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Atomwaffenfreiheit ist möglich

Doch noch bedrohen weltweit 28000 Kernwaffen das Überleben der Menschheit

Von Wolfgang Kötter

Am blauen Morgenhimmel über der japanischen Stadt Hiroshima tauchte vor genau 60 Jahren ein dunkler Punkt auf, der sich schnell nähert. Es ist die “Enola Gay”, ein US-amerikanischer B-29-Bomber, benannt nach der Mutter des Piloten Paul Tibbets. Um 8.15 Uhr erfolgt der Befehl zum Ausklinken der Atombombe, und kurz darauf bricht erstmals in der Menschheitsgeschichte das nukleare Inferno aus. Drei Tage später ereilt Nagasaki dasselbe Schicksal.

Sechs Jahrzehnte später ist die Gefahr einer atomaren Apokalypse nicht gebannt. Im Gegenteil - rund 28.000 Kernwaffen bedrohen das Überleben der Menschheit, und eine neue Runde des nuklearen Wettrüstens hat bereits begonnen. Die Friedensorganisation “Ärzte gegen den Atomkrieg” IPPNW richtet deshalb angesichts der bevorstehenden Bundestagswahl einen dringenden Aufruf an alle Bürgerinnen und Bürger. 1 Unter Hinweis auf die in Deutschland gelagerten US-amerikanischen Nuklearbomben und mit der Forderung nach Befreiung unseres Landes von diesen Waffen appellieren die Unterzeichner: “Verlangen Sie von den Kandidaten, die sich in Ihrem Wahlkreis um Ihre Stimme bewerben, eine klare Stellungnahme zur Frage der atomaren Abrüstung.”

Die Freiheit von Atomwaffen ist mehr als nur ein Wunschtraum. Rund zwei Milliarden Menschen auf der südlichen Hälfte der Welt haben sie bereits von ihrem Boden verbannt. Als in Mexiko-City in diesem Frühjahr eine internationale Konferenz über kernwaffenfreie Zonen stattfand, kehrte die Idee dorthin zurück, wo ihre Verwirklichung einst begann, denn im Stadtteil Tlatelolco wurde vor 40 Jahren das erste Projekt ausgehandelt.

Die Kernwaffenfreiheit soll das eigene Leben vor Angriffen mit Atomwaffen schützen, indem man sich vom globalen nuklearen Wettrüsten abkoppelt. Eine Region, die selbst ohne Kernwaffen ist, so die Erwartung, stellt für niemanden eine nukleare Bedrohung und deshalb auch kein lohnenswertes Ziel dar. Zudem entfällt ein Motiv für atomare Rüstungswettläufe in der Region, denn wer weiß, dass die Nachbarn nicht an der Bombe bauen, hat selbst auch keinen Grund dazu. Die Vertreter von über 110 Staaten tauschten bisherige Erfahrungen aus, um sie für zukünftige Vorhaben nutzbar zu machen. Im Selbstverständnis der Nichtnuklearstaaten bildet eine kernwaffenfreie Zone nämlich nicht das Endziel, sondern markiert eine wichtige Zwischenetappe zur weltweiten nuklearen Abrüstung.

Nicht zufällig galten die ersten Pläne Europa, der unmittelbaren Konfrontationslinie zwischen den Militärallianzen von Ost und West. So bot der polnische Außenminister Rapacki im Jahre 1957 den eigenen nuklearfreien Status für den Verzicht beider deutscher Staaten auf die Produktion, den Erwerb und die Stationierung atomarer Waffen an. Anknüpfend an einen schwedischen Vorschlag für einen weltweiten “Club kernwaffenfreier Staaten” warb Finnlands Präsident Kekkonen im Jahre 1963 für eine atomwaffenfreie Zone in Skandinavien. Die vom Ministerpräsidenten Schwedens geleitete Palme-Kommission schlug später die Schaffung eines von nuklearen Gefechtsfeldwaffen freien 300 km breiten Korridors zwischen NATO und dem Warschauer Pakt vor. Wie zuvor auch Rumänien regte Griechenland den Dialog über einen Balkan ohne Nuklearwaffen an. Letztlich jedoch scheiterten alle diese Vorhaben an der Einbindung potenzieller Teilnehmer in die strategische Planung und Waffendislozierung der Militärbündnisse während des Kalten Krieges.

Der Ost-West-Konflikt ist inzwischen überwunden, dennoch stehen in Europa einer Entnuklearisierung auch gegenwärtig noch erhebliche Barrieren entgegen. Die Nuklearmacht Frankreich verfügt über ca. 350 Kernwaffen und Großbritannien besitzt rund 200 nukleare Sprengköpfe. Dazu kommen etwa 480 Atombomben vom Typ B-61, von denen jede die fünffache Zerstörungskraft der Hiroshimabombe besitzt. Die USA haben sie in Belgien, Deutschland, Großbritannien, Italien, den Niederlanden und in der Türkei stationiert. 20 davon lagern auf dem Bundeswehr-Fliegerhorst Büchel in der Eifel. 130 weitere, ursprünglich auf dem US-Luftwaffenstützpunkt Ramstein stationierte Waffen, sollen zeitweilig ausgelagert sein. 2

Im Ernstfall würden entsprechend der “nuklearen Teilhabe” 3 auch deutsche Piloten mit ihren Tornados diese Massenvernichtungswaffen zum Einsatzort fliegen. Obwohl Umfragen zufolge 92 Prozent der Bevölkerung die Beseitigung der Atomwaffen befürworten, hat die Nukleare Planungsgruppe der NATO erst im Juni die Beibehaltung der geltenden Nuklearstrategie bekräftigt. Doch Widerstand kann durchaus erfolgreich sein. So trat Kanada bereits 1989 aus der technischen Teilhabe aus, und Griechenland ist seit Anfang 2001 atomwaffenfrei. Selbst in Deutschland wurde bereits ein Anfang gemacht. Denn die östlichen Bundesländer, in denen entsprechend dem 2+4-Vertrag über die deutsche Einheit von 1990 keine Kernwaffen stationiert werden dürfen, bilden bereits heute de facto eine völkerrechtlich garantierte atomwaffenfreie Zone. Damit bekommt die im Kalten Krieg von der rechten Propaganda für die DDR als Verunglimpfung gemeinte Bezeichnung “Zone” doch noch einen positiven Inhalt.

Quelle: ND vom 06.08.2005. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Wolfgang Kötter.

Anmerkungen:

1 Appell an die Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik

2 Siehe Artikelsammlung zu Atomwaffen in Deutschland/Europa .

3 Siehe Artikelsammlung zu Nukleare Teilhabe

Veröffentlicht am

10. August 2005

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