Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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Sonntagspredigten - Montagsgebete - Montagsdemonstrationen

Freimütige, zur Diskussion gestellte Gedanken zu den Sonntagspredigten am 11. -14. Sonntag nach dem Dreieinigkeitsfest, 22. August bis 12. September 2004

Von Werner Dierlamm

Viele sind noch im Urlaub oder gehen noch in den Urlaub. Gleichzeitig ist eine große politische Unruhe entstanden, die in den sogenannten Montagsdemonstrationen in Erscheinung tritt. In Baden-Württemberg sind bis zum 11. September noch Schulferien. In Schorndorf kommen wir in der Schulzeit wöchentlich zum Ökumenischen Montagsgebet für den Frieden in der Welt zusammen und treffen uns wieder am 13. September. Wir haben mit diesem Friedensgebet unter dem Eindruck des 11. September 2001 begonnen und haben es in Erinnerung an die Montagsgebete in der Nikolaikirche in Leipzig bewusst auf den Montag gelegt. Nun ist das Montagsgebet in Leipzig im Zusammenhang mit den politischen Montagsdemonstrationen wieder ins Gerede gekommen. Das kann mich nicht kalt und unbeteiligt lassen…

Die evangelische Kirche in der DDR mit ihren spärlich besuchten Gottesdiensten und zerfallenden Gotteshäusern hat einen wesentlichen Beitrag zur Überwindung des kommunistischen Systems ohne Blutvergießen, zur friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands und so zum Zusammenwachsen Europas geleistet. 1980 gab es im Osten die erste Friedensdekade, in Königswalde und an anderen Orten kamen Christen zu Friedensseminaren zusammen, die Opposition gegen das Regime konnte sich unter den Dächern der nicht gleichgeschalteten Kirche sammeln. Im Herbst des Wendejahrs 1989 kam es dann zu den großen Demonstrationen. Die bekannteste, die am deutlichsten das Ende des Regimes erkennen ließ, fand am 9. Oktober 1989 im Anschluss an das Montagsgebet in der Nikolaikirche in Leipzig statt, als 70 000 Menschen mit dem Ruf “Keine Gewalt” und “Wir sind das Volk” durch die Straßen zogen.

Die Montagsgebete und Montagsdemonstrationen in Leipzig sind mir wichtig, weil sie den Zusammenhang von Gebet und politischem Handeln sichtbar machen. Christian Führer, der Initiator der Gebete, an die sich die Demonstrationen anschlossen, spricht davon, dass “Altar und Straße” zusammengehören. Andere sagen: “Kontemplation und Aktion” gehören zusammen, Benedikt von Nursia sagte: “ora et labora” (bete und arbeite), Dietrich Bonhoeffer sprach vom “Beten und Tun des Gerechten”, und Jesus von Nazareth warnte: “Es werden nicht alle, die zu mir sagen: Herr, Herr!, in das Himmelreich kommen, sondern die den Willen tun meines Vaters im Himmel” (Matthäus 7,21).

Sobald wir aus dem geschützten Raum unserer Kirchen, Gottesdienste und Gebete auf die “Straße” hinaustreten, geraten wir in den Konflikt der sich widerstreitenden politischen Meinungen, in das Ringen um Macht und Einfluss. Auch wenn wir “parteiunabhängig” bleiben wollen, kommen wir doch nicht darum herum, Partei zu ergreifen. Auch wenn wir alles, was sich in diesem Herbst 2004 noch abspielen mag, ignorieren und uns da ganz “heraushalten”, ergreifen wir Partei für das Nichtstun.

In den kommenden Wochen werden Sonntagspredigten in ganz Deutschland den Montagsdemonstrationen in vielen Städten Deutschlandes vorangehen. Gibt es da einen Zusammenhang? Wie werden sich die Kirchgänger dazu stellen? Mein erster Gedanke war: wenn sich doch die ganze Kirche in einem Geist hinter diese Demonstrationen stellen würde! Unmöglich? Ähnliches hat es durchaus schon gegeben, damals vor 90 Jahren, am Anfang des 1. Weltkriegs, als die Begeisterung groß war und sich die Prediger (Predigerinnen gab es damals noch nicht) auf fast allen Kanzeln “hinter unsere tapfer kämpfenden Soldaten” stellten, allerdings mit wahrlich verheerenden Folgen. Der scheinbar heilige Geist von damals ist heute als Irrgeist erkannt.

