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EU will Quoten und Militäreinsatz: Warme Worte, harte Taten

Die EU-Kommission hat mit einem Strategiepapier auf das Sterben im Mittelmeer und steigende Flüchtlingszahlen reagiert. Die Vorschläge werden öffentlich gefeiert. Mit einer menschenrechtlichen und humanitären Kehrtwende haben sie jedoch wenig zu tun. Vieles - etwa der Vorschlag einer EU-Quotenregelung - ist heiße Luft. Durchgesetzt werden am Ende wohl vor allem die Stärkung von Frontex und die Militarisierung der Außengrenzen. Leidtragende sind weiterhin die Flüchtlinge.

Verwirrung um Quotenregelung: Heiße Luft und Fehlinformationen

"EU will Flüchtlinge per Quote verteilen", titeln seit Tagen unterschiedliche Medien über das Strategiepapier. Schon wird errechnet wieviel Prozent weniger Deutschland aufnehmen müsste und wieviel mehr Großbritannien, eine Quote hat die EU auch schon berechnet. Nahezu jeder darf sich zum Thema äußern. Nur: In dem EU-Papier wird keine entsprechende Regelung konzipiert. Stattdessen wird eine Umsiedlung (Relocation) von Flüchtlingen aus EU-Staaten vorgeschlagen, die sich "aufgrund eines plötzlichen Zustroms von Drittstaatsangehörigen in einer Notlage" befinden ( Art. 78 (3) AEU-Vertrag ). Es werden also, wenn überhaupt, nur Flüchtlinge in bestimmten EU-Staaten - denkbar wäre etwa Italien, Malta und Griechenland - betroffen sein. Zudem soll das Programm zeitlich begrenzt sein. Die Umsiedlung dieser Menschen soll dann anhand von Quoten erfolgen. Es sollen zudem nur Flüchtlinge betroffen sein, die "offensichtlich Schutzbedürftig" sind. Es bleibt damit völlig unklar ob und aus welchen EU-Ländern, welche Flüchtlinge, wann und wohin verteilt werden.

Klar ist jedoch: Eine Entlastung der Staaten an den EU-Außengrenzen ist dringend notwendig. In Griechenland und Italien etwa leben zehntausende Flüchtlinge in der Obdachlosigkeit . Es ist jedoch mehr als Zweifelhaft, dass die EU-Staaten einer Umsiedlung aus diesen Ländern abseits freiwilliger Kontingente zustimmen werden. Der Vorschlag eines verbindlichen Umsiedlungsprogramms wird wohl zerschossen. Gleiches gilt für eine grundsätzliche Quotenregelung abseits von Notfällen, mit dem das EU-Papier zwar sympathisiert, jedoch nur die Ausarbeitung eines Konzeptes in Aussicht stellt.

Keine Rücksicht auf die Bedürfnisse der Betroffenen

Abseits der vielen Fragezeichen: Eine Quotenregelung, zumal nur für bestimmte Herkunftsländer, ist für eine Entlastung der Staaten an den Außengrenzen aus mehreren Gründen ungeeignet. Zum einen sollen Flüchtlinge auch in Länder wie Rumänien, Polen oder Slowakei verteilt werden, aus denen bereits jetzt viele Flüchtlinge aufgrund katastrophaler Lebensbedingungen weiterfliehen. Zum anderen nimmt der Vorschlag keine Rücksicht auf die Bedürfnisse der Flüchtlinge. Diese wollen in der Regel zu ihren Angehörigen und Communitys, da sie dort Unterstützung erhalten können. Warum soll ein Syrer dessen Schwester schon seit 10 Jahren in Bochum lebt, statt zu ihr, nach Estland verteilt werden? Warum soll ein französischsprachiger Kongolese nach Polen statt nach Marseille zu Bekannten aus seiner Heimatstadt verteilt werden? Flüchtlinge selbst entscheiden zu lassen ist deutlich sinnvoller als eine Quotenlotterie und macht auch aus integrationspolitischer Sicht Sinn: Communities und Angehörige vermitteln Wohnraum und Jobs und geben eine Orientierung in der neuen Heimat. PRO ASYL schlägt daher das Free-Choice-Modell vor, das statt Menschen mit enormen bürokratischen Aufwand umherzuschieben einen europäischen Finanzausgleich vorsieht .

