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Ein britischer Nachruf auf Johannes Paul II

An den Händen dieses Papstes klebt Blut

Von Terry Eagleton - Guardian / ZNet 04.04.2005

1978, als er Papst wurde, neigte sich die Emanzipationsbewegung der 60ger Jahre ihrem Ende zu, und die endlose Nacht der Reagan- und Thatcher-Politik brach an. Die wirtschaftliche Abwärtsspirale, die Anfang der 70ger Jahre einsetzte, zeigte allmählich ihre beißende Wirkung. Damit einhergehend war in der westlichen Welt ein massiver Rechtsruck. Ein obskurer polnischer Bischof namens Karol Wojtyla wurde Papst Johannes Paul II. Das war Teil dieser Entwicklung.

Das sogenannte Zweite Vatikanische Konzil der 60ger war sozusagen die Flower-Power-Phase der katholischen Kirche - nun aber war die Zeit reif, die linken Mönche, fröhlichen Nonnen und marxistischen Katholiken Lateinamerikas wieder an die Kandare zu nehmen. Diese Leute gingen auf das Konto eines Papstes namens Johannes XXIII 1 , der von konservativen Katholiken bestenfalls für total meschugge, schlimmstenfalls aber für einen sowjetischen Spion gehalten wurde.

Für die neue Aufgabe brauchte man einen, der mit den Spielregeln des Kalten Kriegs bestens vertraut war. Der polnische Prälat Karol Wojtyla stammte aus einem Land, das damals wahrscheinlich zu den reaktionärsten Außenposten der katholischen Kirche zählte. Die polnische Kirche war extrem antikommunistisch und nationalistisch - gespickt mit kitschiger Marienfrömmigkeit. Der Umgang mit dem polnischen Kommunismus verwandelte Wojtyla und den Rest der polnischen Bischöfe mit der Zeit in vollendete Politexperten. Phasenweise war kaum ein Unterschied zwischen der Kirche Polens und dem stalinistischen Apparat zu bemerken. Beide Institutionen übten Zensur aus, sie waren dogmatisch, hierarchisch und abgeschottet - voller Mythen und Personenkult. Und wie sooft, wenn Gleiches auf Gleiches trifft, entstand auch hier Todfeindschaft. Sie waren gefangen im tödlichen Konflikt um die polnische Volksseele.

Als die polnischen Bischöfe feststellten, wie wenig ihnen der Dialog mit dem polnischen Regime einbrachte, weigerten sie sich auch im innerkirchlichen Theologenstreit, beide Seiten anzuhören (wie das beispielsweise Rowan Williams tat) - ein Konflikt, der innerhalb der katholischen Kirche voll entbrannte. Bei einem Besuch im Vatikan, bevor er Papst wurde, erschrak der autoritäre Wojtyla zutiefst, als er sah, wie sich die Theologen stritten. So etwas hätte es in Warschau nicht gegeben.

Das konservative Lager im Vatikan - das dem Zweiten Vatikanischen Konzil von Anfang an negativ gegenübergestanden hatte und alles tat, es zum Scheitern zu bringen -, suchte sein Heil nun in Polen. Als der Thron Sankt Peters erneut vakant wurde, überwanden die Konservativen ihre Aversion gegen einen nichtitalienischen Pontifex und ernannten - zum erstenmal seit 1522 - einen Nichtitaliener zum Papst.

Einmal an der Macht, machte sich Johannes Paul II emsig daran, die liberalen Errungenschaften des Zweiten Vatikanischen Konzils wieder zurückzuschrauben. Prominente liberale Theologen wurden vor den päpstlichen Thron zitiert, um ihnen die Leviten zu lesen. Eines der wichtigsten Ziele des neuen Pontifex: Die Macht wieder in den Händen des Papstes zu vereinen.

Dezentralisierung der Macht, Machtübertragung auf die Kirchen vor Ort - das alles sollte wieder rückgängig gemacht werden. In frühkirchlicher Zeit war es üblich, dass die Laien - Frauen und Männer - ihre Bischöfe selbst wählen. Soweit wollte das Zweite Vatikanische Konzil zwar nicht gehen, aber es bestand auf dem Prinzip der Kollegialität. Der Papst sollte nicht mehr Boss aller Bosse sein (capo di tutti capi - wörtlich: Haupt aller Häupter) sondern der Erste unter Gleichen.