Am 15. Februar 2003 gab es die bisher größten Massendemonstrationen in der ganzen Welt. In diesen Wochen haben die Kirchen weltweit für den Frieden gebetet und gegen den drohenden Krieg gepredigt - mit Ausnahmen. War es vor einem Jahr vielleicht wirklich der Heilige Geist, der die Kirche auf Erden ergriffen hatte? Und wie wird es nun in diesem Herbst 2004 sein? Sollen sich die Predigenden auf den Kanzeln aus diesem Konflikt “ganz heraushalten”? Werden sie etwaige Ähnlichkeiten und Vergleiche zwischen dem Herbst 1989 und dem Herbst 2004 empört zurückweisen? Werden sie, wie es sich für einen Vortragenden gehört, “differenziert Stellung nehmen”? Werden sie das, was heute und morgen Millionen Menschen in Deutschland bewegt, als willkommenen Aufhänger für ihre Predigt benutzen und viel Nichtssagendes darüber sagen? Oder werden sie sich, wie ich es mir oben wünschte, deutlich mit den Demonstrierenden solidarisieren? Aber was bedeutet schon mein Wunsch?

Zusammenhang zwischen den Predigttexten der Predigttexte vom 22.08. bis 12.09. und den Montagsdemonstrationen

Die Predigenden haben für jeden Sonntag “ihren Text”. Der Text soll entscheiden, heißt es. Aber die Predigenden entscheiden, wie sie den Text auslegen. In wenigen Gedanken zu den Texten der kommenden vier Sonntage versuche ich, einen Zusammenhang mit den zu erwartenden Montagsdemonstrationen herzustellen.


Sonntag, 22. August 2004. Predigttext Epheser 2, 4-10 (ich nehme die Verse 1-3 hinzu)

Überschrift in der Einheitsübersetzung über die Verse 1-10: Vom Tod zum Leben

1: Ihr wart tot infolge eurer Verfehlungen und Sünden
10: Seine Geschöpfe sind wir, in Christus Jesus dazu geschaffen, in unserem Leben die guten Werke zu tun, die Gott im voraus für uns bereitet hat.

Dieser Text stellt klar das falsche Leben und das wahre Leben einander gegenüber. Der nachpaulinische Verfasser des Epheserbriefs wagt sogar, die getauften Gemeindeglieder in Ephesus als Menschen zu bezeichnen, die einst unter der Herrschaft des falschen Geistes standen und damals “tot” waren, jetzt aber lebendig geworden sind, indem sie die guten Werke tun, die Gott im voraus für uns bereitet hat. Ich glaube nicht, dass wir heute so einfach die toten und die lebendigen Menschen einander gegenüber stellen können. Aber ich bin überzeugt, dass es das falsche und das wahre Leben gibt und dass die Menschheit durch das falsche Leben zugrunde gerichtet und zum wahren Leben befreit werden kann. Was ist wahres Leben?

Ich orientiere mich dabei an dem letzten großen Propheten in Israel, an Jesus von Nazareth. Er hat nicht nur Feindesliebe gepredigt, sondern sich auch um die schwächsten und ärmsten Menschen zu seiner Zeit angenommen.

Weil er die Feindesliebe gepredigt und verwirklicht hat, kann ich die Friedensbewegung unterstützen. Sie versucht, Feindbilder zu überwinden und zerstrittene Menschen und Völker zu versöhnen. Weil Jesus sich um die Armen und Kranken und moralisch Gescheiterten angenommen und ihnen wirklich geholfen hat, heiße ich auch alle die Bewegungen, Aktionen und Organisationen gut, die deutlich dieselbe Richtung einschlagen. Darum begrüße ich und unterstütze ich auch die sogenannten Montagsdemonstrationen, die im Rahmen der weltweiten neuen Gerechtigkeitsbewegung für die einseitig Benachteiligten auch in Deutschland eintreten. Dass überall Fehler passieren, wo man zu handeln anfängt, ist klar. Sie müssen eingestanden und korrigiert werden.


