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Gehorsam bis zum Verfassungsbruch

DER 20. JULI 1944 UND DIE PFLICHT ZUR VERWEIGERUNG.

Wer sich in der Bundeswehr daran hält, kann degradiert werden, wie der Fall des Majors Florian Pfaff zeigt

Von Jürgen Rose

Die oftmals mörderische Realität militärischer Gewalt mag den Verdacht erwecken, bei dem Terminus “Soldat” handle es sich um ein Akronym, das ausbuchstabiert bedeutet: “Soll ohne langes Denken alles tun”. Zumindest die Gesetzeslage steht solcher Vermutung entgegen, bestimmte doch bereits das Militärstrafgesetzbuch der deutschen Wehrmacht in Paragraph 47: “Wird durch die Ausführung eines Befehls in Dienstsachen ein Strafgesetz verletzt, so ist dafür der befehlende Vorgesetzte allein verantwortlich. Es trifft jedoch den gehorchenden Untergebenen die Strafe des Teilnehmers: erstens, wenn er den ihm erteilten Befehl überschritten hat, oder zweitens, wenn ihm bekannt gewesen ist, dass der Befehl des Vorgesetzten eine Handlung betraf, welche ein bürgerliches oder militärisches Verbrechen bezweckte.”

Konkret umgesetzt fand sich dieses Gesetz in den 10 Gebote[n] für die Kriegführung des deutschen Soldaten, eingedruckt ins Soldbuch, das jeder ständig mitzuführen hatte. Wehrmachtsangehörige mussten daher wissen: ihre Gehorsamspflicht hatte Grenzen. Dennoch führten sie - Adolf Hitler in Kadavergehorsam ergeben - den barbarischsten Raub- und Mordkrieg der jüngeren Geschichte. Nur sehr wenige wagten es - ihrem Gewissen folgend und ihr Leben riskierend - sich verbrecherischen Befehlen zu widersetzen. Manche entzogen sich, indem sie desertierten. Andere retteten in aller Stille Menschenleben, indem sie Befehlen zuwider handelten. Wieder andere leisteten offenen Widerstand und versuchten wie die Männer des 20. Juli 1944, den Tyrannen aus dem Weg zu räumen. Besonders ihnen, die Recht und Gewissen folgten und dabei Ungehorsam übten, wurde in dieser Woche zu Recht ein ehrendes Angedenken zuteil. Die Obersten Graf von Stauffenberg und Mertz von Quirnheim oder die Generale Ludwig Beck, Friedrich Olbricht oder Hans Oster gelten als Vorbild für jeden Soldaten der Bundeswehr. Auch die bewegen sich schließlich im Spannungsfeld von Gehorsam, Recht und Gewissen.

Piloten verweigern den Einsatz im Luftkrieg gegen Jugoslawien

So ist der Bundeswehrsoldat einerseits nach Paragraph 11 des Soldatengesetzes zum Gehorsam verpflichtet - Ungehorsam, Gehorsamsverweigerung oder leichtfertiges Nichtbefolgen von rechtmäßig und verbindlich erteilten Befehlen ziehen die Bestrafung nach dem Wehrstrafgesetz nach sich -, andererseits aber gilt (ganz wie zu Zeiten der Wehrmacht), dass ein Befehl nicht befolgt werden darf, wird dadurch eine Straftat begangen.

