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An den Grenzen des Rechtsstaats

Berliner Regierungsberater fordern eine öffentliche Debatte über die fortwährenden Rechtsbrüche im Rahmen des sogenannten Anti-Terror-Krieges. Es bestehe kein Zweifel, dass die Verschleppung von Gefangenen, die Erstellung von Todeslisten sowie weitere heute noch praktizierte Maßnahmen westlicher Geheimdienste und Streitkräfte internationales Recht brächen, heißt es in einer jüngst publizierten Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Die EU manövriere mit ihrer Beteiligung "an den Grenzen der Rechtsstaatlichkeit". Ein solches Vorgehen sei auf längere Sicht "nicht durchzuhalten, ohne dass der Rechtsstaat selbst Schaden nimmt".

Die SWP empfiehlt der Berliner Regierung daher ein "Grauzonenmanagement". Man könne sich aus dem "Anti-Terror-Krieg" nicht zurückziehen und daher der Rechtsstaatlichkeit kaum "Priorität" einräumen, heißt es in der Studie. Ein völlig ungehemmter Ausbau der Repressionsapparate mit kaum beschränkten Kompetenzen trage jedoch Risiken. Man müsse daher dringend klären, "ob, wo und unter welchen Bedingungen Abweichungen vom Rechtsstaatsprinzip vertretbar sind". Faktisch läuft die Forderung auf eine Legitimierung der aktuellen Rechtsbrüche hinaus.

Wegschauen, indirekt unterstützen

Wie die Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in einer jüngst publizierten Studie schreibt, haben die im sogenannten Anti-Terror-Krieg bereits seit Jahren genutzten Repressionsmittel "gravierende Konsequenzen hinsichtlich der Menschenrechte". Insbesondere die Vereinigten Staaten profilierten sich mit einem harten, vorwiegend militärischen Vorgehen gegen terroristische Strukturen nicht nur in Afghanistan, sondern etwa auch in Pakistan und im Jemen. Demgegenüber wärben EU-Länder in der Öffentlichkeit stärker für polizeilich-geheimdienstliche Operationen. Das Europaparlament und die Europäische Kommission setzten zudem "hohe rechtsstaatliche Standards an", wobei diese aber "von den Mitgliedstaaten nur teilweise umgesetzt werden". So streite Brüssel sich zwar in Fragen des Datenschutzes mit Washington; gleichzeitig sei jedoch das "Wegschauen bei außerordentlichen Überstellungen" und sogar "indirekte(…) Unterstützung bei Inhaftierung und Tötung mutmaßlicher Terroristen in Afghanistan" zu konstatieren. Insgesamt gelte, dass die EU "in ihrer Zusammenarbeit mit den USA bei der Terrorismusbekämpfung" recht oft "an den Grenzen der Rechtsstaatlichkeit" manövriere.Zitate hier und im Folgenden: Annegret Bendiek: An den Grenzen des Rechtsstaates: EU-USA-Terrorismusbekämpfung; SWP-Studie S3, Februar 2011.

Rechtsstaatlich hochgradig problematisch

Die Intensität der Anti-Terror-Kooperation illustriert die Autorin der SWP-Studie anhand mehrerer Beispiele. Beiderseits des Atlantik sei etwa die "Listung von Personen und Organisationen" üblich, "die im Verdacht stehen, terroristische Handlungen zu unterstützen". Die Listung sei oft Grundlage repressiver Maßnahmen - etwa der Sperrung von Bankkonten -, die nicht mittels Gerichtsverfahren legitimiert würden. Tatsächlich würden Gerichtsverfahren oft überhaupt nicht angestrebt, weil sie das Offenlegen geheimdienstlicher Informationen erforderten. "Das Führen von Terroristenlisten", resümiert die Autorin, stößt "auf relativ wenig Kritik in der EU". Dies sei "rechtsstaatlich gesehen hochgradig problematisch".

"K" wie "kill"

Dasselbe gilt der SWP-Studie zufolge in noch höherem Maße für die Joint Prioritized Effects Lists (JPEL), welche die westlichen Truppen in Afghanistan führen. Die Listen enthalten die Namen von Personen, die nach Auffassung der Besatzer ein "Gefährdungspotenzial" darstellen. Auf ihnen ist festgehalten, wer gefangengenommen werden soll (vermerkt mit "c" wie "capture") und wer bei Bedarf auch getötet werden kann (vermerkt mit "k" wie "kill"). Laut Auskunft der Bundesregierung wurden bis Anfang September 2010 15 Personen auf deutschen Vorschlag auf den Listen vermerkt.Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Frithjof Schmidt u.a.; Deutscher Bundestag Drucksache 17/2884, 08.09.2010. Zwar darf die Bundeswehr offiziell nicht an "kill"-Operationen teilnehmen; allerdings sei, heißt es in der Studie, unklar, wie die Abgrenzung in der Praxis vorgenommen werden solle. Außerdem müsse "nachdenklich" stimmen, "dass der Einsatz von Drohnen" - eine Form der "kill"-Attacken - "seit Frühjahr 2010 massiv zugenommen hat und zu einem zentralen Instrument der USA in der Kriegführung gegen Taliban und Terrorverdächtige geworden ist". Erst kürzlich waren Berichte bekannt geworden, denen zufolge ein Deutscher im Herbst 2010 von einer Drohne getötet wurde - in Pakistan, also außerhalb des afghanischen Kriegsgebiets. Vieles deutet darauf hin, dass die US-Tötung durch Informationen aus einem bundesdeutschen Ermittlungsverfahren ermöglicht wurde, die an US-Stellen weitergeleitet wurden - "routinemäßig", wie es in Berlin heißt.Bünyamins Tod; www.zeit.de 20.01.2011.

