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“Soziale Verteidigung als Alternative zu Bundeswehr und militärischer Gewalt?”

Von Michael Schmid (leicht bearbeitete Fassung eines Vortrags, gehalten am 26.02.2004 im Kulturladen KARACHO in Ravensburg)

Zunächst beschreibe ich das Konzept der Sozialen Verteidigung, gehe dann auf seine Geschichte, seine Aufnahme durch Aktive der Neuen Sozialen Bewegungen und schließlich auf seine Aktualität ein.

I. Was versteht man unter Sozialer Verteidigung?

1. Soziale Verteidigung knüpft an jene zahlreichen Beispiele in der Geschichte an, in denen sich Menschen mit gewaltlosen Mitteln gegen ungerechte Herrschaft wehrten. Dies waren Fälle, in denen z.B. soziale Gruppen erfolgreich zu Methoden gewaltlosen (zivilen) Widerstandes gegriffen haben, um sich Formen von Fremdherrschaft, reaktionären Staatsstreichen oder militärischen Invasionen bzw. Interventionen zu widersetzen. Genannt seien z.B.: der Widerstand gegen den Kapp-Putsch 1920; der Ruhrkampf 1923; Gandhis antikolonialer Kampf; der Widerstand gegen die nationalsozialistischen Gleichschaltungsversuche während des Zweiten Weltkriegs in Norwegen, Dänemark und den Niederlanden; der Widerstand der Frauen in der Berliner Rosenstraße; schließlich der Widerstand in der CSSR gegen die militärische Intervention von fünf Warschauer-Pakt-Staaten 1968/69; DDR mit Mauerfall 1989, Moskau 1991.

2. Basierend auf solchen Erfahrungen gab es Menschen, die sagten: es reicht nicht, ungerechte Herrschaft gewaltfrei zu überwinden. Ein demokratischer Staat muss sich auch in einer bedrohlichen Umwelt behaupten können, ohne wieder auf militärische und gewaltsame polizeiliche Mittel zurückzufallen. Dieser Rückfall ins Militärische und gewaltsam Staatsschützerische könnte fatale Konsequenzen haben. Das war der Ansatz für theoretische Überlegungen zur Sozialen Verteidigung.

Soziale Verteidigung, so das Denkmodell, will bestehende gesellschaftliche Verhältnisse mit gewaltfreien Mitteln gegen Versuche illegaler Machtergreifung und des Abbaus von Demokratie von innen oder/und außen verteidigen. Grundlegendes Ziel ist also eine bewusst gehandhabte gesellschaftliche Selbstbehauptung, indem die betroffenen Menschen in den politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Einrichtungen demjenigen mit gewaltlosen Aktionsformen die Kontrolle der Strukturen und Institutionen des Landes erschweren und - im Idealfall - unmöglich machen, der militärisch intervenieren oder die Macht übernehmen möchte.

3. Im Gegensatz zur militärischen Verteidigung stellt die Soziale Verteidigung nicht nur die Frage, wie - mit welchen Mitteln also - man sich verteidigen solle, sondern auch die Frage, was überhaupt verteidigt werden soll. Dabei will Soziale Verteidigung keine Staatsgrenzen verteidigen und zwischenstaatliche Konflikte nicht gewaltsam lösen. Stattdessen geht es bei ihr um die Sicherung der sozialen Einrichtungen und Lebensformen. Während militärische Verteidigung in der Regel den Eintrittspreis für einen Aggressor möglichst hoch gestalten will, beschert die sich gewaltlos verteidigende Bevölkerung einen hohen Aufenthaltspreis. Von der Sozialen Verteidigung soll also von vornherein eine “Warnungswirkung” ausgehen, der den Gegner von einem Angriff abhält.

4. Soziale Verteidigung geht von der Voraussetzung aus, dass derjenige, der ein Gebiet mit Gewaltmitteln angreift, rationale Ziele verfolgt und u.a. an der effektiven Beherrschung des Landes interessiert ist und nicht an seiner Zerstörung.

5. Soziale Verteidigung geht weiter davon aus, dass auf jeden Fall jene unvorstellbaren Vernichtungen und Verwüstungen verhindert werden müssen, die bei militärischer Verteidigung in der Regel unvermeidlich sind. Das Ertragen einer militärischen Besatzung ist besser als der Verlust zahlreicher Menschenleben und materieller Werte durch militärische Verteidigung. Erst recht ist eine Fremdherrschaft der wechselseitigen atomaren Vernichtung vorzuziehen.

