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Strandkrieg (II)

Am heutigen Donnerstag stimmt der Bundestag über die Teilnahme deutscher Streitkräfte am erweiterten EU-Militäreinsatz vor der somalischen Küste ab. Die Erweiterung der "Mission Atalanta", für die eine Zustimmung der Regierungsmehrheit erwartet wird, ermöglicht zukünftig auch Angriffe auf mutmaßliche Piratenbasen an Land und führt damit zu einer weiteren Eskalation des europäischen Militäreinsatzes zur Bekämpfung der Piraterie. Deutschland nimmt bei "Atalanta" eine führende Position ein und will diese behaupten. Hintergrund ist die hohe Bedeutung der Meeresstraßen am Horn von Afrika: Nahezu ein Drittel des weltweiten Seehandels wird derzeit über den Indischen Ozean abgewickelt, dessen Zugänge zum Mittelmeer an der somalischen Küste entlangführen. Die - gegebenenfalls auch aggressive - Absicherung der Seewege ist insbesondere für die exportorientierte deutsche Wirtschaft von großer Bedeutung.

Nur "eine kleine Erweiterung"

Am heutigen Donnerstag entscheidet der Bundestag über die Erweiterung des Bundeswehreinsatzes vor der Küste Somalias. Der zur Abstimmung kommende Kabinettsbeschluss der Regierung vom 18. April sieht vor, dass Deutschland sich weiterhin an der EU-Militärintervention zur Bekämpfung der Piraterie beteiligt. Die erneute Entscheidung darüber ist durch einen Beschluss des Europäischen Rats vom 23. März notwendig geworden, demzufolge die "Atalanta-Mission" nun auch auf das somalische Festland ausgedehnt werden soll. Zukünftig können auch vermeintliche Piratenbasen an Land angegriffen werden - bis zu zwei Kilometer ins Landesinnere hinein. Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) behauptet, es handele sich nur um "eine kleine (…) militärische" Erweiterung zur Erhöhung der "Nachhaltigkeit des Einsatzes".Minister wirbt für Ausweitung des Atalanta-Mandats; www.bmvg.de 26.04.2012. Tatsächlich jedoch ermöglicht der EU-Beschluss nicht nur erstmals Kampfhandlungen an Land, die jederzeit unkalkulierbar eskalieren können; er legt auch Bedingungen fest, unter denen Verdächtige "aufgegriffen", "festgehalten" und "übergeben werden" dürfen - auf somalischem Terrain oder in "Hoheitsgewässern anderer Staaten als Somalia".EU-Ratsbeschluss vom 23.03.2012; eur-lex.europa.eu.

Die "Roadmap"

Die Pläne der EU, ihre Militäroperation auf das somalische Festland auszudehnen, hängen mit der Bedeutung des Indischen Ozeans für den europäischen Asienhandel zusammen. Schon jetzt wird, schätzen Experten, nahezu ein Drittel des internationalen Seehandels über den Indischen Ozean abgewickelt.s. dazu Mit U-Booten gegen Piraten . Der Boom in Staaten wie China und Indien und der damit verbundene Anstieg des Warenverkehrs zwischen Asien und Europa wird die Bedeutung des Ozeans und seiner Übergänge in das Mittelmeer (Golf von Aden) in Zukunft noch erhöhen. Berlin und Brüssel suchen deshalb jegliche Störung der maritimen Handelswege dort zu unterbinden - nicht zuletzt mit militärischen Mitteln. Die Ausweitung von Atalanta korrespondiert mit weiteren Plänen des Westens, in Somalia nach über zwanzig Jahren Bürgerkrieg endlich Klarheit zu schaffen und seinen Interessen gemäße, "stabile" politische Verhältnisse zu etablieren. Im September letzten Jahres wurde unter Vermittlung der Vereinten Nationen (UN) eine "Roadmap" ausgearbeitet, die unter anderem vorsieht, bis Sommer 2012 eine Verfassung für Somalia zu erstellen, über die dann per Referendum abgestimmt werden soll. Die "Roadmap" wurde von der Übergangsregierung in Mogadischu ("Transitional Federal Government", TFG), Vertretern verschiedener, de facto unabhängiger Regionen Somalias sowie diversen gesellschaftlichen und politischen Organisationen des Landes unterzeichnet - im Beisein der EU, der UN, der Afrikanischen Union (AU) und des ostafrikanischen Staatenbundes "Intergovernmental Authority on Development" (IGAD). Sie sieht des weiteren die Vorbereitung von Wahlen sowie die Ausarbeitung einer umfassenden Strategie zur Pirateriebekämpfung vor.