Verdreifachung der Mittel für Mittelmeer-Operationen

Das Strategiepapier sieht eine Verdreifachung der Mittel für die Mittelmeer-Operationen Triton und Poseidon vor. Ende letzten Jahres war die Seenotrettung im Mittelmeer auf ein Drittel reduziert worden . Mehr als 1700 Menschen starben in wenigen Monaten . Nach dem massiven öffentlichen Druck durch PRO ASYL und andere Organisationen sollen jetzt endlich Gelder bereitgestellt werden. Der Einsatzradius soll ausgeweitet werden. Momentan darf nur küstennah operiert werden, die meisten Boote kentern jedoch außerhalb dieses Gebietes . Unklar bleibt jedoch ob das Geld auch tatsächlich für eine effektive Seenotrettung eingesetzt wird.

EU-Grenzschutzagentur Frontex wird massiv gestärkt

Ein ziviler Seenotrettungsdienst wird weiterhin abgelehnt, stattdessen bleibt die Grenzschutzagentur Frontex verantwortlich. Damit wird der Bock zum Gärtner gemacht. Frontex ist keine Seenotrettungsagentur , der Auftrag ist die koordinierende und militärische Absicherung der europäischen Grenzen. Am Ende könnte vor allem eines stehen: Dreimal so viel Grenzschutz.

Die EU-Kommission strebt zudem eine Ausweitung des Frontex-Mandats an: Nach dem Strategiepapier soll Frontex in Zukunft eigenständige EU-Abschiebungsflüge einleiten können. Frontex soll zudem stärker in die Zusammenarbeit mit Drittstaaten eingebunden werden: Verbindungsbeamte sollen Transitstaaten wie die Türkei, Marokko und Ägypten dabei unterstützen, die Weiterreise von Flüchtlingen zu verhindern. Die Absicht ist klar: Flüchtlinge sollen fernab der europäischen Öffentlichkeit und rechtsstaatlicher Verfahren aufgehalten werden.

Krieg gegen Flüchtlinge: Militäroperationen treffen auch die Schutzsuchenden

Die EU-Kommission will zudem militärisch gegen sogenannte Schleppernetzwerke vorzugehen. Ein aktives Abfangen und Zerstören von Booten ist geplant. Der Einsatz von Waffen und militärischer Ausrüstung stellt dabei eine unkontrollierbare Gefahr für Menschenleben dar. Militärische Operationen werden auch die Flüchtlinge treffen - die Boote werden in der Regel von verarmten Fischern und Flüchtlingen gesteuert und beladen. Die Geschäftemacher halten sich im Hintergrund. Ein militärischer Einsatz vor Libyen wird zudem den dortigen Bürgerkrieg noch stärker befeuern. Das Land ist politisch gespalten und lokale Milizen verfügen über beträchtliche Waffenarsenale.

20.000 Resettlement-Plätze für Syrer: Die Boote bleiben voll

Der Vorschlag 20.000 Menschen aus Syrien über das Resettlement-Programm aufzunehmen ist zwar zu begrüßen. Die Tragödie im Mittelmeer würde dadurch jedoch nicht verhindert. 2014 wurden rund 220.000 Menschen an den Seeaußengrenzen der EU registriert . Rund 110.000 von ihnen waren Syrer. Die Anzahl der Plätze reicht auch für diese Gruppe nicht einmal annähernd. Für die vielen Flüchtlinge aus Afghanistan, Eritrea und Somalia wird überhaupt keine Lösung angeboten. Die Hälfte der syrischen Bevölkerung ist zu Flüchtlingen geworden. 3,4 Millionen Flüchtlinge leben nach Angaben der Vereinten Nationen im Libanon, Jordanien und der Türkei unter katastrophalen Bedingungen, es fehlt selbst am Nötigsten. Im Libanon ist mittlerweile jeder fünfte Einwohner ein Flüchtling - insgesamt sind 1,1 Millionen Flüchtlinge dorthin geflohen, nach Europa lediglich 123.000 . 20.000 Visa zur legalen Einreise wären ein Tropfen auf dem heißen Stein. Die Boote werden voll bleiben.

Quelle: PRO ASYL Bundesweite Arbeitsgemeinschaft für Flüchtlinge e.V. - 15.05.2015.

Veröffentlicht am

17. Mai 2015

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