Sonntag, 29. August 2004. Predigttext Apostelgeschichte 9, 1-10

1: Saulus wütete immer noch mit Drohung und Mord gegen die Jünger des Herrn.
5: Er antwortete: Wer bist du, Herr? Dieser sagte: Ich bin Jesus, den du verfolgst.

Es gab eine Zeit, als Paulus, der damals noch Saulus hieß, die Frauen und Männer, die dem Propheten Jesus von Nazareth folgten, für sehr gefährliche Leute hielt, die verfolgt und vor Gericht gestellt werden mussten. So billigte er die Hinrichtung des Stephanus. Sein Verhalten fällt in dieser Welt nicht aus dem Rahmen. Auch die Religionen, jedenfalls die jüdische, christliche und muslimische Religion haben ursprünglich die Todesstrafe vorgesehen und gefordert. Dass sie heute in vielen Staaten der Welt abgeschafft ist und auch das Recht zu öffentlichen Demonstrationen eingeräumt wird, ohne dass die Demonstranten niedergeknüppelt oder vor Gericht gestellt werden, ist einer demokratischen Entwicklung zu verdanken, die sich gegen den Willen der Kirchen durchsetzte.

Für mich ist aber Jesus, der letzte und größte Prophet des Volkes Israel, derjenige, der den eigentlichen Grund für die Humanisierung des Strafrechts gelegt hat. Die sogenannte Bekehrung des Paulus ist gleichbedeutend damit, dass er in den jungen, völlig gewaltlos entstandenen Jesusgemeinden keine Gefahr mehr sah. Er predigte vielmehr, dass sich Gott in dem armen Menschen Jesus offenbart und aller Gewalt entäußert habe (Philipper 2, 5-11) - und darin sah er eine rettende Botschaft für die Welt. Morgen, am 30. August 2004, finden wieder an vielen Orten in der Bundesrepublik “Montagsdemonstrationen” statt. Sie haben ihren Namen von den großen Demonstrationen, die im Herbst 1989 im Anschluss an das Montagsgebet in der Nikolaikirche stattfanden. Damals ging es um das gewaltlose Niederringen einer korrupten Regierung. Heute geht es um die Herstellung größerer Gerechtigkeit zugunsten der Armen innerhalb notwendiger Reformen.

Pfarrer Christian Führer, der Initiator der Montagsgebete, hat am Schluss einer Stellungnahme zu den Montagsdemonstrationen geschrieben:
Wir müssen im Gebet und in Gesprächen um das verantwortliche Reden und Handeln ringen. “Gerechtigkeit für alle” wird das Thema unseres Friedensgebetes am 30. August 2004 um 17 Uhr in der Nikolaikirche sein, zu dem wir Teilnehmer von überall her erwarten.


Sonntag, 5. September 2004. Predigttext : 1. Johannes 4, 7- 12

8: Wer Gott nicht liebt, hat Gott nicht erkannt; denn Gott ist die Liebe.

Der Text ist von einem fast inflationären Gebrauch der Worte Liebe und lieben bestimmt. Diese Häufung von Liebesworten und Liebesforderungen wird viele Prediger und Predigerinnen quälen und viele Hörerinnen und Hörer langweilen oder sogar wegen der kaum verhüllten Drohung: Wer Gott nicht liebt, zornig machen. Mir fällt dabei ein Witz ein, der abgewandelt lauten könnte: so ein Haufen Liebe auf einmal macht den Kirchenraum stickig und nimmt einem den Atem, aber im ganzen Land verbreitet, übt die Liebe eine wohltätige Wirkung aus. Diese Liebe will aus der Kirche hinaus und in die Häuser, Familien, Rathäuser, Schulen, Parlamente, Straßen, Demonstrationen hinein. Wer soll sie dort hintragen? Es wäre wunderbar, wenn es die Christen täten. die aus den Gottesdiensten, aus den Friedens- und Montagsgebeten kommen. Jesus selbst hat sie zum Salz der Erde, zum Licht der Welt, zu Liebesträgern in Demonstrationen bestimmt. Es gibt immer jemand, über den man sich maßlos aufregen kann, seien es die Politiker, die an allem schuld sind, seien es Mitläufer bei Demos, die mit ihrem Geschrei nerven oder vergessen, dass es in diesen Demonstrationen, die “Gerechtigkeit für alle” zum Ziel haben, “keine Gewalt!” geben darf. Gott, der die Liebe ist, liebt alle, alle, alle ohne Ausnahme.


