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Kriegsdrohungen gegen Syrien

Parallel zu den Kriegsdrohungen aus der Arabischen Liga gegen Syrien dringt Deutschland weiter auf stärkeren Druck gegen das syrische Regime. Der von Moskau neu präsentierte Entwurf für eine Syrien-Resolution des UN-Sicherheitsrates sei nicht konfrontativ genug und deshalb unzureichend, heißt es allgemein in den Hauptstädten des Westens, auch in Berlin. Am morgigen Donnerstag wird ein Bericht der Syrien-Beobachter der Arabischen Liga erwartet, der als Begründung für ein härteres Vorgehen dienen kann. Der Alleinherrscher des Emirats Qatar, der seit Monaten als Scharfmacher in der Arabischen Liga auftritt und damit auch in der Bundesregierung auf Zustimmung stößt, verlangt inzwischen eine Militärintervention in Syrien.

Das Vorgehen Berlins, das seinen offensiven Kurs gegen das Assad-Regime mit angeblicher Sorge um die Menschenrechte begründet, kann als Paradebeispiel für den humanitären Zynismus gelten, mit dem die Bundesrepublik ihrer Weltpolitik Legitimation verschafft. Menschenrechte waren für die Bundesregierung bedeutungslos, solange Damaskus als Partner für Flüchtlingsabwehr und für Folterverhöre im "Anti-Terror-Krieg" behilflich war. Heute wird Kritik von Menschenrechtlern an arabischen Golfdiktaturen wie Qatar ignoriert, weil diese dem Westen Hilfsdienste leisten. Dabei stehen geostrategische Pläne im Zentrum - etwa die Absicht, mit Syrien den letzten staatlichen Verbündeten Irans auszuschalten.

Militärisch intervenieren

Die Bundesregierung dringt weiterhin auf eine komplette Isolierung des syrischen Regimes. Wie es übereinstimmend in der deutschen und in weiteren westlichen Hauptstädten heißt, sei der russische Entwurf für eine Syrien-Resolution des UN-Sicherheitsrats, den Moskau soeben vorgelegt hat, unzureichend. Stattdessen wartet Berlin auf den Bericht der Syrien-Beobachter der Arabischen Liga, der am morgigen Donnerstag präsentiert werden soll. Mit ihm könne man ein viel schärferes Vorgehen gegen Damaskus legitimieren, ist zu hören. In der Tat tritt der Emir von Qatar, der sich in jüngster Zeit als eine maßgeblich treibende Kraft in der Arabischen Liga präsentiert - besonders bei deren Aktivitäten gegen das Assad-Regime -, jetzt für den Einsatz arabischer Truppen in Syrien ein. Man müsse militärisch intervenieren, verlangt der Emir im US-Sender CBS.Qatar: A tiny country asserts powerful influence; www.cbsnews.com 15.01.2012 Die Forderung, die vergangenen Sonntag ausgestrahlt worden ist, wurde Berichten zufolge bereits im November aufgezeichnet und wird jetzt der breiten Öffentlichkeit vorgestellt.Katars Emir sucht Verbündete für Intervention; www.spiegel.de 16.01.2012.

Abschiebung und Folter

Mit dem syrischen Regime, dessen Sturz sie jetzt gemeinsam mit anderen Staaten des Westens und der Arabischen Liga betreibt, hat die Bundesregierung jahrelang kooperiert. Die Menschenrechte, die Berlin heute gegen Damaskus in Anschlag bringt, spielten dabei nie eine Rolle. Das galt bereits für die Geheimdienstkooperation, die Bonn 1986 in die Wege leitetes. dazu Der gemeinsame Nenner Repression (I) . - nur wenige Jahre nach dem Massaker von Hama 1982, bei dem die syrischen Streitkräfte eine vermutlich fünfstellige Zahl Menschen im Rahmen von Operationen gegen die oppositionelle Muslimbruderschaft umbrachten. Die Zusammenarbeit der Geheimdienste mündete später im Rahmen des sogenannten Anti-Terror-Kampfes in direkte Folterkooperation; deutsche Behörden sahen zu, wie ein deutscher Staatsbürger aus Marokko nach Syrien verschleppt und dort inhaftiert und gefoltert wurde, anschließend reisten deutsche Geheimdienstler und Polizisten nach Damaskus, um ihn im Gefängnis zu verhören.s. dazu Oktober 2001 und Deutsch-syrischer Herbst . Im Jahr 2002 starteten Berlin, Damaskus und Beirut eine Polizeikooperation mit dem Ziel, Flüchtlinge von Reisen aus dem östlichen Mittelmeer in die europäischen Wohlstandszentren abzuhalten.s. dazu Praktische Unterstützung . Im Jahr 2009 schließlich schlossen die Regierungen Deutschlands und Syriens ein Abkommen, das die Abschiebung syrischer Flüchtlinge aus der Bundesrepublik erleichterte.s. dazu Im Hungerstreik . Tatsächlich wurden zahlreiche Flüchtlinge abgeschoben; nicht wenige von ihnen wurden nach ihrer Ankunft in Syrien festgenommen. Sogar Jugendliche kamen in Incommunicadohaft. Menschenrechtsorganisationen protestierten jahrelang; ihre Anliegen fanden allerdings in Berlin keinerlei Gehör.

