Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V.

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“Es muss endgültig Schluss damit sein, Menschen mit Zwang wieder nach Afghanistan zurück zu verfrachten, wo Terror und Krieg herrschen.”

Redebeitrag von Michael Schmid bei Protestkundgebung gegen Abschiebungen nach Afghanistan am 26.7. in Gammertingen

Rund 30 Menschen nahmen am 26. Juli 2017 an einer Kundgebung in Gammertingen (Landkreis Sigmaringen) teil, um ihre Solidarität gegenüber Menschen zu bekunden, die nach Deutschland gekommen sind, um hier Schutz zu suchen. Sie sind nun damit konfrontiert, dass die Bundesregierung zu vielen sagt: Ihr seid hier nicht willkommen. Wenn ihr nicht freiwillig wieder geht, dann werden wir euch mit Zwang abschieben. Einer solchen menschenverachtenden Abschreckungs- und Abschiebepolitik ins Kriegsland Afghanistan galt der Protest. In einer Rede ging Michael Schmid vom Veranstalter "Lebenshaus Schwäbische Alb - Gemeinschaft für soziale Gerechtigkeit, Frieden und Ökologie e.V." auf aktuelle Ereignisse sowie Hintergründe und Zusammenhänge der Afghanistan-Abschiebungen ein. 

Von Michael Schmid

Es ist kaum zu glauben: Aber die Bundesregierung hatte für heute Abend erneut eine Sammelabschiebung nach Kabul geplant. Vor ein paar Tagen gab es dann aber wieder Entwarnung: Das Bundesinnenministerium hat den Landesinnenministerien mitgeteilt, "dass die Abschiebung aus Gründen, die in Deutschland wie auch in Afghanistan zu verorten sind, am 26.07. nicht durchgeführt werden kann."

Bei aller Freude über diese erneute Stornierung - es ist jetzt wirklich Zeit, die Abschiebungen ein für alle Mal zu beenden. Es muss endgültig Schluss damit sein, Menschen mit Zwang wieder nach Afghanistan und damit in ein Land zurück zu verfrachten, in dem Terror und Krieg herrschen.

Dass es in dem von Krieg und Konflikten zerrütteten Land keine vereinzelten sicheren Gebiete gibt, wie von der Bundesregierung immer wieder behauptet, macht erneut der am 17.07.2017 von der UN-Mission für Afghanistan (UNAMA) veröffentlichte Bericht über zivile Opfer für das erste Halbjahr 2017 deutlich. Dieser Bericht der Vereinten Nationen zeichnet ein verheerendes Bild. Es wird von einem anhaltenden "extremen Leid" für die Bevölkerung in einem "hässlichen Krieg" gesprochen. Die zivilen Opferzahlen seien auf einem "Rekordniveau", so die UNO. Mindestens 1.662 Zivilisten sind im ersten Halbjahr 2017 getötet worden.

Diese verheerenden Zustände in Afghanistan wurden dieser Tage erneut bestätigt. So gab es am Sonntag und Montag zwei fürchterliche Anschläge. Am Sonntag haben mutmaßlich Taliban ein Krankenhaus in der zentralen Provinz Ghor angegriffen und dabei mindestens 35 Menschen getötet. Am Montag starben bei der Explosion eines Sprengsatzes im Westen der Hauptstadt Kabul nach Regierungsangaben mindestens 35 Menschen.

2017 war das bereits der zehnte schwere Anschlag in der Hauptstadt Kabul. Dort gibt es dieses Jahr wieder besonders viele Opfer. Zur Erinnerung: das ist die Stadt, welche die Bundesregierung bisher für so sicher hält, um abgelehnte Asylbewerber dorthin abzuschieben.

Natürlich weiß die Bundesregierung um die verheerende Lage in Afghanistan. Sie weiß auch, dass Abschiebungen ein Klima der Angst auslösen. Und genau das ist gewollt. Denn es soll Härte demonstriert werden und es soll die Botschaft in Afghanistan ankommen: Macht euch nicht auf den Weg nach Deutschland. Hier habt ihr keine Chance. Für diese Politik werden Menschenrechtsverletzungen in Kauf genommen, dafür wird gelogen. Dafür werden notfalls auch Menschenleben geopfert. Denn die Bundesregierung interessiert sich offensichtlich mehr für rechte Menschen als für Menschenrechte! Das ist wirklich widerlich!

Seit dem schweren Anschlag auf die Deutsche Botschaft in Kabul Ende Mai hat die Bundesregierung keine Sammelabschiebungen mehr durchgeführt. Aber sie hat diese nur vorübergehend aufgeschoben. Und sie hat ausdrücklich betont, dass vermeintliche Straftäter, Gefährder und Menschen, die eine Mitwirkung bei der Identitätsfeststellung verweigert haben, weiter abgeschoben werden können.