Diese Rechtsnormen wurden auch auf internationaler Ebene bestätigt, als 1994 der KSZE-Gipfel von Budapest einen “Verhaltenskodex zu politisch-militärischen Aspekten der Sicherheit” beschloss, der in den beiden einschlägigen Paragraphen 30 und 31 die Rechtsbindung bei Befehlsausübung und Befehlserfüllung sowie die unaufhebbare persönliche Verantwortlichkeit jedes Soldaten definiert. Für den Bundeswehrsoldaten folgt daraus: seine Gehorsamspflicht ist durch das Wehr-, Verfassungs- und Völkerrecht begrenzt. Gerade deswegen kann sich kein Soldat mit dem Verweis auf empfangene Befehle aus der persönlichen Verantwortung für sein Handeln stehlen. In seinem Generalinspekteursbrief 1/1994 merkte General Naumann diesbezüglich an: “In unserem Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Ethik stehen dem Gehorsamsanspruch des Dienstherrn das Recht und die Pflicht zur Gehorsamsverweigerung gegenüber, wo eben diese Rechtsstaatlichkeit und Sittlichkeit mit dem militärischen Auftrag nicht mehr in Einklang stehen, der Soldat damit außerhalb der freiheitlich-demokratischen Rechtsordnung gestellt würde.”

Die bisher geschilderten eher abstrakten Überlegungen gewannen im vergangenen Jahrzehnt mit der Neudefinition des Verteidigungsauftrages - er gilt nun auch am Hindukusch und auf dem Balkan - eine zunächst nicht erahnte Brisanz. Plötzlich weigerten sich nämlich Bundeswehrsoldaten, Befehlen zu gehorchen, die sie für unvereinbar mit Grundgesetz- und Völkerrechtsnormen hielten. Dies geschah erstmals 1999 während des Luftkrieges gegen Jugoslawien, als es Piloten ablehnten, an den Angriffen teilzunehmen. Vier Jahre später, Anfang 2003, gab Florian Pfaff, Major im Streitkräfteamt der Bundeswehr, zu Protokoll, er werde keinesfalls an der von der Bundesregierung ausdrücklich genehmigten Unterstützung des Präventivkrieges der USA gegen den Irak mitwirken.

Die Gründe für diese Gehorsamsverweigerungen schienen klar und eindeutig: Völkerrechtlich betrachtet wurden beide Kriege ohne Mandat des einzig hierfür autorisierten UN-Sicherheitsrates geführt. Sie waren auch nicht durch das Recht zur individuellen oder kollektiven Selbstverteidigung nach Art. 51 der UN-Charta gedeckt. In beiden Fällen wurde somit gegen das dort verankerte Gewaltverbot verstoßen. Schließlich fielen beide Interventionen unter die Aggressionsdefinition, wie sie die UN-Generalversammlung 1974 verabschiedet hatte.

Unter verfassungsrechtlichen Aspekten war zu berücksichtigen, dass gemäß Art. 25 des Grundgesetzes (GG) die allgemeinen Regeln des Völkerrechtes Bestandteil des Bundesrechtes sind. Daran sind alle Bewohner der Bundesrepublik Deutschland - also auch Bundesregierung und Angehörige der Streitkräfte - unmittelbar gebunden. Darüber hinaus verstoßen alle Maßnahmen, die geeignet sind und mit der Absicht vorgenommen werden, das friedliche Zusammenleben der Völker zu stören, besonders aber einen Angriffskrieg vorzubereiten, gegen den Art. 26 GG. Wer dem zuwider handelt, kann nach Paragraph 80 des Strafgesetzbuches mit lebenslänglichem Freiheitsentzug bestraft werden.

Der auf den ersten Blick so eindeutige Sachverhalt entpuppte sich jedoch aus einschlägiger juristischer Sicht als reichlich kompliziert. In beiden hier angeführten Fällen lehnte der zuständige Generalbundesanwalt die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen die Bundesregierung wegen Verstoßes gegen Art. 26 GG mangels eines hinreichend begründeten Anfangsverdachtes ab. Ohne die mitunter rabulistische juristische Argumentation an dieser Stelle detailliert darstellen zu können, lief die Begründung darauf hinaus, dass zwar durchaus ein Verfassungsbruch nach Art. 26 GG vorliegen könne, dieser aber nicht vom einschlägigen Tatbestand des Strafgesetzbuches erfasst sei. Das hieß letztlich, der Grundgesetzauftrag des Artikel 26 wurde bislang völlig unzureichend umgesetzt, denn aus Wortlaut und Entstehungsgeschichte des Paragraphen 80 StGB ergibt sich, dass ausschließlich die Vorbereitung, nicht aber das Führen eines Angriffskrieges sowie die Beihilfe dazu unter Strafe stehen.

