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Vor dem NATO-Gipfel in Brüssel - Neue Hoffnung für die Allianz?

Von Otfried Nassauer    

Eine Zahl elektrisiert: Zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts sollen die Mitgliedstaaten der NATO bis 2024 für ihr Militär ausgeben. Das hat das Bündnis vor drei Jahren auf seinem Gipfel in Wales 2014 unter dem Eindruck der Krise in der Ukraine und auf Drängen des damaligen US-Präsidenten Obama beschlossen. Es ist eine politische Zielsetzung, kein rechtlich verbindlicher Beschluss.

Donald Trump, dem US-Präsidenten, ist die Steigerung der Militärausgaben eine Herzensangelegenheit. Das Pentagon-Budget soll um rund zehn Prozent wachsen. Donald Trump erwartet, dass auch die europäischen NATO-Staaten erheblich mehr Geld ins Militär stecken. Er macht Druck. Beispielsweise im März beim Washington-Besuch von Bundeskanzlerin Merkel:

O-Ton Trump (overvoice)

"Ich habe Kanzlerin Merkel erneut gesagt, wie sehr ich die NATO unterstütze und dass unsere NATO-Alliierten ihren gerechten Teil für die Kosten der Verteidigung bezahlen müssen. Viele Nationen schulden aus den vergangenen Jahren massive Summen. Das ist sehr unfair gegenüber den USA. Die Nationen müssen bezahlen, was sie schulden."

In der kommenden Woche holt das Thema die NATO erneut ein. Donald Trump möchte, dass jedes NATO-Land beim Gipfel in Brüssel einen konkreten Plan vorlegt, wie es das Zwei-Prozent-Ziel in den nächsten Jahren erreichen will.

Mancher wird sich vielleicht noch erinnern: In den späten siebziger und achtziger Jahren gab es schon einmal eine heftige Debatte über die Lastenteilung im Bündnis. Damals hatten sich die Bündnispartner verpflichtet, ihre Verteidigungsausgaben auf drei Prozent der nationalen Wirtschaftsleistung zu erhöhen. Die Militäretats stiegen damals in Europa - allerdings in Grenzen. Viele Parlamente waren nicht bereit, den Streitkräften so viel Geld zu bewilligen. Trotzdem entwickelten Industrie und Militär Beschaffungspläne, die nicht ein-mal dann finanzierbar gewesen wären, wenn das drei Prozent-Ziel eingehalten worden wäre. Nun also nicht drei, sondern zwei Prozent der Wirtschaftsleistung für die Verteidigung.

Ist das überhaupt sinnvoll? Werfen wir einen Blick auf Deutschland. Zwei Prozent wären im vergangenen Jahr rund 62 Milliarden Euro gewesen. Kalkuliert man das Wirtschaftswachstum vorsichtig, so werden es im Jahr 2024 mehr als 70 Milliarden Euro sein. Der Verteidigungshaushalt lag 2016 bei knapp 34,4 Milliarden Euro. Bis 2024 müsste er also verdoppelt werden.

Es gibt gleich mehrere gute Gründe, das für unsinnig zu halten.

Richtig ist allerdings: In der Bundeswehr und bei deren Beschaffungsvorhaben gibt es massive Probleme. Es mangelt an einsatzfähigen Waffensystemen, an voll ausgestatteten Einheiten, an Ersatzteilen und an geeignetem Personal. Zu spät, zu teuer und zu schlecht, lautet die Diagnose bei vielen Beschaffungsvorhaben. Die Bundeswehr könnte also auf den ersten Blick scheinbar mehr Geld gut gebrauchen.

Ursula von der Leyen kann schon heute deutlich mehr Geld ausgeben als ihre Vorgänger. Sie reformiert das staatliche Beschaffungswesen und will es durch den massiven Einsatz externer Berater auf Vordermann bringen. Die Berater aber kosten zusätzlich Geld und haben das Interesse, sich dauerhaft ein neues Geschäftsfeld zu sichern. Ob dieser Ansatz Erfolg haben wird und der Bundeswehr garantiert, dass sie künftig vertragstreu, zeitgerecht und im Kosten-rahmen mit neuen Fähigkeiten beliefert wird, muss sich erst noch zeigen.

Weder die Bundeswehr noch die wehrtechnische Industrie könnten jedoch eine Steigerung der Verteidigungsausgaben auf zwei Prozent der deutschen Wirtschaftsleistung sozusagen sinnvoll "konsumieren". Beide haben dafür nicht die Kapazitäten.