6. Die Theorie der Sozialen Verteidigung baut auf der grundlegenden Erkenntnis auf, dass das Beherrschen eines Territoriums nicht gleichbedeutend ist mit dem Beherrschen des Willens der dort lebenden Bevölkerung. Vielmehr kann die Macht der Herrschenden erst durch den Gehorsam der Beherrschten entstehen. Wird ihnen dieser Gehorsam verwehrt und ist er auch durch Gewalt nicht zu erzwingen, dann ist auch eine Herrschaftsausübung nicht möglich.

7. Der Sozialen Verteidigung liegen die Grundannahmen der Theorie des gewaltfreien Kampfes zugrunde. Wer die Grundannahmen dieser Theorie nicht anerkennt, der wird auch die Wirkung einer gewaltfreien Verteidigung nicht nachvollziehen können und nicht für einsichtig halten.

Solche Grundannahmen sind: Gewaltfreie Aktion ist eine kämpferische Methode sowohl zur emanzipatorischen Veränderung gesellschaftlicher Verhältnisse als auch des Widerstandes gegen Unrecht und bedrohliche gesellschaftliche bzw. politische Entwicklungen. Die Träger gewaltfreier Aktionen verzichten bewusst darauf, Formen verletzender Gewalt anzuwenden oder anzudrohen. Sie glauben daran, dass vom Verzicht auf Gewalt und von der Leidensbereitschaft nachhaltige moralische Impulse ausgehen. Sie setzen zur Erreichung eines Ziels psychologische, soziale, wirtschaftliche oder politische Druckmittel/Kräfte ein. Dadurch entsteht ein alternatives gesellschaftliches Machtpotential.

8. Methoden des gewaltfreien Kampfes sind:
- der Dialog mit dem Gegner;
- vornehmlich symbolische Aktionen (Demonstrationen, Protestmärsche, Mahnwachen,…)
- Nichtzusammenarbeit (auf gesellschaftlichem, wirtschaftlichem oder politischen Gebiet);
- Ziviler Ungehorsam (Weigerung, ungerechte Gesetze oder Anordnungen zu verwirklichen);
- konstruktives Programm (angestrebten Zustand ansatzweise verwirklichen).

9. Folgende Grundhaltungen stehen u.a. hinter diesen gewaltfreien Methoden:
- jeder Mensch wird als Mensch geachtet, also auch der Gegner;
- bekämpft wird das Unrecht und nicht die Person, die es ausübt oder stützt;
- der Glaube, dass jeder Mensch veränderungsfähig ist;
- die Bereitschaft, Leiden auf sich zu nehmen, um so aus der Spirale von Gewalt und Gegengewalt auszusteigen, auch um die Glaubwürdigkeit des eigenen Anliegens zu unterstreichen;
- bei gewaltfreiem Handeln müssen Ziel und Mittel übereinstimmen.

10. Von einer glaubwürdigen Sozialen Verteidigung wird erwartet, dass sie einen Aggressor von einer militärischen Intervention abhalten kann. Die abhaltende Wirkung basiert darauf, dass die Verteidiger versuchen, einem potentiellen Aggressor eine Kosten-Nutzen-Analyse vorzulegen. Die Kosten würden dem Aggressor vor allem dadurch entstehen, dass die Angegriffenen sich weigern, mit ihm zusammenzuarbeiten.

Eine Gesellschaft kann sich gegen militärische Macht verteidigen durch
- die Verweigerung der Zusammenarbeit und des Gehorsams;
- die aktive Weiterführung des eigenen Lebens, d.h. die zu verteidigenden Institutionen oder Strukturen werden funktionsfähig gehalten);
- demonstrativen Protest und vielfältige Formen aktiven Widerstands (wie z.B. in CSSR, wo mit Sitzdemonstrationen die Panzer aufgehalten und durch Entfernen von Straßenschilder, Hausnummern, Ortskennzeichen und Tafeln an öffentlichen Gebäuden die ortsunkundigen Soldaten in die Irre geleitet wurden).