Bemerkenswert erschien bei alldem der Hinweis des Generalbundesanwaltes auf den Sonderausschuss zur Strafrechtsform, der 1968 die Strafvorschriften der Paragraphen 80 und 80a StGB erarbeitete. Unter den damaligen politischen Umständen musste sichergestellt sein, dass “eine Anklage gegen den Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika wegen des Vietnamkrieges vor einem deutschen Gericht wegen ?Friedensverrates? ausgeschlossen sein müsse”.

“Der Fisch beginnt vom Kopfe her zu stinken”, sagt ein Sprichwort

In Anbetracht dieser unbefriedigenden Rechtslage gingen die Gehorsamsverweigerer 1999 beziehungsweise 2003 natürlich ein hohes persönliches Risiko ein. Im Falle der Piloten kam es zu einer stillschweigenden Einigung mit den Betreffenden - hauptsächlich wohl deshalb, weil der Bundesregierung an einem medienwirksamen Prozess, der möglicherweise bis vor das Bundesverfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof geführt hätte, nicht gelegen sein konnte. In Sachen Gehorsamsverweigerung wegen der deutschen Hilfestellung während des Irakkrieges wurde Florian Pfaff vom Major zum Hauptmann degradiert. Allerdings sah das zuständige Truppendienstgericht von einer Entfernung aus dem Dienstverhältnis ab, weil es dem Soldaten Pfaff ehrenhafte Motive für sein Handeln zugute hielt. 1 Der Fall liegt momentan zur Revision beim Bundesverwaltungsgericht, auf dessen Urteil man gespannt sein darf. Wie auch immer dieses lauten wird, grundsätzlich zu beanstanden ist eine (Un-)Sicherheitspolitik, die sich vorsätzlich in völker- und verfassungsrechtliche Grauzonen begibt und Angehörige der Bundeswehr in Gewissensnöte bringt. “Der Fisch beginnt vom Kopfe her zu stinken”, beschreibt ein altes Sprichwort derart unverantwortliches Regierungshandeln.

Ein ehemaliger Generalinspekteur der Bundeswehr, General Peter von Kirchbach, sah die Verhältnisse im Jahre 1992 noch rosiger, als er erklärte: ” Sicher wird der Staat seinen Bürgern normalerweise nicht zumuten, gegen den Rat ihres Gewissens zu handeln. Der Staat der Demokratie wird sich im Gegenteil auf die Werte berufen, in denen das Gewissen gründet. Im Wissen um diese Spannung aber und im Wissen, nicht jedem Anspruch zur Verfügung zu stehen, besteht letztlich der Unterschied zwischen Soldat und Landsknecht.”

In Zeiten des Global War on Terror, des Präventivkrieges, der Völkerrechtsverbrechen, Folterexzesse und der Aushöhlung fundamentaler Menschen- und Bürgerrechte erscheinen solche Einsichten auf fatale Weise anachronistisch.

Dipl. Päd. Jürgen Rose ist Oberstleutnant der Bundeswehr. Er vertritt in diesem Beitrag nur seine persönlichen Auffassungen.

Quelle: FREITAG. Die Ost-West-Wochenzeitung 31 vom 23.07.2004. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Autor und Verlag.

Anmerkung:

1 Forum Pazifismus dokumentiert in Heft 1/2004 das Urteil des Truppendienstgerichts Nord unter dem Titel: “Truppendienstgericht Nord: Völkerrechtswidrigkeit des USA-Angriffs gegen den Irak ist unerheblich - Urteil gegen einen wegen des Irak-Kriegs ‘ungehorsamen’ Offizier” .

Veröffentlicht am

26. Juli 2004

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