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“Friedenslandschaft Sauerland”

Die andere Heimat - regionale Geschichtsschreibung wider das Diktat des Kriegsdenkens

Auf über 500 Seiten, kostenlos im Netz abrufbar, liegt seit wenigen Tagen die vielleicht erste "Friedensgeschichte" einer katholisch geprägten, später "neupreußischen" Landschaft vor. Der Sammelband vereinigt neue und bereits früher erschienene Beiträge:

Bürger, Peter (Hg.): Friedenslandschaft Sauerland - Beiträge zur Geschichte von Pazifismus und Antimilitarismus in einer katholischen Region. (= daunlots. internetbeiträge des christine-koch-mundartarchivs am museum eslohe. nr. 77). Eslohe 2015. http://www.sauerlandmundart.de/pdfs/daunlots%2077.pdf (525 Seiten)

Im Hintergrund sich wandelnder Einstellungen zum Krieg und entsprechender Mentalitäten steht immer auch die Geschichte der jeweiligen Lebensräume. Eine regionale "Geschichtsschreibung im Dienst des Friedens" kann verschüttete Traditionen wieder sichtbar machen, die dem Militärapparat nicht gelegen kommen. Der Blick fällt sodann auf jene Menschen, die aus dem großen Mitläufer-Heer der Feiglinge ausgeschert sind und sich dem Diktat des Kriegsdenkens verweigert haben. Unbequeme Erinnerungen werden wieder wach und beflügeln uns, den Spuren einer "anderen Heimat" nachzugehen. Es geht also nicht nur um ein zweckfreies historisches Interesse an längst vergangenen Vergangenheiten.

Lebenshaus Schwäbische Alb dokumentiert an dieser Stelle das Vorwort des Herausgebers zur neuen Sammlung "Friedenslandschaft Sauerland".

"Glücklich die Friedensarbeiter"

Von Peter Bürger

Die mit "Globalisierung" verbundene Technologie könnte Nachbarschaft, Austausch und Zusammenarbeit auf unserem Planeten befördern, doch sie dient stattdessen vornehmlich der Beherrschung und Kontrolle von immer mehr Lebensräumen. - Kriegsdenken und Bewegungen der Freiheit sind eben zwei unterschiedliche, einander ausschließende Erscheinungen. - Die digitale Kommunikation, basierend auf Ergebnissen der Militärforschung, hat gleichzeitig zu einer Militarisierung unserer Alltagskultur geführt, wie es sie so wirkungsvoll noch nie in der Geschichte gegeben hat. Schlagzeilen zur Rechtfertigung der nächsten Luftangriffe gelangen per Mobilfunk ohne Zeitverzögerung zu allen Menschen, die "vernetzt" sind. Unterhaltungsindustrielle Produkte lehren die Konsumenten, alles, was ihnen in die Quere kommt, mit dem Ego-Shooter (Waffen-Ich) über den Haufen zu schießen. Die höchste Aktivität vor den Bildschirmen besteht für andere Nutzer darin, über Sensoren anspruchsvolle, "saubere" Militärsimulationen zu bedienen - stundenlang.

Schlimm ist nicht, dass in diesen Zusammenhängen Gewalt dargestellt wird, denn Gewalt ist ein Teil der Welt, in der wir leben. Skandalös ist vielmehr, wie die virtuellen Gewaltszenarien eine Heiligsprechung des Programms "Krieg" in allen Lebensbereichen betreiben und die Mordopfer je nach Bedarf unsichtbar machen: "Gerühmt seien die Rücksichtlosen, denn sie werden den Profit einfahren. Selig die Bewaffneten, denn sie werden das Land und den ganzen Erdkreis beherrschen." Der Aufstand gegen diese zerstörerische Massenkultur und die durch sie bewirkten Beschädigungen des gesellschaftlichen Zusammenlebens bleibt aus. Allein dies beweist, dass es Konservative, die diesen Namen verdienen, nicht mehr gibt. Wir merken nicht einmal mehr, dass die uns vorgeführten "Ungeheuer" in fernen Ländern Spiegelbilder des ganz gewöhnlichen, kommerziellen Kulturangebots sind.

