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Kooperation oder zurück zum Kalten Krieg?

Zusammenarbeit Russland - USA bei der Sicherung von Massenvernichtungswaffen auf der Kippe

Von Wolfgang Kötter

Im kommenden Frühjahr läuft ein Abkommen aus, das nicht nur das Risiko einer Verbreitung von nuklearen und anderen Massenvernichtungswaffen in den vergangenen zwanzig Jahren wirkungsvoll verhindert, sondern darüber hinaus auch konkrete Abrüstungsmaßnahmen herbeigeführt hat. Um die Frage, ob es verlängert wird, hat sich jetzt eine Kontroverse zwischen Russland und den USA entwickelt.

Handeln aus Besorgnis über das nukleare Erbe

Mit dem Zerfall der UdSSR wuchs zu Beginn der Neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts die Besorgnis über das nukleare Erbe in den ehemaligen Sowjetrepubliken. Dort existieren tonnenweise atomwaffenfähiges Material sowie mehrere Millionen Tonnen an nuklearen Abfällen, die bis in die Gegenwart riesige Gebiete radioaktiv verseuchen.

Gemeinsam mit seinem republikanischen Kollegen Richard Lugar begründete der ehemalige demokratische US-Senator Sam Nunn im Dezember 1991, das "Programm zur kooperativen Bedrohungsverminderung" (Cooperative Threat Reduction - CTR), das der Verbreitungsgefahr von herrenlosen Nuklearwaffen und -materialien durch internationale Zusammenarbeit begegnen sollte. Beide initiierten im US-Kongress ein entsprechendes Gesetz, das Haushaltsmittel für ein Hilfsprogramm zur Sicherung von Nuklearmaterial im ehemaligen Ostblock bereitstellte. Einen kräftigen Impuls erhielten die Bemühungen Dank einer 250 Mio. Dollar Spende von CNN-Gründer Ted Turner, und so schlug schließlich im Januar 2001 die Geburtsstunde für die "Initiative gegen die nukleare Bedrohung" (Nuclear Threat Initiative - NTI).

Abrüstungskooperation zur Gefahrenabwendung

Das Programm umfasst eine Vielzahl von Aktivitäten gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen in Russland, der Ukraine, in Weißrussland und Kasachstan. Eingeschlossen ist ebenfalls die Rückführung von Nuklearmaterial nach Russland aus anderen Transformationsländern Osteuropas wie Albanien, Bulgarien, Polen, Tschechien und Ex-Jugoslawien. Aus den Mitteln des Programms wurden 590 Verlegungen von Atomwaffen gesichert und die Überwachung von 24 Atomwaffen-Lagern verstärkt und modernisiert. Dank dem Programm sind die Ukraine, Kasachstan und Weißrussland heute atomwaffenfrei. Insgesamt erhielt Russland nach US-amerikanischen Angaben rund 7 Mrd. Dollar Unterstützung zur Realisierung derartiger Aktionen.

Flankierend zu den offiziellen Aktivitäten des US State Departments und des Energieministeriums kümmert sich die Initiative unter anderem darum, bestehende Kernwaffendepots zu sichern und ausgemusterte Nuklearwaffen zu deaktivieren oder zu liquidieren. Im Rahmen des Nunn-Lugar-Programms wurden in Russland seit 1991 7.610 Atomsprengköpfe, 902 Interkontinentalraketen, 498 Startanlagen, 191 fahrbare Startrampen für ballistische Raketen, 492 seegestützte Startanlagen, 684 U-Boot-gestützte ballistische Raketen und 33 Atom-U-Boote ausgemustert bzw. entsorgt sowie 3.192 Tonnen russischer und albanischer Chemiewaffen vernichtet.

