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Die Nukleardebatte der NATO (II)

Ein führender deutscher Think-Tank fordert verstärkte propagandistische Anstrengungen zur Steigerung der öffentlichen Akzeptanz für Atomwaffen. Die "nuklearen Elemente" einer Strategie der "Abschreckung" gegen Russland müssten in der "Kommunikation" mit der Bevölkerung "wieder sichtbarer" werden, schreibt die Zeitschrift der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP). Um die "skeptische" Haltung vieler Deutscher zu Kernwaffen zu kontern, empfehlen die Autoren unter anderem, den "militärisch konnotierten" Begriff "Abschreckung" durch "Entmutigung" zu ersetzen. Zurückgeführt wird die weit verbreitete Ablehnung von Atomwaffen auf eine von Wissenschaftlern und Teilen der westlichen Führungseliten bewusst betriebene "Desavouierung" des "Abschreckungskonzepts". Dessen ungeachtet sei es nun der Zeit, Russland zu vermitteln, dass die NATO im Kriegsfall "tatsächlich Nuklearwaffen einsetzen würde", heißt es. Wie im vergangenen Jahr bekannt wurde, haben die USA den Einsatz von Kernwaffen seit dem Ende des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion zumindest einmal erwogen: Nach den islamistischen Terroranschlägen in New York und Washington Anfang September 2001 wurden entsprechende Angriffe auf Ziele in Afghanistan diskutiert.

Akzeptanz verändern

Wie die von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) publizierte Zeitschrift "Internationale Politik" in ihrer aktuellen Ausgabe schreibt, müsse die deutsche Staatsführung die "nuklearen Elemente" der "Abschreckung" gegen Russland in der "Kommunikation" mit der Bevölkerung "wieder sichtbarer" werden lassen. Dies gelte insbesondere, da viele Deutsche der "Nuklearoption" äußerst "skeptisch" gegenüber stünden: "Die Regierung kann zwar Rüstungsvorhaben beschließen, weil sie diese als notwendig zur glaubwürdigen Abschreckung erachtet. Das heißt aber nicht, dass die Bevölkerung solche Vorhaben auch als Beitrag zur eigenen Sicherheit ansieht; sie kann sie auch als gefährliche Eskalation ablehnen." Um die beschriebene Haltung zu kontern, empfehlen die Autoren Claudia Major und Christian Mölling, eine entsprechende "sicherheitspolitische Debatte" zu lancieren. Die auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2014 begonnene Diskussion über die "deutsche Verantwortung" für weltweite westliche Kriegsoperationen etwa zeige, dass man die "öffentliche Akzeptanz verändern" könne, heißt es. Vorgeschlagen wird darüber hinaus, auch die "semantische Dimension" zu berücksichtigen: "Abschreckung ist militärisch konnotiert, steht für konfrontative Debatten aus dem Kalten Krieg und ‘alte’ Sicherheitspolitik. Hilfreich wären neue Begriffe wie ‘Entmutigung’ oder ‘abhalten’."Claudia Major/Christian Mölling: Abschreckung neu denken. Nukleare, konventionelle und zivile Komponenten müssen zusammenspielen. Internationale Politik, Januar/Februar 2016.

Innenpolitische Zumutungen

Analog äußert sich der Leiter des NATO-Referats für "Energiesicherheit", Michael Rühle, in der aktuellen Ausgabe der "Internationalen Politik". Seiner Aufassung nach ist die "Rückkehr" zu einer Strategie der atomaren "Abschreckung" gegen Russland zwar "unausweichlich", nur sähen sich die Vertreter dieses Ansatzes mit dem Problem der "innenpolitischen Durchsetzungsfähigkeit" konfrontiert: "Die sogenannte Nachrüstungsdebatte der frühen achtziger Jahre hat den westlichen Demokratien vor Augen geführt, dass nicht jede Rüstungsmaßnahme, die der Aufrechterhaltung der Abschreckung dient, von der Bevölkerung als Beitrag zur eigenen Sicherheit wahrgenommen wird." Während die seinerzeitige Stationierung neuer US-Atomwaffen auf westdeutschem Territorium einerseits "konsequent" im Sinne der "Abschreckungslogik" gewesen sei, habe sie andererseits bei vielen Menschen "Ängste" ausgelöst, "die sich in Massenprotesten der Friedensbewegung niederschlugen". Hierin komme ein klassisches "Dilemma" der westlichen Militärpolitik zum Ausdruck, erklärt Rühle: Die Regierungen der NATO-Staaten könnten sich nicht ausschließlich daran orientieren, was sie für "militärisch notwendig" halten, sondern müssten auch berücksichtigen, "was innenpolitisch zumutbar ist".Michael Rühle: Konventionell und nuklear. Die Rückkehr der Abschreckung ist unvermeidlich. Internationale Politik, Januar/Februar 2016.

