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Wie in Vietnam

Zehn Jahre nach den ersten westlichen Bombenangriffen auf Afghanistan am 7. Oktober 2001 konstatieren Beobachter eine Vielzahl von Parallelen zwischen den Kriegen in Vietnam und am Hindukusch. Beide Kriege würden mit einer sehr ähnlichen Strategie geführt, heißt es etwa in US-Medien; in beiden Ländern habe der Westen auf ein korruptes, in der Bevölkerung unbeliebtes Regime gesetzt. Auch kämen Parallelen bei den politisch-militärischen Rahmenbedingungen hinzu.

Die Einschätzung, der Krieg sei verloren, wird durch die Entwicklung in Afghanistan bestätigt, die sich kontinuierlich verschlechtert. Dies drückt sich in Tausenden toten Zivilisten ebenso aus wie in desaströsen Verhältnissen in der afghanischen Polizei und in Gewalttaten von mit dem Westen verbündeten lokalen Milizen - Polizei und Milizen sollten der NATO eigentlich einen geordneten Rückzug ermöglichen. "Erfolge" erzielt der Westen allenfalls im Drohnenkrieg, dem immer mehr Menschen zum Opfer fallen, darunter viele Zivilisten. Pakistanische Medien verweisen auf Berichte, denen zufolge einzelne Drohnenattacken allein der Vergeltung dienen. Anders als in Vietnam eröffnet der Drohnenkrieg dem Westen heute die Perspektive, sich auf Dauer mit Stützpunkten in Afghanistan festzusetzen und die militärischen Operationen zukünftig mit unbemannten Waffensystemen vorzunehmen - eine Perspektive, die seit geraumer Zeit auch in Berlin diskutiert wird.

Unser Mann in Kabul

Zehn Jahre nach den ersten Bombenangriffen des Westens auf Afghanistan, die die Besetzung des Landes vorbereiteten, zieht eine zunehmende Zahl von Beobachtern Parallelen zur Kriegführung in Vietnam. Exemplarisch ist der Beitrag eines Außenpolitikexperten in der renommierten Huffington Post. Wie der Autor schreibt, gebe es nicht nur Ähnlichkeiten in den militärischen und politischen Rahmenbedingungen. So neutralisiere die äußerst unwegsame Landschaft die Beweglichkeit sowie die Feuerkraft des überlegenen westlichen Militärgeräts. Aufständische könnten in der Bevölkerung mühelos untertauchen. Die Strategie der militärischen Aufstandsbekämpfung, die in der letzten Zeit angewandt worden sei (Counterinsurgency, COIN), sei nichts anderes als die alte, dürftig verpackte Strategie, mit der man bereits in Vietnam versucht habe, die "Herzen und Köpfe" der Bevölkerung zu gewinnen - bekanntlich vergeblich. Auch habe man wie in Vietnam auf ein Regime gesetzt, das in der Bevölkerung höchst unbeliebt sei. "Unglücklicherweise", urteilt der Autor, habe sich "’unser Mann in Kabul’ als gerade so korrupt und ruchlos erwiesen wie ‘unser Mann in Saigon’".Michael Hughes: Obama’s Vietnam; www.huffingtonpost.com 15.09.2011.

Kein Plan

Wie in Vietnam verschlimmert sich die Lage am Hindukusch ungebrochen. Hatte die NATO noch im August behauptet, die Gewalt nehme ab, so wird dies nun durch detaillierte Angaben der UNO widerlegt. Wie die Vereinten Nationen berichten, liegt die Zahl gewaltsamer Vorfälle in den ersten acht Monaten 2011 um 39 Prozent über derjenigen des Vorjahreszeitraums. Monatlich komme es derzeit zu durchschnittlich 2.108 Anschlägen, Gefechten und weiteren Gewalttaten - 70 pro Tag. Die Zahl ziviler Opfer bei Bodenkämpfen sei um 84 Prozent gestiegen. Allein im ersten Halbjahr 2011 seien 1.462 tote Zivilisten zu beklagen gewesen, zwischen Juni und August habe man insgesamt 971 zivile Tote verzeichnet. Gleichzeitig werden gravierende Vorwürfe gegen die kriegführenden Staaten des Westens laut. So erklärt der ehemalige NATO-General Egon Ramms, der als Befehlshaber im NATO-Hauptquartier in Brunssum (Niederlande) drei Jahre lang die oberste Verantwortung für den Militäreinsatz trug: "Ich finde es unerklärlich, dass dass es im Prinzip keinen politischen Gesamtplan für Afghanistan gibt"."Es gibt keinen Gessamtplan für Afghanistan"; www.welt.de 06.10.2011.  Das offenbar planlose Vorgehen des Westens hat bislang über 2.750 Besatzer und zahllose Afghanen das Leben gekostet - die UNO nennt 8.800 Ziviltote allein in den letzten fünf Jahren - und das Land erneut in einen Bürgerkrieg gestürzt.

