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Wir müssen so schnell raus aus Afghanistan, wie wir können?

Von Otmar Steinbicker, Aachener, Nachrichten, 22.10.2012

"Wir müssen so schnell raus wie wir können, ohne die Sicherheit der Truppen zu gefährden" - So endet eine lange und engagierte Stellungnahme der Herausgeber der New York Times zum Afghanistaneinsatz am 14.10.2012.

Es ist bereits die dritte Veröffentlichung in diese Richtung in den wichtigsten Zeitungen der USA innerhalb weniger Tage! Bereits am 1. Oktober plädierte das gleiche Blatt für einen Friedensschluss mit den Taliban. Die Washington Post legte fünf Tage später sogar einen eigenen Fahrplan für eine Friedenslösung mit den Taliban vor.

Der Hintergrund ist klar: Die Krieg des Westens am Hindukusch ist verloren. Die große Truppenverstärkung der USA um 30.000 Soldaten 2010 ist ohne Erfolg geblieben und beendet. Die Folgestrategie "Partnering" - die Ausbildung afghanischer Soldaten und die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an diese Armee - ist gescheitert. Mehr als 50 NATO-Soldaten wurden in diesem Jahr von ihren afghanischen Kollegen erschossen. Die Regierungsclique um Präsident Karsai ist wegen ihrer grenzenlosen Korruption völlig diskreditiert.

Läutet die Presse der USA jetzt mit ihren Aufsehen erregenden Kommentaren das Finale ein? Joe Biden, Obamas Vize, überraschte beim TV-Duell mit seinem Herausforderer mit seltener Klarheit: "Wir werden Afghanistan verlassen. Wir verlassen das Land 2014. Punkt".

Doch bei der NATO scheint das neue, kritische Denken noch nicht angekommen zu sein. Da konterkariert man gerade die Ankündigung vom Truppenabzug 2014 mit der Ankündigung einer neuen Mission nach 2014. Nach Schätzungen des BND sollen rund 35.000 internationale Soldaten beteiligt sein, immerhin ein Drittel des bisherigen Kontingents. Auch Deutschland soll mit 1.500 Soldaten den Krieg in Afghanistan weiter führen. Eine Strategie, ein halbwegs plausibles Konzept, wie die reduzierte Truppe das Kriegsglück wenden kann? - Fehlanzeige!

Die Szenarien, die sich für die Zeit nach 2014 andeuten, sind gespenstisch. Die afghanische Armee soll nach Streichung amerikanischer Zahlungen um ein Drittel reduziert werden. 100.000 Mann, die nichts anderes gelernt haben als mit der Waffe umzugehen, verlieren ihren Job ohne Aussicht auf eine zivile Beschäftigung. Was werden sie tun? Und die Milizen, abenteuerliche Truppen ohne Ansätze von Disziplin, was werden sie tun, wenn die Zahlungen aus den USA ausbleiben? Und die Taliban im Raum Kunduz, die jetzt ihr Geld von der Bundeswehr bekommen, damit sie Ruhe geben? Was werden sie tun, wenn die Kasse leer ist?

Noch ist Zeit für eine sinnvolle Alternative. "Test the Taliban" , riet Kai Eide, der frühere UNO-Gesandte in Afghanistan bereits Ende 2010 in einem Beitrag für diese Zeitung. Damals, im Sommer 2010, gab es hoffnungsvolle Zeichen. ISAF-Offiziere und hohe Taliban-Führer hatten in zwei Gesprächsrunden Überlegungen für eine Friedenslösung skizziert. Eine Übergangsregierung, die das Vertrauen aller Seiten genießt, sollte in einer Provinz des Landes eingerichtet werden und als Testfeld dienen - auch für die Glaubwürdigkeit der Taliban. Diese hatten in vielen wichtigen Punkten eine Abkehr von der Schreckensherrschaft vor 2001 gelobt. Dass es nicht dazu kam, war nicht die Schuld der Taliban. Die NATO hatte im Oktober 2010 die vielversprechenden Gespräche abgebrochen. Westliche Diplomaten bestätigen, dass die Zusage, Mädchenschulen auch in von Taliban beherrschten Gebieten einzurichten, eingehalten wurde.

Auch für die demokratische Perspektive Afghanistans gab es einen interessanten Ansatz: Die Talibanführer schlugen vor, zur Verfassung von 1963 unter König Sahir Schah zurückzukehren, die im Westen als demokratisch anerkannt war! Ihr Widerstand gegen die aktuelle Verfassung richte sich nicht gegen Demokratie an sich, sondern gegen die Nichtberücksichtigung afghanischer demokratischer Traditionen und afghanischer Kultur in der Verfassung! Wenn dem so ist, könnte man eine neue demokratische Verfassung erarbeiten, die diese Traditionen berücksichtigt.

Kai Eides Rat "Test the Taliban" bleibt aktuell.

Quelle:  www.aixpaix.de , 23.10.2012.

Veröffentlicht am

23. Oktober 2012

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