diesem Falle anders ausgehen, besser, ehrlicher, rebellischer.

Entscheidend dafür ist aber, ob dem Sog nach rechts, dem man sich im Hause der bürgerlichen Macht unweigerlich aussetzt, ein stärkerer Sog nach links entgegensteht: eine außerparlamentarische, nicht integrierte, sondern durch und durch aufmüpfige Bewegung, die Politiker immer wieder herauszieht aus dem Reichstag, auf Straßen und Plätze und in den Strom normaler, machtloser, ganz und gar medienuntauglicher Menschen.

Mit anderen Worten, die Linkspartei braucht Unterstützung - wenn sie werden soll, was wir uns von ihr erhoffen, dann braucht sie kritische Unterstützung. Insofern bekunde ich gern auch öffentlich meine Sympathie für das neue Bündnis, halte aber eine rein parlamentarische Strategie für entschieden zu kurz gegriffen. Das freie Denken und Leben blüht nicht in der Wahlkabine, sondern dort, wo sich Menschen miteinander und füreinander bewegen. Und ich will hier auch sagen, dass ich mir eine andere Linke wünsche: eine bunte Linke, die sich selber mag, die Widersprüche aushält und positiv erlebt, die freundlich ist, versponnen, mutig und radikal, aber nicht in ihren Dogmen, sondern in ihren Lebensäußerungen. Und deshalb sage ich hier, auch wenn das vielen Linken vielleicht aufstößt: Ich wünsche mir eine Linke, die auch eine spirituelle Botschaft bereithält, über das Tagespolitische und über harte Fakten hinausgeht und die Herzen der Menschen erreicht.

Das heißt auch, wieder andere, emanzipativere Formen zu entwickeln, Kunst und Künstler einzubinden. Widerstand muss mehr sein als Prozente am Wahltag. Wir brauchen eine neue APO.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung , 32 vom 12.08.2005. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Konstantin Wecker und Verlag.

Veröffentlicht am

13. August 2005

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