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Wieder einmal definiert Israel die Friedensbedingungen neu

Von Ramzy Baroud - ZNet 17.02.2005

Der angeblich “erfolgreiche” Gipfel von Sharm el-Sheikh/Ägypten, der am 8. Februar stattfand, war für die Palästinenser (die okkupierte Seite) und für wirklich friedliebende Israelis alles andere als ein Triumph. Der Ausblick, der sich an diesem Badeort am Roten Meer bot, war spektakulär und die großzügige Gastfreundschaft der Ägypter beeindruckend. Herzergreifende Reden wurden gehalten. Die Medien priesen anschließend das Ganze. Davon abgesehen sieht die Perspektive für die kommenden Wochen und Monate düster aus: Nach einer gewissen Zeit der relativen Ruhe wird es erneut zur Gewalt kommen - zu jener typisch einseitigen Gewalt, wie sie die Region seit Jahren kennt. Bevor wir das Resultat des Gipfels beurteilen (wird er den Grundstein für einen dauerhaften Frieden legen oder nur zu einem Intervall der Ruhe führen, ehe der Krieg weitergeht?), ist es unsere Aufgabe, den historischen Kontext des jetzigen Palästinenseraufstands unter die Lupe zu nehmen. Nur so ist eine kritische und fundierte Zukunftsanalyse anzubieten.

Die israelischen Regierungen sind Meister, wenn es darum geht, die Palästinenser an den Rand zu drängen - mittels Kollektivbestrafung, mittels einer brutalen Militärpolitik, mittels Häuserzerstörungen, usw.. Die der israelischen Politik immanenten Ziele beschränken sich allerdings nicht nur darauf, die Palästinenser zu unterdrücken. Ultimatives Ziel israelischer Politik ist die Enteignung palästinensischen Lands in den Besetzten Gebieten (jenseits der Grenzen von 1967).

Die an den Rand gedrängten Palästinenser haben sich gewehrt - mit Gewalt und anderen Mitteln. In manchen Fällen hat ihr Widerstand zu einer Kampagne des kollektiven Handelns geführt - meist spontan. Dahinter standen aber meist - als galvanisierende Kraft - lokale politische Bewegungen mit einem gut definierten Programm, das sie artikulierten. Beide Palästinenseraufstände - der von 1987 und der 2000 - hatten eine Botschaft, die mit den politischen Zielen der meisten Palästinenser weitgehend in Einklang stand. Diese Botschaft lautet: Wir brauchen einen wirklich souveränen Palästinenserstaat, der alle Gebiete, die Israel seit 1967 illegal besetzt hält, inklusive Ost-Jerusalems, umfasst.

Wir sollten nicht vergessen: Selbst in den radikalsten und revolutionärsten Phasen ihrer modernen Geschichte forderten die Palästinenser nie mehr als 22% des historischen Palästina vor Gründung Israels. Diese Forderungen frustrierten Israel jedoch. Kontinuierlich streute es überall in den westlichen Medien die falsche und abwegige Behauptung, die leichtbewaffneten Palästinenser bedrohten mit ihrem Aufstand die Existenz des Staates Israel (die universelle Waffe der Intifada von 1987 war eine Schleuder, mit der man große Steine gegen israelische Angriffshelikopter schleudern konnte).

Niemand könnte wohl behaupten, die Haltung der Israelis sei in all den Jahren gleich geblieben. Andererseits fiele die Behauptung schwer, die Haltungsänderung der Israelis sei mehr als nur kosmetischer, symbolischer und rhetorischer Natur. Zweifellos ist es lange her, seit es in Israel noch allgemeiner Konsens war, die Palästinenser als Nation zu vernichten - mit allen nötigen Mitteln. Ebenso lange ist es her, seit sich israelische Spitzenpolitiker um die historische Tatsache drückten, dass es so etwas wie ein palästinensisches Volk überhaupt gibt. Allerdings spiegelt die Realität vor Ort immer noch den Katalog der Einstellungen früherer israelischer Regierungen wider - die Realität vor Ort als ein Spiegel der von diesen Leuten praktizierten Politik.