Intellektueller Kollateralschaden

Die in Deutschland weit verbreitete generelle Ablehnung von Atomwaffen führt Rühle auf das Wirken nicht näher spezifizierter "sicherheitspolitische(r) Eliten" und mit ihnen verbundener Wissenschaftler zurück. Wie der NATO-Funktionär ausführt, hätten sich die genannten Gruppen ganz der "bewussten Desavouierung" des Konzept der "Abschreckung" gewidmet und bei jeder Gelegenheit das "Credo" von der "Abschaffung aller Atomwaffen" vor sich her getragen. Ihr Ziel sei es letztlich gewesen, "Abschreckung als Mythos zu entlarven", um so "der nuklearen Abrüstung analytisch den Weg zu ebnen". Daher sehe sich die deutsche Regierung mit einem enormen "intellektuelle(n) Kollateralschaden" konfrontiert: "Selbst in den politischen Führungseliten des Westens vertrat man noch bis vor Kurzem die Überzeugung, man lebe inzwischen in einem neuen Zeitalter, in dem nukleare Abschreckung obsolet geworden sei." Angesichts der "militärischen Provokationen Russlands" habe nun allerdings ein "mühevolles Rückzugsgefecht" begonnen, schreibt Rühle: "Dazu zählt beispielsweise der untaugliche Versuch, die neuartigen Abschreckungserfordernisse des Westens ausschließlich im konventionellen Bereich zu verorten und die nukleare Dimension der Abschreckung im Sinne der eigenen Abrüstungspräferenzen weiterhin zu ignorieren."Michael Rühle: Konventionell und nuklear. Die Rückkehr der Abschreckung ist unvermeidlich. Internationale Politik, Januar/Februar 2016.

Zermürbungsstrategie

Gleichzeitig spricht sich Rühle für eine "Symbiose zwischen Abschreckung und Dialog" im Umgang mit Russland aus. Wie im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion müsse "Abschreckung" dabei die "militärische Veränderung des Status quo" verhindern, um den "politisch-sozialen Kräften" die Zeit zu geben, die russische Staatsführung zu "zermürben".Michael Rühle: Konventionell und nuklear. Die Rückkehr der Abschreckung ist unvermeidlich. Internationale Politik, Januar/Februar 2016. Analog äußern sich die Autoren Claudia Major und Christian Mölling. Ausgehend von einer "Basis militärischer Stärke" müsse die NATO "ständige Dialogangebote" an Russland richten, heißt es: "Militärische Sicherheit und eine Politik der Entspannung bilden keinen Widerspruch, sondern eine notwendige Ergänzung." Letztlich gehe es darum, dass "nukleare, konventionelle und zivile Komponenten" möglichst reibungslos "zusammenspielen".Claudia Major/Christian Mölling: Abschreckung neu denken. Nukleare, konventionelle und zivile Komponenten müssen zusammenspielen. Internationale Politik, Januar/Februar 2016.

Alle Optionen nutzen

Entscheidend für den Erfolg der favorisierten antirussischen Strategie ist laut Major und Mölling allerdings die "Glaubwürdigkeit" der atomaren "Abschreckung". Diese erfülle ihren Zweck nur, wenn Moskau davon überzeugt sei, dass die NATO im Kriegsfall "tatsächlich Nuklearwaffen einsetzen würde", erklären die Autoren.Claudia Major/Christian Mölling: Abschreckung neu denken. Nukleare, konventionelle und zivile Komponenten müssen zusammenspielen. Internationale Politik, Januar/Februar 2016. Die USA wiederum haben einen solchen Einsatz seit dem Ende des Kalten Krieges gegen die Sowjetunion zumindest einmal ernsthaft erwogen, wie die deutsche Presse im vergangenen Jahr berichtete. Demzufolge zog die US-Administration unter Präsident George W. Bush nach den islamistischen Terroranschlägen in New York und Washington Anfang September 2001 Atomwaffenangriffe auf Ziele in Afghanistan in Betracht. Laut dem damaligen außenpolitischen Berater des deutschen Bundeskanzlers, Michael Steiner, wurden "alle Möglichkeiten durchgespielt".Reaktion auf Qaida-Attacken: USA erwogen Atomschlag nach 9/11. www.spiegel.de 29.08.2015.

Quelle: www.german-foreign-policy.com   vom 13.01.2016.

Fußnoten

Veröffentlicht am

17. Januar 2016

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