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Uri Avnery: Eine Föderation - warum nicht?

Von Uri Avnery, 10. August 2013

AVRAHAM BURG (58) war Mitglied der Arbeitspartei und eine Zeit lang Vorsitzender der Knesset. Sein verstorbener Vater war lange Zeit Minister und Führer der Nationalreligiösen Partei, bevor diese zu einer fanatischen, messianischen Meute wurde. Die Beziehungen zwischen Burg Senior und mir waren recht freundlich, hauptsächlich weil wir die beiden einzigen in Deutschland geborenen Abgeordneten in der Knesset waren.

Burg jr., der noch immer die Kippa eines praktizierenden Juden trägt, trat der Arbeitspartei bei und war Mitglied der "acht Tauben", einer gemäßigten Gruppierung in der Partei.

In der letzten Woche veröffentlichte Haaretz einen Artikel, in dem Burg vorschlug, die "Zweistaatenlösung" mit einer Zweistaatenföderation zu verbinden. Er gebrauchte als Gleichnis ein Gebäude, dessen erstes Stockwerk aus den Menschenrechten besteht, dessen zweites Stockwerk die beiden Staaten Israel und Palästina und dessen drittes die Föderation beherbergt.

Dabei kamen mir viele Erinnerungen in den Sinn.

IM FRÜHLING 1949, gleich nach der Unterzeichnung der ursprünglichen Waffenstillstands-Vereinbarungen zwischen dem neuen Staat Israel und den arabischen Ländern, die in den Krieg eingegriffen hatten, bildete sich in Israel eine Gruppe, die die Errichtung eines palästinensischen Staates neben Israel und die Unterzeichnung einer Übereinkunft zwischen den beiden Nationen befürwortete.

Damals wurde diese Idee als häretisch betrachtet, da Israel schon die bloße Existenz eines palästinensischen Volkes heftig leugnete.

Die Gruppe bestand aus einem muslimischen Araber, einem Drusen-Araber und mir. Etwas später, als unsere Versuche, eine neue Partei zu gründen, nicht in Gang gekommen waren, löste sich die Gruppe auf. (Seltsam genug: Wir wurden alle drei später Abgeordnete in der Knesset.)

In einem wesentlichen Punkt waren wir uns einig: Die Grenzen zwischen den beiden Staaten müssten für Menschen und Waren offen sein. Wir gebrauchten das Wort "Föderation" nicht, aber wir dachten uns so etwas Ähnliches.

Nach dem Suez-Krieg 1956 nahm eine neue Gruppe die Idee auf. Sie wurde von Nathan Yalin-Mor und mir gegründet und zog ein eindrucksvolles Aufgebot an Intellektuellen, Schriftstellern und Künstlern an. Yalin-Mor war der ehemalige Führer der Kämpfer für die Freiheit Israels, die die Briten als die extremste jüdische Terroristenorganisation einstuften und die sie "Stern-Bande" nannten.

Wir nannten uns "Semitische Aktion" und veröffentlichten das Dokument "Das hebräische Manifest", das, so denke ich immer noch, einmalig gewesen und geblieben ist: ein vollkommener, detaillierter Plan für einen anderen Staat Israel. Neben vielem anderen enthielt es den Plan für die Errichtung eines arabisch-palästinensischen Staates neben Israel und einer Föderation zwischen Israel, Palästina und Jordanien, die "die jordanische Union" genannt werden sollte.

In den 1970er Jahren lancierte Abba Eban die Idee einer Lösung in der Art der Benelux-Staaten, deren Name von der föderationsähnlichen Vereinbarung zwischen Belgien, den Niederlanden und Luxemburg abgeleitet worden ist. Zu meiner Überraschung gebrauchte Yasser Arafat, als ich ihn während der Belagerung Beiruts 1982 traf, denselben Ausdruck: "Eine Föderation zwischen Israel, Palästina und Jordanien und vielleicht dem Libanon - warum nicht?" Bei unserer letzten Begegnung unmittelbar vor seinem mysteriösen Tod wiederholte er denselben Gedanken in denselben Worten.

