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Israel: Verweigerung liegt in der Luft

Von Reuven Kaminer - ZNet 22.02.2004

Momentan stehen in diesem Land (Israel) vier separate Ereignisse an, bei denen es um Verweigerer geht. In Tel Aviv diskutierte ein hochrangiges Komitee der IDF (Israelische Armee) ausführlich über die Forderung der IDF-Gefängnisbehörde, die fünf Antibesatzungs-Gewissensverweigerer Hagai Matar, Noam Bahat, Adam Maor, Matan Kaminer und Shimri Tsameret in zivile Gefängnisse zu “verlegen”.

Die berüchtigte ‘IDF Gewissens-Kommission’ (Kommission, die über den Status als Wehrdienstverweigerer aus Gewissensgründen entscheidet - Anmerkung d. Übersetzerin) hat schon zum vierten Mal Yoni Ben Artzis Antrag - er will auf Basis seiner klar pazifistischen Überzeugung vom Wehrdienst befreit werden - , abschlägig behandelt. Allerdings wurde Artzi an die ‘Inkompatibiläts- Kommission’ rückverwiesen - mit der Empfehlung, ihn aus der IDF zu entlassen.

Amid Zahad aus der Kleinstadt Dalyat El-Karmel gehört zu jener Sektion der israelischen Drusen, die pro Militärdienst ist. Daher war die Entscheidung Zahads, der israelischen Verweigererorganisation ‘Courage to Refuse’ (Mut zur Verweigerung) beizutreten, medientauglich. Man hat ihn als ersten Drusen-Refusenik bezeichnet. Zahad sagte gegenüber den Medien, seine Handlungsweise finde in der Gemeinde allgemein Anerkennung.

Laura Milo wird nicht alleine stehen, wenn sie am heutigen Sonntagmorgen, dem 22. Februar 2004, auf der IDF Mobilisierungsbasis erscheint, um sich verhaften zu lassen. Sie hat der ‘Gewissens-Kommission’ geschrieben, dass sie sich weigert, “bei den Verbrechen, die Israel durch die IDF verübt, mitzumachen. Ich bin keine Pazifistin. Meine Verweigerung ist dadurch motiviert, dass ich gegen die Okkupation bin.” Die Kommission schrieb zurück, ihr Antrag sei abgelehnt, ihre Haltung habe nichts mit dem Gewissen zu tun.

Laura ist Mitglied bei Hashomer Hatzair, sie hat kürzlich ihr soziales Jahr in der unterentwickelten Stadt Yeruham abgeleistet. Sicher wird ihr tiefe Solidarität zuteil - durch die ‘Gruppe der Oberschüler’ (‘Shministim’), durch New Profile und die Mitglieder des ‘Refusers Parents’ Forum’ (Forum der Eltern der Verweigerer). Falls Laura tatsächlich ins Gefängnis kommt, teilt sie das Schicksal von Inbal Gilbart, die bereits ihre dritte Haftstrafe absitzt. Das Recht, ihrem Gewissen zu folgen, wurde Gilbart von der ‘Gewissens-Kommission’ verwehrt.

Fünf gefährlich subversive Störer

Armes Militärgefängnissystem. Schon wenige Tage, nachdem die Fünf ins Militärgefängnis 6 eingeliefert wurden, schlugen die Oberaufseher Alarm und beantragten, eine interne Verlegungs-Kommission der IDF müsse auf hoher Ebene die Verlegung der Fünf in zivile Haftanstalten beschließen. Oberstmajor O. sagte vor dem Komitee: “… seit die Fünf angekommen sind, unterminiert ihre Anwesenheit die komplette Ordnung und Disziplin im Gefängnis… der Oberaufseher und das gesamte Personal sind hauptsächlich nur mit ihnen beschäftigt und haben keine Zeit, keine Energie mehr für die übrigen 500 Häftlinge”.

Den Ausschlag gab ein Beispiel, mit dem der IDF-Offizielle seine Aussage, die Fünf seien als Gruppe problematisch, unterlegte: Falls wir die Häftlinge zur Arbeit an der ‘Mauer’ schicken, ist dann nicht klar, sie werden verweigern? Als man ihn zu Details des Sündenregisters der Fünf befragte, verlangte O. den Ausschluss der Öffentlichkeit aus dem Gerichtssaal. Erst dann werde er Geheiminformation ausbreiten.

Gewisse Kommissions-Mitglieder fragten die Fünf - überredeten sie geradezu - wenn ihr schon nicht in die Armee wollt, wärt ihr dann nicht besser dran, wenn ihr das quälende Joch der ‘Militärdisziplin’ ganz loswerdet? Die Antwort der Gefangenen: Wenn man uns für militäruntauglich hält, warum lässt man uns nicht einfach frei und schickt uns nach Hause - anstatt uns zu verlegen, damit wir die Haft mit hartgesottenen Kriminellen verbringen? Nachdem den Fünf und ihrem Anwalt aber klar wurde, dass die IDF alles tun wird, ihnen das Leben so schwer wie möglich zu machen - unter anderem würde man versuchen, sie zu Häftlingsarbeit in den besetzten Gebieten zu zwingen -, gaben die Fünf ihren Widerstand gegen die Verlegung auf.

Gemeiner, brutaler Rufmord durch ein offizielles IDF-Gremium

Das sich hinziehende - neunmonatige - Verfahren ‘IDF versus Yoni Ben Artzi’ katapultierte die ‘Gewissens-Kommission’ der IDF ins öffentliche Rampenlicht. Zurecht wird die Kommission von den Medien kritisiert, und sie wird öffentlich verhöhnt. Niemand wird wohl akzeptieren, dass es Sinn macht, Armeeoffiziere, die keine entsprechende Schulung haben bzw. sehr wenig Ahnung von der ganzen Problematik und sich herzlich wenig um Kleinigkeiten wie Verfahrensregeln oder Definitionskriterien für Pazifismus bzw. die Natur des Pazifismus scheren, über das Schicksal gewissenhafter junger Männern und Frauen entscheiden zu lassen.

