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Wer will ein Messer ohne Griff?

Syrien-Konferenz Russlands angekündigte Nachrüstung für die syrische Armee verhilft zu einem realistischen Lagebild, bevor in Genf die Diplomatie eine Chance erhalten soll

Von Lutz Herden

Wenn ein arabischer Bürgerkrieg durch sunnitische Staaten wie Saudi-Arabien, Katar und Ägypten (in der Arabischen Liga) internationalisiert wird, müssen die Urheber damit rechnen, dass die Gegenseite ähnlich verfährt.

Russland hat daran seinen Anteil. Man sollte ihm dafür dankbar sein. Zunächst einmal für das Angebot, zusammen mit den USA als Schirmherr einer internationalen Syrien-Konferenz anzutreten. Seit Ausbruch des Konflikts im März 2011 hat die Moskauer Diplomatie für ein solches Forum plädiert, wurde aber stets durch das Verlangen der USA ausgebremst: Ehe man sich zusammensetze, müsse erst Bashar al-Assad verschwunden sein. Dies sei Conditio sine qua non jeder ertragreichen Syrien-Diplomatie. Die "unerlässliche Bedingung" ist gefallen, weil die Realitäten in Syrien und seiner Nachbarschaft dazu zwingen, sie fallen zu lassen. Vermutlich wird es nicht die letzte Entweder-Oder-Position sein, die von den Amerikanern aufgebaut und wieder geräumt wird, soll der Bürgerkrieg risikoarm eingezäunt werden. Beenden lässt er sich vermutlich in nächster Zeit sowieso nicht.

Raketen vom Typ "Jachont"

Eine Genfer Syrien-Konferenz bleibt ein Messer ohne Griff, werden nicht zuvor westliche Restoptionen zum militärischen Eingreifen von außen eingedämmt. Auch in dieser Hinsicht macht sich Russland verdient. Es trägt dazu bei, den Blick für die Umstände zu schärfen, die eine Intervention begleiten. Die Boden-Luft-Raketen des Typs S-300 und zehn Kampfjets, mit denen Moskau die syrische Armee nachrüsten will, sind für den Bürgerkrieg einigermaßen irrelevant. Die Rebellenverbände haben weder Flugzeuge noch Helikopter, um in Luftkämpfe verwickelt zu werden. Auch für den Straßen- und Häuserkampf - ob in Homs oder gerade in Al-Kusair, der Grenzstadt zum Libanon - sind diese Systeme wenig tauglich. Raketen und eine schlagkräftige Luftabwehr sind allein geeignet, den Preis für eine Intervention hoch zu halten oder hoch zu schrauben - in welcher Konfektionierung die auch immer stattfindet: Sollte es sich um Luftraumsperren, Luftangriffe auf Stellungen, Kasernen und Waffendepots der Assad-Armee oder den Einsatz von Bodentruppen handeln.

Die Zeitung New York Times will aus sicherer Quelle wissen, dass bereits russische Flügelraketen des Typs Jachont (Rubin) nach Syrien geschickt worden seien. Diese von der NATO als SS-N-26-Raketen geführten Waffen hätten eine Reichweite von 300 Kilometern, würden mit mehrfacher Schallgeschwindigkeit fliegen, seien daher schwer zu orten und ließen sich zum Beschießen von Schiffen einsetzen, die bei einer Intervention als Nachschub-Basen dienen. Sollten Jachont-Raketen im Bestand der Assad-Armee sein, hieße das, Schiffsverbände, die Rebellen- oder Interventionskräfte versorgen wollen, müssen in großem Abstand zur syrischen Küste kreuzen, um nicht attackiert zu werden - ein strategischer Nachteil.

Doch zieht die Anti-Aggressionsprävention noch weitere Kreise. Sie betrifft Israel und dessen Eingriffe in den syrischen Bürgerkrieg. Luftschläge wie die vom 5. Mai auf mutmaßliche Waffentransporte oder -lager bei Damaskus könnten erschwert werden, wenn die syrische Luftabwehr dagegen halten kann oder zu Gegenmaßnahmen - z.B. auf den Golan-Höhen - fähig ist.

Singen vom gleichen Blatt

Soviel dürfte unstrittig sein: Je klarer die Optionen, je eindeutiger das Kräfteverhältnis, desto zielführender kann in Genf verhandelt werden. Dabei dürften Amerikaner und Russen letzten Endes vom gleichen Blatt singen. Es gibt ein gemeinsames Interesse, den Konfliktherd Syrien soweit einzuhegen, dass islamistischer Furor nicht im Gewand staatlicher Legitimität in Damaskus auftreten - sprich: triumphieren kann. Und es geht darum zu vermeiden, dass dieser Bürgerkrieg zum Auslöser eines Weltkrieges zwischen Sunniten und Schiiten wird. Freilich erscheinen Zweifel angebracht, ob sich das noch verhindern lässt.

So klingt der Protest in Washington gegen Russlands möglichen Nachschub für Assad nicht wie Empörung, sondern pflichtgemäßes Unbehagen. Wer sich zu laut entrüstet, müsste sich wenigstens zu leiser Kritik an der Aufhebung des EU-Waffenembargos gegenüber den syrischen Rebellen aufraffen.

Jedenfalls stellt Außenminister Kerry im Blick auf Genf die Verhandlungsbereitschaft Moskaus nicht in Frage. Auch wird durch die US-Regierung ein Abzug der Hisbollah-Kämpfer aus Syrien nicht zur Conditio sine qua non einer US-Teilnahme in Genf erhoben, wie das große Teile des Anti-Assad-Lagers getan haben, um Zeit zu gewinnen oder einen Vorwand für den Boykott von Verhandlungen zu finden.

Doch auch diese Conditio sine qua non wird fallen, soll nicht die Konferenz entfallen. "Wenn ihr durchschauen könnt die Saat der Zeit und sagen: dies Korn sprießt und dies Korn nicht", lobt Banquo in William Shakespeares Drama Macbeth die Hexen. Es bedarf derzeit weder magischer Kräfte noch prophetischer Gaben, um beim Thema Syrien zu erkennen, welches "Korn sprießt" und welches "Korn nicht".

Quelle: der FREITAG   vom 03.06.2013. Die Veröffentlichung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Verlags.

Veröffentlicht am

04. Juni 2013

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