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Die “Rassentumulte” in Tel Aviv sagen viel aus über Israel

Von Ran HaCohen

Die "Rassentumulte" in der vergangenen Woche in Tel Aviv - eine Massendemonstration, die sich zu einem Pogrom gegen die rund 60.000 Asylsuchenden entwickelte, von denen die überwiegende Mehrheit aus Eritrea kommt, der Rest hauptsächlich aus Sudan (Darfur und Südsudan) und ein paar anderen afrikanischen Ländern - geben einen enthüllenden Einblick in die israelische Wirklichkeit unter der derzeitigen faschistischen Regierung.

Die tonangebenden Sprecher bei der Demonstration in dem armen südlichen Teil von Tel Aviv, wo die meisten der Asylsuchenden und eingewanderten Arbeiter konzentriert sind, waren zwei Abgeordnete der Knesset: Michael Ben-Ari (von der weit rechts stehenden Nationalen Union), der den jüdischen Pöbel aufforderte, das Recht in die eigenen Hände zu nehmen ("es ist schon genug geredet worden"), und Miri Regev (Likud), die die "Sudanesen" (ungeachtet der Tatsachen bezeichnen viele ignorante Israelis alle Afrikaner als "Sudanesen") als "Krebsgeschwür" bezeichnete.

Offensichtlich lenkt der Faschismus den Unmut der Öffentlichkeit dadurch ab, dass er ihn gegen hilflose Minderheiten richtet. Die Allianz zwischen den beiden Knesset-Abgeordneten ist allerdings bemerkenswert: während Regev der Koalition angehört, ist Ben-Ari offiziell Teil der Opposition. Israels faschistische Koalition ist in der Tat noch größer als die 94 (von 120) Abgeordneten der Knesset, die sie jetzt umfasst, da sie bei der Umsetzung ihrer Politik auf die Unterstützung der weit rechts stehenden Opposition rechnen kann. Netanyahu macht davon oft Gebrauch. Wenn Regeln oder Tradition die Bestellung eines Mitglieds der Opposition für eine offizielle Funktion erfordern, dann nimmt Netanyahu jemanden von der extremen Rechten, wodurch die kleine liberale Opposition immer weiter an den Rand gedrängt wird.

Ben-Ari ist ehemaliges (?) Mitglied der jüdisch-orthodoxen, faschistisch-rassistischen Kach-Bewegung, die in Israel verboten ist und von den Vereinigten Staaten von Amerika als terroristische Organisation betrachtet wird. Miri Regev ihrerseits war Sprecherin der israelischen Armee im zweiten Krieg gegen den Libanon (2006). Ausgebildet und erfahren im Lügen und Hetzen gegen den "Feind von außen" richtet sie ihre Fähigkeiten jetzt gegen den "Feind von innen." Vor wenigen Jahren bezeichnete der rechtsextreme ehemalige Colonel Effi Eitam die israelisch-arabischen Bürger als ein "Krebsgeschwür," Regev benutzt jetzt - ohne jegliche nachträgliche Entschuldigung - die gleiche Bezeichnung (die nebenbei bemerkt von Neonazis gerne für Juden verwendet wird) für Asylsuchende.

Das palästinensische Modell

In der Tat werden die Asylsuchenden dem Bereich zugeordnet, der für Palästinenser und Araber vorgesehen ist. "Krebsgeschwür" ist nur eine der gemeinsamen Bezeichnungen. Auch im Fall der Afrikaner wird die "demografische Gefahr" heraufbeschworen: Netanyahu hat davor gewarnt, dass aus den 60.000 (ungefähr 0,8% der gesamten Bevölkerung Israels) "600.000 werden und Israel als jüdischen und demokratischen Staat zerstören könnten." Vor dem Hintergrund dieser unverhohlenen Hetze ist Netanyahus Verurteilung der Gewalt nach den Tumulten als reines Lippenbekenntnis zu bewerten.

