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Ein offener Brief an Soldaten, die an der Besatzung des Irak teilnehmen

Von Guy Grossman und James Skelly - ZNet 26.09.2003

Wir schreiben diesen Brief, denn wir sind beides ehemalige Militäroffiziere. Die Konflikte, an denen wir teilnahmen, mündeten in moralische Abgründe. Wir mussten hart kämpfen, um unsere Humanität zu retten. Wir kennen das moralische Dilemma, mit dem sich einige von Euch auseinandersetzen. Wer von Euch jetzt im Irak ist, stellt sich sicher die Frage, welchen Zweck verfolgt dieser Krieg und die daran anschließende Besatzung? Und weshalb wollen soviele Iraker, dass wir so schnell wie möglich wieder verschwinden? Soviel ist klar, viele von Euch werden in Situationen hineinkatapultiert, die Euch vielleicht lebenslang verfolgen. Zweifellos wart ihr nicht darauf vorbereitet, irakische Zivilisten zu töten - etwas, was jetzt regelmäßig vorkommt. Ihr seht Euch mit Problemen konfrontiert, die Folge einer schlecht geplanten Okkupation sind - geplant, durch Eure Vorgesetzten. Wir wissen, wie schwer es sein kann, in angespannten Situationen zwischen Freund und Feind zu unterscheiden - siehe die Situation in Falludschah Anfang des Monats, als mehrere (irakische) Polizisten getötet bzw. verletzt wurden.

Sicher seid Ihr zunehmend wütend angesichts des sinnlos erscheinenden Tods Eurer Kameraden und angesichts der eigenen Unfähigkeit zu entscheiden, wer von den irakischen Zivilisten, die Ihr “befreien” wolltet, Euer Feind ist. Von Zeit zu Zeit, dessen sind wir sicher, werden einige von Euch an Rache denken - angesichts des Tods von Kameraden. Wir bitten Euch dringend, gebt diesen Gefühlen nicht nach. Dadurch macht Ihr das Leben der unschuldigen Menschen nur noch gefährlicher, und Eure Humanität ist gefährdet. Politische Führer, die glauben, eine gewisse Anzahl Toter in Euren Reihen sei durchaus “akzeptabel” - bzw. eine noch größere Anzahl toter irakischer Zivilisten -, haben Euch in diese höllische Situation gebracht. Denkt daran, letzten Endes tragen sie die Schuld an den Situationen, die Ihr inzwischen täglich erlebt. Euch ist klar, der bewaffnete Konflikt im Irak wird wahrscheinlich noch sehr lange dauern - im Gegensatz zu dem, was das Pentagon vor Eurer Entsendung sagte und trotz des angeblichen “Siegs”, den George Bush verkündete, als er auf der USS-Lincoln landete.

Möglich, dass einige Eurer Kameraden keinerlei moralische Skrupel kennen bei dem, was sie tun - wie jener US-Soldat, der kurz nach der eigentlichen Invasion auf dem Frontcover-Foto einer britischen Zeitung abgebildet war: ‘KILL ‘EM ALL’ (tötet sie alle) stand in roter Farbe, die wie Blut wirken sollte, auf seinem Helm. Sicher töten einige (von Euch) - so wie er - voller Enthusiasmus. Wenn Ihr Euch nicht sicher fühlt bei dem, was Euch befohlen wird, werdet Ihr in so einer Umgebung sicher versucht sein, Eure Zweifel für Euch zu behalten. Falls Ihr sie aussprecht, wird man Euch wahrscheinlich schikanieren - verbal oder körperlich. Vielleicht werdet Ihr Euch sogar einem formalen disziplinarischen Prozedere stellen müssen. In dem Fall gibt es eine Reihe von Dingen, die Ihr wissen solltet. Die meisten Menschen auf der Welt begreifen, Saddam Hussein war ein tyrannischer Diktator, der viele Menschen, die unter seinem Regime lebten, töten oder erniedrigen ließ. Aber den meisten Menschen der Welt ist auch bewusst, dass das Vorgehen der US-Regierung bei der Beseitigung Saddams nicht von internationaler Seite abgesegnet war und dass es dabei um ganz andere, weniger edle Motive ging bzw. dass das Ganze zur Tötung einer beträchtlichen Anzahl unschuldiger Menschen geführt hat. Dabei hätten durchaus friedlichere Alternativen bestanden.

