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Schurkenstaaten begrüssen Bush-Scharon-Pressekonferenz. Talking Points

Von Phyllis Bennis - Institute For Policy Studies / ZNet 15.04.2004

AUS DEM BESETZTEN ARABISCHEN TEIL JERUSALEMS.

Dass Bush den unilateralen Plan des israelischen Premiers Ariel Scharon, sechs große (jüdische) Siedlungsblöcke in der Westbank zu annektieren sowie Scharons Zurückweisung des international anerkannten Rückkehrrechts der Palästinenser billigt - ein Quidproquo, da sich Scharon aus den meisten Siedlungen Gazas zurückziehen will -, ist eine herbe Niederlage für das internationale Recht, eine herbe Niederlage für die Menschenrechte der Palästinenser; die amerikanisch-israelische Allianz jedoch wird massiv gestärkt.

Seit 1967 war es Politik der USA, die illegalen israelischen Siedlungen stillschweigend zu akzeptieren und nichts zu unternehmen, was ein Ende der Besatzung auch nur ermutigen könnte. Dennoch stellt Bushs Position eine scharfe Zäsur dar - bricht sie doch mit dem lange gültigen Prinzip, eine Verhandlungslösung zu unterstützen. Noch schärfer die Kehrtwende in Hinblick auf Bushs eigene Behauptung (wie unglaubwürdig auch immer), man trete für eine Zwei-Staaten-Lösung ein.

Indem Bush jetzt ein Rückkehrrecht (für palästinensische Flüchtlinge) zurückweist und die Permanenz der israelischen Besatzung akzeptiert, erteilt er jeder Möglichkeit einer ernsthaften und umfassenden Lösung des palästinensisch-israelischen Konflikts eine Absage. Der “neue Status quo” - permanente israelische Besatzung, anerkannt durch die USA, kein Rückkehrrecht, kein lebensfähiger Palästinenserstaat - wird auf unbestimmte Zeit Maßstab sein.

Ob es Chancen auf Veränderung gibt, ist nunmehr abhängig davon, ob Israel irgendwann entscheidet, es gibt wieder einen “akzeptablen” palästinensischen Verhandlungspartner. Diese US-Position hat die Nahost-Diplomatie auf den Stand von vor 1991 zurückgeworfen - als die Palästinenser noch von allen Verhandlungen ausgeschlossen waren. Verhandlungen zwischen Israel und den USA als Substitut für Gespräche zwischen Israel und den Palästinensern, wobei die Amerikaner Land und Rechte der Palästinenser nach Gutdünken veräußern.

Ein Rechtsberater der PLO zur New York Times: “Stellen Sie sich vor, die Palästinenser sagen: “Okay, wir geben Kalifornien an Kanada.” Die Amerikaner sollten aufhören, sich darüber zu wundern, dass sie im Nahen Osten so wenig Glaubwürdigkeit besitzen”.

Die USA akzeptieren nun offiziell die israelische Besetzung weiter Teile des palästinensischen Gebiets, und die Bush-Administration ist bereit, international anerkanntes Recht der Palästinenser preiszugeben - eine Neufassung der Balfour-Erklärung von 1917 1 . In dieser Erklärung hatte die damalige Kolonialmacht Großbritannien den Siedlern der frühen Zionisten-Bewegung “eine nationale jüdische Heimstätte” in Palästina garantiert - unter Missachtung der Rechte der eingeborenen Bevölkerung.

Bush hat Israel aufgefordert, die Apartheid-Mauer zu einer “Sicherheitsgrenze” und keiner “politischen Grenze” zu machen. Gleichzeitig stellte er klar, dass er nicht plant, Israel zur Rechenschaft zu ziehen, insofern die Mauer gegen internationales Recht verstößt. Die UN-Vollversammlung hatte die Mauer für illegal befunden; dass der Internationale Gerichtshof - in seiner Entscheidung - Konsequenzen aus dieser Illegalität ziehen wird, gilt als wahrscheinlich; beides ignoriert man.

Was die USA jetzt akzeptiert haben, bestätigt wieder einmal, Amerika ist bereit, gegen internationales Recht zu verstoßen, die UN-Charta zu ignorieren und UN-Resolutionen zu unterminieren (einschließlich der oft zitierten Resolution 242, mit der einstimmig “die Aneignung von Territorium mittels Gewalt” verboten wurde) - wenn es darum geht, Israel in politischer und diplomatischer Hinsicht zu schützen. Selbst gegen die Bedingungen der sogenannten “Roadmap” - von den USA aufgezwungen, dennoch international begrüßt -, wird hier verstoßen.

In der ersten Phase, so legt die “Roadmap” fest, muss Israel sämtliche Siedlungsaktivitäten einfrieren. Jetzt hat Scharon explizit erklärt, die sechs größten Siedlungsblocks weiter auszubauen und zu verstärken. Kurz- und mittelfristig wird Bushs Schachzug wohl die politische Unterstützung für seine Wiederwahlkampagne festklopfen. Auf längere Sicht könnten die langfristigen Gefahren, die einer so explizit einseitigen Akzeptanz von Siedlungen inhärent sind sowie der Absage an die Rechte der Palästinenser - noch nie ist ein US-Präsident ja so weit gegangen -, jedoch offenbar werden, sodass die Unterstützung für Bushs Wahl abbröckelt.