Sogar die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika bewertete in den 2011 Country Reports on Human Rights Practices (Bericht über die Situation der Menschenrechte in den [anderen]Ländern) die Verwendung der Bezeichnung ‘Eindringlinge’ in Bezug auf Asylsuchende durch Politiker, sowie auch Politiker, welche Asylsuchende in direkte Verbindung brachten mit dem Ansteigen von Kriminalität, Krankheiten und Terrorismus negativ. Speziell Innenminister Eli Yishai wurde als Anstifter hingestellt. Die hebräische Bezeichnung mistanenim ("Eindringlinge") wurde geprägt für die palästinensischen Flüchtlinge, die versuchten, zu ihren Häusern und Feldern in Israel zurückzukehren, von denen sie während des Krieges im Jahr 1948 geflüchtet oder vertrieben worden waren. Obwohl sie überwiegend unbewaffnet waren, wurden rund 5.000 von ihnen in den 1950er Jahren erbarmungslos von israelischen Soldaten getötet. Nach dem Krieg 1967 kam es zu einer Wiederholung dieser Routine; der israelische Historiker Shlomo Sand hat gerade enthüllt, wie er als junger Soldat die Misshandlung eines älteren palästinensischen "Eindringlings" beobachtete, der das Pech hatte, am Tag verhaftet zu werden (die in der Nacht Erwischten wurden gleich umgebracht): "Der Gefangene war an einen Stuhl gefesselt, während meine guten Freunde ihn am ganzen Körper schlugen, gelegentlich Zigaretten auf seinen Armen ausdrückten … später brachte ein Auto die Leiche des alten Mannes fort. Meine Freunde sagten mir, sie würden zum Jordan fahren, um ihn loszuwerden." Verglichen mit dieser organisierten staatlichen Gewalt gegen "Eindringlinge" gingen die aufgehetzten israelischen Demonstranten der vergangenen Woche - deren Leben in der Tat unerträglich geworden ist aufgrund der Anwesenheit tausender großteils unbeschäftigter Immigranten in ihren bereits verarmten Wohngebieten - mit den afrikanischen "Eindringlingen" geradezu sanft um.

Sogar die "Lösung" des "Problems" der Asylsuchenden gleicht derjenigen, die bei den Palästinensern zur Anwendung kommt. Indem er einige Zivilcourage an den Tag legte - was in Israel sehr selten vorkommt - traf der Polizeichef letzte Woche den Nagel auf den Kopf, als er die Regierung aufforderte, die Asylsuchenden arbeiten zu lassen. Stellen Sie sich vor: die Afrikaner werden verhaftet, nachdem sie über die Grenze von Ägypten gekommen sind, werden Wochen oder Monate lang angehalten, und dann beim zentralen Busbahnhof von Tel Aviv auf die Straße gesetzt. Sie bekommen keine Arbeitsgenehmigung, so lange ihr Ansuchen von Israel "bearbeitet" wird - was dieses "Bearbeiten" betrifft, ergibt sich aus dem amerikanischen Länderbericht 2011 über Menschenrechtspraktiken: "von 4.603 neuen Asylanträgen wurden 3.692 abgelehnt. Nur einer wurde genehmigt."

Was für einen Sinn macht es, tausende Menschen, die nicht in ihre Herkunftsländer deportiert werden können, ohne Arbeitserlaubnis zu behalten und sie Hunger, Diebstahl und Raub zu überlassen? Regierungssprecher äußern sich dazu ganz offen: "Wenn wir sie arbeiten lassen, werden mehr kommen." Wieder erkennen wir die "Lösung," die traditionell für die Palästinenser in der West Bank und Gaza vorgeschlagen und angewendet wird: behandle sie bloss nicht menschlich, enteigne sie, nimm ihnen ihr Land, Arbeitsmöglichkeiten und ihre Menschenrechte, und sie werden weggehen (oder verschwinden). Und wenn sie - hört, hört - zur Gewalt greifen, dann ist das noch besser: stell sie als Terroristen hin und "lass die Armee siegen." Letzten Endes gibt es kein Problem, das die israelische Armee nicht lösen kann.

Die Wirtschaft dahinter

Es ist aber nicht nur Ideologie, um die es hier geht. Hinter den Kulissen spielen wirtschaftliche Faktoren eine große Rolle. Während tausende Asylsuchende Hunger und Verbrechen überlassen werden, öffnet Israel jedes Jahr seine Tore für tausende ausländische Arbeiter, hauptsächlich aus Asien; ganze Bereiche der Wirtschaft des Landes - besonders Landwirtschaft und Bauwirtschaft - sind auf diese billigen Arbeitskräfte angewiesen, nachdem die palästinensischen Pendler vom Arbeitsmarkt vertrieben worden sind, um hinter Mauern und Zäunen zu vergammeln.

