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Profithunger

Bundesdeutsche Unternehmen sind maßgeblich an der Spekulation mit Nahrungsmittel-Rohstoffen beteiligt. Nach Angaben der Organisation Oxfam hielten sie 2011 mit 11,4 Milliarden Euro rund ein Sechstel des weltweit in diese Anlage-Klasse investierten Kapitals. Die größten Fonds bieten die Allianz und die Deutsche Bank an; zu den weiteren Akteuren am Markt zählen die Commerzbank und die Bank Sal. Oppenheim. Die Weltbank misst Finanzprodukten wie den "PowerShares" der Deutschen Bank eine Schlüsselrolle beim Lebensmittel-Preisanstieg 2007/2008 zu, der zu einer Hungersnot führte. Die Konzerne hingegen streiten einen Zusammenhang zwischen ihren Börsen-Aktivitäten und Versorgungskrisen ab und machen stattdessen "Fundamentalfaktoren" wie das Bevölkerungswachstum, den Biosprit-Boom, den Klimawandel und politische Krisen für die Teuerung verantwortlich.

Allianz an der Spitze

Unter den bundesdeutschen Unternehmen, die auf den Märkten für Agrar-Rohstoffe aktiv sind, nimmt die Allianz die Spitzenposition ein. Sie hat eine Summe von etwa 6,24 Milliarden Euro in entsprechenden Fonds platziert. Die Deutsche Bank partizipiert mit 4,57 Milliarden an dem Geschäft und bezeichnet sich selbst als "major player" auf dem Feld des Handels mit "Commodities".Oxfam: Mit Essen spielt man nicht nicht! www.oxfam.de . Allein ihr "PowerShares DB Agriculture Fund" war im Jahr 2010 2,5 Milliarden US-Dollar schwer und führte damit an der Wallstreet die Top 5 der Kapital-kräftigsten Agrarrohstoff-Investments an. Die Landesbank Baden-Württemberg, die Commerzbank, Union Investment und Deka Investment haben zwischen 100 und 200 Millionen Euro angelegt, Universal Investment und Sal. Oppenheim Beträge von 34 bzw. 14 Millionen. Zudem haben seit Ende letzten Jahres auch die Bayern LB und die DZ Bank Finanzprodukte auf Basis von Lebensmittelpreisen im Angebot, während die Münchner Rück ankündigte, sich intensiver auf diesem Sektor zu betätigen. Darüber hinaus spielt die Bundesrepublik eine bedeutende Rolle als Verkaufsplattform für die Fonds. Sofern die Transaktionen nicht - wie in drei Viertel aller Fälle - außerbörslich ablaufen, dient die Frankfurter Börse als größter Umschlagplatz in Europa.Hans H. Bass: Finanzmärkte als Hungerverursacher; www.welthungerhilfe.de .

(Saat-)gut fürs Depot

Die Deutsche Bank stieg Anfang der 2000er Jahre in die Spekulation mit Nahrungsmittel-Rohstoffen ein. Mit Veröffentlichungen wie "Rohstoffe - eine Anlageklasse rückt in das Blickfeld" versuchte sie Anleger zu gewinnen und lenkte das Interesse mit Slogans wie "Agrarrohstoffe: Das nächste große Thema?" gezielt auch auf Lebensmittel-Grundstoffe.Deutsche Bank sieht weiterhin Potenzial bei Rohstoffen (2005); www.deutsche-bank.de . 2008 warb das Geldhaus sogar auf Brötchen-Tüten mit dem Spruch "Freuen Sie sich über steigende Preise" für seine Finanz-Konstrukte. Die Allianz buhlte derweil mit der Publikation "Agrartrends: (Saat-)gut fürs Depot" um Kunden, die als Verkaufsargument die immensen Preis-Steigerungen für Soja, Weizen und Mais auflistete.Oxfam: Mit Essen spielt man nicht nicht! www.oxfam.de . All diese Maßnahmen hatten Erfolg: Zwischen 2008 und 2011 vervierfachten sich die Einlagen der bundesdeutschen Agrarrohstoff-Fonds.

Wetten auf steigende Preise

Die Deutsche Bank rühmt sich dafür, den ersten an die Preis-Indizes für Rohstoffe wie Mais gekoppelten Fonds an die New Yorker Börse gebracht zu haben. Der "Commodity index tracking fund" des Bankhauses orientiert sich an den Preisen für Kontrakte an den Warenterminbörsen, den so genannten Futures. Der Fonds, registriert im US-amerikanischen Steuerparadies Delaware, setzt dabei fast ausschließlich auf Teuerungen. Das tun auch seine steuersparend in Luxemburg angesiedelten europäischen Pendants und die entsprechenden Geld-Anlagen der Allianz und anderer Unternehmen.

Nachfrage und Angebot und Nachfrage

Mit ihren Wetten auf steigende Preise beeinflussen diese Finanzprodukte auch die Geschehnisse an den realen Märkten. "Wir nehmen an, dass Indexfonds-Aktivitäten (…) eine Schlüsselrolle bei der Preisspitze von 2008 gespielt haben", urteilt die Weltbank in ihrer Analyse der Lebensmittelversorgungskrise, die Millionen Menschen dem Hunger ausgesetzt hat, weil sie sich die Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten konnten.Misereor/Oxfam/Weed: Deutsche Bank Factsheet. Faktoren wie der Biosprit-Boom oder die erhöhte Nachfrage aus den Schwellenländern haben dagegen nach Ansicht der Institution kaum Auswirkungen auf die Kosten-Explosion gehabt. Die Fonds jedoch erhöhen künstlich die Nachfrage nach Agrar-Rohstoffen, was die basalen Preisbildungsmechanismen überlagert. "Es gibt Nachfrage und Angebot und Nachfrage", hält der Investor Michael Masters fest.Oxfam: Mit Essen spielt man nicht nicht! www.oxfam.de . Auf 10 bis 15 Prozent beziffern Experten den Anteil der Nahrungsmittel-Spekulationen an den Teuerungen von Weizen, Mais und Soja.