Die Handlungsweise der USA zeigt, wie zunehmend isoliert die Bush-Regierung ist. Viele Regierungs-Offizielle und Kommentatoren auf der ganzen Welt sind sich einig in der Verurteilung des Bush-Statements. Auch UN-Generalsekretär Kofi Annan kritisiert die amerikanische Unterstützung für den unilateralen Plan der Israelis. Annan: “Angelegenheiten, die den Endstatus betreffen, sollten in Verhandlungen zwischen den Parteien festgelegt werden, auf Grundlage der relevanten Sicherheitsratsresolutionen”. Und selbst Bushs wichtigster Unterstützer, Englands Tony Blair, dürfte die Aktion seines Partners Bush - in den für heute angesetzten Treffen - wohl kaum begrüßen.

Ziel von Scharons “Gaza-Rückzugsplan”: das Ende der israelisch-palästinensischen Verhandlungen. Dessen Resultate, daran lässt Scharon keinen Zweifel, werden von ihm als Teil einer “langfristigen Interims-Lösung” gesehen, wobei die israelische Besatzung erneut als Mittel eingesetzt wird, um praktisch auf ewig vor Ort zu bleiben. Zu “Endstatus-“Verhandlungen soll es erst gar nicht kommen. Hierin spiegelt sich das ungeheure Machtgefälle zwischen Besatzern und Besetzten; Israel reicht ein Ende des Widerstands (mit oder ohne Zwang oder Einzäunung), um die Situation, so wie sie ist, langfristig absolut akzeptabel zu finden.

Für die Palästinenser jedoch würde ein Ende der Gewalt heißen: Es gibt weiterhin keinen Staat, und sie leben weiter in isolierten, verstümmelten Bantustans - voneinander abgetrennt und umgeben von israelischen Mauern, Soldaten und israelischem Gebiet. Die Bedingungen des Plans wurden von Scharons Günstlingen ausgehandelt - über viele Monate. Ihre Gesprächspartner waren nicht die Palästinenser sondern die Regierung Bush. Die Unterstützung Amerikas stand daher fest - schon vor sich Bush und Scharon zur gemeinsamen Pressekonferenz trafen. Das Einzige, was spannend blieb: Bis zu welchem Punkt würde die Unterstützung der USA explizit ausgesprochen werden bzw. durch Kode-Sprache kaschiert.

Bush sprach deutlicher Klartext, als von den meisten Analysten vermutet. Er bezeichnete den Scharon-Plan als “mutig und historisch”. Anschließend begrüßte er den neuen Status - der die israelische Besatzung über palästinensisches Land permanent machen wird. In Bushs Worten: die “neuen Realitäten” in der Westbank ließen die Erwartung “unrealistisch” erscheinen “dass das Ergebnis von Endstatus-Verhandlungen auf die vollständige und komplette Rückkehr zu der unrealistischen Waffenstillstandslinie von 1949 hinauslaufen wird”. Dass Bush auf das Jahr 1949 anspielt, ist dabei der bewusste Versuch, von der israelischen Besetzung 1967 abzulenken. Seine Zuhörer (vor allem die pro-israelischen Wähler der USA) sollten erneut an die angebliche “Verletzlichkeit” Israels in der Zeit vor 1967 gemahnt werden. Diese wird häufig als Argument zur Rechtfertigung der Besetzung von 1967 angeführt.

In der Frage des Rückkehrrechts vollzog Bush eine scharfe Kehrtwendung, bedenkt man die unentschiedene offizielle US-Haltung zuvor (wie unglaubwürdig auch immer). Stattdessen begrüßte Bush den langjährigen israelischen Rejektionismus nun ganz offiziell. Bush sagt, das palästinensische Flüchtlingsproblem solle durch “die Etablierung eines Palästinenserstaats” gelöst werden, “palästinensische Flüchtlinge” sollten “dort angesiedelt (werden), nicht im Staat Israel”. Mehrmals nimmt Bush Bezug auf den “jüdischen Charakter Israels” - ein Kode, mit dem zum Ausdruck gebracht werden soll, man trägt der Besorgnis Israels in Hinblick auf die ?demographische Bombe’ - ein rassistischer Ausdruck - Rechnung.

Etabliertes internationales Recht (etwa die Genfer Konvention, die allen Kriegsflüchtlingen ein Rückkehrrecht in ihre Heimat garantiert - ganz gleich, aus welchen spezifischen Gründen sie flohen bzw. zur Flucht gezwungen wurden) und verschiedene UN-Resolutionen (wie etwa Resolution Nr. 194; sie sieht, seit 1949, speziell für palästinensische Flüchtlinge die Garantie vor, in ihre Häuser zurückkehren zu können und garantiert Kompensation für deren Verluste) werden von Bush ad acta gelegt.