Ich teile ausdrücklich die Meinung vieler Menschenrechtsorganisationen oder auch des Deutschen Caritasverbandes, die einen bundesweiten Abschiebungsschutz fordern, der grundsätzlich auch für vermeintliche Straftäter, Gefährder und Menschen aus Afghanistan gelten muss, die eine Mitwirkung bei der Identitätsfeststellung verweigert haben. Denn auch für diese Menschen gelten die Menschenrechte und sie dürfen in keine Situation abgeschoben werden, in denen ihr Leben bedroht wird. Sollte jemand eine Straftat begehen, dann gibt es dafür das Strafrecht, das zur Anwendung kommen muss. Aber das Strafrecht darf nicht mit dem Aufenthaltsrecht vermischt werden. Das hat unter anderem auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) ausdrücklich und wiederholt festgestellt.

Ausdruck der menschenverachtenden Asylpolitik sind nicht nur die unmittelbaren Abschiebungen nach Afghanistan direkt von Deutschland aus. Die Süddeutsche Zeitung hat berichtet, dass Deutschland am 13. Juni 41 Asylbewerber nach Oslo ausgeflogen hat - überwiegend Afghanen und Somalier. Norwegen hat keinen Abschiebestopp nach Afghanistan, und die norwegischen Behörden schieben auch Familien mit Kindern nach Kabul ab. Da aus Sicht der zuständigen norwegischen Behörden die Mehrheit der 41 zurückgeschickten Asylbewerber ihre Asylverfahren bereits vollständig durchlaufen hätten, würden nun alle abgelehnten in ihre Heimatländer zurückgebracht - auch die Afghanen. Also eine Abschiebung über Umwege, eine "Kettenabschiebung": Deutschland, Norwegen, Afghanistan. Eine Farce.

Ich möchte noch auf einen anderen Aspekt dieser abweisenden, abschreckenden Asylpolitik eingehen. Trotz der kontinuierlich sich verschlechternden Sicherheitslage ist die Schutzquote für afghanische Geflüchtete drastisch gesunken. Betrachtet man die bereinigte Schutzquote für afghanische Flüchtlinge, so ist diese von 86,1 Prozent im 3. Quartal 2015, also bevor Bundesinnenminister Thomas de Maizière zur Abschiebung afghanischer Flüchtlinge aufgerufen hatte, auf nur noch 46,7 Prozent im ersten Halbjahr 2017 gesunken. Angesichts der im Bericht der UN-Mission für Afghanistan erneut dokumentierten Lage sind diese Zahlen eine Schande. Aber sie zeigen, dass sich die Entscheidungspraxis gegenüber afghanischen Schutzsuchenden drastisch verschärft hat und wie deutlich die Anerkennungsquoten gesunken sind, nachdem die Bundesregierung im Herbst 2015 beschloss, unmissverständliche Signale der Abschreckung nach Afghanistan zu senden.

Die Menschenrechtsorganisation PRO ASYL kritisiert auch, dass sich das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) in keinem einzigen ihr bekannten Fall auf die aktuelle Lageentwicklung in Afghanistan gestützt hat. Eine Vielzahl der Ablehnungen basiert auf veralteten Textbausteinen. Wir können das aus eigener Anschauung mit Ablehnungsbescheiden hier vor Ort bestätigen.

Zigtausende fehlerbehaftete Bescheide und die rigorose Ablehnungspraxis beim BAMF haben zur Folge, dass Gerichte die Entscheidungen des Bundesamtes neu prüfen müssen. Die Folge ist nun ein riesiger Berg von Klagen gegen die Ablehnungsbescheide vor Verwaltungsgerichten. In der vergangenen Woche haben Verwaltungsrichter Alarm geschlagen: Rund 250.000 Klagen von abgelehnten Asylbewerbern sind derzeit vor deutschen Verwaltungsgerichten anhängig. Die Richter kommen mit der Bearbeitung der Fälle kaum hinterher. Leidtragende dieser Verlagerung der Arbeit vom BAMF auf die Gerichte sind also die Richterinnen und Richter, die Rechtsanwälte, natürlich die abgelehnten Asylsuchenden und deren Unterstützerinnen und Unterstützer.