Es ist noch nicht lange her, da meinte ein Gremium von Militärrichtern, Ben Artzi sei ein wirklicher Pazifist. Daher schickten sie ihn zurück zur ‘Gewissens-Kommission’ (CC) - und verurteilten ihn nicht wegen Befehlsverweigerung. Andererseits war es keine große Überraschung, als die CC ihre frühere Entscheidung bekräftigte. Dann erfolgte ein regelrechter Wutausbruch der CC, ein Ausbruch von Rache. Ein Schwall von Schmähungen ergoss sich über Ben Artzi, man warf ihm vor, ‘egozentrisch’ zu sein, inkonsequent, es wäre ihm gleichgültig, wie es seinen Kameraden geht.

Ein Akt, der seinesgleichen sucht in den Annalen der Militärbürokratie Israels: ein offizielles IDF-Gremium rechtfertigt seine Grobschlächtigkeit, indem es völlig unangemessen Rufmord gegenüber einem jungen Israeli begeht, der seit über einem Jahr in Haft sitzt und darum kämpft, diesen Leuten seine absolut ehrliche Haltung begreiflich zu machen. Der IDF-Staatsanwalt stimmte in den Chor ein, indem er versuchte, die Öffentlichkeit zu überzeugen, Ben Artzi sei gefährlich und verschlagen - nur, weil Ben Artzi einmal die gefährliche Idee geäußert hat, der Staat solle die Leute nicht dazu zwingen, gegen den eignen Willen zu handeln. Kurz gesagt, ein offizielles Organ der Regierung benutzte einige aus dem Zusammenhang gerissene, bruchstückhafte Zitate - aus hunderten Seiten Aussage -, um sich auf Kosten eines ehrlichen jungen Mannes gegen den begründeten Verdacht zur Wehr zu setzen, man habe von der Materie keine Ahnung und nur Spaß daran, sich als allwissend und allmächtig aufzuführen.

Teile und erobere

Wie die Drusen-Gemeinde Israels manipuliert wurde, zählt zu den Glanzleistungen der (israelischen) Regierungspolitik. Ziel ist es, Araber gegen Araber auszuspielen - indem man denen, die potenziell kooperieren, Vorzugsbehandlung gewährt. Daher gehen junge Drusen - weil die Alten darauf drängen -, meist regulär zur Armee, oft sogar als IDF-Berufssoldaten. Die Vorstellung, ein junges Mitglied der Drusen-Gemeinde könnte seine persönlichen Ideale und Gefühle zum alleinigen Maßstab seines Handelns machen, diese Vorstellung könnte - falls ihr nichts entgegengesetzt wird -, den ganzen Deal verderben, zumal dieser Deal auf der seltsamen Idee beruht, die Drusen seien gar keine Araber. Diese Vorstellung wird von israelischen “Akademiker”-Experten genährt, die quasi Mitglied des Geheimdiensts sind. Da ist also ein drusischer Soldat, der erklärt, er werde keinen Dienst in den besetzten Gebieten leisten. Was für eine Undankbarkeit, angesichts dessen, was die israelische Regierung für die Drusen getan hat, indem sie sie von ihren arabischen Brüdern abhob.

Ein wenig disproportional

Natürlich spricht nicht viel dafür, dass ich eines Tages Berater der PR-Abteilung der Israelischen Armee werde. Hier dennoch ein paar kostenlose Ratschläge an diese Adresse. Ich würde es mir zweimal überlegen, Frauen ins Militärgefängnis zu werfen - nur, weil sie ein Gewissen haben und sich weigern, sich an den Verbrechen der Okkupation zu beteiligen. Wir sahen eine Welle der Solidarität - hier und im Ausland - für die Antibesatzungs-Fünf, die jetzt ihr zweites Jahr im Gefängnis verbringen. Besteht ihr darauf, alle jungen Frauen, die euch offen und ehrlich sagen, wir verweigern den Besatzungsdienst, in Haft zu nehmen, dann macht euch auf einen harten Kampf gefasst.

Indirekt verantwortlich für die jetzige Verhaftungswelle gegen junge Frauen könnte das öffentliche Interesse an der CC sein. Während des Ben-Artzi-Verfahrens kam heraus, dass 97 Prozent der männlichen Anträge auf Befreiung abgelehnt wurden, 97 Prozent der Anträge von Frauen jedoch akzeptiert. Zwei Dinge sind hier anzumerken. Erstens, der Grund für diese Diskrepanz liegt auf der Hand: Männer sind nützliches Kanonenfutter, Frauen gelten in dieser Hinsicht als weniger tauglich. Zweitens: Die einzig ‘logische’ Erklärung für die Diskrepanz wäre, alle Frauen sind leidenschaftliche Pazifistinnen, während Männer (die verweigern) eine Bande von Betrügern sind. Das Problem mit dieser Erklärung: Niemand wird sie glauben. Möglicherweise versucht die CC jetzt, die Zahlen anzugleichen, indem sie mehr Gewissensverweigerinnen ins Gefängnis bringt. Sollte dies der Fall sein - Junge, was für ein Fehler.

(Mein besonderer Dank gilt Adam Keller von Gush Shalom)

Quelle: ZNet Deutschland vom 29.02.2004. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “Refusal Is In the Air”

Veröffentlicht am

28. Februar 2004

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