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NATO-Gipfel zielt auf “failed state” Afghanistan

Von Otmar Steinbicker

Der Beschluss des NATO-Gipfels zum Ende des Afghanistan-Krieges erscheint nur auf den ersten Blick klar: Im Sommer 2013 wird die Kontrolle über alle Regionen Afghanistans von der ISAF an die lokalen Sicherheitskräfte übergeben und spätestens am 31. Dezember 2014 ist die NATO-Mission zu Ende, die internationalen Truppen ziehen ab. Doch dann soll es weiter gehen: Die NATO plant eine zweite Afghanistan-Mission ab 2015. Dann soll eine Trainings- und Ausbildungsmission starten, ohne Kampftruppen und mit bis zu 1.000 Bundeswehr-Soldaten. Kämpfen und sterben sollen die afghanischen Soldaten, der Westen liefert Waffen und zahlt. Ein Ende des Krieges scheint nicht in Sicht.

Doch auch das ist wieder nur ein Teil der Wahrheit. Nach 2014, so berichtete schon vor Wochen die "New York Times", soll in der Afghanischen Nationalarmee von den derzeit 320.000 Mann jeder dritte entlassen werden. Der Grund: In Washington wird absehbar das Geld für das Afghanistan-Abenteuer knapp. Die Folgen sind absehbar: Womit sollen die Entlassenen ihren Lebensunterhalt bestreiten, wenn nicht mit dem, was sie gelernt haben: zu kämpfen und zu töten? Ähnlich wird es den Angehörigen der Milizen gehen, die derzeit allüberall aus dem Boden gestampft werden - auch im Bereich der Bundeswehr. Viele von ihnen hatten bei den Taliban gekämpft, bis die NATO besser zahlte. Bleibt künftig das Geld aus, werden neue Auftraggeber gesucht.

Das Vorgehen der NATO zielt absehbar in Richtung eines "failed state" Afghanistan, ein Chaos sich untereinander bekämpfender Söldnertruppen und Regierungseinheiten. Stabilität kann so nicht erreicht werden.

Eine politische Lösung sieht anders aus! Dazu müssen die Konfliktparteien an einen Tisch und miteinander reden, statt aufeinander zu schießen. Sicher, da gibt es Widerstände nicht jeder will mit jedem reden. Auch die Taliban haben erklärt, dass sie nicht mit den USA und Karzais Leuten an einem Tisch sitzen wollen. Doch das sind Petitessen!

Wer Stabilität in Afghanistan will, der muss nach dem verlorenen Krieg der NATO eine politische Friedenslösung unterstützen. Dazu müssen ernsthafte Gespräche mit den Taliban in Gang kommen! Wenn die USA und die Taliban derzeit nicht miteinander sprechen wollen oder können, dann müssen es die Europäer mit den Taliban tun! Wenn ein Gesprächsprozess erst einmal begonnen hat und sich erste positive Ergebnisse abzeichnen, dann können die USA dazu kommen. Denn eines wissen auch die Taliban: Ohne eine Einbeziehung der USA wird es keinen Frieden geben.

Schwieriger erscheint eine Einbeziehung der Karzai-Regierung. Diese ist dermaßen mit Wahlfälschungs- und Korruptionsskandalen behaftet, dass sie über die Taliban-Sympathisanten hinaus von vielen Afghanen nicht mehr als ernsthafter Gesprächspartner akzeptiert wird. Da hilft nur eine Übergangsregierung, die die verschiedenen politischen, ethnischen und religiösen Flügel in Afghanistan zusammenbindet.

Für viele Regierungsverantwortliche im Westen erscheint eine Übergangsregierung in Afghanistan als undenkbar. "Karzai ist gewählt" und "Karzai ist unser Verbündeter" heißt es bei ihnen. Überzeugend ist das nicht. In Italien und Griechenland mussten demokratisch (und ohne Wahlfälschungen) gewählte Regierungen ganz schnell für Übergangsregierungen Platz machen, als es darum ging, den Euro zu retten. Hat der Euro mehr Dringlichkeit als der Frieden? Aber wenn es keinen Frieden gibt, sondern weiter Krieg geführt wird, was kostet das dann in Euro?

Wenn Afghanistan nicht zu einem "failed state" und zu einem finanziellen Fass ohne Boden werden soll, dann ist jetzt eine europäische Gesprächsinitiative nötig. Deutschland, Frankreich und Großbritannien sind dabei als erste gefragt, aber vielleicht kann auch ein kleineres Land einen ersten Vorstoß machen. Dass es mit der NATO nicht geht, hat der Bündnis-Gipfel gezeigt, aber für eine solche Gesprächsinitiative muss auch kein Land aus der NATO austreten.

Deutschland hat in der vergangenen Woche in seinem Vertrag mit Afghanistan sein Interesse an afghanischen Rohstoffen deutlich gemacht. Nach einem elfjährigen verlorenen Krieg dürfte eines klar sein: Diese Rohstoffe werden nur unter Friedensbedingungen erschlossen, gefördert und transportiert werden können! Auch wer nur in Kategorien von Geld und Rohstoffen denken kann, sollte ein Interesse an einer schnellen Friedenslösung haben! Es gibt dazu keine sinnvolle Alternative!

Otmar Steinbicker ist Herausgeber des Aachener Friedensmagazins www.aixpaix.de .

Quelle:  www.aixpaix.de , 22.05.2012.

Veröffentlicht am

25. Mai 2012

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