Wir waren gegen diesen Krieg, und wir sind gegen die bewaffnete Okkupation, die darauf folgte - nicht nur, weil nach wie vor soviele Unschuldige sterben sondern auch, weil das Ganze zu noch weniger Sicherheit geführt hat - überall auf der Welt. Dieser Krieg hat einer internationalen Ordnung, die sich auf die Herrschaft des Rechts stützt, weiter die Grundlage entzogen. Er fördert ein globales Regime der Unordnung, bei der häufig willkürliche Gewaltanwendung den Schiedsrichter spielt. Die Besatzung der palästinensischen Territorien durch die israelische Armee ist auch so ein Beispiel. Überall in Israel führt sie zu einer Verschärfung der Sicherheitslage. In vergleichbarer Weise erzeugt die Irak-Besatzung weltweit eine noch bedrohtere Sicherheitslage - auch in den USA. Und noch eine Sache solltet Ihr Euch bewusst machen. Menschen auf der ganzen Welt, auch viele in den USA, betrachten es als heldenhafte Tat, wenn Ihr einfach “nein!” sagt. Nein, Ihr wollt nicht länger Teil dieser mörderischen Besatzung sein, mit der Ihr und Eure Kameraden konfrontiert seid, und sagt zweitens ‘nein’ zu dem undurchsichtigen moralischen Sumpf, den dieser Krieg erzeugt hat. Inzwischen ist klar, dass die Rechtfertigsgründe für diesen Krieg, die die politischen Führer Amerikas und Großbritanniens anführten, wenig mit der Realität zu tun hatten. Geheimdienstinformation hatte sie darauf vorbereitet, ein Krieg könnte weltweit zu noch mehr Terror führen - und nicht zu weniger Terror. Und noch etwas solltet Ihr wissen: Eine maßgebliche Anzahl Juristen argumentiert, die Irak-Invasion war gemäß internationalem Recht illegal. Zumindest theoretisch könnten die Führer der Vereinigten Staaten und Großbritanniens also einem Kriegsverbrecherprozess entgegensehen. Angesichts der Macht, den ihre Positionen mit sich bringen, ist es zwar nicht sehr wahrscheinlich - andererseits: wenn (im Irak) soviele Zivilisten getötet werden, dass es für diese Leute zum politischen Problem wird, könnt Ihr sicher sein, dass man Euch oder Eure Kameraden auf die Anklagebank setzt, und die Anklage wird auf ‘Verbrechen’ lauten. Im Falle der getöteten Polizisten in Falludschah könnte es dazu kommen - vielleicht auch nicht. Wir sind beide der Meinung, man wird einen weiteren unglücklichen Zwischenfall abwarten und kurz darauf handeln.

Philip Caputo schrieb in seinem Buch ‘Rumor of War’ (‘Stoßtrupp durch die grüne Hölle’ heißt die deutsche Übersetzung; sie ist nicht mehr im Buchhandel erhältlich, evtl. antiquarisch, die Übersetzerin) über seine eigenen Erfahrungen als Platoon-Führer in Vietnam. Caputo wurde wegen Mordes angeklagt. Seine Einheit hatte während seines Kommandos zwei Zivilisten getötet, damals, in Vietnam. Die Armee hätte ihn am liebsten als ganz gewöhnlichen Kriminellen vor Gericht gestellt - als Mörder. Es sollte verhindert werden, dass herauskam, dass der Tod der beiden Zivilisten zwangsläufige Folge des Kriegs war - dadurch wäre nämlich noch viel mehr offenbart worden. Caputo musste lernen, dass die Wahrheit nicht beim Namen genannt werden darf. Damit hängen einfach zuviele moralische Fragen zusammen - wie “die Frage nach der Moralität der amerikanischen Intervention in Vietnam”. Um auf den aktuellen Krieg zurückzukommen. Ihr müsst Euch klar sein, die Schuld für jede Aktion, bei der Ihr im Irak mitmacht und die sich für die US-Regierung als politisch brisant entpuppt, wird man auf Euch abwälzen. Die Moralität der Invasion und Okkupation des Irak durch die Regierung soll in keinem Fall infrage gestellt werden. Anders gesagt: “Achtet auf Euren Rücken!”