11. Für den Erfolg einer Sozialen Verteidigung ist entscheidend, ob es gelingt,
- die unmittelbaren Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu sichern;
- die Informations- und Versammlungsfreiheit weitgehend aufrechtzuerhalten;
- eine Opposition gegen die gewaltsame Beherrschung in der Weltöffentlichkeit zu aktivieren, um einem Aggressor seine Legitimation für seine Gewaltanwendung zu entziehen;
- die Widerstands- und Leidensbereitschaft der Bevölkerung zu sichern.

II. Geschichte des Konzeptes Soziale Verteidigung

Bevor ich auf die Frage nach der Aktualität der Sozialen Verteidigung eingehe, möchte ich kurz die Geschichte der Idee der Sozialen Verteidigung umreißen.

Der Begriff der Sozialen Verteidigung ist zunächst seit Ende der 50er Jahre des vergangenen Jahrhunderts von Friedensforschern und -forscherinnen geprägt worden (u.a. Gene Sharp, Adam Roberts, April Carter, später in Deutschland dann Theodor Ebert). Sie waren auf der Suche nach einer alternativen Verteidigungsform ohne Militär gegen die damals allgemein angenommene “Bedrohung aus dem Osten”. Erst im Laufe der Zeit wurden die Bedrohungsanalysen verändert, die in den Forschungsarbeiten zugrundegelegt wurden. Es wurde dann die Möglichkeit von Staatsstreichen und später die Intervention ehemals befreundeter Staaten mit einbezogen.

Ab der zweiten Hälfte der 70er Jahre wurde dann Soziale Verteidigung verstärkt von gewaltfreien Aktivistinnen und Aktivisten aufgenommen und in die eigene Argumentation integriert. Auch im Zusammenhang mit der Kriegsdienstverweigerung und bei den damals noch üblichen mündlichen Anhörungsverfahren spielte Soziale Verteidigung eine Rolle.

In den 80er Jahren erlebte die Friedensbewegung dann in einer intensiven Auseinandersetzung mit der Kriegsgefahr und mit atomaren Strategien einen unvorstellbaren Zuspruch und Aufschwung. Viele Menschen blieben zwar in reiner Protesthaltung hängen und beteiligten sich dann auch nicht mehr an Aktionen, als die neuen atomaren Mittelstreckenwaffen ab 1983 stationiert wurden. Andererseits gab es unglaublich viele Menschen, die sich nicht mit einem zwar angesichts der Bedrohungen durchaus zukunftsbewussten NEIN allein begnügen wollten und sich deshalb auf die Suche nach Alternativen begaben. Das JA führte zur Beschäftigung mit konstruktiven Möglichkeiten, um unveräußerliche Rechte eines Landes oder einer Bevölkerung zu sichern bzw. zu erlangen.

Als Alternative wurde die Soziale Verteidigung gesehen, mit der sich dann in den 80er Jahren so viele Menschen beschäftigten, wie nie zuvor und wie danach auch nicht mehr. Als im Juni 1988 zu einem großen Kongress “Wege zur Sozialen Verteidigung” ins westfälische Minden eingeladen wurden, versammelten sich über 1.000 TeilnehmerInnen.

Im Trägerkreis für den Kongress zur Sozialen Verteidigung waren 34 Verbände und Institutionen vertreten, darunter das Komitee für Grundrechte und Demokratie, Pax Christi, die (katholische) Initiative Kirche von unten, die evangelische AG zur Betreuung von Kriegsdienstverweigerern in der BRD, der Friedensausschuss der Quäker, die Deutsche Friedensgesellschaft - Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK), die Friedenssteuer-Initiative, die Föderation gewaltfreier Aktionsgruppen, der Internationale Versöhnungsbund, Ohne Rüstung Leben sowie der Bundesvorstand der Grünen und mehrere SPD-Ortsvereine.

Es wurde die “Mindener Erklärung” verabschiedet, in welcher die Gründung des “Bundes für Soziale Verteidigung” ankündigt wurde. In dieser Erklärung heißt es:

“Der Bund für Soziale Verteidigung ist ein Zusammenschluss von Menschen, die sich darin einig sind, dass es an der Zeit ist, gewaltfreie Formen und Methoden der Konfliktbewältigung durchzusetzen, Gewaltverhältnisse abzuschaffen und eine entmilitarisierte, ökologisch verantwortbare und gerechte Gesellschaft aufzubauen.”