Die palästinensische Seite hat schnell reagiert. Quer durch das ganze politische Spektrum verurteilten palästinensische Offizielle den Scharon-Plan schon im Vorfeld - bevor George Bush ihn begrüßen konnte. Dass das offizielle Amerika sich kontinuierlich weigert, ernsthaft mit der palästinensischen Seite zu verhandeln, dass Palästinenserpräsident Jassir Arafat umgangen und isoliert wird und die Bereitwilligkeit, mit der die USA palästinensisches Land und palästinensische Rechte preisgeben - als ginge es hier um Eigenes -, das alles kulminierte darin, dass auf der Bush-Scharon-Pressekonferenz die palästinensische Seite nicht einmal zum Schein repräsentiert war. Folge: eine unglaubliche Eskalation in der politischen Demütigung der Palästinenser - die anerkannte Führung (wie kompromittiert auch immer) wurde vollkommen ausgeschlossen von einem Entscheidungsprozess, der über die Zukunft der Palästinenser entscheidet. Diese politische Demütigung und die internationale Isolierung ist das Pendant zur kontinuierlichen Demütigung, der sich die Palästinenser, die unter israelischer Militärokkupation leben, ausgesetzt fühlen. Als Konsequenz wird es mit fast an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu einer neuen Welle des gewaltsamen Widerstands kommen.

Auch die internationale Reaktion und die Reaktion in der Region, vor allem in den arabischen / muslimischen Ländern, ließ nicht lange auf sich warten. Arabische und muslimische Regierungen schritten zur Verurteilung. Auch bei Amerikas Verbündeten war weit verbreitet Beunruhigung spürbar - tiefe Beunruhigung. Noch ist unklar, ob die Europäische Union die Haltung Amerikas offiziell verurteilen wird. Die angebliche Rolle, die die EU, die UN und Russland im sogenannten “Quartett” - das die “Roadmap” stützte -, spielten, wird durch die neue Haltung Bushs nun völlig belanglos. Noch steht nicht fest, ob die UN-Vollversammlung - davon ausgehend, dass es im UN-Sicherheitsrat ohnehin mit Sicherheit zu einem US-Veto kommen würde -, die Herausforderung annimmt und eine ?ernste Verurteilung’ der amerikanischen Billigung von Scharons Illegalitäten anstrebt.

Seit Monaten schon verbreitet Scharon seinen Vorschlag “Rückzug aus Gaza”. Aus der eigenen Partei, dem rechten Likud-Block - vor allem aber aus der Siedler-Bewegung - war ihm massiver Widerstand entgegengeschlagen. Letztere war in der Vergangenheit Scharons primäre politische Basis. Jetzt kann Scharon behaupten, er habe die Unterstützung der USA - zur illegalen Aneignung der großen Siedlungsblöcke in der Westbank (in denen insgesamt über 100 000 israelische Siedler leben) - und dass die USA nun auch die langjährige Weigerung der Israelis, das Rückkehrrecht der palästinensischen Flüchtlinge anzuerkennen, akzeptieren. Das gibt Scharon die entscheidende politische Rückendeckung.

Die Siedlerpopulation in Gaza ist klein - wenngleich in wirtschaftlicher Hinsicht von Bedeutung für Israel (kein Wunder, die Siedler kontrollieren 40% des Landes und eine entsprechende Menge Wasser im Gazastreifen). Insgesamt sind es jedoch nur 7.000 israelische Siedler - unter anderthalb Millionen Palästinensern (die meisten Palästinenser verarmte Flüchtlinge in heruntergekommenen Lagern). Die Siedler kommen - militärisch gesehen - teuer zu stehen. Eine relativ hohe Zahl israelischer Soldaten muss abgestellt werden, um die bewaffneten Siedler zu verstärken. Dass die USA Scharons Plan billigen, wird sehr wahrscheinlich dazu führen, dass die Rechte nun geschlossener hinter Scharon steht (mit Ausnahme der Ideologischsten aus der Siedler-Bewegung). Auch der Mainstream der Arbeitspartei wird den Plan akzeptieren. Die Arbeitspartei wird wohl auf Scharons historischen Rückzug” aus Gaza fokusieren und das Ganze als ersten Schritt in Richtung Zwei-Staaten-Lösung darstellen. Die viel wichtigere Tatsache jedoch, dass die USA Annexionen und die Zurückweisung des Rückkehrrechts begrüßen, dürfte sie ignorieren. Der Widerstand der Rechten und der Siedler gegen Scharons Plan wird wahrscheinlich eine geringe Basis haben und bald erloschen sein.

Anmerkung d. Übersetzerin:

1 Informationen zur Balfour-Erklärung unter: http://www.net-lexikon.de/Balfour-Deklaration.html

Quelle: ZNet Deutschland vom 18.04.2004. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “Rogue States Embrace the Bush-Sharon Press Conference” .

Veröffentlicht am

18. April 2004

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