Der Krieg gehört zu einem aggressiven Wirtschaftssystem, wie der Bruder Papst in Rom zutreffend diagnostiziert. Argumente oder Erfolgskontrolle braucht man nicht mehr, auch wenn der Bankrott des militärischen Aberglaubens offen zutage liegt. Vielmehr verlegt sich das digitale Konzert der Verblödung siebzig Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges darauf, Pazifisten und Kriegsgegner verächtlich zu machen. Wer sich der Diktatur des Militärdenkens nicht unterwirft, so bemerkt Konstantin Wecker, wird als sogenanntes "Weichei" gebrandmarkt. Wer Friedenswissenschaften und Friedensindustrien oder "Brot statt Waffen" einfordert, gilt als verrückt. Wenn junge Menschen, die für die Einheit der ganzen Menschenfamilie auf unserem Planeten einstehen, ihr Anliegen gewaltfrei und intelligent in die Öffentlichkeit tragen, rücken die maßgeblichen Medien Grüppchen von militanten Abenteurern ins Zentrum der Aufmerksamkeit. Für den medialen Kartoffelsalat braucht man harte Eier.

Umso phantasievoller sollten all jene ihre Suche gestalten, die an der zivilisatorischen Ächtung des Krieges durch die Charta der Vereinten Nationen festhalten. Schon 1517 meinte Erasmus von Rotterdam: "Alle müssen sich gegen den Krieg verschwören und ihn gemeinsam verlästern." Die "Heldengestalten" in sämtlichen Genres der Unterhaltungsindustrie haben wahrlich einen Grad der Lächerlichkeit erreicht, dass uns der Bauch vor Lachen platzen müsste.

Zu allen Zeiten sind es die Feiglinge, die Drückeberger, die Dummen und die Passiven, die das große Mitläufer-Heer der irrationalen Kriegsapparatur stellen und sich dem "von oben" Vorgegebenen willenlos einfügen. Dies ist der bequeme Weg. Die mutigen und wirklich einsatzbereiten Menschen stehen auf der Gegenseite. Sie können ihre Angst überwinden und singen dann wider den Höllenlärm der Bomben ein anderes, neues Lied. Um "moralistischen Aktivismus" geht es hierbei nicht. Die Kraft der Gewaltfreiheit wurzelt in einer inneren Zärtlichkeit, die ein Höchstmaß an Wachheit und Aktivität ermöglicht. Deshalb ist in der Bergpredigt Jesu wörtlich die Rede von "Friedensmachern" (griechisch: eirênopoioi; lateinisch: pacifici): "Glücklich die Friedensstifter, denn sie werden Söhne [und Töchter] Gottes heißen." (Matthäus-Evangelium 5,9)

Die allgegenwärtige Remilitarisierung kann auf ökonomische, politische und massenkulturelle Aufrüstungen zurückgreifen, bleibt jedoch im Inneren hohl. Es ist die Befähigung zum Frieden, die konkrete Lebensräume zur Heimat von Menschen werden lässt und darüber hinaus unserer Gattung eine Zukunft auf der Erde eröffnet. Der vorliegende Sammelband "Friedenslandschaft Sauerland" stellt einen Versuch dar, den Nebel des Kriegsdenkens auch durch Beiträge zum regionalen Geschichtsgedächtnis und die Erinnerung an "nahe Vorbilder" zu durchbrechen. Alle von mir angefragten Autorinnen und Autoren haben unentgeltlich vorhandene Arbeiten beigesteuert. Es gab keine einzige Absage. So zeigt schon die Entstehung dieser Sammlung, dass es zur Ideologie der gewalttätigen "Bereicherung" Alternativen gibt.

Den Abteilungen "Friedenslandschaft" und "Menschen und Lebenswege" folgen unter der Überschrift "Hintergründe" Texte, die zum Teil den regionalen Bezugsrahmen überschreiten. Im Vordergrund steht das Ermutigende, doch Abwege und Abgründiges gehören mit zum Gesamtbild. Der stattliche Umfang dieser Veröffentlichung sollte niemanden abschrecken. Jedes "Kapitel" kann als eigenständiger Beitrag gelesen werden. Das Inhaltsverzeichnis ist mit Bedacht so angelegt, dass es die Orientierung für eine gezielte Lektüreauswahl erleichtert.

Die Arbeit an der Herausgabe dieser Sammlung widme ich einem ehemaligen Soldaten aus dem Sauerland, der mich wegen der Friedenstaube an meiner Jacke angesprochen und seine Geschichte unter bitteren Tränen erzählt hat. Bewaffnet hatte man ihn in Afghanistan in ein Gebäude geschickt. Bewaffnete, Feinde wären darin - hatte man gesagt … Es folgten mehrere Monate Aufenthalt in einer Psychiatrie … Die öffentliche Debatte über den neuen Kriegswahn im 21. Jahrhundert hat noch gar nicht begonnen. Die Soldaten wissen mehr.

Düsseldorf, im Juli 2015        Peter Bürger

Veröffentlicht am

15. Juli 2015

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