Im Laufe der Zeit ließ ich das Wort "Föderation" fallen. Ich war zu der Einsicht gelangt, dass es beide Seiten zu sehr erschreckte. Israelis fürchteten, dass es eine Verminderung der Souveränität Israels bedeute, während Palästinenser vermuteten, dass es ein weiterer zionistischer Trick sein könne, um mit anderen Mitteln die Besetzung fortzusetzen. Aber es schien doch eindeutig zu sein, dass in einem kleinen Land wie dem historischen Palästina zwei Staaten auf die Dauer nicht nebeneinander leben könnten, ohne dass sie enge Beziehungen zueinander hätten.

Ich erinnere daran, dass der ursprüngliche Teilungsplan der UN eine Art Föderation vorsah, ohne dass das Wort darin ausdrücklich gebraucht wurde. Nach diesem Plan sollten der arabische und der jüdische Staat in einer Wirtschaftsunion vereinigt bleiben.

DIE WELT ist voller Föderationen und Konföderationen und nicht zwei davon sind einander gleich. Jede ist eine einzigartige Struktur, die durch ihre lokalen Umstände und ihre Geschichte geformt ist. Alle gründen sich auf einen Pakt, ein Bündnis - lateinisch: foedus, daher der Name.

Der schreckliche US-Bürgerkrieg wurde zwischen einer Föderation (dem Norden) und einer Konföderation (dem Süden) ausgetragen. Die Föderation war als eine enge Vereinigung mit einer starken Zentralregierung konzipiert, die Konföderation als eine lockere Verbindung zur Zusammenarbeit von halb eigenständigen Staaten.

Die Liste ist lang. Die Schweiz nennt sich Konföderation. Nach-Sowjet-Russland ist eine Föderation. Deutschland ist eine "Bundesrepublik" (federal republic) usw.

Eine Föderation zwischen Israel und Palästina mit oder ohne Jordanien wird den ihren einzigartigen Umständen gemäßen eigenen Charakter finden müssen.

Der Hauptpunkt ist jedoch der Zeitablauf.

Da Burg das, was er vorschlägt, mit einem Gebäude vergleicht, folgt daraus, dass es von Grund auf, ein Stockwerk nach dem anderen, aufgebaut werden muss. Genauso sehe ich es auch.

Das erste Stockwerk ist die Zweistaatenlösung. Diese muss zuerst umgesetzt werden. Ohne sie ist jede Idee von dem, was danach kommt, sinnlos.

Das bedeutet die Gründung des Staates Palästina entlang der Grenzen von 1967 als einem freien, unabhängigen und souveränen Nationalstaat des palästinensischen Volkes mit Ostjerusalem als seiner Hauptstadt.

Solange dieser Grundgedanke nicht umgesetzt ist und man sich nicht auf die Lösung aller damit zusammenhängender Probleme ("Kernpunkte") geeinigt hat, ist alles andere von geringer Bedeutung.

Die Besetzung ist eine blutende Wunde und sie muss vor allem anderen im Rahmen des Friedens geheilt werden. Es kann zwischen Unterdrücker und Unterdrücktem kein sinnvolles Gespräch über Föderation geben. Föderation setzt Partner mit demselben Status voraus, wenn schon nicht mit derselben Stärke.

Die Zweistaatenlösung verspricht Frieden - wenigstens den formellen Frieden, der den hundertjährigen Konflikt beendet. Erst wenn dieser Frieden geschlossen ist, kann und sollte man über die nächste Stufe nachdenken, die Vertiefung des Friedens und seine Umwandlung in eine alltägliche Realität, die das Leben der Menschen bestimmt.

WIR WOLLEN einmal annehmen, dass diese oder eine künftige Verhandlungsrunde zu einem formellen Friedensvertrag und einem Ende aller Forderungen aneinander führt, wie John Kerry es ausdrückt. Dann ist es soweit, dass die Idee einer Föderation in Betracht gezogen werden sollte.

Was meinen wir damit? Eine enge Föderation oder eine lockere Konföderation? Welche Funktionen von der nationalen auf die föderale Ebene zu übertragen, sind die beiden Seiten freiwillig bereit?