Sollten Euch so massive moralische Zweifel plagen, dass Eure Humanität in Gefahr ist - wie bei uns beiden, der eine in Vietnam, der andere in Zusammenhang mit der israelischen Besatzung palästinensischen Gebiets -, denkt über Befehlsverweigerung nach, das raten wir Euch dringlich, falls Ihr es mit Befehlen zu tun bekommt, die Ihr nicht guten Gewissens ausführen könnt. Ich habe den Dienst in den von Israel besetzten Gebieten verweigert, weil mir bewusst war, ich könnte keine Militärbefehle mehr ausführen, die mit der Sicherheit meines Landes so gut wie nichts zu tun haben. Ich konnte die Anwendung willkürlicher Militärgewalt nicht länger rechtfertigen - ausgeführt im Namen einer gut kaschierten aber ungerechten Politik. Ich konnte nicht zulassen, dass mein Land mich zum Werkzeug macht, um einer ungerechten Sache zu dienen. Es war mir nicht länger möglich, mit den Folgen meiner Taten zu leben.

Ihr wisst hoffentlich, als amerikanische Soldaten seid Ihr nur gezwungen, “gesetzesmäßigen Befehlen” Eurer militärischen Vorgesetzten zu gehorchen (gemäß ‘Uniform Code of Military Justice’). Folglich ist es Euer gesetzliches Recht, “ungesetzliche Befehle” zu verweigern. Diese Vorkehrung hat man in den Militär-Kodex eingebaut, damit sich kein Soldat - wie damals die deutschen Soldaten nach dem Zweiten Weltkrieg - aus seiner Schuld für Kriegsverbrechen herausredet, indem er behauptet, er hätte “nur Befehle befolgt”. Eine weitere Möglichkeit: Ersucht um Entlassung - mittels Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen. Um nicht in Vietnam dienen zu müssen, hatte ich (der andere von uns beiden), den Befehl verweigert und um Entlassung als Gewissensverweigerer eingegeben. Das Pentagon lehnte meinen Antrag ab, also verklagte ich den Verteidigungsminister vor dem Bundesgericht: (Ich sagte,) ich würde illegal beim US-Militär festhalten.

Solltet Ihr der Meinung sein, eine bestimmte Militäraktion, oder auch die gesamte Okkupation, sei in ihrer Durchführung eventuell illegal, stehen Euch weitere Mittel zur Verfügung. Ich zum Beispiel berief mich auf Telford Taylors (US-Chefankläger bei den Nürnberger Prozessen) Analyse nach dem Zweiten Weltkrieg. Ich argumentierte, gemäß der damals in Nürnberg entwickelten Standards seien die Mitglieder des US-Generalstabs als eventuell für Kriegsverbrechen in Vietnam verantwortlich zu betrachten. Ich und mehrere andere US-Unteroffiziere verlangten vom Verteidigungsminister eine militärgerichtliche Untersuchung, die darüber entscheiden sollte, ob die Mitglieder des Generalstabs Kriegsverbrecher sind. Dabei beriefen wir uns auf Artikel 135 des ‘Uniform Code of Military Justice’. In dem Artikel ist rechtlich festgelegt, dass der Militärgerichtsbarkeit unterstellte Personen verlangen können, dass jede Militärperson, von der sie glauben, dass sie gegen den Militär-Kodex verstoßen hat, einer formalen Untersuchung unterzogen und schließlich angeklagt wird. Natürlich werden Eure Vorgesetzten nicht viel davon halten - ums milde auszudrücken -, aber es ist absolut legal. Der Effekt ist jedenfalls, dass sie sich mehr Mühe geben, damit ihr Verhalten nicht noch mehr in jenen moralischen Sumpf abgleitet, den man jetzt im Irak sieht.

