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Von Den Haag bis Mas’Ha

Von Tanya Reinhart - Yediot Aharonot / ZNet 15.07.2004

Der Internationale Gerichtshof hat entschieden: Israel “hat das Recht, ja sogar die Pflicht, das Leben seiner Bürger zu (…) schützen”. Jedoch “müssen die ergriffenen Maßnahmen nichtsdestotrotz mit anwendbarem internationalem Recht konform sein”. Das Gericht stellte fest, der gegenwärtige Verlauf des Trennzauns bzw. der Trennmauer stellt einen unerhörten und ernsten Bruch internationalen Rechts dar.

Am letzten Wochenende bestritt der israelische Generalstabschef Moshe (Bogie) Ya’alon in einem Interview, dass hier internationales Recht überhaupt anwendbar sei. Unter den Bedingungen des Zweiten Weltkriegs sei ein solches System zwar angemessen gewesen, erklärte er, nicht jedoch im gegenwärtigen Krieg gegen den Terror. Offensichtlich sind in diesem Krieg, aus Ya’alons Sicht, die bewaffneten Kräfte lediglich ihrem eigenen Gesetz verpflichtet.

In unserer heutigen Welt findet ein Krieg um den Status des internationalen Rechts statt. Während die USA und Israel für dessen Annullierung agitieren, hat die übrige Welt begriffen, das internationale Recht - als Rahmenwerk, das das Verhalten der Staaten regelt -, stellt einen zum Erhalt der Gesellschaften notwendigen Apparatus dar. Und auch wenn es nicht immer perfekt funktioniert - ohne internationales Recht besteht die Gefahr, dass es zur schlichten Vernichtung großer Segmente der menschlichen Rasse kommt. Wir Juden haben das während des Zweiten Weltkriegs auf furchtbare Weise erfahren.

Das Urteil des Internationalen Gerichtshofs listet zahlreiche Artikel der 4. Genfer Konvention auf, gegen die der gegenwärtige Verlauf der Barriere verstößt, und merkt an: “zudem besteht das Risiko weiterer Veränderungen hinsichtlich der demographischen Konstellation in den Besetzten Palästinensischen Gebieten, resultierend aus… dem Verschwinden palästinensischer Populationen aus bestimmten Gebieten” (Paragraph 122). Kurz gesagt, das Gericht warnt vor einem Transfer.

“Transfer” - in der kollektiven Erinnerung denkt man an Lastwagen, die mitten in der Nacht vorfahren und die Bewohner palästinensischer Dörfer über die Grenze transportieren - so wie 1948 an mehreren Orten. Ein derartiges Transfer-Modell wäre in der heutigen Welt allerdings nicht mehr praktikabel. Heute muss langsamer und verstohlener vorgegangen werden, um das Ziel Transfer zu erreichen.

Die Barriere, so wie sie jetzt ist, trennt 400 000 Palästinenser von ihren Einkommensquellen ab und sperrt sie in isolierte Enklaven. Ohne die Möglichkeit, sich zu ernähren, werden diese Palästinenser im Laufe der kommenden Jahre jedoch zum Verlassen dieser Enklaven gezwungen sein und an der Peripherie von Städten und Kleinstädten der Westbank nach Beschäftigung suchen. Auf diese Weise werden Teile der Westbank, die an Israel grenzen, von Palästinensern “gesäubert” werden. In Qalqilya und Tul Karm, wo der Zaun vor einem Jahr fertig gestellt wurde, geschieht dies bereits.

Dabei wäre es möglich gewesen, den Zaun auf der israelischen Seite zu Qalqilya zu bauen - wie im ursprünglichen Plan vorgesehen. Die Route wäre viel kürzer und leichter zu bewachen und zu schützen gewesen als die jetzige, die Qalqilya von allen Seiten umgibt und durch Westbank- Territorium schneidet. Diejenigen, die die Barriere im jetzigen Verlauf errichteten, waren allerdings nicht von Sicherheitsüberlegungen geleitet - vielmehr von der alten Vision, das Land zu ?befreien’und von Arabern zu ?reinigen’. Der einzige Unterschied - heute kann man das hinter dem Gerede von ?Krieg gegen den Terror’ verbergen.

Vor einem Jahr verlief die Mauer von Tul Karm und Qalqilya bis zur Kleinstadt Mas’ha, die nahe der jüdischen Siedlung Elkana liegt. Von den Bewohnern Mas’has erwartete man - wie von anderen vor ihnen - dass sie ruhig mitansehen, wie ihre Olivenhaine, die seit Jahrhunderten ihre Einkommensquelle darstellten, sozusagen auf die israelische Seite der Mauer transferiert werden. Aber die Menschen in Mas’ha schlossen sich zusammen und zeigten, dass es auch anders geht. Sie stellten neben der Route der Bulldozer Protestzelte auf. Und sie riefen die Israelis dazu auf, sich ihnen anzuschließen. Monatelang setzten sich also Israelis und Palästinenser gemeinsam der Mauer - an der Tag für Tag gebaut wurde -, in den Weg. Nazeeh Shalaby, ein Bauer aus Mas’ha, der sein ganzes Land verlor, war die treibende Kraft im Camp. “Bevor ihr kamt”, sagte er diese Woche zu mir, “hatte ich keine Ahnung, dass es auch Israelis gibt, die mit uns in Frieden leben wollen.”

Das Protest-Camp von Mas’ha hat es nicht geschafft, die Mauer aufzuhalten. Das Camp wurde evakuiert. Die Armee setzte scharfe Munition gegen israelische Demonstranten ein, die hinaufkletterten und am Zaun rüttelten. Dabei büßte Gil Na’amati aus dem Kibbutz Re’im ein Knie ein. Aber nun hat der Internationale Gerichtshof entschieden, Israel müsse die Abschnitte der Mauer, die es innerhalb der Westbank errichtet hat, auf der Stelle abbauen und auf die Grüne Linie verlegen. Mit dem Abriss der Mauer bei Mas’ha sollte begonnen werden und zwar umgehend.

Aus dem Hebräischen von Edeet Ravel und Mark Marshall.

Quelle: ZNet Deutschland vom 17.07.2004. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “From Hague to Mas’Ha” .

Veröffentlicht am

17. Juli 2004

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