Die Zielgröße zwei Prozent schafft offenbar sogar falsche Anreize. Die Industrie drängt die Politik zu neuen Großprojekten und fordert dafür gesalzene Preise:

  • Für fünf zusätzliche Korvetten wollte die Industrie zunächst fast drei Milliarden Euro; das Verteidigungsministerium hatte nur 1,5 Milliarden ein-geplant.
  • Der Rückkauf und die Modernisierung von gebrauchten 100 Kampfpanzern kostet mehr als eine dreiviertel Milliarde Euro, mehr als die Panzer neu gekostet haben.
  • Airbus fordert zum wiederholten Mal einen finanziellen Nachschlag für das Transportflugzeug A 400M.

Der Verdacht liegt nahe, dass es der Industrie vor allem darum geht, jetzt Verträge mit langer Laufzeit abzuschließen, ihre Gewinnmargen zu vergrößern, sich gesund zu stoßen und die eigene Wettbewerbsfähigkeit gegenüber der europäischen Konkurrenz zu verbessern.

Gerade letzteres ist sogar kontraproduktiv. Wird die Industrie mit viel Geld auf-gepäppelt, so verschwindet der heilsame Druck, industrielle Überkapazitäten in Europa endlich abzubauen, und enger zusammenzuarbeiten, damit größere Stückzahlen billiger produziert werden können. Stattdessen würde es wieder teure, kleine und nationale Lösungen geben. Effizienz und bessere Fähigkeiten für die Streitkräfte werden dann eher zu einem zufälligen Seiteneffekt - wenn man Glück hat. Die zwingend notwendige Reform der europäischen Rüstungsindustrie würde erneut hinausgeschoben.

Ein anderes Argument ist außenpolitischer Natur: Bislang hat Deutschland die Stärke der Bundeswehr und seinen Rüstungshaushalt immer auch an den militärischen Fähigkeiten orientiert, die sich Frankreich und Großbritannien leisten können. Gäbe Deutschland auf Dauer zwei Prozent seiner Wirtschaftsleistung für die Bundeswehr aus, so würde es schon bald nicht nur wirtschaftlich dominant sein, sondern auch die stärksten konventionellen Streitkräfte in Europa stellen. Darauf machte Außenminister Gabriel kürzlich aufmerksam.

O-Ton Gabriel

"Man muss sich schon überlegen, ob sich der Rest Europas eigentlich ein Deutschland wünscht, dass pro Jahr mehr als 60 Milliarden Euro in seine Bundeswehr steckt."

Schließlich gibt es auch innenpolitische Gründe, die gegen das Zwei-Prozent-Ziel sprechen. Dringlicher sind Investitionen in anderen Bereichen: Soziale Gerechtigkeit, Integration und die Infrastruktur. Wenn Deutschland und Europa nicht verstärkt in die Lebensbedingungen ihrer ärmeren Bevölkerungsschichten investieren, führt das über kurz oder lang zu einer erheblichen Gefährdung des sozialen und inneren Friedens.

In der NATO wird deshalb bereits darauf hingewiesen, dass höhere Verteidigungsausgaben nicht die alleinige Messlatte für eine faire Lastenteilung sein können. NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg argumentierte bei seinem Besuch in Washington im April:

O-Ton Stoltenberg (overvoice)

"Es geht darum, mehr für die Verteidigung auszugeben. Es geht darum die Fähigkeiten bereitzustellen, die wir brauchen und es geht darum, militärische Kräfte für die NATO-Missionen und deren Operationen bereitzustellen."

Verteidigungsministerin von der Leyen hat einen "Aktivitätsindex" vorgeschlagen, der beispielsweise die Beteiligung eines Landes an Auslandseinsätzen berücksichtigt. Andere gehen noch einen Schritt weiter: Sie regen an, auch Ausgaben für Humanitäre- und Entwicklungshilfe, das nichtmilitärische Krisenmanagement und die Bemühungen um friedliche Konfliktlösungen auf das Zwei-Prozent Ziel anzurechnen. Das wäre sicher eine Überlegung wert. Auch für die NATO, die immer wieder betont, ein politisches Verteidigungs- und Wertebündnis zu sein und nicht nur eine Militärallianz.

Otfried Nassauer ist freier Journalist und leitet das Berliner Informationszentrum für Transatlantische Sicherheit - BITS

Quelle: BITS - Wir veröffentlichen diesen Artikel mit freundlicher Genehmigung von Otfried Nassauer.

Veröffentlicht am

24. Mai 2017

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