Noch etwas wollen wir Euch zum Schluss ausdrücklich sagen: Ihr seid nicht allein - mit dem moralischen Dilemma, in dem Ihr Euch befindet. Wir beide waren am Anfang auch auf uns gestellt mit unseren moralischen Fragen. Aber schon bald wurde uns klar, dass viele unserer Kameraden ganz ähnliche Skrupel plagen, hinsichtlich der Befehle. Also beschlossen wir, uns zu einem Instrument zu machen, das dazu beiträgt, das Militärpersonal zu organisieren - gegen die Politik unserer (jeweiligen) Regierung. Widerstand des US-Militärpersonals war ein signifikanter Faktor bei der Beendigung des Vietnamkriegs. Ob es ‘Courage to Refuse’* gelingen wird, die israelische Okkupation in den palästinensischen Gebieten zu beenden, bleibt abzuwarten. In jedem Fall sind Anstrengungen dieser Art hilfreich, um die moralischen und politischen Fragen ans helle Tageslicht zu bringen. Was uns beide persönlich betrifft, so war es wichtig, als Menschen über das zu sprechen, was wir gesehen haben und so unsere Humanität zu bewahren - in Situationen, in denen man von uns erwartete, dass wir sie verleugnen.

Egal, was Ihr tut, bemüht Euch um eine gewisse Grundhöflichkeit im Umgang mit Kameraden und vorgesetzten Offizieren. Sie sind in der gleichen Situation. Wenn Ihr moralische Bedenken zur Sprache bringt - es gibt bestimmte Regeln. Sind es professionelle Soldaten, werden sie sich daran halten. Sollte dies nicht der Fall sein, und sie handeln unprofessionell und schikanieren Euch verbal oder physisch, macht Euch klar, es ist wahrscheinlich eine Folge ihrer eigenen Furcht hinsichtlich des moralischen Dilemmas, in das die politische Führung sie gezwungen hat. Unsere Hoffnung ist, dass Ihr es schafft, Euch diesem Dilemma klar zu stellen - und hoffentlich schließen sich Euch möglichst viele Kameraden an, die ebensoviel Mumm aufbringen wie Ihr. Vielleicht kommt Ihr zu dem Schluss, dass es moralisch korrekt ist, sich weiter an der Besatzung (des Irak) zu beteiligen - wir sind anderer Meinung. Aber wie auch immer Ihr Euch entscheidet, uns ist sehr, sehr wichtig, dass Ihr Eure Entscheidung im hellen Licht moralischer Aufgeklärtheit und politischer Informiertheit trefft. Wir hoffen, Ihr kehrt eines Tages für immer nach Hause zurück- und dies menschlich reicher und nicht ärmer.

Zur Biografie der beiden Autoren

Guy Grossman ist Philosophie-Doktorand an der Universität von Tel Aviv. Er ist Zweiter Leutnant der israelischen Reserve. Grossman gehört zu den Gründungsmitgliedern von ‘Courage to Refuse’, einer Gruppe, der mittlerweile über 500 (israelische) Soldaten angehören, die sich aus Gewissensgründen weigern, Militärdienst in den Besetzen Palästinensischen Gebieten zu leisten.

James Skelly ist Senior Fellow am ‘Baker Institute for Peace and Conflict Studies’ des Juniata College und akademischer Koordinator der ‘Peace & Justice Programs’ der Brethren Colleges Abroad. Als Leutnant der US-Navy verklagte er den damaligen Verteidigungsminister Melvin Laird vor US-Bundesgerichten: Skelly wollte nicht nach Vietnam und verweigerte den Befehl. Er ist auch einer der Gründer (US-Westküste) von ‘The Concerned Officers Movement’ und ‘The Concerned Military’.

Quelle: ZNet Deutschland vom 28.09.2003. Übersetzt von: Andrea Noll. Orginalartikel: “Open Letter”

Veröffentlicht am

29. September 2003

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