1989 wurde dann als Resultat dieses Kongresses der “Bund für Soziale Verteidigung” gegründet, der ein auch heute existierender pazifistisch-antimilitaristischer Mitglieder- und Dachverband ist, der ungefähr 450 Einzelmitglieder und 45 Mitgliedsgruppen und -organisationen hat.

Doch trotz allem ist dann seit den 90er Jahren die Soziale Verteidigung in den Hintergrund getreten.

III. Hat Soziale Verteidigung heute keine Bedeutung mehr?

Diese Frage kann und muss verneinen, wer Soziale Verteidigung als Alternative zum Sicherheitsdenken hält, wie es bis zur Beendigung des Ost-West-Konfliktes ausgangs der 80er Jahre vorherrschend war. Natürlich hat sich nach dem Zusammenbruch der Staaten des Warschauer Paktes und der Auflösung des östlichen Militärbündnisses viel verändert. Wurden früher Bundeswehr und NATO mit der “Bedrohung aus dem Osten” gerechtfertigt, dann kann heute klipp und klar festgestellt werden: Deutschland ist durch keinen militärischen Angriff von außen bedroht.

Das wird auch von der Bundesregierung so gesehen. In den “Verteidigungspolitischen Richtlinien” (VPR), welche Verteidigungsminister Struck im Mai 2003 erlassen hat, lautet die in Abschnitt 1.9. enthaltenen Kernaussage: “Das sicherheitspolitische Umfeld Deutschlands ist durch veränderte Risiken und neue Chancen gekennzeichnet. Eine Gefährdung durch konventionelle Streitkräfte gibt es derzeit und auf absehbare Zeit nicht.”

Nun wissen wir alle, dass diese Feststellung nicht dazu geführt hat und aktuell nicht dazu führen wird, etwa die Bundeswehr aufzulösen. Im Gegenteil! Das Militär soll weiter in der deutschen und in der europäischen Außenpolitik eine zentrale Rolle spielen. In der Politik der USA sowieso!

Die EU beabsichtigt unter Führung von Frankreich und Deutschland auf die Herausforderung der USA durch militärische Aufrüstung der EU zu antworten, um eventuelle militärische Interventionen (z.B. im Balkan) möglichst eigenständig betreiben zu können.

Verteidigungsminister Struck möchte, dass “Deutschland am Hindukush verteidigt” wird. Er sagt: “mögliches Einsatzgebiet für die Bundeswehr ist die ganze Welt” (am 13.1.2004.)

Dafür müssen laut Struck bisher nicht vorhandene Fähigkeiten der Bundeswehr mit “Prioriät ausgebaut werden”. Und deshalb soll weiter massiv qualitativ aufgerüstet werden. Die Bundeswehr soll also zu einer etwas verkleinerten, allzeit bereiten und weltweit einsatzfähigen Armee umgebaut werden. Dieser von der Bundesregierung eingeschlagene Trend zur Modernisierung der Bundeswehr geht in eine völlig falsche Richtung. Sie enthält keine Perspektive zur Abrüstung, sondern basiert auf dem Konzept einer Umrüstung, die auf Interventions- und Offensivfähigkeit zielt.

Was möchte man aber mit der Bundeswehr ausrichten gegen Armut und Elend in der Welt oder gegen ökologische Katastrophen? Nach Erkenntnissen der Friedens- und Konfliktforschung ergeben sich in vielen Teilen der Welt große Konfliktpotenziale aus Armuts- und Verelendungsprozessen, aus ökologischen Katastrophen und aus Konkurrenz um begrenzte natürliche Ressourcen. Innerhalb derartiger Szenarien gelingt es Diktatoren und undemokratischen Regierungen, “Warlords” und anderen nichtstaatlichen Gewaltakteuren immer wieder, Menschen für ihre Interesse zu mobilisieren und für Kampfhandlungen zu aktivieren. Diese Kampfhandlungen wachsen sich dann oft zu langandauernden Kriegen, Bürgerkriegen und Gewaltkulturen aus.

Hier hilft aber nicht die deutsche Bundeswehr, sondern es müssen Beiträge geleistet werden, welche auf die Bewältigung der Ursachen zielen. Letztlich geht es darum, soziale Gerechtigkeit herzustellen und für eine ökologisch intakte Mitwelt zu sorgen. Es müssten auch Instrumente und Methoden ausgebaut und gefördert werden, die der Krisenprävention und der zivilen Konfliktbearbeitung dienen.