Johannes Paul II wollte keinen als gleichgestellt anerkennen. Schon als junger Priester war er bekannt für sein übersteigertes Vertrauen in die eigene spirituelle Kraft, den eigenen Verstand. Graham Greene hatte einen Traum, in dem er die Schlagzeile las: ‘Jesus Christus von Johannes Paul heiliggesprochen’. Die Bischöfe wurden nach Rom zitiert - nicht, um brüderlich beraten zu werden, sondern um Befehle zu erhalten.

Extrem rechte, durchgeknallte Mystiker und Franco-Anhänger empfingen päpstliche Ehrungen - während lateinamerikanische Befreiungstheologen abgekanzelt wurden. Die Autorität dieses Papstes war so unanfechtbar, dass der Leiter eines spanischen Priesterseminars seinen Studenten allen Ernstes weismachen konnte, er hätte die persönliche Erlaubnis des Papstes, sie zu masturbieren.

Diese absolute Machtkonzentration auf Rom führte zur Entmündigung der Kirchen vor Ort. Die Geistlichen waren in ihrer Initiative gelähmt, ständig wanderte ihr nervöser Blick gen Rom. An diesem Punkt - als die lokalen Kirchen am wenigsten in der Lage waren, eine Krise eigenverantwortlich zu meistern -, kam (in den USA) ein Kindersexskandal ans Licht. Und wie reagierte Johannes Paul II? Er belohnte den amerikanischen Kardinal, der den Skandal hartnäckig unter den Tisch gekehrt hatte, mit einem bequemen Posten in Rom.

Das größte Verbrechen, das dieser Papst jedoch beging, war nicht seine Mitschuld an der Vertuschung jenes Skandals und nicht seine Neandertaler-Haltung zum Thema Frauen, vielmehr der groteske Zynismus, mit dem der Vatikan den Gebrauch von Kondomen verdammte - als “Kultur des Todes”. Diese Kondome hätten unzählige Katholiken in den Entwicklungsländern vor einem schrecklichen Aidstod bewahren können. Mit dieser Blutschuld an den Händen sieht der Papst seiner ewigen Belohnung entgegen.

Papst Johannes Paul II war für die christlichen Kirchen eine der größten Katastrophen - seit Charles Darwin.

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Terry Eagleton ist Professor für Kulturtheorie an der Manchester University.

Anmerkung d. Übersetzerin:

1 Im Originaltext steht hier ‘John XIII’. Das ist falsch. Es war Papst Johannes XXIII (John XXIII), der das Zweite Vatikanische Konzil einberief, um die römisch-katholische Kirche von Grund auf zu reformieren (“die Fenster aufreißen”). Angelo Giuseppe Roncalli wurde 1881 als armer italienischer Bauernsohn geboren (André Heller benannte 1976 seinen alternativen Zirkus Roncalli nach ihm). Bischof Roncalli war links, volksverbunden und reiste viel in der Welt herum. 1958 wurde der 77jährige zum Papst ernannt - ein “Übergangspapst” und Verlegenheitskandidat. Die Kurie hielt den immer zu Späßen aufgelegten Alten für harmlos. Zu spät erkannten die Konservativen im Vatikan ihren Fehler. Papst Johannes XXIII berief gegen alle Widerstände das Zweite Vatikanische Konzil, mit dem er die Kirche reformieren und nach außen öffnen wollte. Zum erstenmal wurde ein afrikanischer und ein japanischer Kardinal ernannt. Er entwickelte eine katholische Friedens- und Soziallehre mit globalem Ansatz. Der weitgereiste Papst predigte Toleranz - innerhalb der Kirche und zwischen den Religionen. Er kämpfte gegen Rassendiskriminierung und Neokolonialismus. Seine berühmte Friedensenzyklika ‘Pacem in Terris’ (Frieden auf Erden) war die erste Enzyklika eines Papstes, die ausdrücklich an “alle Menschen guten Willens” gerichtet ist - nicht nur an Katholiken. Darin fordert der Papst ein Ende des Wettrüstens und aller Atomversuche. Er korrespondierte mit Chruschtschow, der den Papst sehr schätzte (die Konservativen erklärten J. hierauf zum Sowjetspion) und vermittelte 1961 sehr erfolgreich in der Kuba-Krise. Nach nur 5 Jahren starb Johannes XXIII 1963, ohne sein Reformwerk vollenden zu können. Passolini widmete ihm sein Schwarzweißwerk ‘Das 1. Evangelium nach Matthäus’.

Quelle: ZNet Deutschland vom 06.04.2005. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: A British Obituary of Pope John Paul II

Veröffentlicht am

06. April 2005

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