Erfolterte Informationen

Ausführlich würdigt die SWP-Studie auch die rechtswidrige Verschleppungspraxis der CIA ("extraordinary renditions"). Der Europarat habe schon im Juni 2006 die Zahl der Personen, die auf europäischem Gebiet verschleppt wurden, auf ungefähr 100 geschätzt: "Viele Mitgliedstaaten", ruft die Autorin in Erinnerung, "tolerierten die illegalen Handlungen der CIA und kooperierten nur äußerst widerwillig mit dem Europarat, als dieser die Fälle untersuchen wollte."Die Vereinigten Staaten "haben die Praxis der willkürlichen Festnahmen" bis heute "nicht vollständig aufgegeben", heißt es weiter; für "kurzfristige" Aktivitäten dürften bestehende Geheimgefängnisse weitergenutzt werden. Zwar habe es insbesondere im Europaparlament empörte Worte über die Verschleppungen gegeben. Dennoch sei eine fortdauernde "Duldung der unrechtmäßigen Praxis der CIA durch viele Mitgliedstaaten der EU" zu konstatieren. Dies "steht im Einklang mit der Vorgehensweise vieler europäischer Geheimdienste", urteilt die SWP, "Informationen aus Verhören auch dann für die eigene Ermittlungsarbeit zu verwenden, wenn sie in Ländern gewonnen wurden, in denen regelmäßig gefoltert wird."

Bagram

Eine identische Einschätzung ergibt sich der SWP zufolge im Falle der Bagram Theater Internment Facility (BTIF) auf dem US-Militärstützpunkt Bagram (Afghanistan). In der Haftanstalt halten die Vereinigten Staaten gegenwärtig rund 700 Terrorverdächtige ohne jegliche rechtliche Grundlage fest. Zahlreiche Foltervorwürfe sind bekannt. "Die Inhaftierungspraxis der USA steht in offenem Widerspruch zu allen rechtsstaatlichen Prinzipien", heißt es in der Studie. Man müsse dennoch davon ausgehen, dass "zumindest einige" der europäischen ISAF-Staaten "Gefangene an das US-Militär überstellen". Für die Bundeswehr sei das, heißt es weiter, jedenfalls nicht auszuschließen. "Zudem haben deutsche Sicherheitsbehörden Informationen von Terrorverdächtigen, die auf dem US-Stützpunkt Bagram festgehalten werden, für die eigene Ermittlungsarbeit genutzt." Im letzten Herbst konnten Beamte von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz persönlich einen in Bagram gefangenen Deutschen verhören."Hochkonkret" oder "abstrakt"? www.sueddeutsche.de 01.11.2010. In Bagram war bereits Khaled el-Masri festgehalten worden, nachdem die CIA ihn Anfang 2004 nach Afghanistan verschleppt hatte.

Grauzonenmanagement

Über die offenkundige Bereitschaft der EU-Staaten, insbesondere auch Deutschlands, schwerste Menschenrechtsverbrechen nicht nur zu dulden, sondern auch Beihilfe zu leisten und zum Beispiel von erfolterten Aussagen zu profitieren, heißt es in der SWP-Studie: "Eine solche Position ist nicht durchzuhalten, ohne dass der Rechtsstaat selbst Schaden nimmt." Die Autorin, darüber besorgt, verlangt deshalb nun "eine breite politische und gesellschaftliche Debatte"; zu klären sei, "welchen Status rechtsstaatliche Prinzipien im Rahmen der transatlantischen Kooperation bei der Terrorismusbekämpfung besitzen sollen". Sie skizziert drei Lösungen. Man könne der "Sicherheit" absoluten Vorrang geben; dann müsse etwa Europol zu einer europäischen Bundespolizei à la FBI ausgebaut werden, die Kooperation der Geheimdienste sei zu intensivieren, Kontrollkompetenzen der Parlamente seien zu relativieren. Alternativ dazu könne man der Rechtsstaatlichkeit "Priorität" einräumen; dann müssten gegebenenfalls die Kooperation mit der NATO eingeschränkt und etwa Organisationen wie WikiLeaks zur Aufdeckung von Menschenrechtsverbrechen gestärkt werden. Die Autorin hält beides für gegenwärtig recht unrealistisch und plädiert für einen Mittelweg, dem sie die Bezeichnung "öffentliches Grauzonenmanagement" verleiht: Man müsse "die rechtliche Grauzone (…) gestalten" und festlegen, "ob, wo und unter welchen Bedingungen Abweichungen vom Rechtsstaatsprinzip vertretbar sind". Faktsic läuft dies auf eine Legitimierung zumindest der aktuellen westlichen Menschenrechtsverbrechen im sogenannten Anti-Terror-Krieg hinaus.

Quelle: www.german-foreign-policy.com   vom 04.03.2011.

Fußnoten

Veröffentlicht am

06. März 2011

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