Nun gibt es aber einen Grundwiderspruch in der Politik: obwohl die Bundeswehr keine substanziellen Beiträge zur Bewältigung von Konfliktursachen leisten kann, erhält sie deutlich höhere öffentliche Investitionen und ein Vielfaches an finanzieller Unterstützung mehr als diejenigen Akteure, die sich ursachenorientiert der Krisenprävention und Konfliktbearbeitung widmen. Das Budget des Entwicklungshilfeministeriums (BMZ) (Einzelplan 23) für 2004 weist nur 3,8 Mrd. Euro und damit nur knapp ein sechstel des militärischen Budgets aus.

Und wie passt es zusammen, dass im Bundeshaushalt für den Betrieb der Bundeswehr allein im Einzelplan 14 insgesamt 24 Milliarden Euro vorgesehen sind, dass aber der Ausbau der “Infrastruktur für zivile Konfliktbearbeitung”, der von der rot-grünen Regierung 1998 als ein wichtiges Ziel im Koalitionsvertrag festgehalten wurde, nur mit jährlichen Beträgen gefördert wird, die eine zweistellige Millionensumme nicht übersteigen? Die Förderung des zivilen Friedensdienstes beim BMZ und der Haushaltstitel des Auswärtigen Amts für friedenserhaltende Maßnahmen, die als neue Instrumente der Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung etabliert wurden, umfassen zusammen knapp 30 Mio. Euro.

Wie passt es zusammen, dass die “Deutsche Stiftung Friedensforschung” (DSF) mit einem Grundkapital von etwa 25 Millionen Euro wirtschaften muss, während der Verteidigungshaushalt/Einzelplan 14 allein für den Bereich “Forschung, Entwicklung und Erprobung” weiterhin stolze 952 Mio. Euro vorsieht?
Ein bisschen Friedenspolitik gegenüber einer ansonsten vor allem auf das Militär setzenden Politik ist aber keine angemessene Antwort auf die heutigen und zukünftigen Herausforderungen!

Nochmals zur Aktualität der Sozialen Verteidigung

Natürlich kann Soziale Verteidigung überhaupt keine “Alternative” für solche Ziele wie Sicherung von Rohstoffwegen, wie Absicherung von Ölquellen, etc. bieten. Für derartige Ziele ist Soziale Verteidigung völlig ungeeignet.

Soziale Verteidigung hätte auch zu Zeiten, als die Bundeswehr noch mehr für die eigene Landesverteidigung vorgesehen war, nicht einfach durch Austausch der militärischen gegen die gewaltfreie Verteidigungsart bei ansonsten gleichbleibenden gesellschaftlichen Verhältnissen eingeführt werden können. Soziale Verteidigung ist keine neue Waffe bzw. Kampfgruppe, die in ein bestehendes Verteidigungssystem eingebaut werden kann wie das Kampfflugzeug Eurofighter, wie Unterseeboote der Klasse U 212 A und wie die geplanten neuen Waffensysteme alle heißen. Soziale Verteidigung ist auch keine neue Verteidigungsstrategie, die kaum grundsätzliche Auswirkungen auf die gesellschaftlichen Verhältnisse hat.

Vielmehr ist organisierte Soziale Verteidigung auf die Dauer identisch mit der gesellschaftlichen Beseitigung einer Gruppe: des Militärs, damit aber auch der inner- und außenpolitischen Interessen, denen das gesellschaftliche Instrument Militär dient. Entscheidend ist also: Die Organisation der Sozialen Verteidigung ist demnach nicht von eben diesen gesellschaftlichen Interessengruppen zu erwarten, sondern muss durch eine demokratische politische Bewegung in Form eines gewaltfreien Kampfes durchgesetzt werden. Soziale Verteidigung ist ein Konzept zur Entmilitarisierung, weil es die Verteidigung in die Hände und in die Kompetenz von ZivilistInnen gibt.

