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Türkei: Opposition gleich Hochverrat

Die Repressionen gegen Journalisten und die Ambitionen in Syrien und Irak senden eine Botschaft: Erdogans AKP will sich hegemonial ausleben - nach innen wie außen

Von Lutz Herden

Die Bundesregierung erweckt aus eigensüchtigen Motiven den Eindruck, die Türkei sei (noch) ein Rechtsstaat. Wozu sonst wird zu den Verhaftungen von Journalisten der Zeitung Cumhuriyet erklärt, Pressefreiheit sei "zentral für jeden Rechtsstaat". Doch weder mit politischen Freiheiten noch medialem Pluralismus kann die AKP-Regierung derzeit aufwarten. Will sie auch nicht.

Nur lohnt es, solcherart Befund überhaupt weiter mitzuteilen? Moralische Ächtung kann gegen die realpolitische Unterfütterung getroffener Entscheidungen wenig ausrichten. Und die von der Regierung Merkel favorisierte lautet nun einmal: Präsident Erdogan bleibt ein unverzichtbarer Partner, komme, was wolle. Und dies gilt nicht allein wegen des Flüchtlingsabkommens.

Derzeit signalisieren die türkischen Machthaber ihren Verbündeten in den USA wie in Europa, dass sie ihren regionalen Interessen mit eisernem Willen Geltung verschaffen. Sie wollen an der Neuordnung Syriens und des Irak nicht nur Anteil nehmen, sondern einem geostrategischen Umbruch ihren Stempel aufdrücken, um sich endgültig als Regionalmacht zu etablieren und europäische Ambitionen besser als bisher gegen diesen Status abwägen zu können. Dazu braucht es autoritäres Durchsetzungsvermögen, das sich über jeden Anflug von innerem Widerstand hinwegsetzt, sollte der von Oppositionsparteien kommen oder in Medien artikuliert werden.

Deshalb die Maxime: Opposition kann an Hochverrat grenzen und entsprechend geahndet werden. Das ist die Botschaft, die von den Repressalien gegen die Cumhuriyet-Journalisten ausgeht. Die neoosmanische Option braucht eine politische Ordnung, die Anleihen bei osmanischen Autokratien von einst nicht scheut. Offenbar ist es aus Sicht von Recep Tayyip Erdogan an der Zeit, nächste Schritte zu gehen und Entschlüsse zu treffen, deren Folgen unumkehrbar sind. Diese Intention würde seine Ankündigung erklären, das Parlament in Ankara über die Wiedereinführung der Todesstrafe abstimmen zu lassen. Da es zweifelhaft erscheint, ob mit der dafür erforderlichen Zweidrittelmehrheit zu rechnen ist, könnte die Absicht Erdogans darin bestehen, über eine solche Zäsur per Volksabstimmung befinden zu lassen. Ein Referendum als Krönungsmesse, es ließe sich als Akt der Absolution für all das deuten, was sich das Regime seit dem gescheiterten Putsch Mitte Juli an omnipotenter Vollendung zugeschanzt hat. Die im Land herrschende Stimmung lässt Erdogan nicht zu Unrecht auf einen Triumph hoffen, der wiederum außenpolitischen Absichten dienlich wäre.

Man kann mit solchem Rückhalt nahöstliches Neuland leichter unter den militärischen Pflug nehmen und sich den Europäern als Stabilitätsanker im orientalischen Krisenbogen empfehlen. Warum sollten sich dann nicht ganz andere Konditionen für wie auch immer geartete Bindungen an die EU ergeben? Sie müssen nicht den Charakter einer Mitgliedschaft haben, sondern sind als privilegierte Partnerschaft denkbar, zumal sich die AKP gerade vehement anbietet, bei gravierenden Machtverlusten des IS ein Machtvakuum im Nordirak wie in Nordsyrien zu füllen. Der Anspruch auf den eigenen Part bei der Befriedung in Mossul und darüber hinaus wurde in Ankara bereits formuliert. Und dass die AKP einen gemäßigten, staatstragenden Islam verkörpert, behauptet sie schon lange. Jetzt will sich der eben hegemonial ausleben, nach innen und außen. Wie gesagt, Erdogan bleibt ein Partner.

Quelle: der FREITAG vom 04.11.2016. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

04. November 2016

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