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Dekarbonisierung braucht einen Masterplan

Für das Klimaziel reichen Marktinstrumente nicht. Der Staatenbund muss das Angebot und den Verbrauch kontrollieren.

Von Mohssen Massarrat

In Elmau schrieben die G7-Staaten ein Klimaziel in ihre Abschlusserklärung, das die Klimaforscher seit langem fordern - endlich. Damit die Erderwärmung unter dem Zwei-Grad-Anstieg bleibt, muss die internationale Gemeinschaft bis zum Ende des 21. Jahrhunderts aus dem fossilen Energiepfad vollständig aussteigen. Gut so, Frau Bundeskanzlerin, auch wenn die verkündete Dekarbonisierung lediglich ein unverbindliches Ziel ist.

Tatsächlich stellt der Ausstieg aus Öl, Gas und Kohle bis zum Ende des 21. Jahrhunderts (Klimaforscher nennen 2070 als Zeitfenster zur Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels) eine Jahrhundertaufgabe dar, im Grunde die größte Herausforderung der Völkergemeinschaft in der Menschheitsgeschichte. Angenommen, den G7-Staaten gelänge es auf der Pariser Klimakonferenz im Dezember, China, Russland, Australien, Kanada, Südafrika, Saudi-Arabien und sämtliche Staaten darauf einzustimmen, das angepeilte Ausstiegsziel zu einer international verbindlichen Klimaschutzstrategie zu erklären - wozu es allerdings reichlichen Optimismus’ bedürfte - wäre es dann möglich, mit der Umsetzung zu starten? Und welche Instrumente stünden dafür zur Verfügung? Klar ist angesichts der historischen Aufgabe jedenfalls, dass es eine große Illusion wäre, sich allein auf Marktinstrumente, wie Energiebesteuerung oder Kohlenstoffhandel, zu verlassen, die im Rahmen der Kyoto-Verhandlungen bisher im Mittelpunkt standen.

Auf den internationalen Energiemärkten prallen entgegen gesetzte Interessen mächtiger Akteure aufeinander. Marktlenkungsinstrumente allein führen nie zu den erwünschten Klimazielen. Obendrein haben diese Instrumente auch unerwünschte Nebenwirkungen, die die eigentlichen Ziele konterkarieren. Die Besteuerung fossiler Energien auf der Verbraucherseite hätte beispielsweise die unerwünschte Nebenwirkung, dass die Anbieter von Kohle, Öl, und Gas ihre Produktion steigern, um Umsatzverluste wett zu machen. Steigende Ölpreise auf über 100 US-Dollar je Barrel in den letzten Jahren - der bisher wirkungsvollste Markthebel für den Klimaschutz - um ein weiteres Beispiel zu nennen, trugen zwar dazu bei, dass regenerative Energien die Schwelle der Wettbewerbsfähigkeit überschritten und boomten.

Gleichzeitig war aber genau derselbe Markthebel der Grund für den massiven Ausbau der klimaschädlichen Frackingtechnik in den USA. Auch Emission Trading, jenes Instrument, das bei den bisherigen Kioto-Verhandlungen gemeinhin als das Klimaschutzinstrument ganz in den Mittelpunkt gerückt wurde, kann in ähnlicher Weise von den Anbietern fossiler Energien wirkungslos gemacht werden, wie die Energie-Besteuerung auf der Verbraucherseite. Und wer könnte schließlich verhindern, dass sich der Markt für Emissionshandel ziemlich rasch zu einem ertragreichen Sektor für Finanzinvestitionen entwickelt, bevor er einen nennenswerten Beitrag für den Klimaschutz liefern würde.

Tatsächlich gibt es auch keine Beweise, dass die genannten Marktinstrumente bisher einen klimaschutzpolitischen Beitrag geleistet haben. Umgekehrt beruhen die bisherigen Erfolge zum Ausbau von regenerativen Energietechnologien allesamt auf politischen Entscheidungen, so beispielsweise in Deutschland auf dem erneuerbaren Energiegesetz. Auch Sigmar Gabriels Absicht, Kohlekraftwerke stillzulegen, ist nichts anderes als eine politisch regulative Entscheidung. Alles in allem eignen sich Marktinstrumente für eine klimaschutzpolitische Spielwiese, jedoch kaum für einen globalen Strukturwandel von gigantischem Ausmaß.