Gibt es etwas, das uns hoffen lassen kann auf eine politische Umkehr? Ich meine ja. Es gibt zahlreiche Menschenrechtsorganisationen, die einen anderen Umgang mit afghanischen Schutzsuchenden und einen sofortigen umfassenden Abschiebestopp fordern. Hoffnung machen mir auch die zahlreichen Protestaktionen, mit denen sich Menschen für dieses Ziel einsetzen. Es gab und gibt zahlreiche kleinere und größere Aktionen in ganz Deutschland. Besonders erfreulich, dass sich teilweise auch junge Menschen, Schülerinnen und Schüler gegen Abschiebungen engagieren.

Das alles hinterlässt auch Wirkung auf die Bundestagsparteien. Unter den im Bundestag vertretenen Parteien sprechen sich in ihren Wahlprogrammen SPD, Linkspartei und Bündnis 90/Die Grünen gegen Afghanistan-Abschiebungen aus. Wobei es bekanntlich dann immer noch einen Unterschied gibt zwischen dem, was in einem Wahlprogramm steht und dem realen Handeln als Regierungspartei. Bei den Unionsparteien würde man allerdings nach entsprechenden Formulierungen in den Wahlprogrammen vergeblich Ausschau halten.

Wenn wir wollen, dass es einen endgültigen, generellen Abschiebestopp in das Kriegsland Afghanistan gibt und eine konkrete Bleibeperspektiven für afghanische Geflüchtete, dann sollten wir uns selber weiter engagieren und versuchen, entsprechenden Einfluss auf die Politik zu nehmen.

Angesichts der katastrophalen Lage in Afghanistan fordern wir:

  • Nicht nur eine vorübergehende Aussetzung von Abschiebungen, sondern einen umfassenden Abschiebestopp.
  • Ein bundesweiter Abschiebungsschutz nach Afghanistan muss auch Straftäter, Gefährder und Menschen umfassen, die eine Mitwirkung bei der Identitätsfeststellung verweigert haben. Alles andere verstößt massiv gegen Menschenrechte.
  • Zu fordern ist ebenfalls, dass eine neue Einschätzung der Gefahrenlage durch das Auswärtige Amt, welche eigentlich bis Ende Juli vorgenommen werden sollte, die Erkenntnisse von unterschiedlichen staatlichen und ebenfalls nichtstaatlichen Quellen berücksichtigen und diese umfassend würdigen muss.
  • Alle seit April 2016 abgelehnten Afghanistan-Fälle müssen vom Bundesamt neu bearbeitet werden. Denn: Seit diesem Zeitpunkt stellt UNHCR eine Verschärfung der Lage in Afghanistan fest. Gerade die Ausführungen des UNHCR sind nach einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichtes (vgl. Beschluss vom 12.03.2008 - 2 BvR 378/05) zwingend zu beachten.
  • Geflüchteten aus Afghanistan ist ein sicherer Aufenthaltsstatus zu gewähren, der das Recht auf Familiennachzug beinhaltet.

Weiter solidarisieren und engagieren

"Die schlimmen Kriege und Brutalitäten aufhalten und den Weltfrieden herstellen liegt in der moralischen Verantwortung eines jeden bewussten Weltbürgers", sagt die afghanische Friedensaktivistin und Frauenrechtlerin Malalai Joya. Wir alle sind also angesprochen, uns gegen Kriege und Ungerechtigkeiten aller Art zu engagieren und uns für die Entwicklung von friedvollen Verhältnissen in nah und fern einzusetzen.

Ein konkreter Ansatzpunkt dafür besteht darin, uns weiter zu engagieren, um die Abschiebungen nach Afghanistan endgültig zu stoppen. Unsere Solidarität ist ebenfalls erforderlich, um die hier bei uns lebenden afghanischen Geflüchteten nicht alleine ihrem Schicksal zu überlassen. Ich hoffe, dass wir alle in der je uns eigenen Weise weitermachen - sowohl mit Protesten und dem Versuch der Einflussnahme auf politische Entscheidungen, als auch bei alltäglicher Unterstützung und Begleitung der Menschen aus Afghanistan. Und das gilt natürlich auch in Bezug auf geflüchtete Menschen aus den vielen anderen Ländern, die hier bei uns sind.

Lebenshaus Schwäbische Alb wird wahrscheinlich weitere Protestveranstaltungen organisieren. Wir freuen uns dann, wenn diese auch wieder von vielen Menschen besucht werden. Wer noch in unseren Verteiler aufgenommen werden möchte, um direkt per E-Mail darüber informiert zu werden, sollte uns seine E-Mail-Adresse hinterlassen zu zukommen lassen.


Weitere Kundgebungsbeiträge vom 26.07.2017:

Weblinks:


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Veröffentlicht am

29. Juli 2017

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