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Israel kritisieren?

Von Robert Fisk - ZNet 26.04.2004

Um Gotteswillen, Mary Robinson, Ex-Präsidentin von Irland, Ex-Hochkommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen und Rednerin bei der Abschlussfeier der Emory University / USA. Mary Robinson hat einen gewaltigen Fehler gemacht, sie hat es gewagt, Israel zu kritisieren. Robinson sagte - Horror über Horror - die “grundlegende Ursache des arabisch-israelischen Konflikts ist die Okkupation”.

‘Okkupation’, Stopp, stopp, Mary! Ist das nicht ein wenig antiisraelisch? Oder wollen Sie etwa ernsthaft behaupten, die israelische Militärbesatzung in Westbank und Gazastreifen sei irgendwie falsch, Israels außergerichtliche Exekutionen von palästinensischen Kämpfern seien falsch, dass Israel steinewerfende Schuljungen niederschießen lässt sei falsch oder der glatte Raub arabischen Landes, um darauf Häuser für Juden zu bauen?

Vielleicht habe ich mich verhört. Ja, bestimmt, denn, als Sie auf die niederträchtigen Verleumdungen, die ehrkränkenden Angriffe auf ihr Recht auf Redefreiheit und die verleumderischen Attacken auf ihre Integrität antworteten, klang das wie das Maunzen eines Kätzchens. Dass sie sich “sehr verletzt und bestürzt” fühlten, sagten sie. Der Irish Times haben sie erklärt, wie es “schmerzt, dass Anschuldigungen aufgestellt werden, die komplett jeder Grundlage entbehren”. Sie hätten den Leuten, die Sie beschuldigen, mit rechtlichen Schritten drohen sollen.

Ich reagiere auf böswillige Postkarten, auf denen steht, meine Mutter sei Eichmanns Tochter (Peggy Fisk war im Zweiten Weltkrieg in der Royal Air Force, aber egal), indem ich den Schreibern mitteile, sie würden von meinem Anwalt hören - und sofort ist Ruhe. Aber nein, Sie fühlen sich “verletzt”. Sie sind “bestürzt”. Sie lassen es zu, dass Professor Kenneth Stein von der Emory Universität sagt, er “sei besorgt über den offensichtlichen Mangel an gebührender Sorgfalt aufseiten derer, die die Entscheidung trafen, sie (Mary Robinson) als Rednerin einzuladen”. Das mit der “gebührenden Sorgfalt” gefällt mir besonders. Aber im Ernst, wie können Sie es zulassen, dass man mit ihrer Integrität derart ungestraft Schindluder treibt? ‘Bestürzt’. Oh, Mary, Sie armes Ding (diddums).

Ich wollte die Schreibweise von ‘diddums’ in Amerikas wichtigstem Lexikon, dem wirklich inspirierenden Webster’s Dictionary nachschlagen - vergebens. Andererseits schreibt ‘Webster’s Third New International Dictionary’ bei ‘Antisemitismus’ als Definition, Antisemitismus sei das “Gegenteil von Zionismus: (Es bedeutet) Sympathie mit den Gegnern des Staates Israel”.

Was soll das heißen? Ich bitte Sie, wenn Sie oder ich oder unsere arme kleine Mary sagen, die israelische Besatzung nähme die Palästinenser ziemlich hart ran, heißt das, wir sind “antisemitisch”? Nur fair, an dieser Stelle die armselige Antwort von Mr. Arthur Bicknell, dem offiziellen Verleger von Webster’s zu zitieren - angesichts dieser grotesken Definition um Stellungnahme ersucht. “Unser Job ist es”, so seine Antwort, “das Englische, wie es derzeit in Gebrauch ist, akkurat wiederzugeben. Wir treffen keine Ermessensentscheidungen; wir sind unpolitisch”.

Noch hysterisch-kurioser und empörender wird’s, wenn Bicknell sagt, die Editoren des Wörterbuchs legten Tabellen mit “belegenden Zitaten” von Antisemitismus an, wie er in “sorgfältig formulierter Prosa, etwa in Büchern und Magazinen” vorkommt. Eine derart absurde Janusköpfigkeit kann man nur mit schallendem Gelächter beantworten. Jetzt liegen also schon die Wortschwurbler der amerikanisch-englischen Sprache vor jenen auf den Knien, die Kritiker der israelischen Nahost-Politik aus den Medien wegzensieren wollen.

Und ich meine “aus den Medien”. Eben erst erhielt ich eine Nachricht von Bathsheba Ratskoff, Produzentin und Editorin der ‘American Media Education Foundation’ (MEF). Sie ist zurecht empört. In der Nachricht steht, der neue Dokumentarfilm der MEF, in dem es um “das Abwürgen der Diskussion um den palästinensisch-israelischen Konflikt” geht - tatsächlich handelt der Film von Israels PR-Abteilung in den USA -, wurde von der ‘Jewish Action (!) Task Force” (JAT) aufs Korn genommen. Eigentlich sollte der Film ?Peace, Propaganda and the Promised Land’ (Frieden, Propaganda und das Gelobte Land) im Bostoner Museum of Fine Arts gezeigt werden.

