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Die Tötung Scheikh Jassins. Besorgniserregende Auswirkungen einer staatlichen Tötung

Von Robert Fisk - ZNet 23.03.2004

Man braucht nicht viel Mut, um einen Querschnittsgelähmten im Rollstuhl zu ermorden. Auf der anderen Seite muss man nicht lang überlegen, um sich die Implikationen des Attentats auf Scheikh Jassin klarzumachen. Stimmt, er billigte Selbstmordanschläge - einschließlich der Ermordung israelischer Kinder. Wer das Schwert erhebt, wird durch das Schwert umkommen* - Rollstuhl oder nicht. Dennoch, etwas lief falsch mit der Story, wie sie die Nachrichten gestern berichteten - und etwas unendlich Gefährlicheres, ein neuer finsterer Präzedenzfall für unsere ‘tapfere neue Welt’, wurde geschaffen.

Zur Person des alten Mannes. Die israelische Linie war von Anfang an eine recht simple. Scheikh Jassin sei der “Kopf der Schlange” - um es mit den Worten des israelischen Botschafters in London auszudrücken -, der Kopf von Hamas, “einer der gefährlichsten Terrororganisationen der Welt”.

Dann aber Verwirrung durch die Weltmedien. Um die Mittagszeit informierte uns BBC World Service Television, Jassin sei einst von den Israelis im Rahmen eines “Gefangenenaustauschs” freigelassen worden. Hört sich ganz nach dem üblichen Tausch an - ein Palästinenser kommt im Gegenzug für gefangene israelische Soldaten frei. Später am Tag sagte uns BBC, Jassin sei “im Rahmen eines Deals, den König Hussein (von Jordanien) ausgehandelt hatte”, freigelassen worden. Sehr seltsam. Dieser Mann war also Gefangener der Israelis. Der “Kopf der Schlange” in einem israelischen Gefängnis. Und auf einmal, bingo, lässt man das angebliche Monster im Rahmen eines “Deals” einfach laufen.

Niemand anders als der Law-and-Order-Rechtsaußen des Likud, Benjamin Netanjahu, hat Jassin befreit. Netanjahu war damals Israels Premierminister. Und König Hussein hatte keineswegs den “Unterhändler” zwischen beiden Seiten gespielt. Vielmehr war es so, dass zwei Geheimagenten des israelischen Mossad in Amman - also in der Hauptstadt einer arabischen Nation mit einem umfassenden Friedensabkommen mit Israel - versucht hatten, einen Offiziellen der Hamas zu killen. Sie hatten ihm eine Giftspritze verpasst. Daraufhin rief ein rasender König Hussein den amerikanischen Präsidenten an und drohte, die gefangenen Mossad-Männer vor Gericht zu stellen, sollte man ihm kein Gegenmittel für das Toxin liefern und Scheikh Jassin freilassen. Netanjahu gab sofort nach. Jassin kam frei, und die Burschen vom Mossad kamen sicher heim nach Israel. Folglich hatte Israel selbst den “Kopf der Schlange” freigelassen, dank des israelischen Premiers - ein Kapitel in der Geschichte, das gestern gnädig vergessen wurde. Seltsam, das Ganze. Wenn dieser alte Geistliche wirklich einen staatlichen Mord wert war, warum um alles in der Welt ließ ihn Netanjahu dann frei? Keiner wollte gestern diese Frage stellen.

Noch etwas viel Gefährlicheres steckt hinter dem Ganzen. Hier wurde erneut ein Araber ermordet - ein Führer, wie rachedurstig und rücksichtslos er auch immer gewesen sein mag. Die Amerikaner wollen Bin Laden töten. Sie wollen Mullah Omar töten. Sie haben die beiden Saddam-Söhne getötet. Die Israelis drohten schon mehrfach, Jassir Arafat zu ermorden. Allmählich wird das Ganze zur Gewohnheit. Und keiner, der sich bislang mit den Auswirkungen von alldem befasst hätte. Jahrelang galt in diesem grausamen Krieg, Regierung gegen Guerilla, ja das ungeschriebene Gesetz: Töte die Männer auf der Straße, die Bewaffneten, die Bombenbastler. Die Führung auf beiden Seiten aber - Regierung, Minister, spirituelle Führer - durfte leben bleiben. Mittlerweile hat sich das gründlich geändert. Jeder, der für Gewalt eintritt, steht auf der Todesliste. Wer sollte sich da wundern, dass auch die andere Seite sich nicht mehr an die Regeln hält?

Bush und Blair mögen geschützt sein durch ihre Security. Aber was ist mit den Ministern, den Botschaftern? Führer sind Freiwild; etwas, was wir nicht aussprechen. Und falls, beziehungsweise wenn, man unsere eigenen politischen Führer erschießt oder in die Luft jagt, werden wir die Killer verdammen und von einer neuen Dimension des “Terrors” sprechen. Bis dahin haben wir vergessen, dass wir heute die Welle der Basta-Assassinierungen ermutigt haben.

Anmerkung d. Übersetzerin:
*’if you live by the sword, you die by the sword’ - heißt es im Englischen

Quelle: ZNet Deutschland vom 23.03.2004. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “Killing Of Sheikh Yassin”.

Veröffentlicht am

23. März 2004

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