Soziale Verteidigung wird heute dort eingeübt, wo Menschen konkrete Erfahrungen in der gewaltfreien Konfliktaustragung machen und so die Fähigkeit lernen, auch gewaltfreien Widerstand gegen militärische Aggressionen leisten zu können. Ãœberall wo Menschen also heute zu den Methoden der gewaltfreien Aktion greifen, um ihre Interessen und Wertvorstellungen darzustellen und durchzusetzen, überall dort wird ein Stück Fähigkeit entwickelt, sich auch “sozial” verteidigen zu können. Ãœberall dort, wo ein gewaltfreier demokratischer Prozess der gesellschaftlichen Befreiung von Gewalt und von Herrschaftsstrukturen eingesetzt hat, werden die Menschen auch fähig werden und sein, gegen Versuche, soziale Errungenschaften rückgängig machen zu wollen - egal ob sie von außen oder von innen kommen - gewaltfreien Widerstand leisten. Solche Prozesse finden statt - früher sicher mehr als heute - durch die Kriegsdienstverweigerung. Sie fanden besonders in 80er Jahren bei Blockaden von Atomwaffenlagern und Atomkraftwerken oder bei Rüstungssteuerboykotten statt, wo zigtausende Menschen Zivilen Ungehorsam übten, tausende sich vor Gerichten wiederfanden, viele ins Gefängnis gingen.

Solche Prozesse werden auch eingeübt bei vielfältigen Aktionen, u.a. bei den Castor-Transporten, im vergangenen Jahr bei Blockadeaktionen gegen den Irak-Krieg, etwa an Rheinmain-Airbase in Frankfurt. Und sie finden bei den Aktionen am Stuttgarter EUCOM statt.

Dieses Verständnis macht nun deutlich, dass dem Aufbau und der Vorbereitung der Sozialen Verteidigung so etwas wie ein gewaltfreier Aufstand vorangehen muss. In dem Maße wie dieser soziale Angriff erfolgreich ist, also z.B. zur Ãœberwindung des Militarismus und zum Aufbau einer Friedenskultur beiträgt, in der sich “Gewaltfreiheit als Lebensprinzip” in allen Bereichen menschlichen Zusammenlebens durchsetzt, werden die strukturellen Grundlagen von Sozialer Verteidigung geschaffen. Angriffe auf diese Friedenskultur - sollten diese dann noch drohen - könnte mit der Methode der zivilen, sozialen Verteidigung begegnet werden. Denn wenn eine Gesellschaft in der Lage war, mit den gewaltfreien Mitteln eines sozialen Angriffs die angerissenen Veränderungen durchzusetzen und eine Friedenskultur aufzubauen, dann wird sie auch in der Lage sein, ihre Lebensweise mit gewaltfreien Methoden zu verteidigen. Eine solche Gesellschaft würde ein wenig dazu beitragen, Krieg zu überwinden. Dies alles kann geschehen, ohne dass langwierige Verhandlungen zwischen Regierungen stattfinden müssten, Verträge oder Abkommen abgeschlossen oder gar eine Weltregierung eingesetzt werden müsste. Vielmehr könnte dies durch einseitiges, gewaltfreies Handeln geschehen.

Diese Ausführungen machen deutlich: es gibt für uns mehr als genug zu tun. Und aus dieser Perspektive ist die Grundidee der Sozialen Verteidigung heute so aktuell wie eh und je. Dass sich in diesem Sinne viele Menschen mit auf den Weg machen und sich gewaltfrei für einen Wandel engagieren, das ist mein Wunsch. Dann kommen wir der Vision einer ökologisch verantwortbaren, friedvollen und gerechten Gesellschaft näher.

Ausgewählte deutschsprachige Literatur

Boserup, Anders / Mack, Andrew: Krieg ohne Waffen? Studie über Möglichkeiten und Erfolge sozialer Verteidigung. Reinbek bei Hamburg 1974.

Büttner, Christian W.: Auf der Suche nach einer gewaltfreien Alternative zum Krieg. in: gewaltfreie aktion Nr. 99/100. 1994, , S. 1-10.

Bund für Soziale Verteidigung (Hrsg.): Bundeskongreß “Wege zur Sozialen Verteidigung”, Stadthalle Minden vom 17.-19. Juni 1988. Ohne Waffen - aber nicht wehrlos! Dokumentation. Minden 1989. Bezug: Bund für Soziale Verteidigung, Schwarzer Weg 8, 32423 Minden.

Bund für Soziale Verteidigung (Hrsg.): Soziale Verteidigung. Was ist das? Arbeitshilfe zur Sozialen Verteidigung. 2. Auflage, Minden 1992, 84 S., DIN A4.

Buro, Andreas: Totgesagte leben länger: Die Friedensbewegung. Von der Ost-West-Konfrontation zur zivilen Konfliktbearbeitung. Idstein 1997.