Was aber war passiert? Die “JAT” hat eine Entschuldigung an die Adresse der jüdischen Gemeinde verlangt und den “Schwur, sich künftig sensibler (!) zu verhalten, wenn man sich mit Israel und dem Nahost-Konflikt befasst”. Andernfalls “könnten” JAT-Mitglieder “die Androhung der Beendigung ihrer Mitgliedschaft in Erwägung ziehen und ihre Beiträge zurückhalten”.

Daraufhin schrieb eine gewisse Susan Longhenry vom Museum of Fine Arts einen grusligen Brief an Sut Jhally vom MEF. Von der Besorgnis “vieler Mitglieder der Bostoner Gemeinde” ist darin die Rede - ohne natürlich zu schreiben, wer das ist -, Mrs. Longhenry schlägt ein neues Datum für die Vorführung vor (der ursprüngliche Termin fiel auf den jüdischen Sabbat) sowie eine Diskussion, in der man den Kritikern Gelegenheit gibt, den Film zu verdammen. Der Brief endet folgendermaßen (und hier bitte ich dringend, aus der verschlagenen Wortwahl der Macht zu lernen): “Wir haben uns wirklich sehr bemüht zu vermeiden, die Vorführungen des Films ganz abzusagen; sollten Sie sich allerdings außer Stande sehen, den überarbeiteten Vorschlag zu akzeptieren, tut es mir leid, und wir haben keine andere Wahl, als genau das zu tun”.

Will sie eine Maus sein - diese Mrs. Longhenry? Will sie, dass Longhenry in Webster’s Dictionary als “to longhenry” (Verb) erscheint? Zumindest aber im Oxford Dictionary? Entwarnung. Mrs. Longhenrys Boss hat ihren feigen Brief für nichtig erklärt - vorläufig. Wo soll das alles noch enden? Letzten Sonntag war ich zu Irish Television (TV3) eingeladen - ins Mittags-Programm - es ging um Irak und Präsident Bushs Unterstützung für Scharons neue Mauer in der Westbank. Gegen Ende des Programms kam ein Rechtsdozent des Dubliner University College (UCD) namens Tom Cooney plötzlich mit der Behauptung an, ich hätte eine israelische Armee-Einheit mit “Gesindel” tituliert (der absolut korrekte Ausdruck). Ich hätte zudem berichtet, diese Leute hätten 2002 in Dschenin ein Massaker verübt.

Nein, ich sagte nicht, sie hätten ein Massaker verübt. Ich hätte es sagen sollen. Wie eine spätere Untersuchung zeigte, haben israelische Soldaten dort bewusst unschuldige Zivilisten niederschossen. Sie töteten eine Krankenschwester und überrollten mit ihrem Fahrzeug einen Querschnittsgelähmten im Rollstuhl. “Blutbeschuldigung!” kreischte Cooney. TV3 distanzierte sich korrekterweise umgehend.

Ich muss feststellen, wieder einmal ließ sich eine altehrwürdige Universität in diese Art Verleumdung verstricken - und UCD ist eine der feinsten akademischen Institutionen Irlands; ich kann nur hoffen, Herr Cooney zeigt im Umgang mit seinen jungen Studenten größere wissenschaftliche Beherrschung, als er sie auf TV3 an den Tag gelegt hat. Natürlich begriff ich die Botschaft: maulhalten und Israel nicht kritisieren.

Ich beende diesen Artikel mit einer positiven Anmerkung. Bathsheba (von der American Media Education Foundation - Anmerkung der Übersetzerin) ist eine jüdische Amerikanerin. Ebenso gibt es viele britische Juden, die sich in einer Organisation engagieren, die sich ‘Deir Yassin Remembered’ (Erinnerung an Deir Yassin) nennt. Sie will an ein Massaker erinnern, das 1948 in der Nähe Jerusalems von jüdischen Milizionären an arabischen Palästinensern verübt wurde.

Dieses Jahr fiel der Gedenktag - 9. April - an die arabischen Opfer des Massakers mit dem christlichen Karfreitag zusammen sowie mit dem vierten Tag des achttägigen jüdischen Passah-Festes. Es war auch der Tag, an dem 1945 Pastor Dietrich Bonhoeffer im Konzentrationslager Flossenbürg von den Nazis hingerichtet wurde. Vor 3000 Jahren (an diesem Tag) wurden die Juden befreit; vor 2000 Jahren starb ein palästinensischer Jude, vor 59 Jahren starb ein deutscher Christ, vor 56 Jahren wurden über 100 palästinensische Männer, Frauen und Kinder massakriert.

‘Deir Yassin Remembered’ erfährt nicht die Beachtung, die diese Organisation verdient. Webster’s Dictionary würde die Unterstützer der Organisation dirnenhaft als “antisemitisch” brandmarken. Auch “viele Mitglieder der Bostoner Gemeinde” hätten zweifellos ihre Einwände. “Blutbeschuldigung!” würde UCDs ehrwürdiger Rechtsdozent schreien. Warten wir ab, was die UCD dazu sagt. Aber “verletzt” oder “bestürzt” dürfen wir auf keinen Fall sein. Wir müssen weiterhin sagen, was Sache ist. Sollten wir das nicht auch auf der amerikanischen Journalistenschule gelernt haben?

Quelle: ZNet Deutschland vom 29.04.2004. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “Criticize Israel?”

Veröffentlicht am

29. April 2004

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