Ein Beispiel: Israelische Offizielle - auf beiden Seiten des politischen Spektrums - führen ständig das Wort “Frieden” im Mund, vor allem seit Unterzeichnung der Osloer Verträge 1993. Gleichzeitig fand eine intensive israelische Kampagne zur Vertreibung der Palästinenser von ihrem Land statt, eine Kampagne zur Ausweitung der (jüdischen) Siedlungen, zur Enteignung großer Stücke der Westbank für sogenannte “Sicherheitszonen” und zur kompletten Abriegelung (und weiteren Entfremdung) des besetzten Ost-Jerusalem. Seit Unterzeichnung der als “historisch” geltenden Verträge von Oslo hat sich die Zahl der illegalen (jüdischen) Siedlungen in den Besetzten Gebieten mehr als verdoppelt (laut Unterlagen der israelischen Friedensbewegung Peace Now).

Israels ultimatives Ziel blieb stets dasselbe. Daran gibt es keinen Zweifel, zumal die illegalen Praktiken, die Israel vor Ort anwendet, unablässig weitergingen. Den Palästinensern ihre langverwehrten Rechte zu gewähren, ihnen Souveränität über ein zusammenhängendes Stück Land zu gewähren und internationales Recht zu achten, war nie Bestandteil der israelischen Agenda. Sehr wahrscheinlich werden diese Themen weiter ignoriert - es sei denn, das politische Ungleichgewicht (in Form der unehrlichen Rolle der US-Regierung) wird korrigiert.

Warum finden dann überhaupt Friedensgespräche statt?

Schon vor Jahren stellte Israel seine Politik der Massenvertreibungen ein - eine Politik, die Israel schlechte PR einbrachte. Sie brachte Israels ergebene Freunde in Washington in Verlegenheit, und den Palästinensern gelang es, internationale Aufmerksamkeit zu erregen - ein Bremsklotz für die Expansionsziele Israels in der Region. Spezieller Zweck von Oslo 1993 war es daher, das Thema Israelis/Palästinenser von der Problemliste internationaler Konflikte zu streichen. Israels angekratztes Image sollte aufpoliert werden. Eine korrupte, egoistische Palästinenserführung wurde unter dem Banner “Kampf gegen den Terror” aufgebaut. Und während sich die bemitleidenswerten palästinensischen Unterhändler mit einem eindrucksvollen, mehrere tausend Seiten starken Machwerk aus detaillierten Vorschlägen abquälten und sich in einer Rechtssprache verhedderten, die in unergründlichen Worten jede noch so kleine geplante “Umgruppierung” israelischer Panzer beschrieb, gruben israelische Bulldozer munter die Westbank um - zum Bau neuer jüdischer Siedlungen.

Im Jahr 2000 startete die Al-Aqsa-Intifada. Zwei wesentliche Faktoren kamen den israelischen Zielen erneut in die Quere. Der erste Faktor war Jassir Arafat. Der kürzlich verstorbene Arafat wich von der Rolle ab, die man ihm zugedacht hatte. Zwar plötzlich aber umso entschiedener weigerte er sich, alle Rechte der Palästinenser aufzugeben. Der zweite Faktor waren die palästinensischen Massen, die doppelt litten - einerseits unter der israelischen Besatzung, andererseits unter den durch und durch korrupten Eliten der Palästinenserbehörde (PA). Die Massen erhoben sich in einer Rebellion. Israels Premier Scharon ging gegen beide Faktoren gnadenlos vor - der Rest ist Geschichte.