Ebert, Theodor, Soziale Verteidigung. Bd. 1: Historische Erfahrungen und Grundzüge der Strategie. Waldkirch 1981.

ders., Soziale Verteidigung, Bd. 2.: Formen und Bedingungen des zivilen Widerstandes, Waldkirch 1983.

Ebert, Theodor: Ziviler Friedensdienst ? Alternative zum Militär. Grundausbildung im gewaltfreien Handeln. Münster 1997.

Ebert, Theodor: Pazifismus - Grundsätze und Erfahrungen für das 21. Jahrhundert. Band 1: Opponieren und Regieren mit gewaltfreien Mitteln. Münster 2001.

ders.: Pazifismus - Grundsätze und Erfahrungen für das 21. Jahrhundert. Band 2: Der Kosovo-Krieg aus pazifistischer Sicht. Münster 2001.

Galtung, Johan: Anders verteidigen. Beiträge zur Friedens- und Konfliktfor-schung 2. Reinbek 1982.

Gandhi, Mahatma: Für Pazifisten. Hrsg. v. Bharatan Kumarappa. Übersetzung und Nachwort von Wolfgang Sternstein, Münster 1994.

Goss-Mayr, Hildegard: Der Mensch vor dem Unrecht. Spiritualität und Praxis gewaltloser Befreiung. 4. neubearbeitete u. erweiterte Auflage. Wien 1981.

Goss-Mayr, Hildegard (Hrsg.): Geschenk der Armen an die Reichen. Zeugnisse aus dem gewaltfreien Kampf der erneuerten Kirche in Lateinamerika. Wien 1979.

Goss-Mayr, Hildegard: Wie Feinde Freunde werden. Mein Leben mit Jean Goss für Gewaltlosigkeit, Gerechtigkeit und Versöhnung. Freiburg, Basel, Wien 1996.

Gugel, Günther: Gewaltfreiheit - ein Lebensprinzip. Hrsg. vom Verein für Friedenspädadogik Tübingen.

Gugel, Günther: Wir werden nicht weichen. Erfahrungen mit Gewaltfreiheit. Eine praxisorientierte Einführung. Verein für Friedenspädagogik Tübingen 1996.

Jochheim, Gernot: Die gewaltfreie Aktion. Idee und Methoden, Vorbilder und Wirkungen. Hamburg 1984.

Jochheim, Gernot: Länger leben als die Gewalt. Der Zivilismus als Idee und Aktion. Stuttgart 1986.

Jochheim, Gernot: Soziale Verteidigung Verteidigung mit menschlichem Gesicht. Eine Handreichung. Düsseldorf 1988.

Jochheim, Gernot: 1000 Frauen gegen Goebbels , in: gewaltfreie aktion Nr. 95/96, 1993, S. 2 - 7.

Lange-Feldhahn, Klaus/Uli Jäger: Alternative Sicherheitskonzepte. Arbeitshilfen für eine not-wendige Diskussion. Materialien 8. Verein für Friedenspädagogik, Tübingen 1983, 108 S.

Militärpolitik Dokumentation, Heft 80/81: Soziale Verteidigung. Konstruktive Konfliktaustragung Kritik und Gegenkritik. Haag + Herchen, Frankfurt/M. 1991.

Müller, Barbara: Zur Theorie und Praxis von Sozialer Verteidigung . Institut für
Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung. Arbeitspapier Nr. 3. Wahlenau 1996.

Sternstein, Wolfgang: Entwicklung und Perspektiven Sozialer Verteidigung, in: ga. Nr. 77/78/79, 1989, S. 4-11.

Sternstein, Wolfgang (Hrsg.): Mahatma Gandhi. Die Lehre vom Schwert. Aufsätze aus den Jahren 1919-1922. Herausgegeben und eingeleitet von Wolfgang Sternstein. Oberwil b. Zug 1991.

Vogt, Roland: Ohne Waffen aber nicht wehrlos: Das Konzept der Sozialen Verteidigung. Zusammengestellt im Auftrag des Arbeitskreises Abrüstung, Frieden, Internationales (AFI) der Grünen im Bundestag. Bonn 1987.

Weitere Informationen:

> Bund für Soziale Verteidigung

> Institut für Friedensarbeit und Gewaltfreie Konfliktaustragung

Veröffentlicht am

29. Februar 2004

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