Surreal

Wie diese Pläne in die Praxis umgesetzt werden sollen, ist vollkommen nebulös. Das TFG um den faktisch von EU und USA installierten Präsidenten Sharif Sheikh Ahmed verfügt kaum über Rückhalt in der Bevölkerung, die die Übergangsregierung als verlängerten Arm des Westens ansieht. Der überwiegende Teil des Landes steht unter der Kontrolle diverser Clans und Milizen; die nordsomalischen Küstenregionen Somaliland und inzwischen auch Puntland sind de facto eigenständige Staatsgebilde. Zwar konnte im letzten Jahr der Einfluss der islamistischen Al Shabaab-Miliz zurückgedrängt werden, aber auch die dürftige Kontrolle der TFG über Mogadischu - sie beschränkte sich lange Zeit auf wenige Straßenzüge - stützt sich letztlich auf 9.000 Soldaten der AU (African Union Mission in Somalia, AMISOM). Nichtsdestotrotz wurden die surreal anmutenden "Roadmap"-Pläne zuletzt Ende Februar auf der internationalen Somalia-Konferenz in London, an der über vierzig hochrangige Vertreter von Staaten und internationalen Organisationen teilnahmen, bekräftigt.

Deutsche Einmischung

Auch Berlin unterstützt die "Roadmap". Dies bestätigte der deutsche Entwicklungsminister Dirk Niebel (FDP) im Rahmen eines kurzfristig anberaumten Besuchs in Mogadischu Anfang April. Er versicherte, Deutschland werde den Prozess der politischen Neuordnung Somalias bis zum August dieses Jahres "kritisch begleiten und unterstützen".Dirk Niebel zu Entwicklungs- und Sicherheitsgesprächen in Somalia; www.bmz.de 01.04.2012. Zudem versprach er der somalischen Übergangsregierung 6,3 Millionen Euro an finanzieller Unterstützung für Nothilfevorhaben. Des weiteren wurde die Aufteilung deutscher Zusagen von über 90 Millionen Euro aus der Zeit vor dem somalischen Bürgerkrieg vereinbart; die Hälfte wird in Mogadischu und dem Süden sowie dem Zentrum des Landes zur Verfügung stehen, jeweils ein Viertel in Puntland und Somaliland. Über derlei Maßnahmen hinaus nimmt Deutschland seit Jahren auch auf anderen Wegen Einfluss in Somalia, zum Beispiel über eine enge Kooperation mit den Streitkräften Äthiopiens, das auf einer Strecke von 1.600 Kilometer Länge an Somalia grenzt und seit geraumer Zeit immer wieder mit seinem Militär in dem Nachbarstaat interveniert - offiziell, um ein Übergreifen des Bürgerkrieges auf sein Hoheitsgebiet zu verhindern, tatsächlich aber, um seine Hegemonialansprüche in der Region zu untermauern. Addis Abeba erhält von Deutschland militärische Ausstattungshilfe und Unterstützung durch eine "Beratergruppe" der Bundeswehr; 73 hochrangige Militärs wurden nach offiziellen Angaben seit 1998 an Einrichtungen der Bundeswehr ausgebildet. Außerdem finanzierte das Auswärtige Amt die Ausbildung von ca. 1.000 somalischen Polizisten durch die äthiopischen Streitkräfte. Ebendiese "Polizisten" stehen im Verdacht, im Oktober 2010 an Operationen von Milizen in der südwestsomalischen Region Gedo beteiligt gewesen zu sein, die zur Vertreibung von bis zu 60.000 Menschen führten.

Mit U-Booten gegen Piraten

Bei "Atalanta" nimmt Deutschland derzeit eine Führungsposition ein. Die deutschen Streitkräfte verfügen vor Ort über die beste Ausrüstung; gegenwärtig sind sie mit dem Einsatzgruppenversorger "Berlin", der rund 340 Soldaten sowie zwei Hubschrauber an Bord hat, vor der somalischen Küste präsent. Hinzu kommt ein Seefernaufkärungsflugzeug, für das Personal in Dschibuti vorgehalten wird. Die Hubschrauber vom Typ "Sea King" sind mit Maschinengewehren ausgestattet, die sich bestens für den Beschuss mutmaßlicher Piratenbasen auf dem somalischen Festland eignen. Weitere Vorschläge, die den Führungsanspruch Berlins untermauern, macht die deutsche Politikberatung. So publizierte die Stiftung Wissenschaft und Politik unlängst einen Beitrag, in dem die Entsendung deutscher U-Boote vor die somalische Küste propagiert wird; diese seien, heißt es, in der Lage, "potenzielle Piratenbasen bei Tag und Nacht und mit großer Ausdauer" zu überwachen und "Aufklärungsergebnisse schnell zu übermitteln". Dies ist eine unabdingbare Voraussetzung für Militärschläge an Land, wie sie durch das heute zur Entscheidung stehende neue "Atalanta"-Mandat ermöglicht werden.Sascha Albrecht: Pirateriebekämpfung an Land: maritime Optionen Deutschlands; www.swp-berlin.org 21.03.2012. S.dazu Mit U-Booten gegen Piraten .

Quelle: www.german-foreign-policy.com   vom 10.05.2012.

Fußnoten

Veröffentlicht am

10. Mai 2012

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