Höchstwahrscheinlich wird Israel seine Entscheidungsfreiheit hinsichtlich seiner Beziehungen zur weltweiten jüdischen Diaspora und hinsichtlich von Immigration nicht aufgeben wollen. Dasselbe trifft für die Beziehungen Palästinas zur arabischen Welt und die Rückkehr der Flüchtlinge zu.

Wie steht es mit den Auslandsbeziehungen im Allgemeinen? Soweit ich weiß, liegen sie in allen vorhandenen Föderationen und Konföderationen im Aufgabenbereich der Zentralbehörde. In unserer Situation stellt das ein Problem dar. Militärische und Sicherheits-Angelegenheiten sind sogar noch problematischer.

Ich sehe es so, dass eine Föderation sich vor allem um Wirtschaftsangelegenheiten, Menschenrechte, Freizügigkeit und Ähnliches kümmern wird.

Aber der Hauptpunkt ist folgender: Die Verhandlungen zwischen dem Staat Israel und dem Staat Palästina über eine Föderation müssen ohne Druck und im gegenseitigen Vertrauen zwischen Gleichen geführt werden.

IST DAS DAS Ende der Straße zum wirklichen Frieden? Ich möchte denken, dass dieses nur die ersten Schritte sind.

Wenn die Zweistaatenlösung das erste Stockwerk ist und die Föderation das zweite, kann man sich vorstellen, dass das dritte Stockwerk eine regionale Vereinigung in der Art der gegenwärtigen Europäischen Union sein wird.

Bei dem gegenwärtigen Aufruhr in unserer Region kann man sich kaum vorstellen, dass der Arabische Frühling zu irgendeiner Stabilität führen wird. Aber unser Gedächtnis ist kurz. Die EU war die direkte Nachkommin des schrecklichsten aller Kriege, des Zweiten Weltkriegs, in dem Millionen Europäer zu den Opfern gehörten.

Eine regionale Organisation (ich habe sie "semitische Union" genannt), zu der Israel und Palästina gehören, wird in einer Welt, in der regionale Gruppierungen eine immer größere Rolle spielen, für alle Partner von Vorteil sein.

Aber die Krone einer neuen Ordnung wird etwas wie eine Weltregierung sein, die schon jetzt dringend benötigt wird. Ich bin ziemlich sicher, dass sie noch vor dem Ende des Jahrhunderts entstehen wird. Das ist nicht utopischer als es die Idee einer Europäischen Union vor hundert Jahren war, als einige weitblickende Idealisten sie zum ersten Mal formuliert haben.

In unserer Zeit gibt es eine Menge Probleme, die nicht mehr auf nationaler und nicht einmal mehr auf regionaler Ebene gelöst werden können: Rettung unseres Planeten vor einer Umweltkatastrophe, Regulierung der globalisierten Wirtschaft, Prävention von Kriegen zwischen Nationen und von Bürgerkriegen, Rettung der Menschenrechte überall, Erreichen wirklicher Gleichberechtigung der Frauen, Schutz der Minderheiten, Beendigung von Hunger und Krankheit und mehr. Alles das braucht eine neue Weltordnung.

Eine solche Ordnung wird notwendigerweise einer weltweiten Föderation ähneln. Die muss nicht das Verschwinden der Nationalstaaten bedeuten. Diese werden wahrscheinlich fortbestehen, ebenso wie sie heute in der Europäischen Union fortbestehen, aber ihre Souveränität wird eingeschränkt sein.

Kann eine solche Weltordnung demokratisch sein? Sie muss es sein. Eines Tages wird die Menschheit ein Weltparlament wählen, wie die Europäer heute ein europäisches Parlament wählen, das ständig neue Verantwortlichkeiten übernimmt.

DIES SIND Zukunftsträume - allerdings lohnt es sich, schon jetzt darüber nachzudenken.

Für uns in diesem kleinen Land jedoch ist die Aufgabe für heute, Frieden zu schließen - einen Frieden zwischen zwei Nationen, die in zwei Bruder-Staaten in Harmonie miteinander leben.

Aus dem Englischen von Ingrid von Heiseler

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Veröffentlicht am

11. August 2013

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