Globale Angebotsreduktion von Kohle, Gas und Öl

Dafür müsste ein Masterplan her, der den Herausforderungen der Dekarbonisierung wirklich gewachsen ist. In diesem Kurzbeitrag können dazu lediglich die Eckpunkte abgesteckt werden: Die Dekarbonisierung kann organisatorisch und ökonomisch am effektivsten durch globale Angebotsreduktion von Öl, Gas und Kohle erfolgen. Deshalb müssten die Anbieterstaaten im Kyoto-Prozess eine zentrale Rolle spielen. Die zulässige Gesamtmenge von 565 Milliarden Tonnen CO2-Emissionen, die in den nächsten fünfzig Jahren in die Atmosphäre geblasen werden dürfen, damit die Erderwärmung unterhalb der Zwei-Grad-Grenze bleibt, müssen nach Energieart (Öl; Gas, Kohle) und Zugehörigkeit unter den Anbietern (Staaten bzw. Konzernen) in einem globalen Plan aufgeteilt werden.

Als Grundlage der Aufteilung können die gegenwärtigen Anteile der ökonomisch gewinnbaren Vorräte in Betracht gezogen werden. Würden Newcomer dazu kommen, müsste der Aufteilungsplan jeweils modifiziert werden. Die Anteile für Öl, Gas und Kohle richten sich nach ihrem jeweiligen CO2-Gehalt. Je höher dieser Faktor, desto geringer der Anteil im Aufteilungsplan.

Generell wird die Nutzung der fossilen Vorräte in ökologisch sensiblen Regionen (in Regenwäldern, Lebensräumen indigener Völker, Offshores und Weltmeeren etc.) möglichst umgehend eingestellt. Angesichts der vergleichsweise geringen Anzahl der handelnden Akteure bleibt die Kontrolle, dass der Plan nicht unterlaufen wird, im Rahmen eines vertretbaren Aufwands.

Auf diesen globalen Verteilungsplan einigen sich sämtlich Akteure in einem völkerrechtlich belastbaren Vertrag. Mit einem solchen Verteilungsplan kann die Einhaltung der Ziele als sicher angenommen werden. Damit ist der klimaschutzpolitische Rahmen vorgegeben. Alle anderen ökonomischen Parameter der globalen Dekarbonisierung, bleiben den internationalen Märkten überlassen. Die fossilen Energiepreise würden bei sinkender Produktion und der sukzessiv wachsenden Energiegesamtnachfrage steigen und dadurch Alternativen wettbewerbsfähig machen. Neue Technologien brauchen keine Subventionen mehr. Ab sofort entscheidet nicht mehr die Politik, welche Technologien für Energieeinsparung und den Einstieg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien Sinn machen, sondern allein der Konsument.

Die Entschädigung aller betroffenen Akteure ist unerlässlich, damit eine Einigung im Konsens (Voraussetzung des Masterplans) erreicht werden kann. Dazu müsste ein globaler Fond eingerichtet werden, in den alle Staaten nach Maßgabe ihres bisher in die Atmosphäre geblasenen CO2-Anteils einzahlen. Die Anbieter von Öl, Gas und Kohle, mit Ausnahme jener in ökologisch sensiblen Regionen, werden von einer Entschädigung ausgenommen. Die ständig steigenden Preise fossiler Energien stellen eine Quelle für hinreichende Entschädigung dieser Gruppe dar. Aus diesem Fond müsste auch der Strukturwandel hin zu erneuerbaren Energien in den wenig entwickelten Staaten finanziert werden. Dekarbonisierung in dem uns verbliebenen Zeitraum ist nach Maßgabe von Gerechtigkeitskriterien technisch und organisatorisch machbar. Was jedoch bisher fehlt, ist der Wille der Staatengemeinschaft.

Mohssen Massarrat ist Professor i. R. der Uni Osnabrück mit den Lehr- und Forschungsschwerpunkten Wirtschaft und Gesellschaft, Ökologie und internationale Wirtschaft.

Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Mohssen Massarrat. Erstveröffentlichung des Artikels als Gastbeitrag in der Frankfurter Rundschau vom 15.07.2015

Veröffentlicht am

11. August 2015

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