Märkte entwickeln

Eine Ursache für das Desinteresse der Bundesregierung lag schlicht darin, dass Berlin damals eine engere Zusammenarbeit mit Syrien anstrebte - ganz wie Washington. US-Präsident Barack Obama hatte den Konfrontationskurs seines Amtsvorgängers beendet und Ende 2010 - kurz vor Beginn der Unruhen - erstmals wieder einen US-Botschafter nach Damaskus entsandt. Bereits zuvor hatte die Bundesregierung ihre sogenannte Entwicklungskooperation ausgeweitet - mit dem erklärten Ziel, Syrien "in Richtung einer sozialen Marktwirtschaft zu entwickeln".Syrisch-deutsche Zusammenarbeit; www.bmz.de. Noch im Februar 2011 war Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer nach Damaskus gereist, um dort große Verkehrsvorhaben voranzutreiben: Von der Arabischen Halbinsel sollte der Warentransport auf der Schiene bis Syrien ermöglicht werden, um Produkte der boomenden Golfindustrie von dort über das Mittelmeer in die EU transportieren zu können (german-foreign-policy.com berichtetes. dazu Eine Frage der Taktik .). Noch im September 2011 teilte das Entwicklungsministerium kurz nach der Verkündung von EU-Sanktionen mit, man werde die Entwicklungsgelder nicht sofort sperren, um so die Anbindung Syriens weiterhin offenzuhalten. Inzwischen gilt dieser Kurs zumindest mittelfristig als unmöglich, weshalb Berlin jetzt vorwiegend auf andere Kanäle setzt.

Hilfskraft Qatar

Dabei rückt die Kooperation mit Qatar in den Vordergrund. Die Golfdiktatur hat sich bereits im Krieg gegen Tripolis als nützlicher Parteigänger des Westens erwiesen: Sie setzte sich im Rahmen der Arabischen Liga zunächst für eine "Flugverbotszone" ein und stellte danach Kampfflieger und Bodentruppen sowie weitere Hilfsdienste zugunsten der libyschen Aufständischen bereit.s. dazu Zu Gast bei Freunden . Unter diesen sind islamistische Strömungen bis heute recht stark, was Beobachter auch dem Einfluss der Unterstützer aus Qatar zuschreiben: Das Emirat ist vom außergewöhnlich rigiden wahhabitischen Islam saudischen Ursprungs geprägt und finanziert islamistische Bestrebungen in diversen Staaten der arabischen Welt. Nicht zuletzt mit Hilfe des Senders Al Jazeera, der dem herrschenden Clan in Doha gehört, gelingt es Qatar, die Proteste in zahlreichen arabischen Staaten, die säkular orientiert sind, zu befeuern. Auch gegenüber Syrien hat sich Doha in der Arabischen Liga als Scharfmacher etabliert und Sanktionen durchgesetzt. Zuletzt hat Bundespräsident Christian Wulff im Dezember Qatar bereist, um die Beziehungen zu dem Emirat zu intensivieren, das sich gegenüber Damaskus als nützlicher Gehilfe des Westens erweist: Das Assad-Regime ist mittlerweile gänzlich am Boden und fällt, auch dank der Schützenhilfe aus Doha, als der letzte staatliche Verbündete Irans in der arabischen Welt aus.s. dazu Kriegsdrohungen gegen Iran (II) .

Humanitärer Zynismus

Menschenrechtsorganisationen, die ehedem urteilten, Berlin kooperiere in Damaskus mit einem brutalen Folterregime, stellen heute fest, dass die Bundesregierung in Doha mit der Diktatur einer islamistisch geprägten Feudalelite paktiert. In Qatar werden bis heute Körperstrafen verhängt und drakonische Urteile gegen Blasphemie ausgesprochen; die überwiegende Mehrheit der Bewohner des Landes sind ausländische Arbeitskräfte, die keinerlei Bürgerrechte genießen und in einer Art - so urteilen Kritiker - "moderner Sklaverei" leben. [11] s. dazu Zu Gast bei Freunden . In der Regel wird man in bundesdeutschen Medien darüber informiert, dass das außenpolitisch recht hilfreiche Qatar das Wahlrecht für Frauen eingeführt hat; dabei wird meist höflich verschwiegen, dass es auf Landesebene gar kein Parlament gibt und der Emir in ein Gremium, das ihn gänzlich unverbindlich berät, nur Männer beruft. In Wirtschaftskreisen, die geschäftlich in Qatar unterwegs sind, wird in jüngster Zeit warnend darauf hingewiesen, dass die geringen Freiheiten in dem Land gegenwärtig abgebaut werden und die Überwachung als die schärfste auf der gesamten arabischen Halbinsel gilt. Außerdem hat sich Qatar an der blutigen Niederschlagung der Proteste in Bahrain beteiligt. Dass es der Bundesregierung gelingt, ihren Druck auf Damaskus, dessen Folterregime sie jahrelang nutzte, und ihre Kooperation mit Staaten wie Qatar als heroischen Einsatz zugunsten von Menschenrechten zu verkaufen, muss als bemerkenswerter Erfolg staatlicher PR gelten.

Quelle: www.german-foreign-policy.com   vom 18.01.2012.

Fußnoten

Veröffentlicht am

18. Januar 2012

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