In einem Jahr tot

Zentrale Maßnahmen, die Teil einer Exit-Strategie für die NATO in Afghanistan sein sollten - der Aufbau von Polizei und Milizen, um einen geordneten Abzug zu ermöglichen -, scheitern derzeit. Wie es etwa um den Aufbau der afghanischen Polizei durch den Westen, auch durch Deutschland, steht, lässt sich an einem Interview ablesen, das eine deutsche Polizeiausbilderin jüngst nach einem Einsatz in Kunduz einer deutschen Tageszeitung gab. Demnach wird von denjenigen Afghanen, die sich um eine Stelle als Polizist bewerben, "fast jeder genommen, weil schlicht unheimlich viele Polizisten gebraucht werden". Die Ausbildung umfasse "einen praktischen und einen theoretischen Teil"; in letzterem werde versucht, "den Schülern die Menschenrechte näherzubringen", was "nicht einfach und in sechs Wochen (so lange dauert die Gesamtausbildung, d.Red.) auch nicht möglich" sei, zumal die überwiegende Mehrheit der angehenden Polizisten nach jahrzehntelangem Krieg in Afghanistan nicht lesen und schreiben könne. Schon vor ihrem Einsatz habe sie erfahren, berichtete die Polizistin, dass nur ein Drittel der Rekruten langfristig als Polizist arbeiten werde. "Ein weiteres Drittel" werde "zu den Taliban überlaufen", das dritte Drittel werde "das erste Jahr im Dienst nicht überleben". Zunächst überrasche es, dass unter solchen Bedingungen so viele Bewerber gewonnen werden könnten. "Aber die meisten haben halt keinen Job", erläutert die deutsche Polizistin: "Das ist die einzige Möglichkeit, ihre Familien durchzukriegen."Jeder dritte meiner Schüler wird sterben; www.abendblatt.de 05.10.2011.

Kriminelle Banden

Auch der Versuch des Westens, die militärische Lage mit Hilfe lokaler Milizen zu stabilisieren, bietet keine bessere Perspektive. Tatsächlich üben Menschenrechtsorganisationen immer schärfere Kritik, insbesondere an der Afghan Local Police. Faktisch setzt sich diese häufig aus bereits längst bestehenden Milizen zusammen, denen dann die lokale Kontrolle offiziell überantwortet wird - die nötige Bewaffnung ebenso wie Sold inklusive. Den Milizen, zum Teil inzwischen auch der Afghan Local Police, werden eine enge Kooperation mit kriminellen Banden sowie Gewalttaten bis hin zu Vergewaltigung und Mord vorgeworfen. Human Rights Watch hat unlängst einen Bericht darüber publiziert und warnt, die Afghan Local Police, die eigentlich das Land beim Abzug der NATO im Jahr 2014 stabilisieren soll, "könnte dieselbe perverse Dynamik verschärfen, die vorige Versuche untergrub, zivile Verteidigungskräfte zu nutzen, um Sicherheit und öffentliche Ordnung voran zu bringen".Human Rights Watch: "Just Don’t Call It a Militia". Impunity, Militias, and the "Afghan Local Police"; www.hrw.org September 2011.

Vergeltung

"Erfolge" können die westlichen Staaten angesichts der desaströsen Lage gegenwärtig allenfalls aus dem Drohnenkrieg vermelden. Eine zunehmende Zahl von Personen, angeblich "Terroristen", wird dabei vor allem im pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan getötet. Bei den Bombenangriffen auf Gebäude und Fahrzeugkonvois kommen regelmäßig zahlreiche Zivilisten ums Leben. Experten nennen Zahlen zwischen 1.400 und 2.300 Todesopfern zwischen 2003 und 2010 allein für Pakistan. Die pakistanische Nicht-Regierungsorganisation Conflict Monitoring Center verzeichnet für Januar bis September 2011 insgesamt 66 Drohnenattacken mit 515 Todesopfern, etwas weniger als im Vorjahreszeitraum (80 Angriffe mit 625 Toten). Dabei ist auch von Racheakten die Rede. Wie das Conflict Monitoring Center schildert, habe es sich bei einem Drohnenangriff vom 17. März 2011, durch den 40 Zivilisten getötet wurden, offenbar um Vergeltung dafür gehandelt, dass der CIA-Mann Raymond Davis in Lahore inhaftiert worden war, weil er zwei Pakistanis umgebracht hatte. "Das war Vergeltung für Davis", zitiert das Zentrum die Aussage eines US-Funktionärs gegenüber der Nachrichtenagentur AP: "Die CIA war zornig."Drone Attacks Reduced as Petraeus Takes Charge of CIA; cmcpk.wordpress.com 05.10.2011.

Stützpunkte auf Dauer

Tatsächlich eröffnet der Drohnenkrieg dem Westen eine Perspektive, die er in Vietnam noch nicht hatte: die Möglichkeit, sich in einzelnen Stützpunkten am Hindukusch festzusetzen und von diesen aus künftig mit unbemannten Waffensystemen militärische Operationen durchzuführen. Tatsächlich wird diese Option zur Zeit diskutiert - auch in Deutschland (german-foreign-policy.com berichtetes. dazu Gezieltes Töten in großem Stil .). Das würde es dem Westen ermöglichen, auf Dauer in Afghanistan präsent zu bleiben. Drohnen und weitere Kampfroboter, die für eine solche Form von Kriegführung unverzichtbar sind, sollen in Zukunft nach dem Willen von Bundestagskreisen mit größerer Entschlossenheit entwickelt und von der Bundeswehr beschafft werden (german-foreign-policy.com berichtetes. dazu Hunter-Killer-Missionen (I) und Hunter-Killer-Missionen (II) .).

Quelle: www.german-foreign-policy.com   vom 07.10.2011.

Fußnoten

Veröffentlicht am

13. Oktober 2011

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