Die Lösung scheint einfach: anstatt neue Arbeitskräfte aus den Philippinen oder China zu importieren kann Israel den Asylsuchenden, die bereits hier sind, Arbeitsgenehmigungen geben. Warum wird das nicht gemacht? Wir haben die offizielle Ausrede gesehen. Dahinter liegt jedoch ein tieferer Grund verborgen. Nehmen wir zum Beispiel Miri Regev. Nur wenige Tage, bevor sie in Tel Aviv gegen "das sudanesische Krebsgeschwür" wetterte, versuchte diese Dame eine Gesetzesänderung durchzubringen, die die staatliche Regulierung von ausländischen Arbeitskräften lockert und "Arbeitsvermittlern" freie Hand gibt, zu importieren, wen immer sie wollen. Warum? Anders als Asylsuchende, die oft von ägyptischen Schleppern beraubt und erpresst werden, aber kostenlos nach Israel hineinkommen, bezahlt jeder legal ins Land kommende Arbeiter seinem "Arbeitsvermittler" tausende Dollars, nur um nach Israel zu kommen. Asylsuchende kommen umsonst, Arbeitsmigranten jedoch erbringen viel Geld. Regev ist Politikerin, und Politiker haben für viel Geld immer etwas übrig.

Erinnern Sie sich noch an Eli Yishai, den Innenminister, der "speziell als Anstifter" gegen Asylsuchende hingestellt wurde? In seiner Amtszeit als Innenminister sind die Arbeitsgenehmigungen für Arbeitsmigranten rapid angestiegen. Sein Kollege in der ultraorthodoxen Shas-Partei, der ehemalige Minister Shlomo Benisri, sitzt jetzt im Gefängnis, verurteilt wegen der Annahme von Schmiergeldern von einem guten Freund - einem "Arbeitsvermittler" - im Austausch gegen Insiderinformationen betreffend die Ankunft ausländischer Arbeiter in Israel.

Regev hätte beiden helfen können, den armen Asylsuchenden und den armen Israelis, die unter diesen leiden - indem sie gefordert hätte, die Afrikaner arbeiten zu lassen. Das aber hätte sie unbeliebt gemacht bei den "Arbeitsvermittlern," welche asiatische Arbeitsmigranten ins Land bringen. Statt dessen hetzt sie arme Israelis gegen noch ärmere Afrikaner auf und fordert Vergünstigungen für die reichen Arbeitsvermittler, die arme Asiaten ausbeuten. Soziale Gerechtigkeit á la Israel.

Nicht nur Afrikaner

Hetze und Ausbruch von Gewalt gegen Afrikaner nach dem Vorbild der Gewalt gegen die Palästinenser sind nur ein weiteres Symptom der faschistischen Atmosphäre in Israel, die nicht bei den Afrikanern Halt macht. Regev richtete ihre Attacke ausdrücklich auch gegen "die Linken, die zu Gericht gehen" (um zu erreichen, dass Asylsuchende nicht nach Südsudan deportiert werden). "Schande über sie, die die Abschiebung aufgehalten haben", fuhr sie fort, und zeigte mit dem Finger auf beide - die "Linken" und Israels Justiz, von der Regierung verachtet und gehasst. Der Pöbel verstand die Botschaft: unmittelbar danach wurde der Ha’aretz-Reporter Ilan Lior attackiert, als Demonstranten behaupteten, ihn als "Linken, der Steine auf israelische Soldaten an einer Kontrollstelle wirft" erkannt zu haben. Es half ihm nicht, dass er diese Beschuldigung bestritt. Er wurde nur dank der Polizei gerettet, die ihn in ihr Fahrzeug stieß und warnte, sonst könnte er ermordet werden. Der israelische Journalist wurde fast gelyncht, allerdings nicht, weil er Unterstützung für Asylsuchende in einer aufgeheizten Demonstration gegen diese zum Ausdruck brachte, sondern weil er als politischer Gegner betrachtet wurde in der "einzigen Demokratie im Mittleren Osten."

P.S.: Regev hat sich mittlerweile dafür entschuldigt, dass sie die Sudanesen als "Krebsgeschwür" bezeichnet hat. Sie entschuldigte sich allerdings bei Krebspatienten und Überlebenden des Holocaust, nicht aber bei den Sudanesen.

Quelle: www.antikrieg.com vom 28.05.2012. Originalartikel: Tel Aviv ‘Race Riots’ Reveal Much About Israel . Übersetzung: Klaus Madersbacher.

Veröffentlicht am

01. Juni 2012

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