Finanzialisierung der Nahrungsmittel-Märkte

Zudem sorgen die Spekulationen für eine Zunahme der Preisausschläge und machen den Handel mit den Gütern damit für Käufer und Verkäufer noch weniger kalkulierbar. Bewegten sich die Preisschwankungen für Weizen bis 2004 über das Jahr berechnet im Bereich von 20 bis 30 Prozent, so beträgt die Volatilität mittlerweile 70 Prozent.Foodwatch: Die Hungermacher; foodwatch.de . Generell übt das Börsenklima einen immer größeren Einfluss auf das Geschäft mit Agrar-Rohstoffen aus. Als 2008 die Finanzkrise Händler zwang, ihre Termin-Kontrakte zu verkaufen, um ihre Verluste mit anderen Finanzprodukten aufzufangen, sanken kurz darauf die Preise für Mais und andere Getreidesorten beträchtlich.Dirk Müller: Unschuldsmythen; www.misereor.de . Vorher hatte es dagegen - wiederum parallel zur Lage an den Finanzplätzen und unabhängig von Fundamentalfaktoren wie guten oder schlechten Ernten - eine kontinuierliche Aufwärtsbewegung gegeben. Von einer "Finanzialisierung der Nahrungsmittel-Märkte" sprechen die Fachleute deshalb.

Alles nur Klimawandel

Die bundesdeutschen Geldhäuser und Finanzdienstleister bestreiten diesen Sachverhalt. "Unserer Meinung nach treiben Index-Investments nicht die Preise für die in Entwicklungsländern benötigten physischen Rohstoffe in die Höhe, da Index-Händler diese physischen Rohstoffe nicht kaufen, besitzen oder verbrauchen", behauptet die Allianz. Stattdessen führt der Versicherungskonzern das Bevölkerungswachstum, den Klimawandel, die Nutzung von Nahrungsmitteln für Biosprit und politische Krisen als Gründe für die gestiegenen Nahrungsmittel-Kosten an.Oxfam: Factsheet Nahrungsmittelspekulation Allianz. Auch die Deutsche Bank bestreitet den Zusammenhang zwischen der Spekulation und dem Preisauftrieb: "Wie viele Studien gezeigt haben, folgen die Rohstoff-Preise mittel- und langfristig der fundamentalen Dynamik von Angebot und Nachfrage".Deutsche Bank’s response to your questioniare on the MIFID review; www.europarl.europa.eu . Die Fonds hätten dagegen nur kurzfristig Auswirkungen, erklärte das Institut gegenüber der EU, die eine Reform der Finanzmarkt-Richtlinie plant. Größere Eingriffe der Politik in diesen Bereich lehnt die Bank ab. "Wir müssen aufpassen, dass die Finanzindustrie auch künftig unsere Volkswirtschaften unterstützen kann", warnte der Ex-Vorstandsvorsitzende Josef Ackermann in Brüssel.Gewinnt die Bank schon wieder; www.zeit.de . Gegenüber der US-amerikanischen Börsenaufsicht räumte das Unternehmen jedoch durchaus ein, dass Rohstoff-Fonds, Hedge-Fonds und andere Investment-Instrumente die Preise der im "PowerShare DB Agriculture Fund" gelisteten Agrar-Rohstoffe mitbestimmen können.Misereor/Oxfam/Weed: Deutsche Bank Factsheet. Die Commerzbank stellt dieses hinter vorgehaltener Hand ebenfalls nicht in Abrede. "Da es hier Spekulationen gibt, gibt es eben mal Ausreißer nach oben oder nach unten", erläutert das Geldinstitut.Oxfam: Mit Essen spielt man nicht nicht! www.oxfam.de .

Die Kritik wächst

Der zunehmende öffentliche Druck zwingt die Banken und Finanzdienstleister jedoch zum Handeln. So gaben die Landesbank Baden-Württemberg und Deka Investment bereits ihren Rückzug aus dem Markt-Segment bekannt. Die Commerzbank annoncierte derweil, keine neuen Agrarrohstoff-Fonds aufzulegen. Die Deutsche Bank kündigte ebenfalls ein Moratorium an, bis ein Prüfbericht zu den Effekten der Nahrungsmittel-Spekulation vorliegt. Und die Allianz erklärte sich nach anfänglicher Weigerung zu einem Gespräch mit Oxfam bereit. Ob es allerdings in absehbarer Zeit wirklich zu einem Stopp der Aktivitäten kommt, bleibt fraglich. In ihrem neuesten Geschäftsbericht nimmt sich die Deutsche Bank noch vor, einen erhöhten Fokus auf das Geschäft mit Rohstoffen zu legen.Deutsche Bank, Jahresbericht 2011.

Quelle: www.german-foreign-policy.com   vom 11.07.2012.

Fußnoten

Veröffentlicht am

11. Juli 2012

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