Sonntag, 12. September 2004. Predigttext Römer 8, 12-17

14: Denn alle, die sich vom Geist Gottes leiten lassen, sind Söhne Gottes.
17: Sind wir aber Kinder, dann auch Erben; wir sind Erben Gottes und sind Miterben Christi, wenn wir mit ihm leiden, um mit ihm auch verherrlicht zu werden.

Es gibt Menschen, die sich vom falschen Geist leiten lassen und ein falsches Leben führen. Und es gibt Menschen, die sich vom Geist Gottes leiten lassen. Paulus nennt sie Söhne Gottes (und vergisst zu sagen, dass es auch Töchter Gottes gibt). Der Unterschied kann zur Spaltung werden, die Spaltung zur Feindschaft führen. Diese Gefahr droht schon zu Zeiten des Neuen Testaments. Die Christusbekenner haben sich für Kinder und Erben Gottes gehalten, wie dieser Text des Paulus und andere neutestamentliche Texte beweisen. Wie stand Paulus zu seinen jüdischen Volksgenossen, die sich nicht zu Jesus als dem Messais bekannten? Waren sie vom Geist Gottes verblendet statt geleitet? Blieben sie in seinen Augen trotzdem Erben Gottes oder wurden sie von Gott enterbt, wie viele Generationen von Christen nach Paulus behauptet haben?

Die Spaltung zwischen den Menschen droht immer von neuem und mit ihr Feindschaft, Neid, Hass und Gewalt. Am schlimmsten scheint in der Gegenwart die Spaltung zwischen den Reichen und den Armen zu sein. Am schlimmsten könnte in Zukunft noch die Spaltung zwischen den Religiösen und den Säkularen werden, zwischen den Gläubigen und den Ungläubigen. Soll immer nur der eine Teil der Menschheit die volle Herrlichkeit erlangen, der andere meist größere Teil aber nicht nur enterbt und aller künftigen Herrlichkeit beraubt, sondern verflucht und in Ewigkeit verdammt werden? Wird Gott, der die Liebe ist und alle, alle, alle liebt, das zulassen?

Ich halte mich an das Gebet des Herrn, das Vaterunser, das für mich das wichtigste Kriterium zur Deutung und Unterscheidung der biblischen Texte ist. Auch das wichtigste Kriterium zur Beurteilung alles dessen, was in der Welt vorgeht, all der Taten, Aktionen und Demonstrationen, die das Gesicht der Erde zum Schlechten oder Guten verändern. Es gibt Gutes und Böses in der Welt, falsches und wahres Leben der Menschen.

Aber das Reich Gottes soll kommen. Es kommt, wenn Gottes Wille wie im Himmel so auf Erden geschieht. Dann werden nicht nur wir Christen in einem schmerzhaften Prozess vom Bösen befreit werden (wenn wir mit ihm leiden). Dann werden mit uns alle Menschen das wahre Leben finden. Dann werden nicht die einen ein riesiges Vermögen erben und die anderen nur Schulden. Dann wird nicht ein Teil gesegnet und der andere verflucht sein, sondern mit uns werden alle anderen auch verherrlicht werden. Wir beten im Vaterunser darum, dass das Reich Gottes und seine Herrlichkeit allen Menschen auf Erden zuteil werden möge.

Veröffentlicht am

28. August 2004

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