Arafat starb am 11. November 2004. In der Tat hat sein Tod die “Hoffnung wiederbelebt” - wie die Medien papageienhaft nachplapperten. Die “Hoffnung”, die der Tod des geschwächten Arafat erweckt, ist die auf Wiederbelebung des Vermächtnisses von Oslo, auf eine Rückkehr zu jenem Status quo, der den israelisch-palästinensischen Konflikt schon seit vielen Jahren kennzeichnet. Für die Palästinenser ist nichts drin - null - es sei denn, ein paar symbolische Gesten. Für Israels einseitiges Expansionsprojekt hingegen wird Zeit geschunden, das Projekt wird gestärkt.

In diesem Sinne - willkommen, in Sharm el-Sheikh: Oslo mit arabischem Timbre und Aroma. Die palästinensische Polit-Elite darf weiterregieren und sich ihre ach so rechtmäßige Position in der Gesellschaft erneut aneignen, während die normalen Philister in die Gosse gedrückt werden, wo sie tunlichst bleiben sollen. Die Bulldozer Israels sollen mit dem Bau jener gigantischen illegalen Mauer fortfahren und die illegalen Siedlungen dürfen “natürlich expandieren”. Die israelischen Truppen werden zwar “umgruppiert”, allerdings bleiben die Heckenschützen in Position - auf Hochhäusern nahe jeder Palästinenserstadt, jedes Dorfes und jedes Flüchtlingslagers. Die diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und seinen unmittelbaren Nachbarn - vielleicht sogar darüber hinaus - werden wiederbelebt. Ariel Scharon wird König von Israel - ein Triumphator im Krieg wie im Frieden.

Der Gipfel von Sharm el-Sheikh ist ein “Erfolg” - im Sinne eines Kotaus vor Israel und dessen amerikanischem Klienten. Um Frieden hat sich der Gipfel nicht ernsthaft bemüht - zumindest um keinen, der in Einklang stünde mit dem Gerechtigkeitsprinzip, wie es das internationale Recht und eine Reihe wichtiger, relevanter UN-Resolutionen vorschreiben. Von den Palästinensern wurde auf dem Gipfel verlangt, ihre Neigung zur Gewalt zu überwinden. Die Nation, die so lange Opfer war und ist, müsse Israel - einer Atommacht mit der fünftstärksten Armee der Welt - die Sicherheit gewährleisten, die Israel “zurecht verdient und braucht”.

Während der gesamten Konferenz von Sharm el-Sheikh fiel das Wort “Besatzung” nicht einmal (so Robert Fisk im ‘Independent’). Sharm el-Sheikh ist gescheitert, weil dort die wichtigsten Probleme, die den nationalen Kampf der Palästinenser seit Generationen bestimmen, nicht zur Sprache kamen - nicht das Ende der Besatzung, nicht das Rückkehrrecht oder ein Abbau der (jüdischen) Siedlungen, usw.. Reserviert war der Gipfel fast ausschließlich für Gespräche über israelische Sicherheitsbelange. Ich frage mich, seit wann es akzeptabel ist, dass eine Besatzungsmacht von ihren Gefangenen Sicherheit verlangt.

Der Gipfel von Sharm el-Sheikh ist gescheitert. Er litt an allen Symptomen, die schon Oslo aufwies, und es besteht kein Zweifel, dass er auch so enden wird wie Oslo. Wenn man sein Scheitern endlich erkennt, wird Israels Imperialprojekt - die Mauer, die Siedlungen und die Aneignung des größten Teils der Westbank, auf die Israel so spekuliert - längst “Fakten vor Ort” geschaffen haben, die man akzeptiert haben wird. Vielleicht wird PA-Präsident Mahmoud Abbas - Mitverfasser der Osloer Verträge - ja dann erkennen, wie weit er mit seinem defätistischen Pragmatismus ging. Aber wird es jemanden auch nur interessieren?

Ramzy Baroud ist seit vielen Jahren (arabisch-amerikanischer) Journalist und Chefredakteur von PalestineChronicle.com Sie können ihn kontaktieren unter: editor@palestinechronicle.com

Quelle: ZNet Deutschland vom 19.02.2005. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “How Israel Is Once Again Redefining the Terms of Peace”

Veröffentlicht am

20. Februar 2005

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