Außerdem wurden große Mengen waffenfähigen Spaltmaterials unschädlich gemacht, Testtunnel für Atomwaffenversuche geschlossen und radioaktiv verseuchtes Gelände gereinigt. Ziel vieler kooperativer Projekte ist die Sicherung und Vernichtung von atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen, sowie deren Ausgangsmaterialien, Technologien und Infrastruktur. Und das ist dringend notwendig, denn in den vergangenen Jahren registrierten die Internationale Atomenergieorganisation IAEA und russische Behörden Hunderte Fälle tatsächlichen oder versuchten Diebstahls oder Schmuggels von Nuklearmaterial und anderen gefährlichen Substanzen.

Ein nicht zu unterschätzendes Risiko erwächst aus dem Jobverlust Zehntausender Wissenschaftler und hochspezialisierter Techniker, die vormals im Rüstungsbereich tätig waren und später arbeitslos wurden oder ein Leben mit Hungergehältern fristen. Lukrative Angebote anderer Staaten, Terrorgruppen oder krimineller Banden könnten in einer solchen Situation als verführerischer Ausweg für eine neue berufliche Karriere angesehen werden. Um dem entgegenzuwirken, organisierte die Initiative internationale Zentren für Wissenschaft und Technologie, in denen Tausende ehemalige Angehörige des Militärkomplexes der Sowjetunion gemeinsame Forschung und Entwicklung zu friedlichen Zwecken betreiben können.

Ungewisse Zukunft

Doch trotz der unbestreitbaren Erfolge gibt es immer noch starke Gegner der Kooperation. Nicht wenige Falken im US-Kongress behaupten, das Programm sei in Wirklichkeit nichts anderes als amerikanische Hilfe für Russlands Militär. Aber auch auf russischer Seite erweisen sich eingeschränkter Zugang zu Forschungseinrichtungen in nach wie vor "geschlossenen Städten" und Misstrauen gegenüber ausländischen Wissenschaftlern als Barriere für die Fortsetzung der Kooperation.

Nachdem das Nunn-Lugar-Programm noch 1999 und 2006 verlängert worden war, erklärte Russlands Vizeaußenminister Sergej Rjabkow nun am 10. Oktober, der Vorschlag der USA, das Programm zur Vernichtung von Kampfstoffen erneut zu verlängern, entspreche nicht der Vorstellung Moskaus davon, wie die Kooperation in diesem Bereich aufgebaut werden sollte. Russland sei der Ansicht, dass für ein derartiges Zusammenwirken "ein modernerer rechtlicher Rahmen" erforderlich sei.

Eine Antwort aus Washington kam prompt: "Wir schätzen unsere fortdauernde Zusammenarbeit mit Russland im Rahmen des Nunn-Lugar-Programms und glauben, dass die USA und Russland auf diesem Gebiet noch viel zu tun haben, einschließlich der Kooperation in Drittländern", versicherte Pentagon-Sprecherin Melinda Morgan. "Diese Zusammenarbeit bedarf einer juristischen Grundlage, so dass die USA im Juli 2012 einen einfachen Vorschlag unterbreitet haben, das geltende Abkommen zu verlängern, bevor es im nächsten Jahr außer Kraft treten wird. Wir setzen unsere Verhandlungen mit Russen darüber fort, wie die fruchtbare Arbeit am besten fortgesetzt werden könnte", so die Sprecherin. Und der Sprecher des Weißen Hauses, Josh Earnest, legte nach: "Der Präsident glaubt, dass das kooperative Programm zur Bedrohungsverminderung ein wertvolles Programm und nützlich für die nationale Sicherheit der Vereinigten Staaten ist. Es muss natürlich weiter mit dem Programm gearbeitet werden und wir werden uns dafür engagieren."

Ob aber in den verbleibenden Monaten noch eine Einigung erzielt werden kann, wird nicht zuletzt vom Ausgang der bevorstehenden Präsidentschaftswahlen in den USA abhängen.

Globale Vorräte an nuklearem Spaltmaterial (in Tonnen)

hochangereichertes Uran  1.270 (abzüglich zur Abreicherung vorgesehener 171 t)

Plutonium

- Militärbestände:

- zivile Bestände

 

    237

    250

Gesamt  1.757

Quelle: SIPRI Jahrbuch 2012

Veröffentlicht am

17. Oktober 2012

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